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alte Fassade Schlosserhof

Vorher: Prekäre Ausgangslage

[ Letzte Rettung ]

Scheune und Werkstatt werden zu Wohnraum

Mitunter lässt sich der wahre Wert eines nahezu verfallenen ­Gebäudes nur mit viel Vorstellungskraft und gleichzeitig fachlichem Blick erahnen. Zu dessen Wiederaufbau gehört außerdem eine große Portion Leidenschaft, wie zwei Beispiele aus Waiblingen und Stuttgart zeigen.

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Ruinen retten“ im Deutschen Architektenblatt 12.2020 erschienen.

Von Thomas Geuder

Es erstaunt immer wieder und frustriert manchmal auch, zu sehen, welche Bauwerke der Abrissbirne zum Opfer fallen, weil sie vermeintlich nicht mehr wirtschaftlich sind oder den technischen Standards nicht entsprechen. Zahlreiche architekturhistorisch durchaus bedeutende Bauten sind so in der Vergangenheit bereits geschliffen worden, selten ersetzt durch eine architektonisch bessere Alternative. Gegenbeispiele sind da Balsam für die Architektenseele. Es sind oftmals Bauten, die nicht im Fokus von Politik oder Wirtschaft stehen und deswegen nicht selten über Jahrzehnte in einer Art Dornröschenschlaf ­darauf warten, entdeckt und wiederbelebt zu werden. Umso mehr prägen sie ihr Umfeld und wirken identitätsstiftend im städtischen Gefüge.

300 Jahre alte Huchler Scheune als Garage genutzt

So geschehen bei der „Huchler Scheune“, einem rund 300 Jahre alten Lagergebäude in der Altstadt der Stauferstadt Waiblingen in der Nähe von Stuttgart, einst im Besitz der Familie Huchler (daher der Rufname). Das Gebäude steht direkt an der historischen Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert mit teils noch begehbarem Wehrgang. Beim Bau der Huchler Scheune wurde die massive Mauer als nördliche Außenwand genutzt, auf den Wehrgang legte man damals die Deckenbalken eines Stockwerks ab. Zuletzt wurde das sechsgeschossige Gebäude als Garage genutzt, dann stand es wegen seines maroden Zustands über viele Jahre hinweg leer.

Nachdem es in den Besitz der Stadt Waiblingen gelangt war, wurden die beiden Architekten und Inhaber des Büros COAST Architekten, Zlatko Antolovic und Alexander Wendlik, auf das stark sanierungsbedürftige Gebäude aufmerksam. „Historie, Lage und die bauliche Herausforderung weckten unser Interesse“, berichten die beiden. Das Stuttgarter Büro hatte bis dahin viel Erfahrung in der Sanierung und Umnutzung historischer Bausubstanz sammeln können, weswegen sie die Potenziale in dem abrissreifen Bestandsbau schnell erkannten.

Architekten kaufen baufälliges Denkmal

Um nun den Zuschlag für den Kauf des denkmalgeschützten Objekts zu erhalten, fertigten sie zunächst ein Nutzungs- und Sanierungskonzept an, das das Scheunengebäude und das brachliegende Grundstück daneben einbezog. Denn, so die Idee von COAST, in einem derart engen innerstädtischen Kontext sei es wichtig, ein schlüssiges Gesamtkonzept für die Scheune zu erarbeiten und gleichzeitig das städtebauliche Umfeld zu betrachten, mit dem übergeordneten Ziel, eine Aufwertung des gesamten Bereichs zu ermöglichen. Künftig sollte es hier deshalb eine Mischnutzung aus Büro und Wohnen geben. Auf dem brachliegenden Areal daneben sollte ein Neubau entstehen, der die Baulücke schließt und das historische Stadtbild wiederherstellt. Dieses Konzept überzeugte die Stadt Waiblingen.

Strukturelle Rekonstruktion

Eine anschließende detaillierte Bestandsaufnahme der Scheune legte zahlreiche, teils massive Feuchteschäden offen. Auch die Gründung konnte keine Standsicherheit mehr gewährleisten. Über die Jahre hinweg hatte sich das Gebäude zudem nach Osten hin um bis zu einem halben Meter geneigt. Die ersten konkreten Maßnahmen auf der Baustelle galten also der Standfestigkeit: Bis zu drei Meter tief ließen die Architekten das bestehende Gebäude untergraben und mit neuen Fundamenten versehen.

Außerdem haben sie das historische Tragwerk teilweise mittels Stahlstützen und -trägern unterstützen oder durch Auswechseln oder Ergänzen einzelner Träger denkmalgerecht instand setzen lassen. Die Zimmerer haben dabei dem Original gerecht mit Holznägeln und historischen Holzverbindungen wie Zapfen oder Überblattungen gearbeitet. Was von den 300 Jahre alten Balken erhalten werden konnte, wurde abgebürstet und mit einem speziellen, schonenden Trockeneisverfahren gereinigt, ansonsten aber unbehandelt belassen. Auch die Stadtmauer in diesem Bereich ließen die Planer bei der Gelegenheit denkmalgerecht restaurieren.

Stadtmauer wurde integriert

Im neuen Gesamtkonzept befindet sich der Eingang jetzt an der Stadtmauer, dem zwischen Scheunen-Gebäude und Neubau entstandenen privaten Innenhof zugewandt. Auch das Treppenhaus ist an der Stadtmauer platziert und der Wehrgang als Erschließungsgang in die Grundrissorganisation einbezogen. Dadurch wird die Stadtmauer über mehrere Geschosse hinweg erlebbar und als historisches Exponat inszeniert. Die ersten drei der sechs Geschosse sind für Büroflächen ausgestattet – hier ist mittlerweile das Waiblinger Büro von COAST Architekten eingezogen.

Die oberen drei Geschosse dienen als insgesamt 155 Quadratmeter große, grundriss­offene Wohnung. Ein zentrales Treppenmöbel, platziert dort, wo sich früher der Seilzug über alle Geschosse befand, birgt jetzt die wohnungsinterne Treppe, zusätzlich Schränke, die Hausbar und einen Abstellraum. Großzügige Fenster im Dach sorgen für viel Licht im Wohnraum. Hier ist Architekt Zlatko Antolovic mit seiner Familie eingezogen.

Bestandsgeschützter Schlosserhof

Ein paar Kilometer weiter westlich, in einem Stuttgarter Innenhof, war die Ausgangslage eine ganz ähnliche. Hier fand die Architektin Tina Kammer ein für den Stadtteil typisches einstöckiges Hinterhof-Gebäude aus dem Jahr 1904 vor, an dessen Rettung zu glauben viel Fantasie erforderte: Der einst von einem kleinen handwerklichen Betrieb genutzte „Schlosserhof“ war fast komplett verfallen, das Dach eingestürzt, entsprechende Feuchtigkeit befand sich in den Gebäuderesten.

Im Grunde war das Gebäude eine Ruine, die wegen ihrer Entstehungszeit dennoch unter strengem Bestandsschutz stand. Der Bauherr beauftragte Kammers Büro InteriorPark nun, diesen Innenhof-Annex mit dem Kellergeschoss im benachbarten Mehrfamilienhaus räumlich zu verbinden, um so eine großzügige und im Zweifelsfall zweiteilbare Wohnung zu erhalten. Angesichts der recht aussichtslosen baulichen Ausgangssituation war klar, dass das kein leichtes Unterfangen mit Standardlösungen werden würde.

Mauern durften nicht einstürzen

Das Konzept zur Lösung des Problems bestand aus zwei im Grunde konträren Teilen: die Bausubstanz zu erhalten und gleichzeitig den historischen Industriecharakter zeitgemäß zu interpretieren. Vor allem in der Rohbauphase erforderte dies einen besonders sensiblen Umgang mit dem Bestand – denn mit einem Einsturz der bestehenden Mauern wäre die Baugenehmigung nichtig geworden. Mehr noch: Baurechtliche Vorgaben verboten es, die Backsteinfassade ganz oder teilweise neu zu errichten oder eine innen liegende Gebäudekonstruktion zu implementieren. Die Grundrisse des Hinterhaus-Kellergeschosses wiederum, mit dem der Eingeschosser des Innenhofs verbunden werden sollte, konnten aus statischen Gründen nicht adaptiert werden.

Wegen dieser strengen Rahmenbedingungen hat die Architektin – was durchaus als kritische Überspitzung der komplizierten baulichen Situation gewertet werden kann – alle Wände vom Putz befreien lassen, um so die originalen Backsteinwände mit all ihren Imperfektionen und Spuren der Zeit ohne Schönheitskorrekturen immer wieder sichtbar zu machen. Die Räume erfahren dadurch eine Art narrative und gleichzeitig identitätsstiftende Verwandlung.

Reduzierter Einsatz hochwertiger Materialien

Das Materialkonzept ist – ähnlich der Huchler Scheune – durch einen reduzierten Einsatz hochwertiger Werkstoffe geprägt: Ein lokaler Handwerksbetrieb fertigte Fensterrahmen aus massiver, geölter Eiche. In der Küche wurde Douglasie aus nachhaltiger Forstwirtschaft im Schwarzwald verwendet. Natürliche Materialien wie Lehm, Kalkputz, Kalkfarbe, Holzfaserdämmung und Linoleum sorgen für ein gesundes Innenraumklima.

Die Armaturen, Griffe, Rauchmelder und Steckdosen stammen von deutschen Traditionsunternehmen mit nachhaltiger Produktion. Die historischen Tür­elemente wurden vom Schreiner, der den Innenausbau gestemmt hat, liebevoll restauriert und wiederverwendet. In das Dach des alten Werkstattgebäudes hat die Architektin – nach dem Vorbild des Bestands – zwei zwei mal vier Meter große Oberlichter aus massiver Eiche integriert.

Historie und Wiederbelebung

Beide, Huchler Scheune und Schlosserhof, schaffen den schwierigen Spagat zwischen der beherzten Wiederbelebung eines nahezu abbruchreifen, dennoch schützenswerten Bestands und dem Anspruch, eine moderne und zeitlose Gestaltungssprache für ein historisches Gebäude finden zu wollen. Sie zeigen, dass eine gelungene Rekonstruktion mit gleichzeitiger Transformation das Mittel der Wahl ist, wenn es um den Erhalt des Werts einer baulichen Struktur und der Identität eines Ortes geht.

 

Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Wertvoll.

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