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[ Interview ]

„Ich sehe im Moment keine Rechtsunsicherheit mehr“

Der Stuttgarter Rechtsanwalt Karsten Meurer über die aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, wonach Aufstockungsklagen zum HOAI-Mindestsatz nicht pauschal unwirksam sind, weil ihnen EU-Recht nicht entgegensteht.

Karsten Meurer
Karsten Meurer ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in Stuttgart. Bild: Fotofabrik Stuttgart

Herr Meurer, Sie kamen bereits 2019 zum Umgang mit Aufstockungsklagen aufgrund der EuGH-Entscheidung über die HOAI-Mindestsätze zu einem ähnlichen Ergebnis wie nun der EuGH. Sind Sie dennoch über die aktuelle Entscheidungsbegründung überrascht?

Ehrlich gesagt, ja und nein. Ja, weil sich die Stellungnahme des Generalanwaltes völlig anders gelesen hatte und man daraus ja immer eine Tendenz für das Hauptverfahren herleiten kann. Nein, weil ich immer schon vertreten hatte, dass Richtlinien laut den europäischen Verträgen keine unmittelbare Rechtskraft im Mitgliedsland haben können, sondern eines nationalen Umsetzungsaktes bedürfen. Zwar ist den bisherigen Vertretern der Gegenauffassung zuzubilligen, dass Gesetze gemäß der europäischen Rechtsprechung soweit als möglich richtlinienkonform auszulegen sind. Dies ist aber gerade nicht möglich, wenn damit das nationale Gesetz quasi aufgehoben wird.

Ich hatte in einer Veröffentlichung im Jahr 2019 darauf verwiesen, dass eine Honorarordnung, die kein Honorar ordnet, nutzlos ist. Dies haben der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Beschluss vom 17. Mai 2020 (Az.: VII ZR 174/19) und der EuGH (Urteil vom 18. Januar 2022, Az.: C-261/20) jetzt konsequenterweise bestätigt. Überrascht hatte mich seinerzeit übrigens die vom OLG Celle und einigen auf die HOAI spezialisierten Anwälten und Sachverständigen vertretene Auffassung, die HOAI sei nicht mehr anwendbar. Diese hat meines Erachtens die Abschaffung beziehungsweise die Nichtbeachtung der HOAI beschleunigt und bei den Architekt:innen und Ingenieur:innen einen großen Flurschaden angerichtet.

Was bedeutet die Entscheidung aus Ihrer Sicht für die Architektinnen und Architekten?

Der EuGH hat klar betont, dass das Europarecht bezüglich der Altfassungen der HOAI nicht durchschlägt und Architekt:innen einen Nachteil erleiden würden, wenn die HOAI 2013 nicht mit ihren Mindestsätzen angewendet wird. Da der BGH sich in der oben genannten Entscheidung ähnlich geäußert hatte, werden die Landes- und Obergerichte aufgrund der grundsätzlichen Bindung der Gerichte an die Entscheidungen des BGH hoffentlich endlich das deutsche Recht wieder anwenden und Architekt:innen zu ihrem Recht verhelfen. Eine nationale Regelung, die der Anwendung der HOAI 2013 entgegensteht, gab es nicht und gibt es nicht.

Wir haben unseren Mandant:innen bereits seit 2019 geraten, ihre HOAI-Verfahren zurückzustellen bis Rechtsklarheit herrscht. Dieser Zustand ist nun eingetreten, sodass nun wieder geklagt werden kann. Übrigens würde ich auch Klagen gegenüber der öffentlichen Hand in Betracht ziehen und gehe davon aus, dass auch diese Verfahren zu Gunsten der Architekt:innen entschieden werden müssten. Entweder geht der Anspruch gegen den öffentlichen Auftraggeber durch oder – sollte ein Gericht die Auffassung vertreten, dass die HOAI in diesem Verhältnis nicht anwendbar wäre – müsste die Bundesrepublik Deutschland verklagt werden, weil diese die Dienstleistungsrichtlinie nicht richtig umgesetzt hat.

Natürlich muss im Einzelfall immer ein Schaden dargelegt werden, woran es gegebenenfalls fehlen könnte. Denn wäre die Richtlinie richtig umgesetzt worden, wäre ein Anspruch unter Umständen gerade nicht gegeben. Als Argument könnte hiergegen der Gedanke angeführt werden, dass man sich aufgrund der Gesetzeslage in Rechtssicherheit gewogen hatte. Besonders spannend wird an dieser Stelle auch sein, ob Klagen gegen die Bundesrepublik geführt werden können, wenn sich Architekt:innen gezwungen sahen, wegen der unsicheren Rechtslage in der Vergangenheit vor Gericht ungünstige Vergleiche abzuschließen.

Wann rechnen Sie mit Rechtssicherheit für Architektinnen und Architekten in dieser Rechtsfrage?

Ich sehe im Moment keine Rechtsunsicherheit mehr und rate nunmehr dazu, noch offene Ansprüche einzuklagen. Sollten sich die Gerichte weigern, die höchstrichterliche Rechtsprechung anzuwenden, müsste gegebenenfalls noch einmal der BGH angerufen werden. Ich gehe aber davon aus, dass die Gerichte – auch wenn sie vorher andere Auffassungen vertreten haben – nunmehr die HOAI auf Altfälle anwenden werden.

Karsten Meurer ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in Stuttgart, Mitherausgeber des Standardwerks „Die HOAI in der Praxis“ (Werner Verlag), Autor zahlreicher Fachbeiträge sowie regelmäßiger Referent über Fragen des Bau- und Architektenrechts.
Die Fragen stellte Dr. Eric Zimmermann, Justiziar der Architektenkammer Baden-Württemberg.

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