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[ Einstieg und Beispiele ]

Ausstellungsgestaltung: Räume erzählen Geschichten

Die Gestaltung von Ausstellungen fordert von Architektinnen und Architekten ein ganz besonderes Repertoire. Unsere Autorin sprach mit zwei Büros, die diese Nische erfolgreich besetzt haben

Wald aus grünen Baumstämmen mit roten Lautsprecher-Kugeln
Die von Holzer Kobler Architekturen gestaltete Ausstellung in der Grimmwelt Kassel führt hinein in einen Märchenwald.

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Wow und aha!“ im Deutschen Architektenblatt 10.2023 erschienen.


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Von Christina Gräwe

Ausstellungen leben nicht vom Thema allein. Ebenso wichtig ist, wie es inszeniert und darüber dem Publikum vermittelt wird. Denn die Zeit der hermetischen, nur einer ausgewählten Besucherschaft vorbehaltenen Ausstellungen ist vorbei. Längst verstehen sich die Häuser als Orte der Begegnung, des Austauschs. „Das Museum ist ein Ort des Diskurses“, fasst es Architekt Tristan Kobler zusammen, der sich mit seinem Büro Holzer Kobler Architekturen seit über 20 Jahren mit der Gestaltung von Ausstellungen beschäftigt.

„Das Museum als dritter Ort“ – also ein Ort neben der Wohnung und der Arbeitsstätte, an dem man sich aufhalten und wohlfühlen kann – „ist heute ein geläufiger Begriff“, ergänzt Architektin Shirin Frangoul-Brückner. Auch ihr Atelier Brückner hat sich in der Nische des Ausstellungsdesigns einen Namen gemacht. Dass beide ausgebildete Architekten sind und auch bauen, kommt der intensiven Auseinandersetzung darüber, wie Raum und Inhalt zusammenzubringen sind, zugute.

Auseinandersetzung mit dem Thema der Ausstellung

„Wir bringen Inhalte in den Raum und vermitteln“, erläutert Shirin Frangoul-Brückner das Selbstverständnis ihres Ateliers. Was so einfach klingt, ist ein ganz eigenes Aufgabenfeld. Jede Ausstellung muss vollkommen neu und anders gedacht werden – inhaltlich wie räumlich. Wie die Büros diese Aufgabe angehen, die eigene Gestaltungslust mit eingeschlossen? Am Anfang steht, da sind sich Shirin Frangoul-Brückner und Tristan Kobler einig, die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema. Das kann durchaus einer kleinen Fortbildung gleichen, reicht die thematische Bandbreite doch von Tiroler Bauernhöfen über Ägyptologie bis zu Militärgeschichte oder einem Überblick über internationale ­Gefängnisse.

Geschichte und Botschaften herausfiltern

Nicht immer existiert dabei bereits ein ausgereiftes Konzept; die Gestaltungsteams schärfen mitunter die Inhalte der Auftraggeber und schlagen selbst Exponate vor. „In solchen Fällen schalten wir eine Visioning- und Workshop-Phase mit den Mitarbeitern des jeweiligen Hauses vor, filtern dann Haupt- und Nebenbotschaften und komponieren daraus eine Geschichte“, erläutert Shirin Frangoul-Brückner die Herangehensweise. Ziel ist, dass „Inhalt und Form zusammenkommen und gemeinsam eine Message herausschälen“, wie Tristan Kobler beschreibt.

Ort entscheidet über Ausstellungsgestaltung

Hand in Hand mit der inhaltlichen Einarbeitung analysieren beide Büros gründlich den Ausstellungsort. Auch wenn die meisten Ausstellungen in Innenräumen stattfinden, umfasst die Frage „Wo bin ich?“ für die Architektenteams auch den städtischen Kontext, die Geschichte und mitunter sogar die Topografie. Die Räume selbst werden jedes Mal neu erkundet: Black- oder Whitebox? Beides langweilig, findet Tristan Kobler.

Neubau? Schön, frühzeitig eingebunden zu sein, sind sich alle einig. Historische Bausubstanz? Nicht alle Räume eignen sich auf Anhieb, sei es aus restauratorischen Gründen in Bezug auf die Exponate oder wegen ungünstiger Zuschnitte.

Lichtverhältnisse und Hängemöglichkeiten

Es müssen zunächst die passenden Rahmenbedingungen geschaffen werden, etwa die Lichtverhältnisse sowie Hänge- und Stellmöglichkeiten auf die Exponate abgestimmt werden. Atelier Brückner plädiert dafür, mit der Architektur zu arbeiten, sie zu verstehen und zu nutzen. Holzer Kobler sehen das ähnlich: Sie lassen die vorgegebenen Räume gerne kulissenhaft offen und verkleiden nur, wenn es die Inszenierung notwendig macht. Der Raum als Exponat? Für die Architekten definitiv ja.

Publikum ist Teil der Ausstellungsgestaltung

Ob sich darin dann abgedunkelte Kabinette oder lichte Hallen finden, ob labyrinthische Wege oder lineare Raumfolgen, ob streng oder verspielt präsentierte Exponate – das wird jedes Mal neu verhandelt. Im Gespräch fallen Vergleiche zum Theater und zum Film. Es geht darum, Inhalt und Raum durch Gestaltung und Inszenierung zusammenzubringen, Atmosphären herzustellen, ja, zu manipulieren.

In Ausstellungen ist das Publikum, anders als (meist) im Theater und im Kino, immer Teil des Geschehens. Das Ziel ist, neugierig zu machen, auf abwechslungsreiche Art einen thematischen Spaziergang zu begleiten, zu informieren, unterschiedliche Lesbarkeiten und Vertiefungsebenen anzubieten, die Besuchenden aber nicht durch übermotivierte Didaktik zu entmündigen.

Technik in der Ausstellungsgestaltung

Die technischen Fortschritte über Licht und Ton, Medien, die rein informativ oder interaktiv eingesetzt werden können, haben das Instrumentarium der Ausstellungsszenografie in den letzten 20 Jahren stark erweitert. Die Kunst sei, so Tristan Kobler, in einem Raum durch subtile Elemente auf das vorzubereiten, was im nächsten folgt. Gleichzeitig baut er gerne Überraschungen ein, damit „das Publikum nicht genau das bekommt, was es erwartet, zu bekommen“.

Diese Erwartungen kann man zwar ganz gut antizipieren – komplett in die Köpfe der Besucher kann man aber dann doch nicht schauen. Es bleibt ein steter Lernprozess, wie Tristan Koblers Kollegin Simone Haar erzählt. Sie meint: „Auch wenn die Besuchenden etwas ganz anderes herauslesen als beabsichtigt, ist das für mich eine interessante Rückmeldung.“


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Ausstellungsgestaltung für die Grimmwelt Kassel: Wie im Märchen

Simone Haar leitet bei Holzer Kobler den Bereich Gestaltung und war unter anderem maßgeblich an Konzept und Umsetzung der Grimmwelt in Kassel beteiligt, einer Ausstellung zu Leben und Werk der Brüder Grimm, die seit 2015 gezeigt wird. Die enge Kooperation mit kadawittfeldarchitektur, die für den Bau verantwortlich waren, und den Kuratorinnen Annemarie Hürlimann und Nicola Lepp begann schon früh. Ein Glücksfall, der zu fruchtbaren Debatten über vier Jahre Vorbereitungszeit führte.

Treppen und Halbetagen

Die Architektur des Gebäudes versteht sich mit einer vorn schmalen, hinten breiten Treppe, die über eine weite Dachterrasse führt, als Fortsetzung der hügeligen Topografie. Das Treppenmotiv setzt sich innen fort. Als „Auftaktraum“ steckt das offene Treppenhaus mitten im Gebäude, reicht über vier Ebenen und ist sowohl Verteilerfläche als auch Teil des Ausstellungsbereichs. Die Stockwerke sind als versetzte Halbetagen angeordnet. Das kommt dem Gestaltungskonzept zugute, das auf einer Zweiteilung der Ausstellung basiert: die wissenschaftliche Arbeit der Brüder Grimm am Deutschen Wörterbuch und die Welt der Kinder- und Hausmärchen. (Ein dritter, neutraler Raum im Obergeschoss dient Wechselausstellungen.)

Spiegel und Nischen

Simone Haar erzählt, dass die Raumaufteilung zunächst am Modell erprobt wurde. Der Teil zum Deutschen Wörterbuch auf der ersten Ebene unterhalb des Foyers besteht aus einem langen Gang, der sich räumlich durch Spiegel erweitert. Papierartige Wandscheiben teilen ihn wie Buchseiten in Abschnitte, denen je ein leuchtender Buchstabe zugeordnet ist. So entstehen kabinettartige Nischen zu Unterthemen wie beispielsweise die trichterförmige Schimpfmaschine, die, egal, was man hineinruft, mit Frechheiten antwortet.

Labyrinthische Wege

Über eine mit Ton und Schrift inszenierte Treppe tauchen die Besuchenden eine Ebene tiefer in die Märchenwelt ein. Sie ist inselartig organisiert, ihre Wege verlaufen labyrinthisch, schmalere und weitere Raumsequenzen wechseln sich ab. Als eigene Spur entstanden für die Ausstellung eigens geschaffene Kunstwerke. Kinder, Jugendliche und Erwachsene werden auf eine Expedition durch die Gedanken- und Arbeitswelt der Brüder Grimm mit 25 Kapiteln geschickt, die Namen wie „Ärschlein“, „Quitte“ oder „Zettel“ tragen. Oben im weitläufigen Foyer empfängt und entlässt einen der beinahe theatralische Blick aus dem Café weit über die Karlsaue hinaus.


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Ausstellungsgestaltung für das Limesmuseum Aalen: In die Antike eintauchen

Wie in Kassel mischen sich im Limesmuseum Aalen Museales und Erlebniswelt. Die 2019 wiedereröffnete Schau ist eine von zahlreichen archäologischen Ausstellungen im Werk von Atelier Brückner und hat den 164 Kilometer langen baden-württembergischen Abschnitt der ehemaligen Grenzlinie zwischen Römischem Reich und Germanien zum Thema, seit 2005 UNESCO-Welterbe. Auch hier spielt der Ort eine maßgebliche Rolle. Das Haus (Architekten: Knut Lohrer und Dieter Herrmann, 1981 / Generalsanierung Egger Kolb Architekten, 2015-2019) steht auf dem Areal des ehemals größten römischen Reiterkastells nördlich der Alpen; das Gelände mit erhaltenen Fundamenten und nachgebildeten Bauten ist Teil des Ausstellungsrundgangs.

Klassische Vitrinen und Alltagsgeschichten

Die Architektin und federführende Gestalterin Alexandra Vassilakou und ihr Team ­nahmen ebenfalls eine Zweiteilung der Ausstellung vor, inhaltlich wie atmosphärisch. Im ­abgedunkelten Erdgeschoss taucht das Publikum in das Leben der Antike ein. Es wandelt zwischen klassischen Vitrinen mit Objekten wie Masken, Rüstungen und Alltagsgegenständen. Dabei begleiten einen Stimmen, die im Wechsel zu bühnenartig arrangierten Szenen Hintergründe zum Familien- und Soldatenleben erzählen. Der zentrale, noch dunkler gehaltene Raum mit Diorama und umlaufender Wandillustration thematisiert das antike Aalen. Animierte Einspielungen stellen einzelne Personen vor, die aus der Forschung bekannt sind.

Fotos, Karten und Modelle

Das Obergeschoss empfängt weiß und hell; über große Fenster wird der Bezug nach draußen hergestellt. Hier ist das Thema der Limes-Verlauf selbst, der, als geografische Linie durchgehend auf die Außenwände gedruckt, den Rundweg begleitet. Großformatige Fotos, die einzelne Stationen im heutigen Zustand zeigen, rhythmisieren das Band. Im Raum befinden sich außerdem in luftigem Abstand aufgestellte Vitrinen, die Exponate zu den ­gezeigten Fundstellen, Karten und Reliefmodelle sowie Alltagsgegenstände wie Schuhreplikate beinhalten. Die dürfen wie die Schubladen mit weiteren Informationen herausgezogen und spielerisch ausprobiert werden. Der Rundgang endet mit einem „Epilog“ genannten Kapitel zu Grenzen und deren Bauten auch aus der jüngeren Vergangenheit.

Ausstellungsgestaltung ist eigene Disziplin geworden

Beide Ausstellungen stehen für besonders publikumswirksame Inszenierungen aus Architektenhand und sind Beispiele dafür, dass sich die Szenografie im Ausstellungswesen zu einer eigenen Disziplin gewandelt hat. Sie ist maßgeblich daran beteiligt, einem breiter und anspruchsvoller werdenden Ausstellungspublikum ein Erlebnis für alle Sinne zu bereiten.

 

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