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[ Haftung ]

Gesamtschuldnerische Haftung: Bedenkenanzeigen ernst nehmen

Der mündliche Hinweis eines Bauunternehmens auf einen Planungsfehler kann ausreichen, um die ­Haftung auf den Architekten zu verlagern – auch wenn nicht alle Formalien eingehalten wurden

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Gesamtschuldnerische Haftung im Protokoll“ im Deutschen Architektenblatt 09.2022 erschienen.

Von Martin Jung

Der Bauherr beauftragte ein Architekturbüro mit den Planungsleistungen für eine Dachsanierung. Die Durchführung der Sanierungsarbeiten übertrug er mit VOB/B-Bauvertrag einem Bauunternehmen. Die durch den Architekten geplante und entsprechend durch das Bauunternehmen ausgeführte Art der Dachsanierung hielt jedoch die Vorgaben der Energieeinsparverordnung (ENEV) nicht ein und war daher mangelhaft. In der Folge verklagte der Bauherr den Architekten in einem Vorprozess erfolgreich auf Schadensersatz: Das Landgericht Flensburg verurteilte den Architekten wegen eines Planungsfehlers zur Zahlung von 93.000 Euro.

In einem Folgeprozess verklagte dann die Haftpflichtversicherung des Architekten das Bauunternehmen auf hälftige Erstattung des an den Bauherrn gezahlten Betrages. Das Landgericht Flensburg hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17. Dezember 2021, Az.: 2 O 278/20). Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte das Bauunternehmen den Architekten im Rahmen einer Baubesprechung mündlich darauf hingewiesen, dass die ausgeschriebene Dämmung nicht ausreichend sei. Dies war zudem mit den Worten „Dämmung wie ausgeschrieben nach ENEV nicht ausreichend“ in einem Baubesprechungsprotokoll vermerkt worden.

Die Gesamtschuld in der Theorie

Streitigkeiten über Baumängel zeichnen sich häufig durch mehrere tatsächlich oder potenziell Verantwortliche aus. Neben den bauausführenden Unternehmen kommt als Mitverursacher nicht selten der Architekt in planender und/oder überwachender Funktion in Betracht. Wird ein Baumangel durch Beiträge unterschiedlicher Beteiligter verursacht, haften diese gegenüber dem Bauherrn in der Regel als Gesamtschuldner. Die Gesamtschuld definiert das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) als Fall, in dem mehrere Schuldner verpflichtet sind, die gesamte Leistung zu erbringen. Der Gläubiger kann die Leistung aber nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder zu einem Teil fordern, bis sie insgesamt vollständig erbracht ist.

Für den Bauherrn hat diese Auswahlmöglichkeit mehrere Vorteile. Zum einen kann er die Inanspruchnahme eines oder mehrerer Mangelverursacher von taktischen Erwägungen abhängig machen, etwa von der Frage, wem gegenüber der Haftungsvorwurf leichter nachweisbar erscheint. Und zum anderen muss er sich über das Gewicht der Beiträge der einzelnen Beteiligten keine Gedanken machen, da für die Entstehung der Gesamtschuld prinzipiell jeder Grad der Mitverursachung genügt. Insbesondere der Aspekt des weitreichenden Versicherungsschutzes führt den Bauherrn – wie auch hier im Vorprozess – in der Praxis häufig zur Inanspruchnahme des Architekten. Als einzige Hürde setzt das BGB in § 650 t BGB seit dem 1. Januar 2018 für den Fall eines Überwachungsfehlers voraus, dass dem ausführenden Unternehmen vor Inanspruchnahme des Architekten eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt wurde. Stehen Planungsfehler im Raum, birgt die Inanspruchnahme des bauausführenden Unternehmens zudem das Risiko, dass sich der Bauherr wegen der Bereitstellung mangelhafter Ausführungsunterlagen ein anspruchsminderndes Mitverschulden entgegenhalten lassen muss.

Im Übrigen sieht das Gesetz eine Gewichtung von Verursachungsbeiträgen erst im Innenverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern vor. Wird ein Beteiligter durch den Bauherrn in einem Maße in Anspruch genommen, das den ihm vorwerfbaren Anteil an der Entstehung des Mangels übersteigt, muss er Regress bei weiteren gesamtschuldnerisch haftenden Beteiligten suchen. Nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB unterstellt das Gesetz als Regelfall, dass mehrere Gesamtschuldner zu gleichen Anteilen haften, also etwa zwei Gesamtschuldner jeweils zur Hälfte. Von dieser Haftungsquote ging vorliegend im Ergebnis auch die klagende Haftpflichtversicherung des Architekten aus, da sie ihr Klagebegehren von vornherein auf die hälftige Erstattung des gezahlten Schadensersatzes beschränkte.

Beweislast bei Baumängeln

Wie der entschiedene Fall zeigt, kann sich aber aus den Umständen des Einzelfalles eine von der gesetzlichen Vermutung abweichende Haftungsverteilung ergeben. Im Falle von Baumängeln sind insbesondere das Gewicht der Verursachungsbeiträge, der Grad des Verschuldens und die Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Beteiligten entscheidend. Derjenige, der sich zu eigenen Gunsten auf eine andere Haftungsquote beruft als nach einer vermuteten gleichgewichtigen Verteilung auf die Beteiligten, trägt hierfür die Beweislast.

Vorliegend oblag es daher dem beklagten Bauunternehmen, Umstände darzulegen und zu beweisen, nach denen im Innenverhältnis den Architekten die vorrangige Verantwortung an der Entstehung des Mangels traf. Diesen Nachweis konnte das Unternehmen hier erfolgreich führen. Nach Durchführung der Beweisaufnahme und Vernehmung mehrerer Zeugen stand zur Überzeugung des Landgerichts Flensburg fest, dass im Rahmen einer Bausitzung das Thema unzureichend geplanter Dämmstärken besprochen und in allgemeiner Form in einem Bausitzungsprotokoll vermerkt worden war.

Gesamtschuldnerische Haftung trotz nicht korrekter Bedenkenanzeige

Dass das Landgericht dies im Innenverhältnis für eine Alleinhaftung des Architekten als ausreichend ansah, muss gerade deshalb hervorgehoben werden, weil die Voraussetzungen einer hinreichenden Bedenkenanmeldung nach § 3 Abs. 4 der VOB/B hier nicht erfüllt waren. Danach hat der Auftragnehmer dem Auftraggeber Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung unverzüglich – möglichst schon vor Beginn der Arbeiten – schriftlich mitzuteilen (siehe auch: DAB 06.2020: „Bedenkenanzeigen souverän meistern“).

Die Bedenkenanzeige muss inhaltlich so bestimmt sein, dass dem Auftraggeber der Anlass für die Bedenken, wie auch die befürchteten Mangelfolgen, konkret und hinreichend deutlich aufgezeigt werden, sodass auf dieser Grundlage die Ausführungsvorgaben im Einzelnen überprüft werden können. Auch ein mündlicher Hinweis kann, wenn er eindeutig, hinreichend klar und inhaltlich erschöpfend ist, im Einzelfall diesen Anforderungen gerecht werden. Vorliegend fehlte es neben der Schriftform aber an einem Hinweis auf die infolge einer unzureichenden Dämmung drohenden Nachteile. Auch war nicht festzustellen, dass der Bauherr als richtiger Adressat den Hinweis erhalten hatte oder der Architekt zu dessen Entgegennahme bevollmächtigt war.

Gesamtschuldnerische Haftung des Architekten im Innenverhältnis

Auch wenn der Hinweis das Bauunternehmen gegenüber dem Bauherrn nicht hätte entlasten können, war er im Innenverhältnis ausreichend, um die Haftung vollständig auf den Architekten zu verlagern. Ihm oblag es nach der Verantwortungsverteilung zwischen den Beteiligten, den Bauherrn über die geeigneten Maßnahmen zu beraten und über Vor- und Nachteile der gewählten Lösung aufzuklären. Entscheidend war für das Landgericht darüber hinaus, dass der Architekt – im Gegensatz zum Bauherrn – selbst hinreichend fachkundig war, sodass ein allgemeiner Hinweis auf eine unzureichende Dämmstärke auch ohne nähere Erläuterung der potenziellen Mangelfolgen genügte, um den Bedenken des Bauunternehmens nachzugehen.

Fazit: Bedenkenanzeigen ernst nehmen!

Die Entscheidung zeigt, dass Bedenkenhinweise ausführender Unternehmen und sonstige Hinweise auf Planungsdefizite, ungeachtet formaler Anforderungen durch den Architekten, stets ernst zu nehmen und sorgfältig aufzuklären sind. Sie sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass den Architekten im Falle eines auf Planungsfehlern beruhenden Baumangels im Innenverhältnis auch unabhängig von Hinweisen des ausführenden Unternehmens tendenziell eine überwiegende oder gar alleinige Haftung treffen kann. Dass der Architekt, der auf einen Planungsfehler hingewiesen wird, im Ergebnis allein haftet, wird man daher kaum infrage stellen können.

Die grundlegende Überlegung des Gerichts, dass sich ein ausführendes Unternehmen gegenüber einem fachkundigen Beteiligten im Innenverhältnis leichter entlasten kann, wird man allerdings ohne Weiteres auch auf den bauüberwachenden Architekten übertragen können. So erkannte das Oberlandesgericht Rostock in einer solchen Konstellation ebenfalls eine alleinige Haftung des Architekten (Urteil vom 30. Januar 2018, Az.: 4 U 147/14).p

Martin Jung ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei der Kanzlei Börgers in Berlin und Mitglied in der ­Arbeits­gemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein

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