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[ Interview ]

Studio karhard: wie plant man einen Club wie das Berghain?

Lange Schlangen, lange Nächte und ein Mythos, der nicht totzukriegen ist: Der Berliner Club Berghain ist weit über die Landesgrenzen hinweg legendär. Einer, der ihn aus dem Effeff kennt, ist Architekt Thomas Karsten – der den Club mit seinem Büro geplant hat. Lars Klaaßen traf ihn zum Gespräch, das in Berliner Clubs begann und im Krankenhaus endete

Thomas Karsten von dem studio karhard®
Thomas Karsten leitet seit 2003 gemeinsam mit seiner Partnerin Alexandra Erhard das studio karhard®.

Dieses Interview ist in gekürzter Fassung unter dem Titel „Anfassen spielt eine große Rolle“ im Deutschen Architektenblatt 12.2021 erschienen.

Herr Karsten, wie kommt man als Architekt dazu, das Berghain zu entwerfen?

Die Geschichte beginnt spektakulär unspektakulär: mit einer Genehmigungsplanung. Damit haben wir (studio karhard®) im Jahr 1999 den Betreibern des Berliner Clubs Ostgut ausgeholfen. Als das Ostgut dann ausziehen musste und eine neue Location suchte, haben wir uns gemeinsam einige angesehen, unter anderem das ehemalige Fernheizwerk in der Rüdersdorfer Straße. Daraus wurde dann das Berghain. Wir haben ungefähr ein Jahr lang ausgemessen und geplant. Im Oktober 2004 wurde dann die Panoramabar eröffnet und im Dezember das Berghain. So wird man Clubarchitekt.

Zeichnung Club Berghain innen
Fotos gibt das Berghain nicht heraus. Auch Gäste dürfen nicht fotografieren. Wir freuen uns daher, die Bilder des Architekten Andreas Hachulla zeigen zu dürfen: „cathedral of Berghain“ 2016

Was machte das Fernheizwerk in der ­Rüdersdorfer Straße zum perfekten Ort für einen Club?

Das war eine sehr intuitive Entscheidung. Natürlich hat die bauliche Struktur des Gebäudes eine Rolle gespielt, diese kathedralenhafte Dramatik, die man heute noch gut ablesen kann. Wir als Architekten haben dann schnell bewerten müssen: Ist das technisch geeignet, funktioniert das vom Layout, lassen sich alle Funktionen unterbringen? Aber die Anordnung der Dancefloors, die Position der DJs, die Lage der Toiletten – das waren Betreiberentscheidungen. Da spielt Erfahrung aus dem Clubbetrieb eine große Rolle.

Im Vergleich zu vielen anderen Clubs ist im Berghain einfach auch sehr viel Platz.

Das ist das Schöne am Berghain: Auch wenn es einmal voll ist, gibt es immer noch Restflächen. Und durch diese eigenwillige Struktur – diesen Luftraum, den es gibt – tun sich Wege auf. Man kann immer ausweichen und hat Flächen, wo man sich auch in Ruhe unterhalten kann. Zugleich passiert da viel auf der Tanzfläche.

Wie unterscheidet sich die Bauaufgabe Club von „normalen“ Architektur­aufgaben?

Wir kennen eigentlich fast gar keine „normalen“ Aufgaben. Alle unsere Projekte sind sehr speziell, sei es eine aufwendige Wohnung für einen Künstler, die Food-Etage des KaDeWe oder die Büros von Sony Music Entertainment. Das sind immer sehr auf den Nutzer abgestimmte Konzepte – hinsichtlich Materialien bis hin zum Prototypenbau. Ein Club ist da ­typologisch gar nicht so anders. Er hat ein ­hohes Maß an komplexer Planung, man muss recht viele technische Fragen mitbedenken – wie Raumakustik und Brandschutz, auch Wegeführung, Logistik hinter den Kulissen und Sicherheitsaspekte. Materialfragen und Reinigung spielen eine große Rolle. Das alles soll der Besucher gar nicht wahrnehmen, sondern möglichst das Gefühl haben, in einer wenig veränderten Location zu feiern.

Wegeführung in einem ja doch eher ­dunklen Club klingt nach einer schwierigen Aufgabe.

Das ist eher eine taktile Geschichte. Weil man ja im Club ein sehr eingeschränktes Sichtfeld hat. Darum müssen all diese Dinge sehr intuitiv, auf sensorischem Weg funktionieren. Anfassen spielt eine große Rolle, um sich sicher zu fühlen, auch unter sensorisch verschleierten Rahmenbedingungen.

Muss man Clubgänger sein, um einen ­guten Club zu gestalten?

Nicht zwingend, aber es ist hilfreich. Die Art und Weise, wie sich Leute im Club orientieren und bewegen, ist ja nun doch eine andere als beispielsweise in einem Restaurant. Deswegen spielt das Vorstellungsvermögen schon eine große Rolle: was man da so macht, in welchen Bereichen man sich wohlfühlt, wie man kommuniziert. Es ist ein sehr körperliches Erlebnis, wenn so ein Club voller Menschen ist.

Zeichnung Club Berghain innen
Andreas Hachulla hält das Clubleben in atmosphärischen Zeichnungen auf seinem Smartphone fest: „Steffi @ Säule“ 2017

Was sind die räumlichen Grundlagen dafür, dass die Besucher sich wohlfühlen?

Auf der einen Seite brauchen Sie Nischen und Rückzugsräume. Menschen sind Höhlenbewohner und mögen enge Situationen. Auf der anderen Seite brauchen Sie freie Bewegungsflächen, die ein geschmeidiges Durchcruisen erlauben, und Räume, wo sich die Gäste präsentieren können. Und eben auch eine verständliche Wegeführung, um schnell mal in ein anderes Stockwerk zu kommen.

Was macht ausgerechnet alte Industrie­gebäude so geeignet dafür?

Man sucht dieses Kellerartige, Labyrinthhafte. Das sind Räume, die einfach Charme haben, wenn man sie entsprechend herrichtet. Zuletzt haben wir einen Club in Kiew gestaltet, der aus Räumen besteht, die wir labyrinth­artig miteinander verbunden haben. Solche Räumlichkeiten sind aber technisch nicht einfach: dort eine Lüftung einzubauen, ohne dass man überall Lüftungskanäle sieht, die auch dem Sound abträglich sind. Das ist dann die planerische Herausforderung: das Wenige zu bewahren, was da ist, und darauf mit entsprechenden Einbauten zu reagieren.

Welche Aspekte rücken da in den ­Fokus?

Ein Club muss für Menschen in allen möglichen Aggregatzuständen funktionieren. Da reden wir über Absturzsicherungen und Sitzmöglichkeiten an den richtigen Stellen, aber auch über Podeste, auf denen Besucher alle möglichen Dinge machen können, und Barbereiche, die gut zugänglich sind. Club ist zum einen natürlich Feiern und Tanzfläche, aber es ist auch Kommunizieren, Beobachten, Leute kennenlernen. Eine gute Bandbreite an räumlichen Erlebnissen ermöglicht einen guten und reibungslosen Clubbetrieb.

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Sind Musikstil und Alter der ­Zielgruppe für die Gestaltung eines Clubs relevant?

Eher nicht. Aber das Booking spielt eine Rolle: Welches Publikum will man bei einer bestimmten Veranstaltung im Laden haben? Ist das zum Beispiel eher LGBT-orientiert, empfehlen sich mehr Flächen, wo Leute sich entsprechend präsentieren können, die ja teilweise recht aufwendig kostümiert kommen. Aber man will ja nicht vor jeder Veranstaltung den Club umbauen. Das muss im Wesentlichen über das Environment abdeckbar sein, sodass man nur noch ein paar Podeste hin- und herschiebt. Idealerweise sollten im Club unterschiedliche Veranstaltungsarten möglich sein.

Zeichnung Club Berghain innen
„Shlømo LIVE“ 2017 © Andreas Hachulla

Ist es einfacher, einem Trend zu folgen oder etwas völlig Neues zu machen?

Ich bin skeptisch, ob man den Club überhaupt neu erfinden kann. Ein Club ist eine traditionelle Einrichtung, die immer nach einem ähnlichen Schema funktioniert. Da geht es ja gar nicht um so viel. Man braucht eine gute Anlage, Licht spielt eine große Rolle, es sollte ausreichend Frischluft vorhanden sein und man will an der Bar kalte Getränke haben. Viel mehr ist es nicht.

Brauchen wir dann überhaupt Clubdesign?

Das kann auch alles ohne Clubarchitektur funktionieren, wenn die Location das entsprechend hergibt. Es gibt ja auch Techno-Raves, die sind irgendwo in einer verlassenen Bahnhalle und funktionieren als Veranstaltung super. Da würde man aber wohl nicht jede Woche als regelmäßiger Besucher hingehen. Generell ist das Design-Konzept für Clubs klar definiert. Nur im Detail verändert sich etwas, also zum Beispiel die Lage der Bar und die Oberflächenbeschaffenheit.

Das klingt traditioneller, als man denken würde. Gar keine Experimente?

Es gibt schon interessante Experimente. Zum Beispiel der Club Blitz in München, die haben ein sehr anspruchsvolles akustisches Konzept baulich umgesetzt. Da finden ernsthafte Clubevents in einem Raum statt, der sich eher anfühlt wie ein Tonstudio. Aber generell sind die Trendwechsel nicht so krass wie im Retail zum Beispiel oder anderen architektonischen Aufgabenfeldern.

Clubs haben dennoch ihre eigenen Charaktere. Wirkt sich das auf die Gestaltung aus?

Ja, das Berghain zum Beispiel ist ein sehr erwachsener Club, in den eher auch ältere Menschen gehen können. So eine Mischung von Gay-Community und hetero ist in nicht allzu vielen Clubs weltweit der Fall. Dass sich das im Berghain so mischt, ist ein Phänomen, das sicherlich eine Auswirkung auf die Gestaltung gehabt hat. Wir haben zum Beispiel eher weniger mit verspielten Details hantiert, da es einfach dieser breit gefächerten Community gefallen muss. Die Herausforderung im Design des Berghain bestand in erster Linie darin, möglichst viel Design zu vermeiden – einen Club zu entwickeln, der gut funktioniert, ohne dass er als total designter, artifizieller Space verstanden wird.

Zeichnung Club Berghain innen
„Hannah Holland afternoon listening“ 2019 © Andreas Hachulla

Wie macht man das – beziehungsweise was unterlässt man besser?

Wir haben versucht, bestehende Bauelemente einfach weiterzubauen, zu reparieren, zu ergänzen und teilweise auch umzuinterpretieren und für die Nutzung angemessen upzugraden: Geländer zu erhöhen, mit Sitzmöglichkeiten zu versehen und solche Dinge. Für die Raumgestaltung spielt das Licht eine große Rolle.

Machen Sie das Lichtdesign selbst?

Das reine Eventlicht machen meistens die Lichtspezialisten des jeweiligen Clubs. Wir Architekten wollen das „architectural light“ mitplanen, also alles, was fest eingebautes Licht ist und auch die Einrichtung beleuchtet. In der Panoramabar des Berghain zum Beispiel haben wir die komplette Veranstaltungslichttechnik mit entworfen. Aber nicht alleine, sondern mit den Lichtplanern von Room Division. Auch in anderen Clubs wie dem Avenue-Club, wie er damals hieß, haben wir praktisch das gesamte Licht entworfen und in eine Lichtprogrammierung eingebunden. Bei uns arbeitet jemand, der Lichtplanung studiert hat, das finden wir wichtig. Das versuchen wir auch auf andere Bauaufgaben zu übertragen. Ob eine Zahnarztpraxis, ein Bürogebäude oder Sony Music: Da fließen Überlegungen mit ein, was Lichtprogrammierung und Lichtgestaltung angeht.

Gibt es auch bestehende Clubs, die sich noch einmal völlig neu einrichten wollen?

Das ist eine schwierige Aufgabe, weil man die Stammkundschaft nicht verschrecken will. Vor etlichen Jahren haben wir das Pacha in München umgebaut, das hat gut funktioniert. Aber es macht auf alle Fälle mehr Spaß, etwas komplett neu aus der Taufe zu heben und zu sehen, wie das alles funktioniert und die Gäste begeistert.

Ist es dasselbe, einen Club in Berlin oder anderswo zu gestalten?

Im Ausland ist es viel zäher und schwieriger. Eine Neugründung in London oder Paris ist mit immens viel Geld verbunden und auf ein eher „mainstreamiges“ Publikum ausgelegt. In Osteuropa wiederum findet die Arbeit unter völlig anderen Regularien statt – mit unberechenbaren Planungssituationen und Wendungen. Vieles dort ist nicht nachvollziehbar für einen hiesigen Architekten. Trotzdem ist dann irgendwann doch ein funktionierender Club am Start.

Zeichnung Club Berghain innen
„Eisbar-Blues“ 2018 © Andreas Hachulla

Haben Sie einen bestimmten Fragenkatalog an die Betreiber?

Jeder Betreiber hat unterschiedliche Vorstellungen: hinsichtlich Tür, Security, Check-in, Ticketing, Gästeliste, wie kommen die Besucher herein, stehen sie Schlange? Zukünftig vielleicht auch noch so was wie Teststrategien. Außerdem Drugcheck, Waffencheck, was man eben an der Tür macht. Für die Organisation der Innenräume fragen wir die Getränkelogistik ab, da gibt es ganz unterschiedliche Konzepte: Haben alle Bars die gleichen Getränke? Wie werden die transportiert? Außerdem: Wie geht man mit Bargeld um, wie kommt es von A nach B? Niemand will die Geldkassette über die Tanzfläche tragen. Wichtig ist auch der Aspekt Security: muss da sein, will man aber nicht sehen. Man will aber schon, dass da jemand guckt, der eingreifen kann, wenn dann doch einmal etwas passiert. Ein schmaler Grat. Das sind Dinge, die wir im Vorfeld gerne besprechen.

Was ist das Wichtigste beim Clubdesign?

Der Betrieb muss fluppen, das verursacht weniger Stress. Wird es hingegen zu funktional, schlägt sich das nachteilig auf die Atmosphäre nieder. Ähnliche Diskussionen hat man beim Krankenhausbau, wo es auch darum geht, Abläufe möglichst funktional zu halten. Da gibt es in Skandinavien ganz neue Krankenhaustendenzen mit viel mehr Menschlichkeit – trotzdem funktional, mit funktionierenden Wegen. Da sehe ich Parallelen zu einem guten Club: Der Patient oder der Besucher soll im Vordergrund stehen und von all der Logistik gar nichts mitbekommen. Er muss ein gutes Zimmer haben und eine gute Clubnacht – das muss so hintenherum tadellos funktionieren.

Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Nachts.

 

 

 

 

 

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