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[ Arbeiten im Kollektiv ]

Architektur-Kollektive: DIESE Studio und Kollektiv A

Einzelkämpfer oder Großbüro? In den letzten Jahren beleben junge Architektinnen und Architekten eine Organisationsform wieder, die solch etablierte Strukturen aufbricht: das Kollektiv. Doch wie gestaltet sich das vernetzte Arbeiten ganz praktisch? Zwei Architekturkollektive aus Darmstadt und München stehen Rede und Antwort

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Schwarmintelligenz“ im Deutschen Architektenblatt 03.2020 erschienen.

Von Rosa Grewe

Was ist ein Kollektiv? „Den Begriff definieren wir wöchentlich um“, lachen die Kreativen vom DIESE Studio, die namentlich nicht einzeln stehen möchten, weil ihre Geschichte eine gemeinsame ist. Die fängt mit einem leer stehenden Blumenladen an. Während die Investoren Pläne für das marode Gebäude schmiedeten, schufen Studenten hier einen temporären Ort für Kunst und Kultur. „Das blumen“ im Blumenladen wurde zur Darmstädter Institution und ging ab 2012 an die zweite Generation Studenten über, an jene, die später gemeinsam das DIESE Studio gründeten. Zunehmend erarbeitete die Gruppe auch andere Kulturprojekte und temporäre Raumkonzepte, diesmal für öffentliche Auftraggeber. So rutschten sie nach dem Studium direkt in die Selbstständigkeit. Sie erzählen: „Wir wollten den Vereinsgedanken weitertragen und weiter basisdemokratisch, hierarchielos und interdisziplinär arbeiten, voneinander lernen und uns in verschiedenen Feldern ausprobieren.“ Daher gründeten sie das Kollektiv ­DIESE Studio mit dem für sie notwendigen Raum für freie, experimentelle Ideen. „Das blumen“ gibt es übrigens bis heute – an anderem Ort und in anderen Händen.

Auch das Kollektiv A aus München gründete sich früh nach dem Studium: Auf einem Flohmarkt traf das junge Architektenpaar Benedict Esche und Lena Kwasow-Esche den Unternehmer Wolfgang Nöth. Der beauftragte sie kurz darauf mit dem Bau eines großen Wohngebäudes für Geflüchtete. Für das Architektenpaar war klar: Für diesen Auftrag brauchte es vertraute Mitstreiter. So gründeten sie das „Kollektiv A“, zusammen mit Benedicts Bruder Lionel Esche und mit guten Freunden, Jonas Altmann und später Nils Rostek. Benedict Esche sagt: „Im Kollektiv können wir gleichberechtigt, paritätisch, egalitär, unabhängig und frei arbeiten.“ Das klingt pathetisch, aber passt zu ihrem gesellschaftstheoretischen Anspruch: Sie erarbeiten interdisziplinär und mit verschiedenen Kreativformen Themen wie Migration, Kultur und Nachbarschaft, Dichte, Vielfalt und Raumanspruch. Für ihre Bau- und Kunstprojekte, Ausstellungen, Publikationen und Installationen erhielten sie verschiedene Preise und einen Platz im deutschen Pavillon auf der 15. Architekturbiennale in Venedig.

Entscheidungen treffen

Doch wer verantwortet Entscheidungen in einer Basisdemokratie? In der Baubranche dominiert die lineare Befehlskette von Investor zu Dienstleister zu Subunternehmer. Geld, Aufgaben und Verantwortung fließen von oben nach unten – auch bei Architekturbüros. Ein Kollektiv aber organisiert sich meist in einem oder mehreren Zirkeln mit wechselnden Verantwortlichkeiten. Auch die beiden Architekturkollektive bestimmen Projektleiter für ihre Projekte. „Dabei entstehen natürlich Hierarchien“, sagt DIESE Studio, „aber wir vergeben innerhalb eines Projektteams verschiedene Kompetenzen.“ Die Teammitglieder teilen sich die Entscheidungen nach Fachkompetenz. Ein Projektleiter ist nicht Alleinentscheider, sondern moderiert den Prozess. Das Kollektiv A setzt dagegen innerhalb der Projekte auf eine etwas linearere Struktur. Esche erklärt: „Auf der Baustelle muss ein Projektleiter schnell und selbstständig entscheiden können.“ Dafür erhält jeder Projektleiter mehr Entscheidungsfreiheit und ein eigenes, frei verfügbares Projektbudget. So kann er selbstständig und ortsunabhängig arbeiten und bei Bedarf externe Mitarbeiter beauftragen. Etwa alle zehn Tage treffen sich die fünf Mitglieder im Münchener Besprechungsraum, um sich direkt auszutauschen. Esche erklärt: „Nur das erlaubt uns die lokale Flexibilität.“ Beide Kollektive bilden rechtlich jeweils eine GbR, in der sich alle Mitglieder die Geschäftsführung und damit die Entscheidungskompetenz und Verantwortung untereinander teilen. „Diese Struktur braucht viel Absprache“, sagt DIESE Studio, „aber die Verantwortung zu teilen, ist eine große Erleichterung.“

Zeit für den Konsens

Kollektiv arbeiten ist für beide Gruppen nicht nur eine organisatorische Frage, sondern auch eine des inhaltlichen, interdisziplinären Austausches. In Darmstadt haben die Mitglieder unterschiedliche Kompetenzen, kommen aus dem Handwerk, der Architektur, aus Kunst, Grafik oder Fotografie. Die Münchener suchen vor allem die Kooperation mit Künstlern. Die Mitglieder beider Kollektive präsentieren ihre Projekte regelmäßig in der Gesamtgruppe. Hier gibt es Kritik, Hinweise und Fragen. Bei strategischen und konzeptionellen Entscheidungen setzt das Kollektiv A auf Einstimmigkeit, wie Esche sagt: „Wir diskutieren und suchen so lange, bis wir einen Konsens gefunden haben. Das hat auch schon einmal länger gedauert. Meist aber einigen wir uns schnell.“  Das DIESE Studio trifft dagegen strategische Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip. Aber auch hier werden Entscheidungen lange diskutiert und Lösungen von mehreren Seiten durchdacht. DIESE Studio sagt: „Wir müssen natürlich nach der Effizienz fragen, wenn wir mit sieben Personen ein Projekt besprechen. Aber letztlich hebt es die Qualität.“ Denn alle kritischen Punkte eines Projektes werden im internen Diskurs offensichtlich, bevor das Projekt nach außen geht. Wer im Kollektiv arbeitet, muss kritikfähig sein und, das betonen beide Gruppen, allen Beteiligten auf Augenhöhe begegnen. „Generell erreicht man mehr Qualität durch den kollektiven, partizipativen Prozess, im Büro und auf der Baustelle. Wir müssen raus aus unserer Komfortzone und zum Beispiel dem Handwerker mehr Verantwortung zutrauen, ihn offen einbeziehen in Entscheidungen“, so Esche. Gelingt das, verspricht das kollektive Arbeiten einen erheblichen Qualitäts- und Imagegewinn. DIESE Studio hält fest: „Unser Stil ist, wie wir arbeiten. Das ist unsere Qualität.“

Welchen Wert hat Gemeinsinn?

Das Kollektiv als Marke erleichtert heute beiden Büros den Zugang zu besonderen Aufträgen, wie die Darmstädter berichten: „Wir erleben einen Wandel bei den Institutionen, deren klassische Strukturen bei bestimmten Problemen nicht mehr funktionieren. Sie brauchen eine lebendige Arbeitskultur mit offenen Diskussionen, mit einer Dynamik und Flexibilität, die sie selbst nicht abbilden können.“ Dabei geht es oft nicht um konkrete Bauvorhaben, sondern um offene Frage­stellungen und ungewöhnliche Perspektiven in einem gesellschaftskulturellen Kontext. Das bietet inhaltlich viel Freiheit, hat aber finanziell, vor allem bei öffentlichen Projekten, einen Haken, wie sie berichten: „Am Anfang war es schwierig, das blumen als ehrenamtliche Gruppe in das DIESE Studio zu überführen. Was wir heute machen, ist nicht mehr ehrenamtlich leistbar.“ Auch wenn Gemeinnützigkeit die Arbeit prägt, hat diese einen monetären Wert, den das Kollektiv immer wieder erklären und einfordern musste. Aber für ehrenamtliche Herzensprojekte gründeten sie erneut einen Verein und trennen seither w­irtschaftliche Projekte vom darüber hinausgehenden Ehrenamt.

Was bedeutet „solidarisch“ in der Gruppe?

Bei beiden Kollektiven fängt Solidarität beim Gehalt an: DIESE Studio hat denselben Stundensatz für alle Arbeiten, ob Putzen oder Ausführungsplanung. Darüber hinaus werden die Sozialabgaben der Mitglieder über die Bürokasse gedeckt – das alles unabhängig vom Arbeitsergebnis. Sie sagen: „Es ist okay, wenn jemand nicht so effizient ist, dafür aber Neues lernt und ein indirekter, langfristiger Nutzen für das Büro entsteht.“ Das Kollektiv A hat sich auf ein einheitliches Monatsgehalt für alle Mitglieder geeinigt, unabhängig von der erfassten Arbeitszeit. Esche erklärt: „Das erfordert großes Vertrauen innerhalb der Gruppe, führt aber zu vielen Freiheiten.“ Ob Wohn­haussanierung, Ausstellungen, Lehre oder Vorträge – bei allen Arbeiten haben die Mitglieder eine finanzielle und emotionale Sicherheit, wie er sagt: „Die Gruppe fängt einen auf, steht gemeinsam zu Fehlern und feiert gemeinsam Erfolge. Man ist nicht alleine wenn etwas schiefläuft.“

Und trotzdem kann es zu Unmut führen, wenn zum Beispiel das Gefühl entsteht, mehr zu geben als andere. Deshalb nimmt sich DIESE Studio alle paar Monate Zeit, um über die Bürostruktur und persönliche Aspekte und Gefühle im Team zu reden. Die Mitglieder erzählen: „Wir fahren dann gemeinsam ein paar Tage weg und gehen in Klausur.“ Für die Grundlagen der Zusammenarbeit einigte man sich auf einen Gesellschaftsvertrag, wo Urlaub, Nebenjobs oder Studienzeiten geregelt sind. Für alles andere setzen sie auf eine offene Kommunikation. Dabei hilft, dass die Mitglieder schon seit vielen Jahren zusammenarbeiten und noch länger befreundet sind. Sie sagen: „Wir hätten nicht mit sieben Fremden gründen können.“ Nicht nur über Formales, auch über persönliche Entwicklungen und Charakterzüge wird offen geredet. Es scheint paradox: Wo das Individuum nach außen namenlos im Kollektiv aufgeht und Egos unerwünscht sind, gibt es im Innern eine starke Wertschätzung der individuellen Charaktere und Gefühle. Sie sagen: „Wir ermöglichen uns durch diese Art des Arbeitens mit der Kombination aus verschiedenen Menschen erst den Zugang zu Realisierungsprojekten.“ Das bestätigt Esche: „So können wir nur arbeiten, weil wir unterschiedlich im Charakter sind.“

Lässt sich das Kollektiv erweitern?

Für die Münchener ist eine offene Kommunikation, gerade beim Gehalt, das Wichtigste, um Fairness herzustellen, auch gegenüber externen Mitarbeitern. Esche sagt: „Bei den Kosten entscheidet sich alles. Wenn man da offen und transparent gegenüber allen Mitarbeitern ist, dann ist man damit genauso offen und transparent bei der gesamten Projektplanung.“ Insgesamt führe das zu weniger Diskussionen, auch bei den freien Mitarbeitern, die klassisch auf Stundenbasis und nach Projektbudget bezahlt werden. Esche erklärt: „Wir haben probiert, alle mit dem gleichen Gehalt ins Kollektiv einzubinden, auch Praktikanten oder Aushilfen. Das ist aber in der Praxis schwierig; die Vorstellungen von Gehalt sind sehr unterschiedlich.“ Trotzdem ist für Esche das Kollektiv „die ideale Form, um gleichberechtigt und demokratisch zu wachsen. Es gibt immer wieder Menschen, die dazustoßen oder wieder gehen. Und das ist okay.“ Anders bei den Darmstädtern: „Ein Wachstum geht für uns derzeit nur in Partnerschaften und freien Kooperationen mit Menschen, die wir gut kennen.“ Nicht nur, weil das Miteinander und das Vertrauen im Büro auf Freundschaft fußen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. DIESE Studio möchte das „Hamsterrad aus höheren Fixkosten, größeren Projekten, mehr Mitarbeitern und wiederum höheren Fixkosten“ vermeiden, zumindest zunächst: „Wir sehen später, wie es weitergeht.“

Dass es noch lange gut weitergeht, ist wahrscheinlich. Denn die beiden Kollektive sind mehr als ihr Klischee: Sie bremsen die destruktive Kraft von Selbstzweifeln und sich überschätzenden Egos und setzen dafür auf Schwarmintelligenz und ein vertrauensvolles Miteinander. Das reduziert Fehlzeiten und Fehlerquoten und hebt Kreativität und ­Qualität.

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