Steine und Platten aus Pilzmyzel stehen an der Schwelle zur Serienproduktion. Foto: Carlina Teteris (Klicken für mehr Bilder)
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Von Leonhard Fromm
Nach dem Bauen mit Holz, Lehm oder Stroh rücken zunehmend Pilze als Baumaterial in den Blick . Aktuell stehen die Pilze, eine Spezies zwischen Fauna und Flora, an der Schwelle zwischen Forschung und Einsatz in der Praxis. Dirk Hebel, Professor für nachhaltiges Bauen am KIT in Karlsruhe, forscht und experimentiert seit 2014 mit dem nachwachsenden und kompostierbaren Baustoff, der gleichermaßen CO2 bindet, wie er in der Herstellung kaum CO2 emittiert.
Einfache Herstellung von Pilzbaustoffen
Dabei ist die Produktion, etwa von Quadern, die Mauersteinen sehr ähnlich sind, aus Pilzen, dem sogenannten Myzel, recht einfach. Myzel bezeichnet die Wurzelstrukturen der Pilze im Boden oder in altem Holz, die den weichen Pilz an der Oberfläche befeuchten und mit Nährstoffen versorgen. Pflanzliche Grundstoffe wie Hanf, Bambus oder Späne werden deshalb zusammen mit einem sterilisierten Substrat in handliche Plastiktüten gefüllt.
Anzucht des Myzels in der Plastiktüte
Dazu kommt ein weißer, abgestorbener Pilz, etwa die Schmetterlings-Tramete (Trametes versicolor), die von abgestorbenen Baumstümpfen bekannt sind. Diese Pilze werden aber nicht von Bäumen geerntet, sondern in einer Petrischale im Labor gezüchtet.
Der Pilz wird zerkleinert, in die leicht feuchte Mischung der Plastiktüte dazugegeben und diese bis auf einen schmalen Schlitz verschlossen. Innerhalb weniger Wochen wächst das Myzel, das als weiße Fäden sichtbar ist. Der Pilz ernährt sich von der Glucose des organischen Grundmaterials, zieht sich durch den gesamten Beutel und verwebt sich mit den Grundstoffen wie ein Kleber.
Im Ofen wird der Pilz zum Stein
Diese Verwebungen werden so stark, dass daraus feste Steine und Platten hergestellt werden können. Dazu wird das Myzel aus der Tüte in eine „Backform“ umgesetzt. Hat es die Form komplett ausgefüllt, wird es im Ofen erhitzt, damit das Wachstum aufhört und der Pilz stirbt. Dirk Hebel: „Was bleibt, sind Strukturen, die an Knochenmasse erinnern.“
Experimentelles Bauen mit Pilzen
Auf der Biennale of Architecture and Urbanism in Seoul setzten Dirk Hebels Studierende zusammen mit der Block Research Group der ETH Zürich schon 2017 eine tragende Konstruktion aus dem Pilzmaterial um. Der sogenannte Myco-Tree veranschaulicht, dass biologisch abbaubare Materialien die gleichfalls boomende Leichtbautechnik unterstützen.
In Kombination mit dem schnellwachsenden Bambus zeigte Dirk Hebels Team dort, dass ressourcenintensive Verbundstoffe wie Beton mit ihrer CO2-intensiven Herstellung, Logistik und Demontage nicht mehr zeitgemäß sind. Und wenn, dann nur noch in der recycelten Variante als dezentral hergestellter R-Beton, der aus Altgebäuden gewonnen wurde.
Normen und Standards für das Bauen mit Pilzen
Bei seiner Arbeit setzt Dirk Hebel auf die Grundlagenforschung der Mikrobiologin Vera Meyer, Professorin an der TU Berlin. An den beiden kommt bislang noch kaum vorbei, wer sich mit Pilzen als Baustoff befasst.
Doch auch an anderen Hochschulen wird aktuell an Pilzen in Verbindung mit Lehm, Stroh oder Schilf geforscht, um deren Festigkeit und Traglast zu erhöhen. Das Ziel: bessere Ergebnisse in der Statik erzielen und letztlich Normen und Standards setzen, damit pilz-basierte Bauten genehmigungsfähig werden.
Ein Prozess, den zuletzt der Lehm durchlief und der aktuell beim lasttragenden Strohballenbau stattfindet, wie die jüngsten Strohballen-Fachtage Mitte September in Weimar an der Bauhaus-Universität belegten.
Nachhaltiges Bauen mit Pilzen
Dirk Hebel und Vera Meyer ist wichtig, die Baubranche als Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Gebäude sollen in Zukunft so konstruiert werden, dass sie demontier-, recycel- und kompostierbar sind.
Der Pilz mit seinen sechs Millionen Arten (von denen erst 120.000 erforscht sind), lässt sich einfach züchten, benötigt keine landwirtschaftliche Fläche und erzeugt keinen Müll. Einzig Produktions- und Lagerhallen für die Pilztüten und die Endprodukte sind erforderlich, sowie Energie für die Erhitzung.
Fliesen, Mauersteine und Zwischenwände aus Pilzmyzel
Die pilz-basierten Quader und Platten werden bislang noch manufakturartig und projektbezogen hergestellt. Mit zunehmender Bekanntheit – vor allem auch bei den Baubehörden – könnten sie in eine serielle Produktion übergehen und dann beispielsweise auch im Baumarkt als Fliesen oder Mauersteine zu kaufen sein.
Da mit den bisher entwickelten Verfahren für pilzbasierte Baumaterialien noch keine tragenden Bauteile möglich sind, könnten vorerst Zwischenwände aus Pilzkompositen erste Serienprodukte sein.
Bauen mit Pilzen jetzt ausprobieren
Doch schon jetzt sind umweltbewusste Architekten als Multiplikatoren gefragt, die mit dem neuartigen Baustoff Erfahrung sammeln. Belastungstests (zum Beispiel mit einer Bowlingkugel in der ZDF-Mediathek oder hier unten im Video nachzusehen) haben zudem ergeben, dass die „Pilz-Backsteine“ mächtigere Stöße aushalten als mineralische Quader. Das dürfte an der organischen Knochenstruktur liegen und belegt die Überlegenheit der Bionik.
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Erste Produkte aus Pilzwerkstoffen auf dem Markt
Wenngleich noch nicht im Kerngeschäft des Hochbaus, sind Pilzbaustoffe schon auf dem Markt angekommen. Es gibt Wandpaneele, Tische, Stühle und Lampenschirme aus dem organischen Stoff.
Auch an einem Kleber aus Myzel wird geforscht. Er könnte Holzwerkstoffe umweltfreundlich verbinden und die synthetischen Harze ersetzen, die gängige MDF-Platten nach der Demontage zu Sondermüll machen.
2030 das erste Haus aus Pilzbaustoffen
Vera Meyer, die an der TU-Berlin ein 40-köpfiges Team leitet, will vor allem mit dem ergiebigen Ständerpilz erdölbasierte Prozesse in eine biotechnologische Kreislaufwirtschaft überführen. Das gelte vor allem für die energieintensive Baubranche: Für 2030 plant sie ihr erstes Haus komplett aus Pilzen. Pilzmyzel soll als Basisressource der Verbundwerkstoff für Gebäude und Möbel werden, so ihr Anspruch.
Pilzbaustoffe sind wasserabweisend
Weltweit erlebt die Pilzbiotechnologie aktuell einen Aufschwung: Firmen gründen sich, Kapital wird bereitgestellt und neue Anwendungsfelder von der Verpackung bis zur Medizintechnik kommen hinzu. Für den Bausektor ist dabei günstig, dass die Pilze wasserabweisend sind. Warum das so ist, wird derzeit ebenso erforscht, wie die Effizienzsteigerung bei Verfügbarkeit oder serieller Produktion.
Leonhard Fromm ist freier Journalist in Schorndorf, Baden-Württemberg
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