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[ Vertragsmodell ]

Was ist eine Integrierte Projektabwicklung mit Mehrparteienvertrag?

Mehr Kooperation statt Blame-Game – das ­verspricht die innovative Vertragsgestaltung einer Integrierten Projektabwicklung mit Mehrparteienvertrag. Teil 1 stellt die neuen Überlegungen vor

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Was ist eine IPA mit Mehrparteienvertrag?“ im Deutschen Architektenblatt 03.2023 erschienen.

Von Heiko Fuchs

Als Reaktion auf Kosten- und Terminüberschreitungen sowie Qualitätsdefizite, auf zu viel Konfrontation und auf den daraus resultierenden Frust aller Projektbeteiligten wird seit einigen Jahren bei großen Bauprojekten ein neuartiges Vertragsmodell diskutiert und in ersten Pilotprojekten umgesetzt: die Integrierte Projektabwicklung (IPA) mit Mehrparteienverträgen. Doch wie funktioniert sie genau?

1. Ein Vertrag für alle Projektbeteiligten

Kennzeichnend für die Integrierte Projektabwicklung ist die Unterzeichnung einer Vertragsurkunde durch alle Vertragspartner zu Beginn des Projekts, des sogenannten Mehrparteienvertrags. Während der Bauherr bei der konventionellen Abwicklung Einzelverträge mit den Planern und Ausführenden schließt, soll so sichergestellt werden, dass sich alle Vertragspartner auf dieselben Projektziele einschwören und dass die Ausführenden ihre besondere Kompetenz in Bauverfahren und -logistik bereits frühzeitig in die Planung einfließen lassen.

Das Projekt beginnt in der Regel mit einer Validierungsphase, in der die Projektziele des Bauherrn überprüft und die sogenannten Basiszielkosten aufgestellt werden. Danach ist meist eine Exit-Möglichkeit des Bauherrn vorgesehen, sollten sich seine Ziele als nicht zu verwirklichen erweisen.

2. Auswahl nach Eignung, nicht nach Preis

Bei Mehrparteienverträgen sollen Planer und Ausführende gemeinsam mit dem Auftraggeber zu einem Zeitpunkt vertraglich gebunden werden, in dem das Bauprojekt allein durch eine Bedarfsermittlung und vielleicht erste Vorplanungen definiert ist. Deswegen kann die Auswahl der Planer und Ausführenden weniger nach dem Preis als eher nach der Eignung für das Projekt erfolgen. Gewertet werden dabei neben der fachlichen Qualifikation des Schlüsselpersonals insbesondere dessen IPA-spezifische Fähigkeiten: Kommunikationsfähigkeit, Motivation und Zielorientierung, Führungsqualitäten, Problem- und Konfliktlösungskompetenz, Verbesserungsbereitschaft und Lernfähigkeit sowie Teamdynamik und Teamfähigkeit.

An Preisbestandteilen werden nur die Zuschlagssätze für allgemeine Geschäftskosten oder das betriebswirtschaftliche Äquivalent dazu in Planungsbüros („Overhead“) sowie für Wagnis und Gewinn gewertet, die im Projekt auf die anfallenden Selbstkosten bezogen werden.

3. Leistungen und Pflichten klar abgrenzbar

Die meisten IPA-Modelle sehen klare Schnittstellen zwischen den Leistungspflichten der Unternehmer (hierzu zählen auch die Planer) vor. So verpflichtet sich beispielsweise der Architekt nur zu den für die Projektziele erforderlichen Planungs- und Überwachungsleistungen seines Leistungsbilds und der Ausführende nur zur Mitwirkung an der Planung und deren baulicher Umsetzung. Zudem übernehmen die Planer und Ausführenden wechselseitige Pflichten.

So versprechen sie die Bereitstellung von Personalkapazitäten im Regelfall nicht nur dem Auftraggeber, sondern auch den übrigen Unternehmern, die ihren eigenen Personaleinsatz entsprechend disponieren. Sie verpflichten sich zur Kooperation, Transparenz und Treue hinsichtlich der Projektziele. Häufig wird auch eine Pflicht begründet, die Gewinnerwartung der anderen nicht zu gefährden.

4. Unbegrenzte Selbstkostenerstattung statt HOAI

Die Vergütungsmodelle sehen vor, dass den Planern und den Ausführenden die von ihnen aufgewandten Selbstkosten (ähnlich den „tatsächlich erforderlichen Kosten“ nach neuem Bauvertragsrecht) erstattet werden. Bei einem Planungsbüro werden dies im Regelfall die anteiligen Gehaltskosten der für das Projekt eingesetzten Mitarbeiter sein. Je nach vertraglicher Gestaltung gehören zu den Selbstkosten auch allgemeine Geschäftskosten beziehungsweise der „Overhead“. Wagnis und Gewinn werden demgegenüber ins Risiko gestellt (in einigen Modellen auch anteilig die allgemeinen Geschäftskosten).

Das bedeutet, dass diese Vergütungsbestandteile nur dann ausgezahlt werden, wenn und soweit die zu erstattenden Selbstkosten aller Planer und ausführenden Unternehmer die Summe der gemeinsam in der Validierungsphase geplanten Selbstkosten (diese werden oftmals als „Basiszielkosten“ bezeichnet) und das gemeinsam gebildete Risikobudget nicht überschreiten. Anderenfalls büßen alle einen entsprechenden Teil ihrer ins Risiko gestellten Vergütungsbestandteile ein, unabhängig davon, auf welcher Ursache die Kostenüberschreitung beruht.

Durch diese Systematik soll ein Anreiz dafür gesetzt werden, dass alle Beteiligten ihre Selbstkosten so gering wie möglich halten und darauf achten, dass die anderen dieses Ziel ebenfalls verfolgen. Dabei gelten im Ausgangspunkt alle Selbstkosten als erstattungsfähig, also auch Kosten, die auf unproduktiver Vorhaltung von Personal- oder Gerätekapazitäten oder auf eigenen Schlechtleistungen beruhen. Letzteres ist allgemein für die Kosten der Beseitigung von Planungsfehlern in den Plänen, aber auch im Bauwerk anerkannt. Eine Begrenzung nach oben besteht nicht, sodass die Unternehmer im Regelfall jedenfalls nicht mit Verlust aus dem Projekt gehen werden.

5. Risikobudget und Boni

Lange laufende Bauprojekte weisen typische Risiken auf, für die der Bauherr bei der Budgetbildung üblicherweise Risikobudgets anlegt. Um zu einer fairen Risikoverteilung bei der Integrierten Projektabwicklung zu gelangen, wird das projektspezifische Risikobudget von den Vertragsparteien in der frühen Phase der Zusammenarbeit anhand der Eintrittswahrscheinlichkeit und der Risikokosten gemeinsam gebildet. Soweit der Bauherr einzelne Risiken nicht vollständig übernimmt, wird das Risikobudget bei der Bildung der Basiszielkosten auf die geplanten Selbstkosten aufgeschlagen, um die geplanten Gewinne der Unternehmer nicht zu gefährden, falls sich die berücksichtigten, aber auch nicht erkannte Risiken realisieren.

Auf diese Weise wird ein Anreiz gesetzt, den Eintritt von Risiken zu vermeiden oder, soweit dies nicht möglich ist, zumindest die Kostenfolgen zu minimieren, sei es bei den eigenen, aber auch bei den Selbstkosten der anderen Unternehmer. Wird das Risikobudget nicht ausgeschöpft, oder sind die tatsächlich erstatteten Selbstkosten sogar geringer als geplant, wird die Differenz zwischen den geplanten Selbstkosten zuzüglich des Risikobudgets zu den tatsächlichen Selbstkosten als Bonus anteilig auf alle Mehrvertragsparteien verteilt.

6. Kein „Blame-Game“ dank ­Haftungsausschluss

Ein wichtiger Anreiz aller IPA-Modelle ist die Vermeidung des „Blame-Games“, also der Verhaltensweise in Bauprojekten, eigene Fehler zu verheimlichen und andere Projektbeteiligte hierfür verantwortlich zu machen. Der Schaffung einer positiven Fehlerkultur, bei der die gemeinsame Reduzierung der Fehlerfolgen Priorität hat, dient nicht nur das zuvor beschriebene Vergütungsmodell, sondern auch die Vereinbarung eines möglichst weitgehenden Haftungsausschlusses der IPA-Partner untereinander.

Die Offenbarung eigener Schlechtleistungen soll nicht durch drohende Haftung bestraft werden. Stattdessen sollen Entscheidungen im Sinne des Projekts („best for project“) und nicht der eigenen Haftungsvermeidung getroffen werden. Dabei stellt der Bauherr eine Multi-Risk-Projektversicherung, um für etwaige Schäden nur einen Ansprechpartner zu haben.

7. Wer entscheidet was?

Entscheidungen, die für die Abwicklung des Bauprojekts erforderlich sind, werden in dafür gebildeten Gremien getroffen, in denen jede Partei vertreten ist. In dem hierfür zunächst berufenen, oftmals „Projektmanagement-Team“ oder PMT genannten Gremium ist Einstimmigkeit vorgesehen. Gelingt eine Einigung im PMT nicht, wird das nächsthöhere projektinterne Gremium angerufen, das mit Vertretern der Geschäftsführungsebene aller Parteien besetzt ist („Senior Management Team“ oder SMT genannt). Die dortigen Mehrheitsverhältnisse werden unterschiedlich ausgestaltet.

Scheitert auch hier eine Einigung oder ist eine Partei mit der Entscheidung unzufrieden, werden projektexterne Streitlösungsmechanismen aktiviert, nicht zuletzt auch die staatliche Gerichtsbarkeit. Begehrt der Bauherr eine Änderung der Projektziele, wird ihm ein einseitiges Anordnungsrecht eingeräumt. Übt er dieses aus, passen sich die geplanten Selbstkosten (Basiszielkosten) und die Ausführungsfristen automatisch an.

8. Lean-Management, BIM & Co.

Die kooperative Projektabwicklung soll meist durch kollaborative Werkzeuge des Projektmanagements unterstützt werden. Für schlankere Prozesse erhalten Lean-Management-Methoden bereits in der Planungsphase, aber auch während der Ausführung eine hohe Bedeutung. Ein transparenter Datenaustausch über BIM ist dabei der Regelfall. Gearbeitet wird hauptsächlich am Ort des Bauvorhabens in einem vom Bauherrn zur Verfügung gestellten Projektbüro, dem sogenannten Big Room.

Regelmäßige Workshops zur Reflexion der Zusammenarbeit und die Unterstützung durch einen IPA-Coach sollen das Zurückfallen in alte Projektrollen vermeiden. Die Kombination dieser Methoden mit den vertraglichen Anreizen zur Zusammenarbeit und zum Aufbau von Vertrauen unter den Partnern soll einen für alle Beteiligten zufriedenstellenden Projekterfolg garantieren.

In Teil 2 dieses Textes werden die Vorteile und Risiken dieser Projektabwicklungsform für Architektinnen und Landschaftsarchitekten dargestellt.

Prof. Dr. Heiko Fuchs ist Rechtsanwalt in Mönchengladbach bei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte

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