Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Selbstständig oder angestellt?“ im Deutschen Architektenblatt 09.2025 erschienen.
Ein und dieselbe berufliche Tätigkeit kann je nach vertraglichen und tatsächlichen Verhältnissen als abhängige Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit ausgeübt werden. Es kommt auf den Einzelfall an. Darauf wies das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 10. Oktober 2024 hin (Az.: L 9 BA 22/22).
Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob die Deutsche Rentenversicherung (Beklagte) die Tätigkeit eines Architekten (Beigeladener) bei seinen Aufträgen für ein Architekturbüro (Klägerin) zu Recht als abhängige Beschäftigung eingestuft hatte.
Indizien für Angestelltenverhältnis: stark ins Büro eingebunden
Der Architekt war zwischen 2014 und 2018 im Umfang von 15,5 bis 170,5 Stunden pro Monat für ein Architekturbüro tätig. Während dieser Zeit betrieb er keine eigene Website und trat auch nicht anderweitig werbend am Markt auf. Er hatte unbeschränkten Zugang zu den Räumlichkeiten und den Materialien des Büros, wurde auf der Büro-Website und auf den zur Verfügung gestellten Visitenkarten als Mitarbeiter des Büros bezeichnet und verwendete für die interne Kommunikation eine E-Mail-Adresse des Büros. Der Architekt erstellte Entwurfs-, Genehmigungs- und Ausführungsplanungen, die den Stempel des Architekturbüros trugen, und stand im Austausch mit Fachplanern.
Indizien für Selbstständigkeit: Einzelaufträge und zeitlich flexibel
Seine erbrachten Leistungen stellte er dem Architekturbüro mit 21 bis 25 Euro pro Stunde zuzüglich Mehrwertsteuer in Rechnung. Der so beschäftigte Mitarbeiter wurde aufgrund mündlicher Einzelanweisungen tätig. Schriftliche Verträge oder Auftragsbeschreibungen gab es nicht. Ihm stand es frei, Aufträge anzunehmen oder abzulehnen – was er auch tat. Zudem war er bezüglich der Durchführung der ihm übertragenen Aufträge zeitlich flexibel und durfte diese auch ohne Absprache, zum Beispiel wegen Urlaub, unterbrechen. Er war Mitglied eines Versorgungswerks; die Beiträge hierfür führte er selbst ab.
Freier Mitarbeiter lässt Rentenversicherung prüfen
Nach Beendigung der Zusammenarbeit beantragte er 2018 bei der Deutschen Rentenversicherung, festzustellen, dass er seine Tätigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses als Arbeitnehmer ausgeübt habe. Dies bestätigte die Deutsche Rentenversicherung in einem sogenannten Statusfeststellungsverfahren und verlangte vom Arbeitgeber, rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Das Architekturbüro klagte hiergegen.
Gericht sieht Sozialversicherungspflicht
Das Gericht schloss sich jedoch der Feststellung der Deutschen Rentenversicherung an. In seiner Begründung stellte es fest: Bei Vertragsgestaltungen, bei denen – wie hier – die Übernahme einzelner Dienste individuell vereinbart wird und kein Dauerschuldverhältnis mit Leistungen auf Abruf vorliegt, ist für die Frage der Versicherungspflicht allein auf die Verhältnisse abzustellen, die während der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge bestehen. Und die tatsächlichen Verhältnisse, die während der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge bestanden, sprachen nach Auffassung des Gerichts in diesem Einzelfall für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses.
Abgrenzungsmerkmale: freier Mitarbeiter oder angestellt?
Beschäftigung ist die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmer ist persönlich abhängig vom Arbeitgeber. Er ist in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert und übt seine Tätigkeit hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung nach den Weisungen des Arbeitgebers aus.
Demgegenüber zeichnet sich eine selbstständige Tätigkeit vor allem durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte und die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft (Tätigkeit und Zeit) aus.
Ob jemand angestellt tätig oder selbstständig ist, ergibt sich aus der Gesamtschau und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen und die Arbeitsleistung prägen. Das möglicherweise von den Parteien Gewollte und gegebenenfalls auch vertraglich Vereinbarte spielt zum Schutz der Sozialversicherung als Teil des Pflichtversicherungssystems nur eine untergeordnete Rolle.
Das Urteil: kein freier Mitarbeiter, sondern abhängig beschäftigt
Eingliederung in das Büro
Der Architekt war überwiegend im Büro tätig und nutzte die Büroausstattung. Regelmäßigkeit und Umfang der Tätigkeit sprachen für eine abhängige Beschäftigung. Seine Aufgaben unterschieden sich nicht von denen der angestellten Mitarbeiter. Er schuldete kein vollständiges Werk, sondern arbeitete arbeitsteilig mit den angestellten Mitarbeitern zusammen, die auch unerledigte Aufgaben von ihm übernahmen. Er verfügte über keine außergewöhnliche Expertise oder Spezialisierung. Für Dritte war nicht erkennbar, dass der Architekt selbstständig war. Er wurde auf der Website als Mitarbeiter geführt, nutzte Visitenkarten des Büros und erhielt eine bürointerne E-Mail-Adresse.
Persönliche Abhängigkeit und fehlendes Unternehmerrisiko
Der Architekt führte die Aufgaben stets persönlich aus – ohne Mitarbeiter. Er setzte kein nennenswertes eigenes Kapital ein und übernahm keine besonderen unternehmenstypischen Haftungsrisiken. Das Fehlen einer Urlaubsvergütung und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sei nicht entscheidend, da diese Leistungen bei Verträgen über eine selbstständige Tätigkeit immer ausgeschlossen würden. Auch der Umstand, dass der Architekt die Kosten für die soziale Absicherung im Versorgungswerk selbst trug, führe nicht zur Annahme eines Unternehmerrisikos.
Was bedeutet das Urteil?
Das Urteil verdeutlicht, dass die sozialversicherungsrechtliche Einordnung von der tatsächlichen Ausgestaltung der Tätigkeit abhängt – nicht allein vom Vertrag. Für Architekten bedeutet das: Genau hinschauen, wie die Zusammenarbeit gestaltet ist, und bei Unsicherheiten frühzeitig Klarheit schaffen. Die vom Landessozialgericht Berlin-Brandenburg genannten Kriterien sollten beachtet werden. Denn eine falsche Einstufung kann im Nachhinein teuer werden, wenn die Deutsche Rentenversicherung eine Beschäftigung feststellt und für bis zu vier Jahre rückwirkend Beiträge nachfordert.
Um Unsicherheiten zu vermeiden, sollte bei Zweifeln frühzeitig eine Statusfeststellung bei der Deutschen Rentenversicherung beantragt werden. So können Sie im Vorfeld klären, wie die entsprechende Tätigkeit eingestuft wird, und unangenehme Überraschungen, zum Beispiel im Rahmen einer Betriebsprüfung, vermeiden.
Rahmenvertrag für freie Mitarbeit
Die Architektenkammern bieten Ihren Mitgliedern zum Download oder auf Anfrage eine Orientierungshilfe für einem Rahmenvertrag zur freien Mitarbeit an.
Eva-Maria Linz ist Syndikusrechtsanwältin und Rechtsreferentin bei der Hamburgischen Architektenkammer
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