DABonline | Deutsches Architektenblatt
Menü schließen

Rubriken

Services

Menü schließen

Rubriken

Services

Auffälliges, zweiteiliges Feuerwehrhaus

Das neue Feuerwehrhaus von Straubenhardt ist ein gebautes Manifest für die Kreislauf-Ambitionen der Gemeinde. (Klicken für mehr Bilder)

[ Cradle-to-Cradle ]

Kreislauf­wirtschaft am Bau: vorbildliche Projekte

Häuser sind derzeit meist Einwegprodukte. Doch immer mehr Bauherren und Architekturbüros wollen Materialien so verbauen, dass sie ­irgendwann in einem anderen Gebäude wieder­verwendet werden können. Wir geben einen ­Überblick und stellen drei wegweisende Projekte vor

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Was läuft in der Kreislaufwirtschaft?“ im Deutschen Architektenblatt 05.2023 erschienen.

Von Frank Maier-Solgk

Wie geht es voran mit der Kreislaufwirtschaft im Gebäudebereich, mit dem Bauen nach dem ­Cradle-to-Cradle-Prinzip (C2C), das wiederverwendbare Materialien nutzt und damit Ressourcen schont und Abfall reduziert? Manches deutet darauf hin, dass man sich noch in einer Art Premierenstadium befindet.

Cradle to Cradle: Projektpremieren

„Moringa“, das derzeit in Hamburg hochgezogen wird ­(geplante Fertigstellung 2024), wirbt für sich als „das erste ­Wohnhochhaus Deutschlands nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip“ (kadawittfeldarchitektur). „The Cradle“ im Düsseldorfer Medienhafen (hpp architekten), bei dem unlängst Richtfest gefeiert wurde, macht als das „erste Holz-Hybrid-Bürohaus in Düsseldorf“ auf sich aufmerksam.

Feuerwehrhaus Straubenhardt

Fertiggestellt wurde im Sommer 2022 in der schwäbischen Gemeinde Straubenhardt ein neues Feuerwehrhaus (Wulf Architekten), das als „eines der ersten öffentlichen Gebäude bundesweit dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft folgt“. Hier wie andernorts finden sich, sowohl die Bauherren als auch die Gebäudetypologie betreffend, vielversprechende heterogene Ansätze.

Das Feuerwehrhaus von Straubenhardt ging auf die Initiative der Gemeinde beziehungsweise ihres Bürgermeisters zurück. Helge Vieweg lud den C2C-Erfinder Michael Braungart zu Vorträgen ein, überzeugte den Gemeinderat von dem Zukunftsthema – und erprobte den Ansatz dann 2015 bei der anstehenden Zentralisierung der bisher separaten sechs Stützpunkte der Feuerwehr. „Wir wollten neue Wege gehen, nicht typisch deutsch einen Perfektionismus anstreben, sondern einfach anfangen.

Modellgemeinde für die Kreislaufwirtschaft

Die ökologische Kehrtwende sollte auch zur Profilierung der Gemeinde dienen“, erzählt Bürgermeister Helge Vieweg. Beim Feuerwehrhaus blieb es nicht. Seit 2019 ist Straubenhardt eine „Cradle-to-Cradle-Modellgemeinde“, was bedeutet, das innovative Prinzip auch in Form kleinerer Maßnahmen umzusetzen und in die Gemeinde hineinzutragen.

Man entwickelte eine Beschaffungsrichtlinie für Büromöbel, Reinigungsmittel, Textilien etc. Im Bausektor will man auch bei Gewerbegebieten möglichst ökologische Standards anlegen und bei der Vergabe von Grundstücken entsprechende C2C-Ansätze positiv berücksichtigen. Ein neues Bürgerzentrum, das die bisherigen drei Rathausstellen einmal vereinen soll, steht ebenfalls auf dem Plan des Bürgermeisters für die kommunale C2C-Zukunft.

Schadstofffreie und trennbare Materialien

Beim Feuerwehrhaus selbst, das, an einen Hang angelehnt, die Funktionen flächenschonend vertikal stapelt, sind ein Großteil der verbauten Materialien schadstofffrei und einfach trennbar. Ein Team des von Michael Braungart gegründeten Umweltberatungsinstituts EPEA (eine Tochter von Drees & Sommer) wählte gemeinsam mit den Architekten und Fachplanern fast 250 einzelne Materialien der etwa 80 Bauteile für das neue Feuerwehrhaus aus und prüfte sie unter anderem auf ihre Materialgesundheit, Trennbarkeit, Recyclingfähigkeit und auf die CO2-Emissionen bei Herstellung und Transport.

Verschrauben statt verkleben

Man verzichtete weitestgehend auf Klebstoffe, auf Anstriche oder Putze. Während der Beton konventionell ist, wurden die verwendeten Holzbauelemente verschraubt statt vernagelt oder verklebt – alles Maßnahmen, die zwar aufwendiger sind als die herkömmliche Praxis, sich jedoch im Hinblick auf eine spätere Entsorgung rechnen sollten. Laut Berechnungen der EPEA können 61 Prozent des Gebäudes recycelt werden.

Vernetzung für die Kreislaufwirtschaft am Bau

Tatsächlich scheint der kommunale Ansatz mit seinen direkten Umsetzungsmöglichkeiten vielversprechend für die Entwicklung zu sein. Straubenhardt ist eine von inzwischen rund zehn Gemeinden in Deutschland, die sich in einem Netzwerk unter Leitung des Berliner C2C LAB zusammengetan haben. „Unsere Netzwerkmitglieder“, so die zuständige Koordinatorin Juliane Thiele, „sind Kommunen oder kommunale Akteure, die sich gegenseitig in ihrem Bestreben, mehr C2C lokal umzusetzen, bestärken wollen. Einige sind sehr weit, andere erst seit Kurzem dabei.“

Mit im Boot sind unter anderem die Städte Ludwigsburg, Aschersleben, die Gemeinde Haar bei München sowie die Landkreise Lüneburg und Lüchow-Dannenberg, in denen im Rahmen einer strategischen Regionalentwicklung, die neben Bauen auch produzierendes Gewerbe einbezieht, die Einrichtung eines C2C-Labs für Nachhaltigkeitsinnovationen vorgesehen ist.

EU-Taxonomie bringt Fortschritte für Kreislaufwirtschaft

Die auch bei der C2C-Planung des Straubenhardter Feuerwehrhauses federführende EPEA hat seit 2019, so Geschäftsführer Peter Mösle, „bei 90 Projekten geprüft, optimiert und einen entsprechenden Materialpass erstellt“. Mösle, der dem DAB 2020 im Interview  sagte, alle für C2C wichtigen Argumente seien inzwischen eigentlich bekannt, ist heute überzeugt: „Ich erwarte in den nächsten Jahren eine deutliche Steigerung C2C-orientierten Bauens. Einer der Haupthebel hierfür ist die EU-Taxonomie, die den Druck auf die Beteiligten vor allem auf Investorenseite erhöhen wird.“

Ab 2023 müssen Investoren und Banken nach der EU-Taxonomie berichten und hierbei auch für den Bereich Circular Economy die exakte Erfüllung der Kriterien offenlegen – zum Beispiel, dass 50 Prozent aller Gebäudematerialien aus Sekundärmaterial oder nachwachsenden Rohstoffen stammen – um einen „substanziellen Beitrag“, so die Nomenklatura, behaupten zu können. „Bisher“, so Peter Mösle, „war das nur für die beiden Ziele CO2 und Klimaanpassung verpflichtend.“

Selbst machen mit BIM-Plug-in für Circular Design

Zudem hat die EPEA im April dieses Jahres eine Änderung ihrer eigenen Beratungstätigkeit eingeleitet. „Um die Architekten selbst in die Lage zu versetzen, Circular Design bei ihren Projekten durchführen zu können, stellen wir den Büros den Building Circularity Passport® als BIM-Plug-in in Lizenz zur Verfügung. Damit“, so Peter Mösle, „geben wir den Architekten erstmalig das Handwerkszeug an die Hand, damit sie die ökologischen Fragen ihrer Bauherren selbstständig beantworten können – und zwar entlang ihres gewohnten Workflows in BIM.“

Das Plug-in, dessen Lizenz für ein Büro mit circa 5.000 Euro pro Projekt oder als Jahres-Unternehmenslizenz zu Buche schlägt, enthalte hierbei bereits das gesamte materialbezogene Umweltdatenmanagement. Das Ziel bleibt, alle nachhaltigkeitsrelevanten Faktoren wie CO2-Fußabdruck (Ökobilanz), Gesundheit, Flexibilität, Recyclingfähigkeit oder Trennbarkeit im 3D-Gebäudemodell ablesbar zu machen.


Fassade des Ausbauhaus Südkreuz mit roten Vorhängen
Die Fassade des Ausbauhauses Südkreuz ist als rückbaubare Holzkonstruktion ausgeführt.

Ausbauhaus Südkreuz

Nun sind Zertifizierungsprozesse das eine – das andere leistet manchmal die Überzeugungskraft der Beteiligten. Ein gutes Beispiel dafür ist das im Sommer 2022 fertiggestellte gemeinschaftliche Wohnprojekt „Ausbauhaus Südkreuz“, gelegen zwischen dem Berliner Bahnhof Südkreuz und dem S-Bahnhof ­Schöneberg auf dem Entwicklungsgelände Schöneberger Linse.

Das siebenstöckige Holzhybridhaus umfasst 19 Einheiten: 13 Selbstnutzer-, drei Sozialwohnungen, zwei Gewerbeeinheiten und einen Gemeinschaftsraum. Ausgangspunkt war ein Konzeptverfahren der Stadt Berlin, für das eine Baugruppe den Zuschlag erhielt. Im engen Austausch mit der Baugruppe erarbeiteten die Berliner Praeger Richter Architekten zu den ambitionierten Anforderungen („gemeinschaftlich, ökologisch, bezahlbar“) adäquate Lösungen.

Grafik zum Ausbauhaus Südkreuz zum Thema Kreislaufwirtschaft am Bau
Fassade und Innenausbau sind von der Stahlbetonkonstruktion trennbar und recyclingfähig.

Klare Trennung von Konstruktion, Ausbau und Fassade

Die zirkulären Aspekte betrafen zum einen die Fassade, die als rückbaubare Holzkonstruktion ausgeführt wurde. Zum anderen wurde der Innenausbau im Hinblick auf spätere Umbauten beziehungsweise einen sortenfreien Rückbau verbundstofffrei und mit nachwachsenden Baustoffen umgesetzt. Wie beim Feuerwehrhaus wurden die Materialien verschraubt, gelegt, gesteckt; die Oberflächen blieben unbehandelt oder wurden lasiert, sodass die einzelnen Bauteile später abgeschraubt, gesammelt und – auch vom Nutzer selbst – aufgearbeitet und wieder eingesetzt werden können.

Darüber hinaus wurde der Bau im Energiestandard KfW 40 umgesetzt (Holzpellet-Heizung). Einen Teil der höheren Baukosten tragen die Mitglieder der Baugruppe, so Henri Praeger; eine offizielle C2C-Zertifizierung wurde damals jedoch – der Zuschlag erfolgte bereits 2016 – nicht vorgenommen.

Grafik zum Aufbau einer Innenwand aus Holzfür die Kreislaufwirtschaft

Leben im Flämimg: Postfossiles Wohnen

Einen Schritt weiter wollen Jana Richter und Henri Praeger bei ihrem aktuellen Projekt gehen. „LiF – Leben im Fläming“ nennt sich ein Mehrgenerationenwohnprojekt für 90 Personen auf dem platten Land im Brandenburger Bad Belzig. „Hier werden wir das ökologische Niveau noch steigern können, der Anteil recycelbarer Materialien soll auf 70 Prozent erhöht werden“, so Henri Praeger.

Für die vier Wohn- und zwei Gemeinschaftsgebäude, die in verbundstoffarmer Holzbauweise errichtet werden, sind auch im Inneren nachwachsende, „wohngesunde“ Rohstoffe als Baumaterialien eingeplant. Mit einem ressourcenschonenden Umgang mit Wasser (Grauwasser für Toiletten) und einer postfossilen Energieversorgung (Photovoltaik, Erdwärme) wird in diesem Fall, so die Architekten, die Nachhaltigkeits-Zertifizierung DGNB Gold angestrebt.


Logistikzentrum von Levi Strauss mit Dachgarten
Das Logistikzentrum von Levi Strauss in Dorsten soll einmal einen „positiven Fußabdruck“ hinterlassen.

Nachhaltiges Logistikzentrum

Dass Deutschland in Sachen C2C vor allem von seinen niederländischen Nachbarn lernen kann, beweist nicht nur die Stadt Venlo, nach wie vor die wichtigste Pilgerstätte aller Interessierten. Kurz vor Fertigstellung befindet sich die europäische Logistik-Drehscheibe des Modelabels Levi Strauss im nordrhein-westfälischen Dorsten. Projektentwickler von Deutschlands nach eigenen Angaben erstem Distributionszentrum mit positivem Fußabdruck ist die Amsterdamer Delta Development.

Die Architekten Quadrant4, die Expertise aus den Logistikbereich mitbrachten, kommen ebenfalls aus den Niederlanden. Ihr C2C-Ansatz ist innovativ: Beim Bau der circa 70.000 Quadratmeter großen Lagerhalle verwendeten sie zur notwendigen Verbesserung der Tragfähigkeit des Baugrunds die Betonfundamente der stillgelegten Zeche Wulfen, die sich auf demselben Grundstück befand (Tiefenverdichtungsverfahren).

Darüber hinaus werden Elemente des Interieurs des leer stehenden Wohn- und Einkaufszentrums Wulfener Markt (vor 40 Jahren von J. P. Kleihues errichtet), das vor dem Abriss steht, in den Neubau integriert, wobei man auf eine studentische Initiative vor Ort zurückgreift.

Energiebedarf großteils selbst decken

Das Logistik-Zentrum wird ferner einen Dachgarten erhalten, der die Biodiversität aufrechterhält und als Sammelstelle und Kläranlage des gebäudeinternen Wasserkreislaufs dient. Durch den Einsatz erneuerbarer Energiequellen (Geothermie und zusätzliche Photovoltaikanlagen auf dem Dach) soll es einen Großteil seines Energiebedarfs selbst decken (LEED- und WELL-Zertifizierungen sind vorgesehen). Ziel ist laut dem Entwickler, das Distributionszentrum möglichst innerhalb der Mietlaufzeit von 20 Jahren CO2-neutral zu betreiben. Die Übergabe an den Bauherrn ist für August 2023 vorgesehen. Es bleibt also spannend beim C2C-Bauen in Deutschland.

 

Weitere Beiträge finden Sie auch gesammelt in unserem Schwerpunkt Nachhaltig.

Sie wollen schon gehen?

Bleiben Sie informiert mit dem DABnewsletter und lesen Sie alle zwei Wochen das Wichtigste aus Architektur, Bautechnik und Baurecht.

Wir nutzen die von Ihnen angegebenen Daten sowie Ihre E-Mail Adresse, um Ihnen die von Ihnen ausgewählten Newsletter zuzusenden. Dies setzt Ihre Einwilligung voraus, die wir über eine Bestätigungs-E-Mail noch einmal abfragen. Sie können den Bezug des Newsletters jederzeit unter dem Abmeldelink im Newsletter kostenfrei abbestellen. Nähere Angaben zum Umgang mit Ihren personenbezogenen Daten und zu Ihren Rechten finden Sie hier.
Anzeige