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Flur mit sakralen Figuren aus Holz in Kirche St. Peter in Stuttgart

Kirche, Gemeindezentrum und Kita „St. Peter“ in Stuttgart, Kamm Architekten (Klicken für mehr Bilder)

[ Religion ]

Neue Sakralbauten für Christentum, Judentum und Islam

Die religiöse Bindung der Menschen wird hierzulande immer weniger. Und dennoch werden auch heute noch neue Gotteshäuser gebaut. Doch welche Anforderungen müssen zeitgemäße Sakralbauten in unserer Gesellschaft erfüllen? Ein Blick auf drei Neubauten für verschiedene ­Religionen

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Gottes Häuser“ im Deutschen Architektenblatt 12.2022 erschienen.

Von Christoph Gunßer

Gut 480 Plätze bot die erst 1972 errichtete katholische Kirche St. Peter auf dem Stuttgarter Memberg. Zur Messe kamen indes höchstens 70 Gläubige in das zeltartige, schwer heizbare Gebäude. Ein langsam zerbröselndes Dach, das trotz mehrerer Versuche nicht dicht zu bekommen war, tat sein Übriges: Zeit für einen Neuanfang, beschloss der Gemeinderat. 2014 lobte er einen Architekturwettbewerb mit zwölf teils namhaften Büros aus. Die viel zu große und nicht zu ertüchtigende Kirche sollte abgerissen und die bislang im parkartigen Gelände verstreute Kita mit dem „Neubau eines sakralen Raumes“ zusammengefasst werden, in dem „Altar und Gemeinde einander näher sein“ sollten, so die Auslobung. Der Großteil des attraktiven Grundstückes wurde verkauft und mit einer Behindertenwohnanlage bebaut.

Kirchenneubau St. Peter in Stuttgart

Die neue „St. Peter“ von Kamm Architekten aus Stuttgart ist ein kompakter Bau aus Ziegeln, einem Material, das im 19. Jahrhundert häufig für Kirchen verwendet wurde. Schlicht und kantig, steht er in krassem Kontrast zum kurz zuvor errichteten, amöbenartigen Luxus-Ensemble vis-à-vis. Der ansonsten aber von Siedlungshäusern geprägten Nachbarschaft gibt das Gemeindezentrum eine neue Mitte, einen „Ort der Begegnung“, den sich die Bauherrin wünschte.

Ohne sichtbare Insignien des Sakralen errichtet, könnte es auch eine andere öffentliche Nutzung beherbergen. Schwellenängste gibt es nicht. Den grünen Hof teilt man sich mit den behinderten Menschen von nebenan. Von hier geht es direkt ins Zentrum des Gebäudes, wo einen links Kirche, rechts Kita und geradeaus ein beide verbindendes Atrium erwartet.

Kirche und Kita hierarchiefrei nebeneinander

„Sakralität in der Vertikalen, Profanität in der Horizontalen“ nennen die Architekten ihr Konzept, das innerhalb der monolithischen Hülle Orientierung geben soll. Tatsächlich steigt der vom flexiblen Flur rechts abzweigende Kirchenraum bis zu zehn Meter hoch. Auf quadratischem Grundriss bietet er allen liturgischen Erfordernissen relativ hierarchiefrei Raum. Auf seine weiß verputzten Wände werfen Glasfenster bunte Lichtspiele. Ausgeprägt mystisch oder sakral ist der Eindruck trotzdem nicht. Ohne das abstrakte Kreuz auf der Mittelachse bliebe es ein lichter, hoher Versammlungsraum.

Allerdings müssen auch die Kleinen, für eine Kita eher ungewöhnlich, in die Vertikale: Die vier quadratischen Gruppenräume liegen im ersten Stock, hinter bodentiefen Fenstern und einem strengen Kantholz-Stakkato, das den sehr langen, als Rennbahn beliebten Laubengang davor vom Hof abschirmt. Tektonisch konsequent und klar gestaltet, stört hier weniger das Unspezifische des Gebäudes (das zu bespielen gelingt den Kindern offensichtlich) als manches Detail wie scharfkantige Treppen, nicht kindgerechte Handläufe und eine schroffe Betonmauer im Freiraum.

Flexibilität sichert die Zukunft

Senioren klagen zudem, dass die Kita-Nutzung das Gebäude zu sehr dominiere. Der Gemeindesaal, der sich über große Türen dem Kirchenraum zuschlagen lässt, ist ihnen als Domizil zu einsehbar. Zumal der Kirchenraum sich im Alltag immer noch als zu groß erweist. Offenbar wird das Potenzial des 6,3 Millionen Euro teuren, schönen Zentrums bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Betreiben lässt sich das kompakte Haus dank Wärmepumpen natürlich weit sparsamer als der marode Vorgängerbau. Nutzungsneutral, wie es ist, steht ihm gewiss auch ein längeres Leben bevor.


Neue Synagoge in Konstanz mit gestreifter Fassade
Die neue Synagoge in Konstanz integriert ein historisches Gasthaus (links). Der Gemeindesaal im Erdgeschoss lässt sich zur Straße hin öffnen.

Neue Synagoge Konstanz

Ein solch langes Leben ist auch unserem zweiten Beispiel zu wünschen: der neuen Synagoge von Konstanz. Als Gemeindezentrum konzipiert, verbindet sie ebenfalls Sakrales und Profanes unter einem Dach, denn die jüdische Gemeinde in Konstanz ist mit rund 300 Mitgliedern klein. Eine Lücke schließt die Synagoge im doppelten Sinne, entstand sie doch nur rund 200 Meter von dem Ort entfernt, an dem die SS 1936 den Vorgängerbau in Brand setzte und später sprengte – es war die erste Zerstörung einer Synagoge in der NS-Zeit. In der engen Sigismundstraße integriert der Neubau nun das historische „Haus zum Anker“.

Die Stadt reparieren – und die Schuld

Fünfzehn Jahre dauerte es, bis die ursprünglich zwei jüdischen Gemeinden der Stadt und die als Bauherrin fungierende Israelitische Religionsgemeinschaft Baden das Projekt fertiggestellt hatten. Archäologie, Denkmalschutz, Finanzierung, aber auch das räumliche Konzept boten Streitpunkte. Das Ergebnis „passt“ nun sowohl städtebaulich als auch ästhetisch und funktional. Der verantwortliche Architekt Fritz Wilhelm von Wilhelm und Hovenbitzer Architekten aus Lörrach, der dort zuvor schon eine Synagoge geplant hatte, resümiert: „Wir wollten keine jüdische Architektur erfinden, sondern eine eigene zeitgenössische Architektur mit jüdischen Bezügen.“ Und zugleich ging es um ein Stück Stadtreparatur.

Ähnlich schmal und hoch wie seine Nachbarbauten, setzt das Gotteshaus doch klare Akzente: Wie bei der Stuttgarter Kirche gibt es auch hier eine historische Materialreferenz: Schmale, lange Ziegel in zwei Farbtönen erinnern an die ebenfalls gestreifte Fassade der alten Synagoge. Das ist aber schon der einzige Schmuck. Die Öffnungen sind klar in die Front geschnitten. Nur im quadratischen Fenster an der Spitze, das in den Obergaden führt, kündet der Davidstern vom Zweck des Zentrums.

Hauptraum der Konstanzer Synagoge mit Emporen und rotem Mobiliar
Der lichte Hauptraum der Konstanzer Synagoge liegt im ersten Stock. Die Möbel wurden eigens in Israel angefertigt.

Im Inneren sortieren sich die Funktionen der Enge gemäß: Das komplette Erdgeschoss des Neubaus nimmt ein Gemeindesaal ein, der sich zur Straße hin öffnen lässt. Was für eine Geste des Entgegenkommens! Leider unterliegt der Zugang zum Gebäude im Alltag strengen Sicherheitsauflagen. Eröffnet wurde das Haus nur vier Wochen nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle. Also betritt man das Haus über den Altbau, in dem außer Büros und Küche die Nebenräume, aber auch das rituelle Tauchbad, die Mikwe, untergebracht sind.

Wie aus einer anderen Zeit

Im Obergeschoss dann, das man über ein eher neutral zu nennendes Treppenhaus erreicht, öffnet sich der eigentliche Synagogenraum. Er ist durch den Obergaden überhöht und erhält von dort helles, von Gläsern bunt eingefärbtes Tageslicht. Ansonsten ist er im Volumen ein schlichter, länglicher Quader mit einer klaren Ausrichtung auf Altar und Thoraschrein. Letzterer schiebt sich sogar als eine Art Erker aus der Fassade heraus. Die Möbel, an alte Kinos erinnernde Klappsitze, ließ die Gemeinde in Israel anfertigen – sie wirken wie aus einer anderen Zeit. Und da ist noch etwas, das heute nicht mehr zeitgemäß ­erscheint: Dass der Hauptraum den Männern vorbehalten ist und die Frauen auf der Em­pore sitzen müssen, folgt den orthodoxen ­Regeln und ist in der Gemeinde nicht unumstritten.

Restaurierter Altbau mit offener Holzwand und Holzbalkendecke
Der Altbau wurde feinfühlig für Gemeindefunktionen restauriert.

Jüdisches Gemeindezentrum mit Mikwe

Im Kontrast zum lichten Sakralraum dann der historische Nachbarbau: Hier haben die Architekten mustergültig die Aura der mittelalterlichen Fachwerkwände inklusive Bemalungen herausgearbeitet. Schwarze, krumm und schräge Wandstücke schließen gekonnt an Glastüren und Neubauwände an. Auch die Mikwe, für die auf dem Dach Regenwasser gesammelt wird, ist ein komplettes Neubaubad in strahlendem Türkis. Im engen Hinterhof blieb sogar Platz, um das traditionelle Laubhüttenfest zu feiern.

So vereint das rund fünf Millionen Euro teure Gemeindezentrum Alt und Neu, Tradition und Perspektive. Und wäre da nicht die Dauerdrohung des Ungeists, könnte es mit seinen Treffen, Festen und Bildungsangeboten wieder ein ganz normaler, vitaler Bestandteil des Altstadtlebens sein, mehr als acht Jahrzehnte nach der Zerstörung der alten Synagoge. Nur zur Erinnerung: Bis zur NS-Zeit gab es in Deutschland rund 2.800 jüdische Gotteshäuser – heute sind es wieder etwa 130.


Muslimisches Wasch- und Gebetshaus in Hamburg

Ganz am Anfang stehen indes noch die Bemühungen um eine muslimische Friedhofskultur in Deutschland. Im Islam ist es üblich, dass die Verstorbenen vor dem Begräbnis durch die Angehörigen gewaschen werden. Wo dies nicht in einer Moschee möglich ist, muss es dafür auf dem Friedhof einen Ort geben. Im multikulturell geprägten Hamburger Arbeiterstadtteil Wilhelmsburg steht nun erstmals ein auf diesen Ritus zugeschnittenes Gebäude, geplant von der Züricher Architektin Medine Altiok. Interkulturelle und soziale Integrationsprojekte liegen ihr am Herzen, und so recherchierte sie für diesen Auftrag intensiv in verschiedenen islamischen Kulturen, aber auch in der Hamburger Bautradition. Entstanden ist ein augenscheinlich rein dienendes Gebäude, das doch Elemente aus diesen Traditionslinien kreativ aufnimmt und zu einer Einheit verschmilzt.

Totenwäsche nach islamischem Bestattungsritus

Wie ein syrisches Wüstenschloss wächst der sandfarbene Ziegelbau direkt aus der Erde hervor. Die Ziegel überziehen auch die Fenster in einem ornamentalen Muster. Das Rautenmuster im Verband erinnert an eine persische Moschee, kommt aber auch an protomodernen Backsteinbauten in Hamburg vor. Zum asymmetrisch abgeschleppten Blechdach inspirierten die Architektin Vorbilder aus der Osttürkei. Und doch ergibt sich daraus keine Collage, sondern ein harmonisches Ganzes, das bei vielen heimatliche Assoziationen auslöst.

Innenräumlich folgt das Haus den Vorgaben des Ritus. Wie in der Synagoge gibt es auch hier eine Trennung der Geschlechter: Im Erschließungsbereich gibt es spiegelsymmetrisch alles doppelt, und selbst im Betsaal mit seiner zentralen Gebetsnische sorgen Vorhänge dafür, dass Männer und Frauen für sich bleiben. Zentrales Element des Ritus ist ein Steinblock, auf dem die Waschung im Beisein des Bestatters oder der Bestatterin geschieht und um den sich die Angehörigen versammeln können. Pastellfarbene Fliesen hier, Teppich und Kalkputz im Gebetsraum prägen das Interieur, das von zwei Kuppeln überwölbt wird, die größere mit 4,50 Metern Durchmesser über dem Versammlungsraum.

Aufgebahrt wird der Leichnam schließlich in einem würdevoll schlichten Vestibül vor der Mitteltür: Vier Rundstützen tragen das weit auskragende Dach, der helle Sandsteinbelag und zwei seitliche Ziegelmauern leiten über zu den Gräberfeldern. Die gesamte, bis ins Detail sehr sorgfältig ausgeführte Anlage ist gen Mekka ausgerichtet (die Verstorbenen werden auf der rechten Seite liegend, mit Blickrichtung nach Mekka beerdigt. Es zeigt also die lange Seite des Grabes nach Mekka), was dann doch zumindest im Gelände zu einer Art „Collage City“ führt.

Großer Bedarf nach islamischen Friedhöfen

Derzeit wird wenige Hundert Meter von hier die neue Hafenquerspange gebaut, eine umstrittene, fast zehn Kilometer lange Autobahn. Ihr verdankt die muslimische Gemeinde den 2,2 Millionen Euro teuren Neubau, denn der Trasse mussten 41 bestehende Gräber weichen. Die Toten wurden umgebettet, 100 Grabstellen gibt es hier zunächst, bis zu 270 weitere können folgen. Der Bedarf ist offenbar groß: Mittlerweile gibt es immerhin drei derartige Wasch- und Gebetshäuser im Land, mehr sind in Planung. Das Hamburger Pilotprojekt fand breite Anerkennung und war für den Preis des Deutschen Architekturmuseums 2022 nominiert. So wird mit der religiösen auch die architektonische Landschaft vielfältiger und reicher.

 

Weitere Beiträge finden Sie auch gesammelt in unserem Schwerpunkt Spirituell.

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