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[ Transkript ]

Jürgen Dusel im Interview mit DAB und BAK

DAB-Chefredakteurin Dr. Brigitte Schultz im Interview mit Jürgen Dusel für das Deutsche Architektenblatt und den Podcast der Bundesarchitektenkammer am 22. Oktober 2019.

Eine Kurzfassung des Interviews ist im DAB 12.2019 erschienen und hier nachzulesen. Den Podcast hören Sie hier.

Ansage Podcast

Herzlich Willkommen zur zweiten Staffel des BAK-Podcasts „Architektur, Stadt, Planung“. Diesmal war ich mit Dr. Brigitte Schultz, der Chefredakteurin des Deutschen Architektenblattes, zu Besuch bei Jürgen Dusel, dem Bundesbeauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Brigitte Schultz hat das Interview geführt. Und bereits vor dem Interview ging ein schönes Gespräch los. Jürgen Dusel äußerte sich zum Deutschen Architektentag: „Ein sehr schöner Termin“, wie er anmerkte. Auf dem DAT, das Kürzel hat er umgewidmet von Deutscher Architektentag zu „Durch Architektur teilhaben“, hat er zur Eröffnung ein beeindruckendes Plädoyer für das barrierefreie Bauen gehalten. Sie können sich dies und fast alles, was im großen Saal an dem Tag stattgefunden hat noch auf der Facebook-Seite der Bundesarchitektenkammer anschauen oder anhören. Liken Sie und geben Sie Ihre Kommentare ab, darüber freuen wir uns sehr.

Barrierefreiheit, sagt Jürgen Dusel, ist nicht „Nice to have“, sondern gehöre zum Qualitätsstandard beim Bauen. Sie sollte selbstverständlich sein und eine größere Rolle in der Ausbildung und im täglichen Schaffen der Architektinnen und Architekten spielen. Denn das Thema brauche Expertise. Er meint, obwohl Planerinnen das Thema nicht gerade „sexy“ finden, bewege sich da etwas zum Guten.

Das zeigt auch der Erfolg der Regionalkonferenzen zum inklusiven Gestalten, die Jürgen Dusel gemeinsam mit den Länderkammern und der Bundesarchitektenkammer veranstaltet. Planerinnen und Planer, Bauherren und die politischen Entscheidungsträger befassen sich dort gemeinsam mit dem Thema „Barrierefreies Bauen“ in den Bundesländern. Alle Informationen dazu finden sie unter behindertenbeauftragter.de und unter bak.de / berufspolitik / inklusiv gestalten.

Brigitte Schultz stellte als erstes die Frage nach dem gestalterischen Anspruch bezogen auf die Barrierefreiheit: Ob schöne Barrierefreiheit ein verzichtbarer Luxus sei, nach dem Motto: Wichtig ist nicht etwa die gute Gestaltung, sondern dass es überhaupt ein barrierefreies Leitsystem gebe. Darauf antwortete Jürgen Dusel…

 

A (Antwort): Der Anspruch ist natürlich, schöne Architektur zu haben. Ich glaube, keiner möchte hässliche Architektur haben. Und das gilt natürlich auch für die Barrierefreiheit. Es gibt viele Gebäude, die barrierefrei sind und wirklich schön sind. Ich erlebe halt manchmal, dass im Nachhinein etwas repariert wird, dass man erst mal was baut und dann hinterher feststellt, huch, es ist nicht barrierefrei. Dann wird irgendwas angeflanscht, das sieht dann meistens nicht so gut aus. Aber wenn man sozusagen Barrierefreiheit von Anfang an mitdenkt, wenn man das auch als Kreativleistung nimmt, wenn man sich damit auseinander setzt, wenn man das Gefühl hat, da haben sich Leute auch Gedanken gemacht, dann kann Barrierefreiheit gut aussehen. Und ich finde, es ist auch schwierig, wenn man quasi Schönheit gegen Zugänglichkeit ausspielen würde. Sondern es geht darum, eine Infrastruktur zu bauen, die attraktiv ist und die bestimmte Qualitätsstandards erfüllt. Es fragt sich ja auch keiner, ob Statik schön ist oder nicht schön ist. Oder Brandschutz schön ist oder nicht schön ist. Es ist eine Form der Qualität. Und was mich manchmal stört, ist, dass man Barrierefreiheit immer so negativ konnotiert. Dass man Barrierefreiheit so konnotiert nach dem Motto, das müssen wir auch machen, weil es halt für Menschen mit Behinderung ist. Und ich glaube, wir müssen davon wirklich wegkommen. Wir müssen inklusiv denken! Uns muss klar sein: „Für wen bauen wir?“ und „Wie bauen wir?“ Und dann bin ich der Überzeugung, es gibt so kluge Architektinnen und Architekten in Deutschland, dass man da attraktive Gebäude, attraktive Infrastruktur bauen kann.

F (Frage): Es hat also auch etwas mit dem zu tun, was Sie gerade meinten: Wenn es im Nachhinein angeklebt wird, sieht es nicht gut aus. Der, ich sag mal tatsächlich schlechte Ruf der Barrierefreiheit rührt ja daher, dass Architekten sich alles so schön überlegen und dann fällt einem ein: „Ach herrje, das müssen wir jetzt auch noch machen.“ Das ist auch ein Plädoyer, das von Anfang an mitzudenken, oder?

A: Ja, weil ich glaube, das ist auch in anderen Bereichen so. Wenn man nachträglich noch mal was anbauen muss, wenn man nachträglich feststellt, man hat irgendwas in dem Konzept vergessen und muss dann noch reparieren und korrigieren, dann ist es schon eine große Herausforderung, das auch attraktiv zu machen. Zum einen ist es wirklich so, man muss Barrierefreiheit von Anfang an mitdenken. Und das setzt natürlich voraus, dass man ein Problembewusstsein hat. Und ich wünsche mir natürlich, dass diese Idee „Design for all“, dass die sozusagen implementiert wird auch in die Ausbildung von Architektinnen und Architekten. Aber das betrifft auch ganz andere Berufsgruppen. Wir haben zur Zeit noch eher so eine exklusive Denke, wir begreifen immer noch die Zugänglichkeit und die Teilhabe hier für eine Randgruppe von Menschen mit Behinderung. Das ist völlig falsch. Wenn es um Teilhabe geht, dann geht es auch um die Frage eines Wertesystems. Und das gilt auch für Gebäude, für Architekten und für Architektur. Ich habe ja ein Motto für meine Amtszeit gewählt, und dieses Motto heißt „Demokratie braucht Inklusion“. Ich will jetzt keine Debatte aufmachen, inwieweit es eine demokratische Architektur gibt. Das wurde ja schon in den 50er und 60er Jahren diskutiert. Aber mir geht es darum, wenn wir tatsächlich eine Infrastruktur bauen, wenn wir etwas neu schaffen, wenn wir auch im Bestand etwas nachbauen, dann sollte uns schon klar sein, dass möglichst alle Menschen davon partizipieren können. Das sollte der Anspruch sein. Ich glaube, wir müssen auch weg von diesem Denken, dass Barrierefreiheit in einem negativen Spannungsverhältnis zur Attraktivität von Gebäuden steht. Ich würde dieses Spannungsverhältnis positiv beschreiben. Das ist ein spannendes Unterfangen, sich damit auseinanderzusetzen. Und wenn man es gut und klug macht, dann wird das auch eine Menge Befriedigung schaffen. Wenn man ein Gebäude, eine Infrastruktur vorfindet, die wirklich klug durchdacht ist, die möglichst allen Menschen Teilhabe gibt, dann ist das durchaus eine positive Geschichte. Und wir müssen einfach wissen, wir leben demografisch in einer älter werdenden Gesellschaft. In Deutschland  leben über 13 Millionen Menschen mit Behinderung. Das ist keine kleine Randgruppe. Die sind alle in sozialen Bezügen, die haben alle Verwandte, Kinder, Eltern, Freunde. Das heißt, wenn eine Infrastruktur die ausschließt, werden noch andere Leute mittelbar mit ausgeschlossen.

F: Das ist ja keine festgelegte unveränderliche Gruppe. Man kann ja auch jederzeit eine Behinderung bekommen durch was auch immer. Von daher ist ja die Denke, die oft vorherrscht, man tut etwas für eine abgeschlossene Gruppe, auch zu kurz gedacht, weil man morgen auch derjenige sein könnte, der davon profitiert.

A: Klar, und wir reden nicht über was, was „Nice to have“ ist, sondern die Bundesrepublik hat vor zehn Jahren die UN Behindertenrechtskonvention ratifiziert und zu geltendem Recht gemacht. Das hat der Bundestag gemacht, aber auch der Bundesrat, auch die Länder haben den Finger gehoben. Und diese UN Behindertenrechtskonvention beschreibt Menschenrechte und eines davon ist die Barrierefreiheit. Auch im baulichen Bereich, auch im digitalen Bereich, im Bereich der Bildung, im Bereich der Arbeit. Also wir reden sozusagen über ein Recht. Und jetzt ist es eben Aufgabe des Staates, nicht nur so ein Recht zu setzen, das man abstrakt wiederfindet auf dem Papier, sondern es war die Idee des „Rights into action“. So dass man jetzt sagt, okay, wir müssen es schaffen, dass diese Rechte auf barrierefreien Zugang z.B. von Infrastruktur bei den Menschen ankommt. Denn wenn wir das nicht schaffen, wenn Menschen mit Behinderung beispielsweise das Gefühl haben, es gibt zwar so ein abstraktes Recht, aber es kommt bei mir nicht an, dann kann das dazu führen, dass die Leute sich ein bisschen verlassen fühlen von diesem Staat. Nach dem Motto, da steht zwar irgendwas abstrakt, aber es kommt bei mir nicht an. Und ich möchte einfach, dass die Menschen diese Rechte auch leben können. Und da reden wir jetzt zum einen über den öffentlichen Bereich. Wenn es um Behörden geht, wenn es um den öffentlichen Raum geht. Aber mir geht es natürlich auch darum, für den privaten Raum zu sprechen, mit geht es darum, klar zu kriegen, dass die Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, die mobilitätseingeschränkt sind, dass die nicht nur die Infrastruktur im öffentlichen Raum brauchen, sondern die wollen auch ins Kino, die wollen ins Theater, die wollen ins Restaurant, die wollen ins Hotel. Und es gibt einfach gute Beispiele, wo auch private Bauherren das aufgenommen haben und attraktive Gebäude gebaut haben zusammen mit klugen und gut ausgebildeten Architektinnen und Architekten.

F: Da liegen mir zwei Fragen auf der Zunge. Sie haben jetzt oft gesagt, Gebäude, die möglichst vielen Menschen die Teilhabe ermöglichen. Gibt es das perfekte Gebäude? Es gibt ja wirklich viele verschiedene Anforderungen, wenn jemand nicht sieht, schlecht hört, es gibt Menschen, die mentale Einschränkungen haben, oder man sitzt im Rollstuhl – wie ist das Ihrer Erfahrung nach? Ist es möglich, dass ein Gebäude für alle gut funktioniert oder widersprechen sich da auch manche Dinge?

A: Ich glaube, man darf das nicht ideologisch diskutieren. Die Frage ist: Was ist Perfektion? Wird man Perfektion auch in andern Bereichen jemals erreichen? Oder ist es nur erforderlich, sich dem möglichst nah anzunähern? Ich sehe eine Gefahr darin, wenn man sozusagen die Problemlagen, die es teilweise gibt, unreflektiert beschreibt. Das klassische Beispiel ist ja der abgesenkte Bordstein, der für Rollstuhlfahrer gut ist, aber für Menschen, die mit taktilen Hilfsmitteln unterwegs sind, also mit einem Blindenstock, schwierig ist. Es liegt eine Gefahr darin, wenn man das sozusagen hochzieht, dass man dann Gruppen gegeneinander ausspielt und das zur Legitimation nimmt, sich nicht auf den Weg zu machen, Lösungen dafür zu finden. Gerade für dieses Beispiel der abgesenkten Bordsteine gibt es kluge Lösungen. Das kann man sich beispielsweise in Hamburg-Altona anschauen bei dem Quartier, das da jetzt entsteht. Mir geht es darum zu sagen, es gibt nicht nur schwarz und weiß, ja und nein, die Perfektion, sondern es ist der  Auftrag und sozusagen der Schweiß der Edlen – also der Architektinnen und Architekten wert, sich klare Gedanken darüber zu machen, wie wir das möglichst erreichen können. Ich glaube, da ist noch Luft nach oben.

F: Genau. Da gibt es noch Sachen, die erfunden werden können. Zum Beispiel bei dem Bordstein…

A: Oder auch bei Kontrastierung… Und ich glaube, das Weltwirtschaftsforum in Davos hat der Bundesrepublik Deutschland attestiert, sie sei das innovationsfähigste Land der Welt. Nicht das innovativste, aber das innovationsfähigste.

F lacht: Luft nach oben!

A: Damit will ich sagen, hey, nehmen wir die Herausforderung an! Lass uns eine zukunftssichere Infrastruktur bauen! Das ist doch spannend. Das ist eine Challenge, wie man neudeutsch sagt. Lasst uns doch mal neue Wege gehen, lasst uns mal Bevölkerungsgruppen in den Blick nehmen, die wir vielleicht jetzt noch nicht so im Blick hatten! Lasst uns eine Gesellschaft bauen, die offen ist für Vielfalt! Die die Leute nicht ausschließt. Lasst uns den öffentlichen Raum so gestalten, dass Menschen sich begegnen können, gemeinsam was unternehmen können. Das ist doch die Idee von Demokratie. Da wünsche ich mir ein bisschen mehr Enthusiasmus bei manchen Leuten und vielleicht auch mal, die alten Zöpfe abzuschneiden, dass man immer glaubt, dass Barrierefreiheit hässlich ist, dass es irgendwas mit komischen gelben Markierungen zu tun hat oder mit irgendwelchen grauen Rampen oder so. Es gibt kluge Leute und es gibt tolle Architekten, die wirklich bewiesen haben, dass es Gebäude gibt, die Barrierefreiheit gewährleisten und die einfach toll aussehen.

F: Da sind wir ja im Grunde bei den Regionalkonferenzen, wo ja gerade solche Beispiele vorgestellt werden. Da haben Sie ja viel Kontakt mit Architekten. Sie hatten vorhin die UN Behindertenrechtskonvention erwähnt. Was ist Ihr Gefühl auf den Konferenzen? Sie waren ja auch oft als Zuhörer dabei. Wie weit sind die Architekten in dem Thema?

A: Ich glaube, dass es wirklich zu spüren ist, dass da ein großer Bedarf an Information ist, aber auch ein großer Gestaltungswille. Das merke ich schon. Ich erlebe, dass die Regionalkonferenzen wirklich voll sind von Menschen, die sich um dieses Thema Gedanken machen. Ich merke immer noch, dass es da Nachholbedarf gibt. Das ist aber ganz normal. Aber die Bereitschaft und der Wille, sich damit auseinanderzusetzen, das spüre ich schon. Und das ist auch notwendig. Und gerade wenn ich an die Veranstaltung in Erfurt denke, die wir gemacht haben, das Spannungsverhältnis, auch das kann man positiv denken, zwischen Denkmalschutz und Bauen – da ist mir noch mal klar geworden, warum Denkmalschutz Denkmalschutz heißt. Denn es geht ums Denken. Denk mal! Das ist für mich eine Aufforderung, darüber nachzudenken. Und wie man das Grundrecht, am kulturellen Erbe teilzunehmen, sich tatsächlich auch mit Denkmälern auseinanderzusetzen, wie man das kreativ lösen kann. Also ich merk schon, da ist ein großes Interesse von Architektinnen und Architekten da. Das mag auch damit zusammenhängen, dass das Thema „Design for all“ und Barrierefreiheit in der Hochschulausbildung keine große Rolle spielt. Das müssen wir ändern. Das hab ich schon mal gesagt. Das gilt aber nicht nur für Architektinnen und Architekten, da sind auch Bauingenieure gefragt, aber auch ganz andere Berufe wie Ärztinnen und Ärzte, die sehr viel über Krankheit lernen, aber nicht über Behinderung, bei Lehrerinnen und Lehrern, die Regelschule machen wollen, die müssen auch über Heterogenität von Klassen was lernen. Das Thema „Diversity“ müssen wir aufmachen. Aber es lohnt sich.

F: Man hat das Gefühl, da ist noch viel zu tun.

A: Ja, aber wir haben schon ein paar Schritte getan. Das ist ja auch mein Job sozusagen, da ein bisschen zu drücken und zu sagen: Lass uns nicht immer sagen, werden wir dieses Ziel je erreichen? Stichwort: Das perfekte Gebäude. Lass uns auf den Weg machen! Ich habe manchmal das Gefühl, wir laufen noch nicht so richtig los, oder nur langsam los. Mein Ziel ist, einfach zu sagen, wir gehen jetzt diesen Weg. Und noch mal: Ich finde das auch attraktiv, weil eine Infrastruktur, die offen für alle ist, eine gute Infrastruktur ist, und das wird auch letztlich dem Standort Deutschland gut tun.

F: Das heißt für die Architekten vielleicht auch, einfach mal machen, im Zweifel auch ausprobieren und auch Fehler machen dürfen vielleicht. Und zu sagen, das hat jetzt nicht so gut funktioniert, das machen wir jetzt anders.

A: Ich vergleiche die Inklusion ein bisschen mit einer Wanderung: Man will ein Ziel erreichen, man hat sozusagen morgens seinen Rucksack gepackt und hat da die tools drin, man hat seine Kleidung und eine Karte und was zu essen drin. Und man läuft dann los und hat das Ziel vor Augen. Da kann man natürlich auch mal die falsche Abzweigung nehmen. Es ist zwar nicht schön, aber es kann passieren. Dann muss man tatsächlich aber auch den Mut haben und auch die Courage haben zu sagen, okay, da sind wir jetzt falsch abgebogen. Wir laufen jetzt wieder zurück und nehmen den richtigen Weg dahin. Ich glaube, wenn man das so spielt, dann ist das auch in Ordnung. Aber wir müssen loslaufen. Ich erlebe jetzt bei diesen Regionalkonferenzen, dass wir tatsächlich laufen, und das ist gut so.

F: Der große Zuspruch auf den Regionalkonferenzen zeigt ja auch, dass es den Architekten wichtig ist, dass sie mehr darüber erfahren wollen. Was würden Sie aus Ihrer Sicht Architekten raten, was ist auf jeden Fall zu beachten, klingt so ein bisschen nach Vorschrift, aber was ist wichtig?

A: Ich würde wirklich sagen, dass man Barrierefreiheit wirklich als Qualitätsstandard beschreibt, dass man auch in den Diskussionen mit den Bauherren die Debatte nicht führt, das machen wir auch zusätzlich, weil wir es machen müssen und weil es für Menschen mit Behinderung gut ist, sondern dass man sagt, das gehört einfach zur modernen Architektur dazu. Wir bauen nachhaltig, wir bauen vielleicht auch klimaneutral, wir bauen attraktiv und wir bauen auch barrierefrei. Und weil ich Bauherren sage, das ist natürlich auch wichtig, dass die Idee, dass man barrierefrei baut, auch bei den Bauherren ankommt. Es gibt natürlich die rechtlichen Rahmenbedingungen, die sind nicht allen bekannt. Aber wir müssen eben weg von dieser Idee, dass das so negativ konnotiert ist. Sondern wir müssen sagen, wer heutzutage Barrieren baut, ist entweder ein schlechter Architekt oder ein schlechter Bauherr. Es macht keinen Sinn, Barrieren zu bauen. Wer Barrieren baut, macht was falsch. Diese Idee, dass Barrierefreiheit, Zugänglichkeit, eben ein Standard ist, der klug und vernünftig ist, den man nicht macht, weil man ihn machen muss, sondern weil es vernünftig ist, das müssen wir noch mehr in die Breite bringen. Das müssen wir im öffentlichen Bereich noch mehr rein bringen, das müssen wir aber auch im privaten Bereich noch mehr rein bringen. Da wünsche ich mir natürlich auch die Unterstützung von Architektinnen und Architekten, die ja nun wirklich im ganzen Land unterwegs sind und tagtäglich damit zu tun haben, eben dafür zu werben und zu sagen, wenn wir heute neu bauen, dann bauen wir in einer guten Qualität. Und dazu gehört einfach auch die Zugänglichkeit.

F: Und das ist vermutlich auch nicht viel teurer? Wie ist da Ihre Erfahrung?

A: Es ist nicht viel teurer. Wir erleben es jetzt gerade im sozialen Wohnungsbau, weil ich zur Zeit ziemlich intensiv dafür werbe, dass wir den sozialen Wohnungsbau grundsätzlich barrierefrei bauen, weil nur barrierefreier Wohnungsbau überhaupt den Namen sozialer Wohnungsbau verdient. Die Menschen gehen zur Zeit auf die Straße und demonstrieren dafür, dass sie mehr bezahlbaren Wohnraum kriegen, in den Städten, teilweise auch auf dem Land. Menschen mit Behinderung oder auch ältere Menschen haben zusätzlich das Problem, dass der Wohnraum nicht nur bezahlbar sein muss, sondern dass er auch barrierefrei sein muss. Damit sie möglichst lange in der Wohnung selbstbestimmt leben können und nicht in Altenpflegeeinrichtungen müssen, oder damit Menschen aus Heimen auch wieder raus kommen. Und ich bin grade intensiv an diesem Thema dran und sage, wenn wir jetzt viel Geld in die Hand nehmen, Stichwort: Wohnungsgipfel, wenn wir jetzt viel Geld in die Hand nehmen und neue Wohnungen bauen, dann lasst uns bitte nicht den gleichen Fehler machen, den wir immer wieder gemacht haben, dass wir sozusagen eine Stückzahl an Wohnungen bauen, dann bauen wir 90% „normal“, als ob barrierefrei nicht normal wäre!, und 10%, wenn überhaupt, bauen wir barrierefrei. Was soll der Unfug? Lasst uns alles grundsätzlich gut bauen. Dazu gehört die Barrierefreiheit. Das wünsche ich mir auch von den Architektinnen und Architekten, sozusagen Teil der Bewegung zu sein und dieses Thema auch ganz offensiv zu diskutieren. Dieses Argument, dass es teurer sei, das ist auch eines der Mären, die man da immer wieder erlebt. Gerade im sozialen Wohnungsbau, wo die Mehrgeschosser alle einen Aufzug haben. Im Grunde ist der Aufzug das, was mehr Geld kostet. Und wenn man kluge Konzepte hat, ist das auch mit dem “Mehr an Platz“ in Anführungsstrichen nicht das Thema.

F: Und Sie hatten ja auch vorher erwähnt – Stichwort: Brandschutz – da sagt ja auch keiner: Leute, das wird jetzt zu teuer, das streichen wir jetzt mal.

A: Es ist eine Frage der Priorisierung. Und ich glaube, wir denken halt immer noch sehr stark in Schubladen, das ist nicht inklusiv. Ich würde gerne mal wirklich ausrechnen lassen, es gibt da schon die ersten Berechnungen, was die Pflegeversicherung sparen würde, wenn wir im Jahr 2035 ausreichend barrierefreien Wohnraum zur Verfügung haben. Stichwort: Vermeidung von stationärer Unterbringung. Ich glaube, wenn man das volkswirtschaftlich betrachtet, dann können wir diesen Kostenfaktor wirklich vergessen. Leider Gottes ist es so, dass wir immer noch in Schubladen denken. Das ist kein inklusiver Ansatz. Aber ich glaube, wir sollten uns da tatsächlich ein bisschen klug machen und das auch mal so diskutieren.

F: Sie sprachen jetzt über Ihre politische Arbeit. Sie sind ja Teil der Bundesregierung als so eine Art Minister, der für Menschen mit Behinderung zuständig ist? Kann man das so beschreiben? Vielleicht erklären Sie es mal.

A: Der Beauftragte der Bundesregierung hat so eine ganz ungewöhnliche Position innerhalb der Administration. Ich bin einerseits keinem Ministerium zugeordnet, also interministeriell tätig, weil Politik für Menschen mit Behinderungen ja nicht nur Baupolitik ist, oder Arbeit- und Sozialpolitik, sondern alle Lebensbereiche beinhaltet. Wir haben zur Zeit sehr viel mit dem Gesundheitsministerium zu tun beispielsweise. Das ist das eine. Also interministeriell und zum zweiten bin ich innerhalb der Bundesregierung weisungsfrei. Weil ich auch – notfalls – die Bundesregierung kritisieren darf, wenn mir bestimmte Gesetze nicht weit genug gehen beispielsweise. Ich verstehe mich sozusagen als Bindeglied einerseits zwischen der Bundesregierung und andererseits der Zivilgesellschaft, z.B. Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen. Dieser Austausch ist mir sehr wichtig, damit man auch den Bedarf in die Bundesregierung hineinspielen kann und umgekehrt. Das ist eine ungewöhnliche Position, weil Sie ja normalerweise in einer Hierarchie sind. Das bin ich jetzt nicht. Ich bin natürlich loyal, ich muss mich an Gesetze halten.

F: Aber Sie müssen sich nichts sagen lassen!

A: Ich muss mir nichts sagen lassen und das ist auch notwendig. Das hat mit meiner Person nichts zu tun, sondern es ist eben ein Amt, das frei ist. Und ich notfalls auch beispielsweise in einem Bundestagsausschuss dann sagen muss, ich finde schon ganz gut, wie weit das Gesetz ist, aber liebe Abgeordnete, da müssen wir noch ein bisschen nachbessern. Und das mach ich auch.

F: Wie viel haben Sie in Ihrer täglichen Arbeit mit baulichen Dingen zu tun, mit Architektur? Und wie viel mit anderem?

A: Architektur bestimmt natürlich unser Umfeld, unsere Umwelt, und deswegen habe ich natürlich damit viel zu tun. Da geht es natürlich um Barrierefreiheit in ihrer ganz unterschiedlichen Situation. Da geht es um Fragen der baulichen Barrierefreiheit, da geht es um die Frage der Mobilität. Das ist ein Riesenthema in Deutschland, Stichwort: Deutsche Bahn, Bahnsteighöhenkonzept. Dieser Begriff ist schon nicht besonders barrierefrei. Und die Bahnsteige sind es auch nicht. Es geht um Fragen der digitalen Barrierefreiheit. Also wie gestalten wir die digitale Infrastruktur so, dass Menschen mit Einschränkungen die auch nutzen können? Weil gerade die Digitalisierung eine große Chance für Menschen bietet, die beispielsweise mobilitätseingeschränkt sind. Aber nur dann, wenn wir nicht wieder den gleichen Fehler machen. Erst mal was auf die Beine stellen und hinterher feststellen, oh, die sind nicht barrierefrei. Gerade für Leute, die sehbehindert sind, ist, glaube ich, klar zu erkennen, dass die natürlich von der Digitalisierung, grade was die Kommunikation betrifft, mit Behörden beispielsweise, nur dann profieren können, wenn die Software auch barrierefrei ist. Wir haben natürlich Hunderte von Eingaben jedes Jahr und da spielt natürlich das Thema der baulichen Barrierefreiheit eine wichtige Rolle.

Aber, ich sag’s noch mal: Wir müssen auch dazu kommen, was die Barrierefreiheit betrifft, uns nicht nur im öffentlichen Raum zu bewegen, öffentlicher Sektor: Kommen wir in die Behörden rein?, Wie sieht es mit leichter Sprache aus?, sondern wir müssen dazu kommen, dass auch private Anbieter von Produkten, von Dienstleistungen, die für die Allgemeinheit bestimmt sind, Stichwort: Bankautomaten, Stichwort: Hotels, dass die zur Barrierefreiheit verpflichtet werden. Weil die Leute eben nicht nur im öffentlichen Bereich leben. Da gibt uns unser Grundgesetz die Richtschnur vor. Ich habe ja dieses Motto: Demokratie braucht Inklusion!, das ist nicht nur so daher geredet, sondern es geht mir darum, dass wir sagen, da geht es um die Grundwerte unserer Gesellschaft. Das Privateigentum in Deutschland ist im Artikel 14 des Grundgesetzes garantiert. Das ist auch gut so. Aber wir haben das Besondere in Deutschland, da können wir auch stolz sein, wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft und das Eigentum hat eine Sozialbindung in Deutschland. Das wird oftmals vergessen. Dieser Artikel 14, Absatz 2, der da einschlägig ist, wie die Juristen sagen, Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Und wenn da im Grundgesetz steht, es soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen, dann muss mit Allgemeinheit auch die Allgemeinheit gemeint sein, also auch Menschen mit Behinderungen. Und das ist mein Ansatz, zu sagen, liebe Freunde, macht euch mal ein bisschen locker. Wenn ich darüber rede, dass wir auch die Privaten verpflichten müssen, dann hat man so den Eindruck, das wäre sozusagen der Untergang des Abendlandes. Es gibt durchaus Länder in Europa, aber beispielsweise auch die USA, die eine andere Tradition haben, auch eine andere rechtliche Tradition, die durchaus da weiter sind. Ich glaube, wir sollten immer versuchen, von den besseren zu lernen. Deswegen ist mein Petitum, wir müssen auch im privaten Bereich mehr Teilhabe ermöglichen.

Ich denk halt immer so an die klassische Geschichte: Ein junges Paar, das sich in irgendeiner Weise ein Haus baut, wenn es so 35 ist, und sie überhaupt nicht antizipieren, dass sie vielleicht mal 65 sind. Und dass es dann einfach klug wäre und schön, wenn das Haus schon barrierefrei wäre. Man weiß ja nie, was passiert. Und ich finde, dass es zu einer guten Beratung dazugehört, wenn die sich eine Architektin oder einen Architekten holen, denen zu sagen, klar, wir bauen jetzt attraktiv, es soll ein tolles Haus werden, dazu gehören aber auch bestimmte Türbreiten, es ist sein Frage der Schwellen, die Frage, wie könnt ihr euch im Haus bewegen?, dass das dazugehört. Und ich wünsche mir natürlich auch, wenn es dann um die Baugenehmigung geht, da wird man ja überschüttet mit Informationsmaterial, aber komischerweise zur Barrierefreiheit und zum altersgerechten Bauen kriegt man kaum was. Da sollten auch die Bauherrinnen und Bauherren einen Anspruch haben, darüber beraten zu werden.

F: Das Stichwort, was Sie vorher hatten: zukunftssicher bauen. Das ist ja der Klassiker, ich würde gerne in meinem Haus bleiben, aber oh, das funktioniert dann auf einmal nicht mit dem Rollstuhl, das Badezimmer ist nicht für mein Alter oder für meine Einschränkungen gemacht…

A: Ich glaube, die Verbreiterung der Türen von Anfang beispielsweise kostet nicht mehr Geld, das ist nur eine Frage der Planung. Wir müssen davon weg, dass die Leute glauben, dann sieht so ein Haus wie eine Klinik aus. Sondern es gibt da eben attraktive Ideen. Ich kann da nur für werben.

F: Vielen Dank. Das gelingt Ihnen, glaube ich, sehr gut! Noch eine Frage am Ende: Haben Sie denn selbst ein Lieblingsgebäude?

A: Bezogen auf Barrierefreiheit oder generell?

F: Generell.

A: Ich war vor einem Jahr und jetzt auch noch mal vor ein paar Monaten in New York bei den Vereinten Nationen und hatte im Rahmen einer Besichtigung zwei Gebäude gesehen, die mich total beeindruckt haben. Das eine war das Museum of Modern Art, auch das hat tolle Konzepte zur Barrierefreiheit. Wenn es beispielsweise darum geht, ein Museum zugänglich zu machen für Menschen, die beispielsweise im Alter dement werden oder Parkinson kriegen. Das ist ein tolles Gebäude. Und ich war total beeindruckt von der Metropolitan Opera, das hat aber vielleicht auch mit meiner Leidenschaft für Musik zu tun, das gebe ich offen zu. Das ist ein ganz transparentes schönes Gebäude. Es gibt natürlich auch in Deutschland tolle Gebäude. Ich würde nicht von einem Lieblingsgebäude reden. Aber mich begeistert es natürlich schon, wenn ich merke, dass Gebäude klug gebaut sind, transparent sind, zugänglich sind. Ich finde, das macht auch was mit der Person im Gebäude. Ich glaube schon, dass die Umgebung ganz stark Einfluss nimmt auf das Wohlbefinden von Menschen. Und ich glaube, es ist eben die große Chance, die wir haben, dass wir durch Architektur Teilhabe ermöglichen. Ich habe ja diese drei Buchstaben des Deutschen Architektentags ein bisschen umgemünzt, DAT, und hab gesagt, für mich ist DAT „Durch Architektur teilhaben“. Das ist, glaub ich, der Anspruch. Dieser Anspruch ist nicht nur Pflicht, der ist auch sehr lohnend für uns.

F: Vielen Dank für das gute Gespräch.

Absage

Gebäude, die klug gebaut, transparent und hell sind. Gebäude, die teilhabe ermöglichen und für ein Wohlbefinden aller sorgen. Das ist ein Ziel, das auf den Regionalkonferenzen inklusiv gestalten, debattiert und erarbeitet wird. Dazu werden unter anderem gelungene Beispiele vorgestellt. Informationen zu den Regionalkonferenzen finden Sie unter behindertenbeauftragter.de und unter bak.de / berufspolitik / inklusiv gestalten.
Auf Wiederhören. Am Mikrofon war Kerstin Kuhnekath für die BAK.

Eine Kurzfassung des Interviews ist im DAB 12.2019 erschienen und hier nachzulesen. Den Podcast hören Sie hier.

 

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