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Personen an Boulderwand in Köln Chorweiler

Die Kletterwand an der Lyoner Passage ist eine der neuen Möglichkeiten für Sport und Spiel, die vermisst wurden.

[ Öffentlicher Raum ]

Neue Plätze für Köln-Chorweiler

Größte Wohnsiedlung in Westdeutschland zu sein, das war einmal ein positives Attribut. Lange sorgte Köln-Chorweiler aber eher für schlechte Schlagzeilen. Jetzt wird dem großen städtebaulichen Wurf in kleinen Schritten auf die Sprünge geholfen. Der Fokus liegt dabei auf der Aufwertung der Freiräume

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Dem Großen mit kleinen Schritten begegnen“ im Deutschen Architektenblatt 11.2021 erschienen.

Von Juliane von Hagen

Konrad Adenauer gemeindete als Kölner Oberbürgermeister die Flächen des heutigen Chorweilers ein, als Landreserve sozusagen. Für die Planung einer neuen Stadt am Rande von Köln beauftragte er Fritz Schumacher. Dessen Ideen wurden erst Ende der 1950er-Jahre wieder aufgegriffen, überarbeitet und realisiert. Zunächst entstanden Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäuser, in weiteren Bauabschnitten wuchs das Zentrum der neuen Stadt Chorweiler. Hier ragten bis zu 24 Wohngeschosse in die Höhe. Diese Wohnriesen prägen noch heute die Skyline, aber auch die öffentlichen Räume, die die großen Baustrukturen umfließen. Dass beide, sowohl die Gebäude als auch die Freiräume, heute Probleme bereiten, ist nichts Außergewöhnliches. Viele Großsiedlungen dieser Epoche gelten als städtebauliche Sünden und sind nicht selten Kulisse sozialer Brennpunkte. Dabei hilft wenig, dass die Gebäude oft von einer Investorenhand in die andere wechseln. Deshalb konzentriert die Stadt Köln ihre Bemühungen nun auf die Aufwertung der Freiräume.

Großer Plan, traurige Realität

Das Erscheinungsbild und die Skyline der neuen Stadt spielten bei der Planung eine große Rolle. Der städtebauliche Entwurf sah im Süden eine niedrigere Bebauung vor, die im Zentrum bis auf 30 Etagen ansteigen sollte. Von dort fielen die Geschosshöhen gen Norden wieder ab. Im Rahmen dieses Konzepts durften verschiedene Architekten Gebäude entwerfen. Deren unterschiedliche Handschriften sind noch heute ablesbar. Schon während der Realisierung wurde das Bauprogramm jedoch reduziert, da sich zeigte, dass das Leben in der Trabantenstadt wenig attraktiv war. Das änderte sich auch in den folgenden Jahren nicht.

Bereits in den späten 1980er-Jahren musste die Stadt Köln mit verschiedenen Maßnahmen und Programmen eingreifen, um Probleme in Chorweiler zu lösen. Sie baute Teile der überdimensionierten Verkehrsinfrastruktur zurück und legte verkehrsberuhigte Zonen und Grünflächen an. Dennoch haftete Chorweiler weiterhin der Ruf an, Sammelpunkt für Menschen mit Migrationshintergrund oder schmalem Portemonnaie zu sein.

Chorweiler wieder wichtiger Wohnstandort

Trotz negativer Schlagzeilen über Jahre spielt Chorweiler heute wieder eine Rolle in der Entwicklung der Stadt Köln. Denn bezahlbarer Wohnraum ist knapp und die Bevölkerung wächst weiter. Vor diesem Hintergrund rückte die Großsiedlung bereits 2016 erneut in den Fokus der Stadtplanung. Diesmal sollte über die Aufwertung der öffentlichen Räume ein neues Aussehen und Ansehen entstehen und damit auch die Verbundenheit der Menschen mit ihrem Stadtteil wachsen.

Dass Ideen für die Umgestaltung der zentralen Freiräume in Chorweiler nicht allein auf dem Schreibtisch entstehen können, war der Stadt Köln klar. Deshalb beauftragte sie das Büro Urban Catalyst aus Berlin zusammen mit dem Landschaftsarchitekturbüro lad+ aus Hannover, einen partizipativen Prozess zu gestalten und zu begleiten. Dessen Ergebnisse übersetzte das Team von Martin Diekmann von lad+ zusammen mit yellow z urbanism architecture und BPR Bernd F. Künne & Partner dann in eine realisierbare Planung.

Partizipation: „Was fehlt Ihnen?“

In diesem Prozess sollten vor allem die Bewohner Chorweilers zu Wort kommen. Da hier Menschen aus 100 Nationen leben, für die das Wort Freiraum oft genauso fremd klingt wie der Gedanke, diesen mitzuentwickeln, bedurfte es einer besonderen Herangehensweise. Urban Catalyst startete mit einer sogenannten Aufwärmphase. „Was fehlt Ihnen, was stört Sie?“ waren die zentralen Fragen. Da die Kontaktaufnahme nicht ganz einfach war, mietete sich Urban Catalyst für zwei Wochen vor Ort ein. Dieses temporäre Entwicklungsbüro wurde nicht nur zur Sammelstelle für Ideen und Wünsche. Hier wuchs gleichzeitig eine Ahnung davon, was einen urbanen Treffpunkt, einen kommunikativen Stadtplatz ausmacht. Auf die Aufwärmphase folgten weitere Veranstaltungen, Expertensafaris und Ideenwerkstätten.

Nutzbare Freiräume statt spektakuläre Pläne

In diesem mehrstufigen, offenen und iterativen Prozess kamen verschiedene Wünsche für die Neugestaltung der Freiräume zusammen. Dass nicht alle realisiert werden können, war den engagierten Bewohnern nicht immer klar. Das mussten die Landschaftsarchitektinnen und -architekten, die den Prozess begleiteten und in Planung und Realisierung überführten, oft erklären. Dass am Ende eines solchen Prozesses weniger spektakuläre, aber umso nutzbarere Freiraumentwürfe stehen würden, war den Fachleuten ebenso klar.

„Die Interventionen sind gewünscht, werden angenommen und gebraucht; von den Menschen für die Menschen“, erklärt Landschaftsarchitekt Martin Diekmann. Und darum ging es hier schließlich. Unter großen Ideen vom Reißbrett hatte Chorweiler lange genug gelitten. Jetzt ging es um vermeintlich banale, aber so ­wichtige Dinge wie „etwas mit ­Wasser“, Freizeit- und Sportmöglichkeiten draußen und umsonst oder Platz zum Sitzen, Treffen und Chillen.

Lageplan Köln Chorweiler
A: Lyoner Passage / B: Pariser Platz / C: Liverpooler Platz

Mittlerweile sind die Ideen der Chorweiler Bürger realisiert. Der große multifunktionale Liverpooler Platz, der zentrale urbane Pariser Platz und die angrenzende Lyoner Passage haben ein neues Gesicht. Auch wenn die Umgestaltungen wenig spektakulär wirken, war der Eingriff groß. Insgesamt sind 150 neue Bäume gepflanzt worden, 1.200 Quadratmeter neue Spiel- und Sportflächen entstanden, 450 Meter Sitzbänke und Sitzstufen sowie 130 Fahrradstellplätze gebaut worden.

Liverpooler Platz: multifunktionaler Stadtplatz

Der große Liverpooler Platz hat sich von einem überdimensionierten Parkplatz im Zentrum von Chorweiler zu einem multifunktionalen Stadtplatz gewandelt. Seine außergewöhnliche Größe und Weite macht ihn zu einem idealen Ort für Veranstaltungen und Märkte. Aber da selbst die nicht den gesamten Raum benötigen, haben die Landschaftsarchitekten vom Büro lad+ ihn in einen zentralen Bereich in der Mitte und eine Randzone unterteilt. Der mittlere Platzbereich ist einfach, dunkel asphaltiert und wochentags zum Parken geeignet. Die rötlich gepflasterte Randzone hingegen ist mit Baumpaketen bepflanzt, mit Bänken, Sitzgelegenheiten und Sportangeboten ausgestattet.

Hier können zwar auch Karussell und Weihnachtsmarktbude noch stehen, aber im Alltag gähnt keine leere Vorhaltefläche. Eine niedrige weiße Mauer trennt die beiden Bereiche voneinander und lädt zum Sitzen oder Skaten ein. Davon zeugen die dunklen Spuren an ihren Kanten. Weil beim Skaten Zuschauer nicht fehlen dürfen, ist sogar eine Tribüne entstanden. Sie flankiert das Eingangsgebäude zur U-Bahn und lässt die Zuschauer von dort über den Liverpooler Platz blicken – egal ob auf Skater oder Events.

Pariser Platz: Konkurrenz für die Shoppingmall

Der kleinere, von öffentlichen Gebäuden umgebene Pariser Platz ist das kommunikative Zentrum von Chorweiler. Er grenzt an das Foyer des Rathauses, ist Entree für das Gemeindezentrum und auch Vorbereich des City-Centers. Lange war diese Shoppingmall – almost american style – der beliebteste öffentliche Raum von Chorweiler. Nun macht der neu gestaltete Pariser Platz mit seinem Wasserspiel, Schatten spendenden Bäumen und verschiedenen Sitzgelegenheiten und Tischen dem kommerziellen Raum Konkurrenz. Da der Pariser Platz die neue gute Stube von Chorweiler ist, ist seine Fläche mit rotem Klinker gepflastert. Wie ein Teppich im Wohnzimmer markiert und fasst der Klinker den zentralen Platzbereich.

Lyoner Passage: Sport und Spiel

Wer diese „gute Stube“ nach Norden verlässt, gelangt durch die Lyoner Passage. Auch diese ist von Weite und Größe geprägt, sodass die Bezeichnung Passage eher irritiert. Um diesem Freiraum Passagen-Charakter zu verleihen, ist ihre Ostseite durch Sitzstufen ergänzt und begrenzt worden. Die westliche Seite lebt von einer neuen Boulderwand mit vorgelagerter Spielfläche. Die auffallend farbig gestaltete Kletterwand belebt die fensterlose Rückseite des City-Centers. Sie bietet gleichzeitig die vielfach von den Bürgern gewünschte Möglichkeit für Sport und Spiel, die zudem östlich des Liverpooler Platzes geschaffen wurde, wo ein breiter Streifen Freiraum in einen umzäunten Bolzplatz und einen Calisthenics-Parcours umgewandelt worden.

Zur Aneignung aufgefordert

Die Eröffnung und Übergabe der neu gestalteten Räume musste coronabedingt mit wenig Aktion und wenig Menschen stattfinden. Das ist schade. Damit fehlt der symbolische Abschluss des gemeinsamen Planungsprozesses. Nun bleibt den Menschen in Chorweiler die eigenständige Aneignung. Vor allem bleibt aber auch die Hoffnung, dass das Beispiel Schule macht und davon zeugt, dass Großartiges auch durch die Zusammenarbeit vieler entstehen kann. In Chorweiler warten noch etliche weitere Freiräume auf eine Aufwertung. Darin liegt eine große Chance für den Stadtteil. Vielleicht sehen dann auch die Eigentümer der großen Wohnblöcke, dass sich Instandsetzung lohnt, und folgen dem Vorbild Freiraum.

Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Groß.

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