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[ Drei Beispiele ]

Ideen für große Hallen: Umbau und Umnutzung

Muss man ein Gebäude am Stück lassen, um es zu erhalten? „Nicht unbedingt“, dachten sich drei Architekturbüros aus Kempten, Berlin und Münster – und hauchten drei Industriehallen mit ungewöhnlichen Ideen neues Leben ein, von Sozialwohnungen bis zum Open-Air-Kulturort

Luftbild alte Industriehalle an Fluss
Einst diente die Sheddachhalle in Kempten als Weberei, jetzt wird hier preisgünstig gewohnt.

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Enthüllte Hallen“ im Deutschen Architektenblatt 09.2023 erschienen.

Von Gregor Harbusch

Alte, ruinöse oder leer stehende Hallen beflügeln die Fantasie. So viel Fläche, so viele Möglichkeiten! Doch den Potenzialen des weiten, ungerichteten Raums stehen meist handfeste ökonomische und strukturelle Herausforderungen gegenüber. Aber was passiert, wenn man einfach die Hülle einer Halle infrage stellt?

Diese drei Hallenbauten stellen wir vor:

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Kempten: Webereihalle wird zu Sozialwohnungen

Auf unkonventionelle Art beantwortete diese Frage ein Architekturbüro aus Kempten. Eben dort bauten Hagspiel Stachel Uhlig Architekten die denkmalgeschützte Shedhalle einer ehemaligen Baumwollspinnerei und -weberei zu einem Wohnprojekt der anderen Art um. Von der um 1900 errichteten Halle am Ufer der Iller, die seit Anfang der 1990er-Jahre mehr oder minder brach gelegen hatte, blieben nur die Außenmauern stehen. Die Auslobung für das denkmalgeschützte Objekt in einem Mischgebiet sei „relativ frei“ gewesen, erinnert sich Hermann Hagspiel.

Das Büro schlug daher vor, die nördliche, teils abgesackte und schadhafte Hälfte der Halle abzureißen, um dort Wohnungsneubau in Form eines Atriumhauses über einem annähernd quadratischem Grundriss zu realisieren. Für die südliche, etwas ältere und bauhistorisch wertvollere Hälfte der Halle schlug das Architekturbüro ein originelles Umbaukonzept vor: Es sah den kompletten Rückbau der Dachhaut vor, um anschließend in das Raster der historischen Stahl- und ­Eisenkonstruktion eine Art Reihenhaussiedlung entlang zweier „Wohnwege“ zu setzen.

Eigentümerwechsel noch vor Baubeginn

Mit der Idee konnte das Büro 2013 die Mehrfachbeauftragung für sich entscheiden, die der damalige Eigentümer nach Verhandlungen mit der Stadt organisiert hatte. Nachdem die Baugenehmigungen vorlagen, verkaufte dieser beide Teile der Halle. Der Neubau anstelle der nördlichen Hallenhälfte ging an einen freien Bauträger. Das Transformationsprojekt der südlichen Hallenhälfte wurde vom kommunalen Wohnungsunternehmen der Stadt Kempten, der „Sozialbau“, übernommen. Für beide Bauherren konnten Hagspiel Stachel Uhlig ihre Pläne aus der Mehrfachbeauftragung umsetzen.

Ende 2017 startete der Umbau. Der Zustand der circa 60 mal 60 Meter großen Sheddachhalle war gut, trotzdem erwies es sich als wirtschaftlichste Lösung, die historische Konstruktion (Stützen aus Gusseisen, Fachwerk aus Profilstahl) komplett zurückzubauen, in einer Schlosserei aufzuarbeiten und anschließend neu zu montieren.

Mietwohnungen für 8 Euro im Durchschnitt

In die offene, frei stehende Metallkonstruktion setzte das Architektenteam 32 anderthalb-geschossige und (in Richtung Flussufer) 14 zweieinhalb-geschossige Wohneinheiten mit Wohnflächen zwischen 51 und 130 Quadratmetern. Insgesamt entstanden so 3.750 Quadratmeter Wohnfläche für 10,7 Millionen Euro brutto (Kostengruppen 300/400), die im Zuge des sogenannten Kemptener Modells als preisgedämpfte Mietwohnungen zu durchschnittlich acht Euro den Quadratmeter auf den Markt kamen.

Historische Hallenkonstruktion in den Wohnungen

Die historische, nun dunkel gestrichene Konstruktion bleibt in allen Wohnungen erlebbar, Fensterbänder in den Sheds nach historischem Vorbild belichten die Galerien, die geschickt hinter die Fachwerkträger gesetzt wurden. Charmant wie die halbgeschossige Gliederung ist auch die öffentliche Zugänglichkeit der Wohnanlage. Unter anderem erschließt eine breite Treppenanlage an der Schnittstelle von Atriumhaus und transformierter Shedhalle die halb öffentlichen „Wohnwege“ und den Innenhof. Private Terrassen vor jeder Wohneinheit sollen dafür sorgen, dass die halb öffentlichen Räume angeeignet und belebt werden.


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Luftbild Buga Mannheim mit langer U-Halle
Die „U-Halle“ ist das wichtigste architektonische Projekt der BUGA in Mannheim. Früher war sie eine Logistikhalle der US-Army.

Mannheim: Logistikhalle wird zur BUGA-Attraktion

Unter völlig anderen Bedingungen als in Kempten bauten Hütten & Paläste aus Berlin die U-Halle in Mannheim um – einen beeindruckenden 350 Meter langen Stahlfachwerkbau der US-Armee. Der im April eröffnete Umbau ist architektonisches Herzstück der Bundesgartenschau BUGA, die auf dem Gelände der ehemaligen Spinelli Barracks stattfindet und noch bis Anfang Oktober 2023 läuft.

Wie der Name bereits verrät, handelt es sich um eine Halle über u-förmigem Grundriss. Beim Bau in der Nachkriegszeit integrierten die Amerikaner eine bestehende Halle der Wehrmacht aus wuchtigen Stahlbetonrahmen. Das pragmatische Konstrukt war lange das größte Distributionszentrum der US-­Armee in ganz Europa.

Grundriss U-Halle Buga Mannheim
Die U-Halle in Mannheim wurde aufgebrochen und in offene und geschlossene Bereiche aufgeteilt.

Wettbewerb ohne Nutzungskonzept

2020 konnten Hütten & Paläste das Wettbewerbsverfahren für den Umbau gewinnen. Leitgedanke war hier: Öffnen und Ermöglichen. Ein detailliertes Nutzungskonzept lag beim Wettbewerb noch nicht vor. Auf diese Herausforderung reagierten die Architektinnen und Architekten, indem sie einige wenige Regeln und Maßnahmen definierten, auf deren Basis die repetitive Struktur der Halle transformiert werden sollte.

Menschen sitzen an Tischen unter Stahlkonstruktion einer offenen Halle
Der Umbau der U-Halle vermittelt den BUGA-Besuchern das Konzept des zirkulären Bauens.

Frank Schönert von Hütten & Paläste spricht von „Polystruktur statt Monostruktur“ und dem Schaffen von Maßstäblichkeit – das Ganze unter den Prämissen von Bestandserhalt und zirkulärem Bauen. Laut dem Büro ist die U-Halle das erste Beispiel eines nach Prinzipien des zirkulären Bauens transformierten Gebäudes Deutschlands in öffentlicher Hand.

Öffnung für das Stadtklima

40 Prozent der Halle wurden durch den Rückbau von Dachhülle und Außenwänden konsequent geöffnet. Nur zehn Monate dauerten die eigentlichen Baumaßnahmen. Die freigelegte Konstruktion fungiert nun als Rahmung bepflanzter Freiräume. Die sechs neu geschaffenen „Höfe“ strukturieren den langen Baukörper und sollen auch stadtklimatisch wirken. Denn ein übergeordnetes Ziel der ­BUGA ist es, durch den Rückbau der militärischen Bauten und die Öffnung der U-Halle den Zustrom kühler Luft in Richtung Stadtzentrum zu verbessern.

Unterteilung für verschiedene Nutzungen

Im Rahmen ihres Umbaus teilten Hütten & Paläste den Baukörper in neun Hallen, in denen während der BUGA Ausstellungen, Veranstaltungen und Gastronomie Platz finden. Insgesamt umfasst das Projekt 21.000 Quadratmeter Bruttogrundfläche und kostete 12,4 Millionen Euro netto (Kostengruppen 300/400). Die Bepflanzung des langen, zentralen Innenhofs der U-Halle stammt von RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten, die auch das Gesamtkonzept der BUGA verantworten.

U-Halle wird nach der BUGA zum Stadtteilzentrum

Selbstverständlich existiert bereits ein Nachnutzungskonzept für die U-Halle. Sie wird nach dem Ende der Gartenschau zu einem Stadtteilzentrum umgebaut. Geplant ist, ein halbes Dutzend gastronomischer, kultureller und sozialer Nutzungen unterzubringen. So soll aus dem banalen Logistikbau über den Zwischenschritt eines ambitionierten Anschauungsprojekts für zirkuläres Bauen für breite Besucherschichten schließlich ein offenes Haus für die Nachbarschaft werden.


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Offene Halle mit Dach aus blauem Stahlfachwerk
1968 bauten Westberliner Architekten im Ostberliner „Kulturpark Plänterwald“ ein Schnellrestaurant. Die Ruine wurde bis auf das Mero-Stahlfachwerk zurückgebaut.

Berlin: Restaurant-Ruine wird zum Open-Air-Kulturort

Ähnlich wie die U-Halle ist auch die sogenannte Blaue Stunde in Berlin eine transformierte Halle innerhalb einer Parkanlage – bei der es jedoch noch weitaus mehr um radikale Durchlässigkeit und die Entgrenzung zwischen Gebautem und Natur geht. Das von modulorbeat (Münster) verantwortete Projekt im ehemaligen Ostberliner Vergnügungspark „Kulturpark Plänterwald“ stellt unwillkürlich die ­Frage, inwiefern es sich beim Ergebnis überhaupt noch um Architektur im engeren Sinn handelt – denn von der Halle selbst ist nur noch die Tragstruktur übrig.

Isometrische Zeichnung eines offenen hallendachs
Das Raumfachwerk besteht aus zwölf je circa zwölf mal zwölf Meter großen Feldern. Die höheren Module markierten die Eingänge.

Bis auf das Mero-Raumfachwerk zurückgebaut

Ausgangspunkt dieser radikalen Transformation war ein stark ruinöses Schnellrestaurant aus dem Jahr 1968, das auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges erstaunlicherweise vom Westberliner Büro Planungskollektiv Nr. 1 gebaut wurde. Modulorbeat bauten den Bestand bis auf dessen Mero-Raumfachwerk zurück und strichen dieses in kräftigem Enzian­blau. Unter die offene Struktur platzierten sie acht lange Bänke aus Aluminium und hängten drei Vorhänge auf. An zwei ­Stellen wurden transluzente Wellplatten als leichte Dachkonstruktion auf die Konstruktion montiert.

Luftbild Blick auf offene Halle zwischen Bäumen
Die „Blaue Stunde“ ist ein Relikt des einstigen Kulturparks Plänterwald.

Spreepark wird zum Ort für Kunst, Kultur und Natur

Mehr Offenheit ist eigentlich nicht denkbar, sowohl räumlich als auch hinsichtlich der Nutzung. Der Kontext des abstrahierten Architekturfragments mit knapp 1.800 Quadratmetern Fläche hilft, dessen Zweck zu verstehen. Die Blaue Stunde ist eines von mehreren Objekten auf dem Areal des historischen Vergnügungsparks, der seit den 1990er-Jahren unter dem Namen „Spreepark“ firmierte und von der landeseigenen Gesellschaft Grün ­Berlin sukzessive bis 2026 zu einem neuen Freiraum für „Kunst, Kultur und Natur“ entwickelt wird.

Veranstaltungen und Ausstellungen im Außenraum

Der Masterplan für den Spreepark entstand 2016/17 und stammt von einem breit aufgestellten Team rund um das Landschaftsarchitekturbüro Latz + Partner (Kranzberg). Innerhalb dieses Teams bearbeiteten Loma aus Kassel die hochbaulichen Objekte und entwickelten dabei die Idee, das ehemalige Schnellrestaurant auf das Mero-Fachwerk rückzubauen und zu einer offenen Halle umzuwandeln. Petra Brunnhofer von Loma verweist auf offene Hallenkonstruktionen in französischen und italienischen Parks, die dazu inspirierten, die Struktur im Plänterwald pragmatisch und mit einfachen Mitteln zu ertüchtigen.

Im Gegensatz zum realisierten Eingriff dachten Loma daran, die gesamte Konstruktion etwas anzuheben, voll zu überdachen und noch stärker mit raumbildenden Vorhängen auszustatten. Innerhalb des neuen Parks dient die schließlich von modulorbeat realisierte Fassung als Ort und räumlicher Rahmen für unterschiedlichste Formen von Veranstaltungen und Ausstellungen im Außenraum.

Offene Halle mit Dach aus blauem Stahlfachwerk
Die Konstruk­tion musste nur an wenigen Stellen repariert werden, danach wurde sie vor Ort neu lackiert. Nun soll sie für Veranstaltungen und Ausstellungen genutzt werden.

Archäologische Spuren

Trotz Rückbau und Neukonzeption möchte die Blaue Stunde an ihre einstige Nutzung im größten dauerhaften Vergnügungspark der DDR erinnern. Deswegen wurden die Böden erhalten, die nun dazu einladen, als archäologische Spuren gelesen zu werden. Die ehemaligen Technikschächte des nicht unterkellerten Pavillons wurden bepflanzt.

Das Projekt lief anfänglich als temporärer Eingriff, hat sich aber bewährt und wird bestehen bleiben. Wirklich geöffnet ist das offene Haus momentan allerdings noch nicht, aber man kann es im Rahmen von Führungen und Veranstaltungen besuchen.

Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Offen

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