Einfach Bauen: Gebäudetyp E erhält Rückenwind aus Berlin
Die Fachtagung „Einfach Bauen! Ohne Normen?“ setzte in München ein starkes Signal für den Gebäudetyp E. Nur wenige Tage später legte der Bund erste Eckpunkte vor – ein Durchbruch für einfaches, rechtssicheres Planen.
Wie können Gebäude einfacher, ressourcenschonender und zugleich qualitativ hochwertig geplant werden? Diese Frage stand im Zentrum der Fachtagung „Einfach Bauen! Ohne Normen – Architekten, Ingenieure und Juristen im Dialog“, die die Bayerische Architektenkammer gemeinsam mit der Rechtsanwaltskammer München und der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau am 17. November 2025 im Haus der Architektur in München veranstaltete. Knapp 300 Fachleute aus Planung, Recht, Wissenschaft und Politik nutzten die Gelegenheit zum Austausch.
Einigkeit herrschte schnell: Das 2024 geplante, aber bislang nicht verabschiedete Gebäudetyp E-Gesetz sei dringend erforderlich. Nur eine Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches könne die zivilrechtlich sichere Anwendung des Gebäudetyp E ohne Haftungsrisiken für Planende ermöglichen.
Der Gebäudetyp E steht für eine Rückbesinnung auf das Wesentliche im Bauwesen: Sicherheit und Gesundheitsschutz bleiben unverrückbar, während Komfort- und Ausstattungsstandards dort kritisch hinterfragt werden, wo sie Nutzen-, Kosten- und Ressourcenziele unnötig hemmen. Einfaches oder experimentelles Bauen eröffnet neue Handlungsspielräume – gerade angesichts von Klimakrise, Materialknappheit und steigenden Baukosten.
Gebäudetyp E in der Praxis: Bayern als Vorreiter
Bayern nimmt eine Vorreiterrolle ein. Seit August 2023 erlaubt Artikel 63 der Bayerischen Bauordnung erleichterte Abweichungen von Anforderungen der Bauordnung. Im Dezember 2023 startete das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr gemeinsam mit Architekten- und Ingenieurekammer 19 Pilotprojekte, in denen der Gebäudetyp E praktisch erprobt wird. Ziel ist es, innovative und ressourcenschonende Bauweisen zu testen und weiteren Deregulierungsbedarf zu identifizieren.
Die Leiterin des Instituts für Bauklimatik und Energie der Architektur an der TU Braunschweig, Prof. Elisabeth Endres, berichtete über erste Erkenntnisse und ließ jegliche Skepsis weichen: Einfaches Bauen kann kostengünstiger und nachhaltiger sein, ohne Sicherheits- oder Qualitätsstandards zu gefährden. Parallel prüft eine Expertengruppe aus Architektenkammer, Ingenieurekammer-Bau und Bauministerium die Praxisrelevanz der Normen, die in den Bayerischen Technischen Baubestimmungen zitiert werden.
Ein konkretes Beispiel liefert das Münchner Projekt „Das große kleine Haus“ von Rainer Hofmann (Bogevischs Büro). Hier wird suffizient, ressourcenschonend und qualitativ hochwertig gebaut. Auch die technische Gebäudeausrüstung wird bewusst auf einfache, effiziente Lösungen ausgerichtet, wie Alexander Lyssoudis aus dem Vorstand der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau erläuterte. Damit liefern die bayerischen Pilotprojekte konkrete Impulse für einfaches Bauen auf Bundesebene.
Trialog von Architektur, Ingenieurwissenschaften und Recht als Schlüssel
Die ausgebuchte Veranstaltung, die von Architektin Andrea Bitter und RA Randolf Spang moderiert wurde, zeigte die Bedeutung des interdisziplinären Dialogs. Prof. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, RAin Anne Riethmüller, Präsidentin der Rechtsanwaltskammer München, und Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, betonten, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Architekten, Ingenieuren und Juristen ist. Christian Bernreiter, Bayerischer Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr, bekräftigte seine Unterstützung für den Gebäudetyp E: Überzogene Standards sollen reduziert, Kosten gesenkt und zugleich Sicherheit und Qualität gewährleistet werden. Impulsreferate verdeutlichten, wie die konkrete Umsetzung gelingt: Prof. Florian Nagler, Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren der TU München, zeigte Beispiele aus seiner Planungspraxis, Architektin Sabine Frohnmüller, Referatsleiterin im Bayerischen Bauministerium, erläuterte bauordnungsrechtliche Möglichkeiten. Die zivilrechtlichen Rahmenbedingungen beleuchteten die Rechtsanwälte Dr. A. Olrik Vogel und Dr. Paul Popescu, Architektin Erika Fries brachte Perspektiven aus der Schweiz ein. Ein eindringliches Schlusswort hielt Architekt und Stadtplaner Rainer Post, Vorstandsmitglied der Bayerischen Architektenkammer.
Politischer Durchbruch: Eckpunkte zum Gebäudetyp E
Nur wenige Tage später, am 20. November 2025, veröffentlichten die Bundesministerien der Justiz und für Verbraucherschutz sowie für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen gemeinsame Eckpunkte zum Gebäudetyp E. Die Bayerische Architektenkammer begrüßte dies als wichtigen Schritt hin zu rechtssicherem, einfachem Bauen.
Besonders hervorzuheben ist die geplante Einführung konkreter Gebäudetyp E-Verträge. Damit würde erstmals ein vertraglicher Rahmen geschaffen, der Abweichungen von üblichen Qualitäts- und Komfortstandards sowie anerkannten Regeln der Technik ermöglicht. Zudem sollen die 19 bayerischen Pilotprojekte systematisch ausgewertet und die Ergebnisse bundesweit aufbereitet werden. Der Bund plant außerdem die Förderung von Ideen- und Realisierungswettbewerben zur Stärkung von Innovation, Qualität und Baukultur. Kammerpräsidentin Prof. Lydia Haack betont: „Die Eckpunkte sind ein wichtiger Schritt, um eine neue Einfachheit im Bauen in die Breite zu tragen – durch klarere vertragliche Grundlagen, bessere Wissensvermittlung und mehr Qualitätsprozesse. Wir setzen auf einen schnellen Gang der Gesetzgebung, damit der Gebäudetyp E in der täglichen Praxis Wirkung entfalten kann.“
Die Fachtagung und die veröffentlichten Eckpunkte markieren einen Wendepunkt für einfaches Bauen in Deutschland. Der Gebäudetyp E bietet Planenden neue Freiräume und kann Kosten, Zeit und Ressourcen sparen. Entscheidend ist nun eine zügige gesetzliche Umsetzung, damit die Pilotprojekte auch bundesweit Wirkung entfalten.
Einen atmosphärischen Eindruck der Veranstaltung sowie Stimmen von Gästen und Referierenden bietet Ihnen → dieser Film.