Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Wohnungsbaugesellschaft als öffentlicher Auftraggeber?“ im Deutschen Architektenblatt 06.2021 erschienen.
Von Klaus Greb
Eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft schrieb Planungsleistungen für ein neues Projekt aus. Nach erfolgloser Rüge im Zuge eines Nachprüfungsverfahrens griff eine unterlegene Bieterin die erfolgte Vergabeentscheidung vor der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern an. Die Vergabekammer (VK) argumentierte, es fehle an der Eigenschaft der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft als öffentlicher Auftraggeber nach dem EU-Vergaberecht im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB und lehnte den Nachprüfungsantrag daher ab. Der Vergaberechtsweg sei nicht eröffnet. Zwar handele es sich beim Bereitstellen günstigen Wohnraums um eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe und die Gesellschaft werde auch staatlich beherrscht. Es fehle aber das Merkmal der Nichtgewerblichkeit gemäß § 99 Nr. 2 GWB (vgl. VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20. Mai 2019, Az.: 2 VK 2/19)
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Wohnungsbaugesellschaft nichtgewerblich tätig?
Infolge der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin befasste sich das Oberlandesgericht (OLG) Rostock mit der Frage, ob eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft öffentlicher Auftraggeber nach dem EU-Vergaberecht ist. Es bezog sich in seinen Ausführungen zunächst auf die sehr kasuistische, also von Einzelfällen geprägte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der für die Auslegung zuständig zeichnet, wer öffentlicher Auftraggeber im Sinne des EU-Vergaberechts ist.
Der sehr vage Begriff der Nichtgewerblichkeit ist eine europarechtliche Spezialität. Gewerbliche Tätigkeit, wie wir sie aus dem deutschen Verwaltungsrecht kennen, ist nichts, was die Nichtgewerblichkeit aus den EU-Vergaberichtlinien betrifft. Der EuGH versucht die Nichtgewerblichkeit mittels einer Gesamtschau mehrerer Indizien zu bestimmen. So sei sie laut EuGH beziehungsweise OLG Rostock nicht anzunehmen, wenn die fraglichen öffentlichen Stellen etwa unter normalen Marktbedingungen tätig würden, eine Gewinnerzielungsabsicht hätten und ihre Verluste eigenständig tragen würden.
Im sozialen Wohnungsbau tätig
Dies vorausgeschickt, gibt es nach Wahrnehmung des OLG Rostock eine Tendenz in der vergaberechtlichen Rechtsprechung und Literatur, wonach öffentliche Wohnungsbaugesellschaften, die im Bereich des sozialen Wohnungsbaus tätig sind, in der Regel als öffentliche Auftraggeber einzustufen seien. Mit diesem Regelverständnis im Rücken meint das OLG Rostock, dass selbst die teilweise Gewinnerzielungsabsicht hinsichtlich der Vermittlung von Wohnraum nicht die Tätigkeit der fraglichen Wohnungsbaugesellschaft präge. Vielmehr besäße diese kommunale Wohnungsbaugesellschaft eine marktbezogene Sonderstellung.
Faktisch kein Insolvenzrisiko bei Wohnungsbaugesellschaft
Diese Sonderstellung ergäbe sich aus dem faktisch fehlenden Insolvenzrisiko. Die Hauptgesellschafterin, eine Kommune, habe in der Vergangenheit alles Notwendige unternommen, um die weitere Erfüllung der Aufgaben der Wohnungsbaugesellschaft sicherzustellen. Unter anderem habe sie jahrelang auf Gewinnausschüttungen verzichtet, um mittelbar die Sanierung der Gesellschaft zu finanzieren. Daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Gesellschaft ihr finanzielles Risiko eigenständig zu tragen habe.
Einzelfall kann abweichen
Das OLG Rostock bestätigt mit seinem Beschluss vom 2. Oktober 2019 (Az.: 17 Verg 3/19) die existierenden Auffassungen in der Bewertung staatlicher Wohnungsbaugesellschaften als öffentliche Auftraggeber im Sinne des EU-Vergaberechts. Es stützt sich bei der Bestimmung der Nichtgewerblichkeit zu Recht auf die vom EuGH vorgegebenen Kriterien, wendet diese auf den konkreten Fall an und stellt dabei insbesondere auf die tatsächlichen Gegebenheiten in der Frage einer Insolvenzfestigkeit ab.
Einzig die tendenziöse Feststellung des OLG Rostock, öffentliche Wohnungsbaugesellschaften seien in der Regel als öffentliche Auftraggeber anzusehen, überzeugt nicht. Richtigerweise muss immer der Einzelfall betrachtet werden. Zum Beispiel kann es im Einzelfall durchaus vorkommen, dass ein öffentliches Wohnungsbauunternehmen weder rechtlich noch tatsächlich vor einer Insolvenz geschützt wird und damit auch kein öffentlicher Auftraggeber ist (so OLG Hamburg, Beschluss vom 11. Februar 2019, Az.: 1 Verg 3/15). Immerhin hat sich das OLG Rostock dann auch nicht auf Vermutungen verlassen, sondern die konkrete Situation der Wohnungsbaugesellschaft mit guten Gründen eingeordnet.
In dem konkreten Fall hatte das öffentliche Wohnungsbauunternehmen übrigens das Vergabeverfahren zwischenzeitlich aufgehoben. Das OLG Rostock stellt fest, dass diese Aufhebung zu Unrecht erfolgt war und gab damit der Antragstellerin die Möglichkeit zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem öffentlichen Wohnungsbauunternehmen.
Dr. Klaus Greb ist Justiziar der Architektenkammer Berlin und Fachanwalt für Vergaberecht
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