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[ BGH-Urteil ]

Mängel vor Abnahme: Besteht Kündigungsrecht?

Der BGH schränkt das mängelbezogene Kündigungsrecht des Auftraggebers vor Abnahme stark ein. Welche Konsequenzen hat diese neue Rechtsprechung?

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Was tun bei Mängeln vor Abnahme?“ im Deutschen Architektenblatt 04.2024 erschienen.

Von Frederik Ulbrich

Zu Beginn vergangenen Jahres hat der für Bau- und Architektenrecht zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) ein wegweisendes Urteil für die Baupraxis erlassen (19. Januar 2023, Az.: VII ZR 34/20). Das Gericht entschied, dass ein Auftraggeber vor der Abnahme allein wegen eines nicht beseitigten Mangels kein außerordentliches Kündigungsrecht (nach § 4 Abs. 7 S. 3 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 Nr. 1 Var. 1 VOB/B) hat, wenn es Teil der allgemeinen Geschäftsbedingungen ist. Damit wird der Handlungsspielraum des Auftraggebers bei einem Mangel, der vor Abnahme auftritt, deutlich verengt.

Schnittmenge mit Architektenpflichten

Die Entscheidung, die primär die Rechte des Auftraggebers betrifft, schlägt auch auf den Pflichtenkreis des Architekten durch. In Leistungsphase 8 schuldet der Architekt eine Leistung, die bereits das Entstehen eines Mangels im (finalen) Bauwerk verhindert. Wie also vorgehen, wenn präventive Maßnahmen nicht greifen und ein Mangel vor Abnahme bereits entstanden ist?

Die initialen Schritte sind klar: Mangel, Ursache und Auswirkung sind zu dokumentieren. Darüber hinaus wird der Architekt gehalten sein, seinen Auftraggeber über geeignete Schritte, zum Beispiel Mängelrügen oder gar die außerordentliche (Teil-)Kündigung des Auftragnehmers bis hin zur Grenze der unzulässigen Rechtsberatung (Übersicht in einem weiteren Beitrag), aufzuklären. Um dem Auftraggeber in dieser Konstellation mit den richtigen Lösungsansätzen behilflich sein zu können, ist die Kenntnis der aktuellen Rechtslage unumgänglich.

Der Fall vor dem BGH: Mängel vor Abnahme

Der Auftragnehmer verpflichtet sich zur Ausführung von Straßen- und Tiefbauleistungen zu einem Auftragswert von circa drei Millionen Euro. Der Bauvertrag ist vom Auftraggeber gestellt und bezieht die VOB/B – in Teilen modifiziert – in diesen ein. Nach Ausführungsbeginn, allerdings vor Abnahme der Bauleistung, wird ein Mangel mit einem Schadenswert von 6.000 Euro identifiziert.

Der Auftragnehmer wird aufgefordert, den vertragswidrigen Zustand gemäß § 4 Abs. 7 S. 1 VOB/B zu beseitigen. Trotz Nachfristsetzung und Kündigungsandrohung nach § 4 Abs. 3 VOB/B wird der vertragskonforme Zustand nicht hergestellt. Daraufhin kündigt der Auftraggeber den gesamten Bauvertrag außerordentlich gemäß § 4 Abs. 7 S. 3 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 Nr. 1 Var. 1 VOB/B. Der Auftragnehmer greift die Kündigung vor Gericht an und durchschreitet die Instanzen bis hin zum BGH.

Hohe Hürden der AGB-Prüfung

Die Revisionsinstanz prüft, ob die vertragliche Regelung mit dem AGB-Recht in Einklang zu bringen ist. Dabei ist die Kernfrage, ob das mangelbezogene außerordentliche Kündigungsrecht den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt.

Eine unangemessene Benachteiligung liegt vor, wenn die Klausel mit dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Kündigungsregelung nach dem BGB nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB). Es findet also eine Gegenüberstellung der vertraglichen und der dieser zugrunde liegenden gesetzlichen Regelung statt.

Eine Inhaltskontrolle ist hier zwingend geboten, da der Auftraggeber die VOB/B in dem von ihm gestellten Vertragstext in einzelnen Passagen modifiziert hat und damit nicht „als Ganzes“ (wie beispielsweise bei öffentlichen Auftraggebern) in den Bauvertrag einbezogen hat.

Bei Einbeziehung der VOB/B ohne Modifikation hätte der BGH die Inhaltskontrolle nicht eröffnet, da in diesem Fall die gesetzliche Privilegierung der VOB/B in § 310 Abs. 1 BGB greift. Die Regelung aus § 4 Abs. 7 S. 3 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 Nr. 1 Var. 1 VOB/B wäre dann uneingeschränkt anwendbar.

Vertragszweck gefährdendes Verhalten?

Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass § 4 Abs. 7 S. 3 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 Nr. 1 Var. 1 VOB/B dem gesetzlichen Leitbild des im BGB verankerten außerordentlichen Kündigungsrechts für Bauverträge (seit 2018 in § 648 a BGB) widerspricht. Die VOB/B-Klausel ist so zu interpretieren, dass dem Auftraggeber das Kündigungsrecht bereits bei geringfügigen und völlig unbedeutenden Mängeln zur Verfügung steht.

Die außerordentliche Kündigung des Bauvertrags nach BGB ist jedoch aufgrund der damit verbundenen Rechtsfolgen nur dann gerechtfertigt, wenn der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage derart erschüttert hat, dass dem Auftraggeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortführung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann.

Keine außerordentliche Kündigung bei geringfügigen Mängeln

Die vorgenannte Einzelfallabwägung der beiderseitigen Interessen findet bei einer auf § 4 Abs. 7 S. 3 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 Nr. 1 Var. 1 VOB/B gegründeten außerordentlichen Kündigung nicht statt. Ausreichend für die Vertragsauflösung nach diesen Klauseln ist der geringfügigste Mangel, was die Interessen des Auftragnehmers in unzulässiger Weise unberücksichtigt lässt.

Von einer Vertragszweckgefährdung kann bei kleineren Mängeln vor Abnahme grundsätzlich nicht ausgegangen werden. Da die Klausel keinerlei Differenzierung vornimmt, insbesondere Folgen und Umstände der mangelhaften Bauleistung völlig ausklammert, benachteiligt sie den Auftragnehmer unangemessen. Klausel und Kündigung sind unwirksam.

Grundsatz: Keine Ersatzvornahme vor Abnahme!

Der BGH stärkt mit dieser Entscheidung die Freiheiten des Auftragnehmers im Hinblick auf die Herstellung der geschuldeten Bauleistung bis zur Abnahme. Die hier besprochene Entscheidung steht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die der Ausübung von Mängelrechten vor Abnahme in BGB-basierten Bauverträgen grundsätzlich eine Absage erteilt hat (BGH, Urteil vom 19. Januar 2017, Az.: VII ZR 301/13).

Denkbar wird eine Kündigung wegen eines Mangels nur, wenn zusätzlich zum Mangel noch weitere Umstände hinzutreten, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen, zum Beispiel bei schuldhafter Herbeiführung gefahrenträchtiger Mängel. Wichtig ist, dass vor jeder außerordentlichen Kündigung des Auftraggebers eine sorgfältige Einzelfallprüfung stattfindet. Es bleibt also bei dem Grundsatz, dass eine Ersatzvornahme vor Abnahme unstatthaft ist.

Mängel vor Abnahme: Was ist zu tun?

Aufgrund der strikten Rechtsprechungslinie des BGH wird dem Auftraggeber nur im Ausnahmefall die Möglichkeit zustehen, einen vor Abnahme identifizierten Mangel durch einen Drittunternehmer beseitigen zu lassen. Soll der Bauvertrag mit dem gleichen Auftragnehmer weitergeführt werden, bietet sich für den Auftraggeber die Ausübung seines Leistungsverweigerungsrechts an.

Ist die Kenntnis vom Mangel gesichert, sind im nächsten Schritt die Mangelbeseitigungskosten zu bewerten und ein Einbehalt nebst Druckzuschlag, in Summe also das Doppelte der für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten, von der nächsten Abschlagszahlung vorzunehmen.

Mängel vor Abnahme: Keine ungeprüfte Ersatzvornahme

Der Druckzuschlag, der nach § 632 a Abs. 1 S. 4 in Verbindung mit § 641 Abs. 3 BGB auch bei Abschlagszahlungen anwendbar ist, dient dem Interesse des Auftraggebers an einer möglichst zügigen Mängelbeseitigung. Der Auftragnehmer kann seinen Anspruch auf volle Vergütung nur dann durchsetzen, wenn die vertragswidrige Leistung behoben ist.

Je höher der einbehaltene Betrag, desto besser stehen die Chancen, dass der Auftragnehmer auf die Mangelanzeige des Auftraggebers reagiert. Wird keine Abhilfe geschaffen und ist der Mangel für das weitere Bauvorhaben beispielsweise aus Gründen der Statik kritisch, sollte Rechtsrat über die Möglichkeiten einer (Teil-)Kündigung aus wichtigem Grund eingeholt werden. Von einer ungeprüften Ersatzvornahme oder gar (Teil-)Kündigung kann nur abgeraten werden.

Anwendungsbereich der VOB/B bei Verbrauchern

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die VOB/B bei Verwendung durch den Auftragnehmer in Verträgen mit Verbrauchern (Beispiel: Ein privater Bauherr baut ein Einfamilienhaus zur Eigennutzung) selbst dann AGB-rechtlich überprüft wird, wenn diese insgesamt, das heißt ohne Abweichung, in den Vertrag einbezogen wird.

Die Stellung der VOB/B bei Verträgen mit Verbrauchern durch den Auftragnehmer verschlechtert allein die Position des Auftragnehmers, denn die meisten den Auftragnehmer begünstigenden Regelungen werden einer AGB-rechtlichen Prüfung nicht standhalten. Hingegen bleiben die aus der VOB/B den Auftraggeber begünstigenden Regelungen bestehen, da sich derjenige, der die AGB gestellt hat, nicht auf die Unwirksamkeit der eigenen Klausel berufen kann. Bei Verträgen mit Verbrauchern sollte daher auf BGB-basierte Bauverträge zurückgegriffen werden.

Frederik Ulbrich ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte in Hamburg

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