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Auch Erich Mendelsohn denkt und baut in neuen Kategorien. Bild: Sebastian Strombach

[ Graphic Novels ]

Architektur wie ein Rausch

Graphic Novels imaginieren ein Panoptikum historischer Utopien zwischen Fakten und Fiktion. Wir folgen Mies von Aachen über Barcelona nach New York und Mendelsohn in das wilde Berlin der 1920er-Jahre. Teil 1 unserer Rezensionen

 

Zurück in die Zukunft

Von Lars Klaaßen

Ein deutsches Kriegsschiff, das 2017 im Schwarzen Meer von einem Riesenkraken in die Tiefe gezogen wird: Was wie eine Neuinterpretation von Jules Vernes‘ „20.000 Meilen unter dem Meer“ anmutet, ist der überraschende Einstieg in eine Graphic Novel über Architektur im Berlin der 1920er. Die Geschichte verlagert sich dann zwar via Zeppelin-Flug zügig nach Berlin. Aus dem Staunen kommt man beim Lesen aber auch dann noch nicht heraus. Einerseits tauchen peu à peu prominente Protagonisten auf, die Kunst und Architektur jener Epoche geprägt haben. Die Werke und Motive von George Grosz, Erich Mendelsohn, El Lissitzky und Fritz Lang ziehen sich als roter Faden durch die Seiten, allerdings wild verworren.

Historische Hintergründe sind in der Handlung eng mit fabulösen Hakenschlägen verwoben. Da erscheint bei den Barrikadenkämpfen während der Novemberrevolution im Berliner Zeitungsviertel der Maschinenmensch Maria aus Langs Film Metropolis im Gewand der Marianne von Eugène Delacroix. Da verwischen die Grenzen zwischen dem Turmbau zu Babel, dem Pergamonmuseum und dem Moloch Metropolis.

„Berlin im Rausch“, den Untertitel der Graphic Novel, darf man ernst nehmen. Durch die vielen, teils widersprüchlichen Facetten der Berliner Zwischenkriegszeit führt Sebastian Strombach sein Publikum in einer wilden, expressionistisch anmutenden Achterbahnfahrt. Mit dabei ist vom Anfang bis zum Ende die Hauptfigur Cem. Dieser Held, sozusagen einer der ganz frühen Neuberliner mit türkischen Wurzeln, rettet Fritz Lang vor einem Entführer und leitet dadurch die Entstehung des Films Metropolis ein. Im Laufe dieses berauschten Trips in sechs Episoden zwischen Fakten und Fiktion, lassen sich an fast jeder Ecke diverse Architekturklassiker bestaunen. Auch was seinerzeit über einen Entwurf nicht hinaus kam, nimmt in diesem schwarz/weiß gezeichneten Berlin der 1920er Form an ­– etwa die Vision des „Wolkenbügels“ von El Lissitzky, dem der Band seinen Titel verdankt.

Sebastian Strombach baute mit vier Jahren sein erstes Raumschiff und studierte später Architektur. Beides hinterlässt in seinen Zeichnungendeutliche Spuren. In retro-futuristischem Stil lässt er nicht nur Fritz Langs Science-Fiction-Klassiker wiederaufleben. Wer Filme wie „Modern Times“, „Brazil“ oder die Serie „Babylon Berlin“ mag, wird sich räumlich, zeitlich und auch im Stil der Zeichnungen gut aufgehoben fühlen. Die Zukunftsutopien der Vergangenheit entwickeln grafisch einen faszinierenden Sog, obwohl – oder gerade weil – die Handlung eher vage bleibt. Historische Kontexte und konkrete Projekte werden jenseits der eigentlichen Geschichte erläutert, in separaten Texten mit Bildern dazu. Das bietet Lesern eben jene Orientierung, die im verwirrenden Plot nicht mitgegeben wird. Im Duktus der 1920er formuliert: Hier stehen Neue Sachlichkeit und Expressionismus nebeneinander.

Sebastian Strombach
Wolkenbügel.
Berlin im Rausch

Jovis, 2018
88 Seiten, 25 Euro

 

 

 

 

 

Von Aachen über Barcelona nach New York

Von Simone Kraft

100 Jahre Bauhaus! 90 Jahre Barcelona-Pavillon! 50. Todestag Mies van der Rohes! Dem ein oder anderen mag es schon fast zu viel sein, dieses Jahr der Jubiläen. Dennoch, der Name Ludwig Mies van der Rohe – und seiner Entwürfe! – gehört zum Reigen der Moderne und ist einer derjenigen, die gerade im Bauhaus-Jahr all(zu)gegenwärtig scheinen. Gropius! Mies! Corbu! Dass hinter den ikonischen Namen – diese Übersteigerung dürfte jedem der drei gefallen haben – auch Menschen stehen mit Makeln, Fehlern und vor allem Schicksalen, ist eigentlich selbstverständlich, doch den wenigsten sind sie näher bekannt. Vielleicht braucht es eine Graphic-Novel, um eine Architektenikone hinter ihrem Werk hervortreten zu lassen?

Agustín Ferrer Casas, Comic-Zeichner und Architekt, überlässt dazu Mies selbst die Bühne: Bei einem Flug nach Berlin, zur Grundsteinlegung der Neuen Nationalgalerie, berichtet er seinem Enkel aus seiner Vergangenheit. In dieser Rahmenhandlung lässt Ferrer den alten Architekten von verschiedenen Episoden seines Lebens erzählen – und, so viel Küchenwitz muss sein, er wird seinem Namen dabei durchaus gerecht: Der begnadete Architekt ist nicht immer ein ebensolcher Mensch, wie nicht zuletzt vor allem in seiner Umgangsweise mit seinen zahlreichen Frauen deutlich wird.

Der Autor Ferrer hält sich jedoch zurück. Es sind die Art der zeichnerischen Darstellung, die Wortwahl und vor allem auch die kritischen Zwischenfragen des Enkels, die Mies nicht nur als Lichtgestalt auftreten lassen. Durch diesen zeichnerisch-narrativen Kniff gelingt es Ferrer, die Bewertung des Dargestellten letztendlich beim Betrachter zu lassen.

Der Blick zurück verläuft, wie dies bei einem Gespräch zwischen Opa und Enkel passiert: Keine chronologische Abfolge im Stile eines „Ich wurde da geboren, ging dort zur Schule und fand schließlich zur Architektur“, sondern ein Hin- und Herspringen zwischen Erinnerungen. Manche Szenen wiederholen sich häufiger, erhalten so mehr Gewicht und lassen ein Bild der Person Mies und ihrer Erinnerungen Form annehmen – und auch ein wenig des Enkels, der nach bestimmten Situationen fragt.

Zeichnerisch lässt Ferrer den Wechsel zwischen Rahmenhandlung und Rückblenden dadurch sichtbar werden, dass die Panels der Erzählsituation in der „Gegenwart“ im Flugzeug vor weißem Hintergrund spielen In den Rückblicken sind die Bilder teils seitenfüllend und laufen bis an den Seitenrand, vor allem Nazi-Szenen spielen zudem vor einem schwarzen Seitenhintergrund. Hilfreich sind auch die unterschiedlichen Schriften – Versalien in den Rückblicken, Groß- und Kleinschreibung in der Rahmenhandlung zwischen Mies und Enkel. Dadurch wird auch möglich, die Erzählungen mit Einblendungen aus dem Off zu kommentieren.

Ferrer hat viel recherchiert, lässt aber auch ein wenig künstlerische Freiheit zum Zuge kommen. Er habe „nur einige Fakten neu interpretiert und andere fiktionalisiert, um der Geschichte Gestalt zu verleihen“, lässt der Autor seine Leser wissen. Er wagt es zudem, nicht allzu viel über die „großen“ Themen zu schreiben und vieles nur zu streifen, die Ausstellung in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung etwa oder die Entwurfsideen für die Neue Nationalgalerie, und sich auf persönlichere Facetten des Architektenlebens zu konzentrieren, sein Verhältnis zu den Frauen etwa oder zu Konkurrenten und Kollegen.

Mies‘ Bericht beginnt mit dem Barcelona Pavillon – natürlich mag man sagen, es ist ja ein spanischer Autor am Werk, in beiden Bauten wird jedoch auch Anfang und Endpunkt der neuartigen Raumauffassungen Mies van der Rohes beispielhaft markiert – und schaut auf die Jahre im Bauhaus zurück, auf die Zeit unter den Nazis und die zweifelhaft wirkenden Versuche, an Aufträge zu kommen, sowie die Emigration in die USA – obwohl er doch „kein Englisch könne“, so der Comic-Mies. Und noch weiter zurück geht der Blick, auf die Anfänge in Aachen, die Zeit bei Peter Behrens, die ersten Bauten und die Konkurrenz zu Gropius, den Frontdienst im Ersten Weltkrieg.

Auch „die“ Bauten sind alle da, die ihren Architekten so berühmt gemacht haben, neben dem Barcelona Pavillon auch das Haus Tugendhat, das Farnsworth House, das Seagram Building und die Crown Hall des IIT in Chicago. Es überraschet jedoch, wie wenig über die Bauten selbst gesprochen wird. Ohne viel Aufhebens um sie zu machen – der Architekturfan kennt sie sowieso –, sind sie gelungen gezeichnete Bühne für das Leben des Ludwig Mies, der sich „van der Rohe“ nannte. Manchmal ist weniger tatsächlich mehr.

Agustín Ferrer Casas
MIES – Mies van der Rohe.
Ein visionärer Architekt
Carlsen, 2019
176 Seiten, 20 Euro

 

 

 

 

In Teil 2 unserer Rezensionen geht es mit Graphic-Novels in die Schweiz. Im Mittelpunkt: Le Corbusiers Pavillon am Zürichsee, eine Zwangsversteigerung und ein Mord. Und auch der Berg in Vals, an dem Zumthor seine berühmte Therme gebaut hat, birgt ein dunkles Geheimnis. Lesen Sie hier weiter.

 

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