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[ Recht ]

Häuser und Nachbarn als schlechte Vorbilder

Von großen Wohngemeinschaftenm, Fußwegen zur Kita und harmonischen Anbauten an eine Hausgruppe. Aktuelle Urteile zum ­Bauplanungsrecht

Von Hubertus Schulte Beerbühl

Wer dem Nachbarn einen Verstoß gegen das Baurecht vorwirft, sollte es selbst einhalten

BVerwG, Urteil vom 9. August 2018, Az.: 4 C 7/17, und OVG Bremen, Urteil vom 8. Mai 2018, Az.: 1 B 18/18

In diesem Rechtsstreit wandte sich der Kläger gegen eine seinem Nachbarn erteilte Genehmigung. Es stellte sich aber heraus, dass er selbst sein Grundstück teilweise formell rechtswidrig, das heißt ohne Genehmigung, sowie materiell rechtswidrig, das heißt unter Verstoß gegen materielle Vorschriften, nutzte. In welchem Umfang mindert dies sein Abwehrrecht? Darüber hatte das Oberverwaltungsgericht zu befinden. Für den Erfolg einer Nachbarklage ist erforderlich, dass die Baugenehmigung objektiv rechtlich rechtswidrig ist und dass die verletzte Norm zumindest auch den Zweck verfolgt, die Interessen dieses klagenden Nachbarn zu schützen. Hinzukommen muss aber auch, dass der Nachbar seinerseits eine schutzwürdige Rechtsposition innehat. Das Gericht entschied, dass im Rahmen der Interessenabwägung die Rechtsposition des Nachbarn nicht schutzwürdig sei, wenn er sein Grundstück selbst formell und materiell illegal nutze. Dabei sei unerheblich, ob die Bauaufsichtsbehörde eine nicht genehmigungsfähige baurechtswidrige Nutzung dulde.

In dem entschiedenen Fall hatte der Kläger im Laufe der Jahrzehnte Wohnhaus und Garage immer wieder illegal auf nicht überbaubare Grundstücksflächen erweitert. Soweit der Kläger in dem gerichtlichen Verfahren geltend machte, von dem Bauvorhaben wären Einsichtnahmen auf die eigene Dachterrasse möglich, müsse festgestellt werden, dass diese Dachterrasse illegal sei. Soweit der Kläger eine erdrückende Wirkung des Vorhabens geltend mache, sei zu berücksichtigen, dass der Nachbar selbst seine Garage unerlaubt erheblich erweitert und eine Mauer an der Grundstücksgrenze illegal errichtet habe. Im Gegensatz zu dem Bauherrn halte er selbst die Abstandsflächen nicht ein; eine schutzwürdige Rechtsposition sei insoweit nicht erkennbar.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zu dieser Problematik ebenfalls entschieden, dass eine Nachbarklage zum Schutz einer eigenen planwidrigen Nutzung unter bestimmten Umständen erfolglos bleiben muss. Denn es handle rechtsmissbräuchlich, wer unter Berufung auf das nachbarliche Austauschverhältnis eine eigene Nutzung schützen möchte, die ihrerseits das nachbarliche Austauschverhältnis störe. Allerdings seien insoweit nicht alle eigenen Rechtsverstöße relevant. Es sei allein von Bedeutung, dass der Kläger seinerseits gegen die Maßfestsetzungen verstoße, deren Einhaltung er vom Bauherrn verlange. Das Ausmaß, in dem das eigene Gebäude mit den Festsetzungen über die zulässige Zahl der Vollgeschosse unvereinbar ist, bleibe allerdings deutlich hinter dem Verstoß des geplanten Neubaus zurück. Das Gebäude des Klägers habe drei Vollgeschosse, es habe damit ein Vollgeschoss mehr, als der Bebauungsplan zulasse. Das neue Bauvorhaben solle sechs Vollgeschosse haben, es überschreite damit im Vergleich zum Gebäude des Klägers das zulässige Maß der baulichen Nutzung um ein Mehrfaches. Der Kläger könne dies rügen.

Auch große Wohngemeinschaften wohnen

VG Minden, Beschluss vom 1. März 2018, Az.: 1 L 2579/17

Das Verwaltungsgericht Minden hat in einer Baunachbarklage entschieden, dass eine „Wohngruppe“ in einem allgemeinen oder reinen Wohngebiet zulässig ist. Diese Nutzungsart sei auch dann vom Begriff des Wohnens erfasst, wenn die Wohngruppe aus weitestgehend selbstständigen Personen bestehe, die in der Form einer größeren Wohngemeinschaft zusammenleben wollen. Die Nutzung eines Wohnhauses durch eine nicht familiäre Gemeinschaft, auch wenn sie aus mehr als zehn Personen besteht, stelle von ihrer Intensität her keine gegenüber der ansonsten vorzufindenden Nutzung von Ein- oder Mehrfamilienhäusern andersartige Nutzung dar. Auch eine familiäre Nutzung sei nicht zwangsläufig auf die Anwesenheit bloß weniger Personen beschränkt.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 15 Abs. 1 ­BauNVO. Danach sind die in den Baugebietsvorschriften aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Ein Widerspruch zur Eigenart eines Gebiets liege jedoch nur vor, wenn sich das Vorhaben wegen seines Umfangs signifikant von dem Vorhandenen abhebe. Eine derart intensivere Wohnnutzung wahre ohne Weiteres die Eigenart eines reinen oder allgemeinen Wohngebiets, unabhängig davon, ob familiäre Bindungen zwischen den Bewohnern bestehen oder nicht.

Im reinen Wohngebiet zu Fuß zur Kita

OVG Hamburg, Beschluss vom 31. Mai 2018, Az.: 2 BS 62/18

In welchem Umkreis um eine Kita dient diese noch den Bedürfnissen der Bewohner eines reinen Wohngebiets (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO)? Diese Frage hatte das Oberverwaltungsgericht zu entscheiden. Das maßgebliche Gebiet ist zunächst das festgesetzte reine Wohngebiet, sowie, je nach den örtlichen Verhältnissen, benachbarte festgesetzte und faktische reine Wohngebiete. Der zulässige Einzugsbereich einer Anlage und damit auch die Größe des maßgeblichen Gebiets werden, so das Oberverwaltungsgericht, durch das Kriterium ihrer fußläufigen Erreichbarkeit begrenzt. Soweit wegen der Weglänge Eltern auf ein Auto angewiesen sind, diene die Anlage nicht mehr den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets. Mit der Bestimmung sollten nur wohnortnahe Anlagen zur Kinderbetreuung ermöglicht werden, die dem reinen Wohngebiet funktionell zugeordnet sind. Zugleich solle durch das Kriterium der fußläufigen Erreichbarkeit die gebietstypische Wohnruhe gewahrt werden. Auf dieser Grundlage hatte die Vorinstanz den fußläufigen Einzugsbereich der Anlage auf einen Umkreis von 500 Metern bestimmt. Diese Weglänge legte auch das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde.

Ein Haus darf kein schlechtes Vorbild sein

OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. April 2018, Az.: 7 A 165/16

Der Kläger dieses Verfahrens plante die Errichtung einer Verkaufshalle für einen Einzelhandelsbetrieb innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (§ 34 Abs. 1 BauGB). Die Vorderseite des Gebäudes lag mehrere Meter vor der faktischen vorderen Baugrenze, die durch die Nachbargebäude gebildet wurde. Außerdem sollte die Firsthöhe 8,88 Meter betragen, während die Höhe der Gebäude in der näheren Umgebung weit darunterlag. Das Bauamt lehnte den Antrag ab und die Gerichte gaben ihm recht. Innerhalb ­eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise sowie der überbaubaren Grundstücksfläche in die nähere Umgebung einfügt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Mit Blick auf das Merkmal des Maßes der baulichen Nutzung sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung solche Maße bedeutsam, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. Ihre absolute Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur Freifläche prägen das Bild der Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen an.

Für ein solches Einfügen fanden die Gerichte mit Blick auf die Baugrenze und die Höhe keine Anhaltspunkte. Mit dieser Feststellung ist allerdings die Prüfung nicht abgeschlossen. Denn es ist weiter erforderlich, dass das Vorhaben – etwa wegen einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung – geeignet ist, „bodenrechtlich beachtliche Spannungen“ auszulösen oder zu erhöhen. Es gilt, so das Gericht, zu vermeiden, dass auch nur auf einem einzigen Grundstück in der näheren Umgebung ein Vorhaben verwirklicht werden könnte, für das das Vorliegende als Vorbild dienen könnte. Da durch die beabsichtigte Überschreitung der faktischen vorderen Baugrenze eine mögliche Vorbildwirkung für Anbauten im vorderen Grundstücksbereich anderer Grundstücke entstünde und die größere Höhe ebenfalls bei anderen Gebäuden infrage käme, bejahte das Gericht die bodenrechtlich beachtlichen Spannungen und hielt das Vorhaben für unzulässig.

Zweck eines Baugebiets muss gewahrt bleiben

BVerwG, Urteil vom 7. September 2017, Az.: 4 C 8/16

In einem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall hatte die Gemeinde ein allgemeines Wohngebiet festgesetzt, gleichzeitig aber bestimmt, dass die nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauNVO allgemein zulässigen Nutzungen nicht zulässig seien. Das sind der Versorgung des Gebiets dienende Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störende Handwerksbetriebe (Nr. 2) und Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke (Nr.3). Diese Nutzungen sind der Wohnnutzung zugeordnet, damit im Wohngebiet selbst eine Versorgungsinfrastruktur für die Grundbedürfnisse bereitgestellt werden kann. Das Gericht sah den Bebauungsplan als unwirksam an.

Die Baunutzungsverordnung (BauNVO) gibt den Gemeinden zwar die rechtliche Möglichkeit, bei der Festsetzung von Baugebieten nicht nur das in der Verordnung vorgesehene System von regulär zulässigen Vorhaben und nur ausnahmsweise zulässigen Vorhaben zu übernehmen, sondern auch festzusetzen, dass bestimmte Arten von Nutzungen, die allgemein zulässig sind, nicht zulässig sind. Dabei muss allerdings die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleiben. Welche das jeweils ist, ergibt sich aus den Absätzen 1 der Baugebietsvorschriften. Mit dem vollständigen Ausschluss der nach Nr. 2 und 3 zulässigen Nutzungen ist, so das Gericht, die allgemeine Zweckbestimmung eines allgemeinen Wohngebiets nicht mehr gegeben. Ein allgemeines Wohngebiet, in dem nur Wohngebäude zulässig sind, sei rechtlich ein reines Wohngebiet. Das galt in dem entschiedenen Fall trotz des Umstands, dass festgesetzt war, dass die nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Betriebe des Beherbergungsgewerbes allgemein zulässig waren. Der Plangeber überschreite seine Befugnis, wenn er die in der Verordnung rechtlich vorgegebene Zweckbestimmung dadurch nach seinen Vorstellungen ändere, dass er eine ausnahmsweise zulässige Nutzung zu einer zulässigen Nutzung hochstufe. Das sei zwar nach § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauNVO grundsätzlich erlaubt; aber auch dafür sei erforderlich, dass die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibe. Das sei in dem entschiedenen Fall durch die Kombination des Ausschlusses regelmäßig zulässiger Nutzungen (Versorgung) mit einer Aufwertung von nur ausnahmsweise zulässigen Nutzungen (Beherbergung) nicht mehr der Fall.

Quantität statt Qualität bei Erweiterung im Außenbereich

OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. Mai 2018, 1 A 11658/17

Ein im Außenbereich wohnender Rechtsanwalt beantragte die Genehmigung zur Erweiterung seines Wohnhauses von 141,5 Quadratmeter um 20,62 Quadratmeter. Er machte geltend, es handle sich um eine „angemessene Erweiterung“ seines zulässigerweise errichteten Wohnhauses. Die Behörde lehnte das ab und das Oberverwaltungsgericht gab ihr Recht. Nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 5 ist die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen möglich, wenn das Gebäude zulässigerweise errichtet worden ist und die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen ist. Dass das Gesetz die Angemessenheit in Bezug zu der anschließenden Erweiterung ins Verhältnis zum vorhandenen Gebäude setzt, so das Gericht, deute darauf hin, dass ein bestehendes Wohnhaus lediglich vergrößert werden dürfe, seine bisherige Funktion als selbstgenutztes Wohngebäude aber erhalten bleiben müsse. Eine zulässige quantitative Vergrößerung dürfe dabei nicht in eine andere Qualität umschlagen. Das heiße, es dürfe nicht zu einer qualitativen Änderung im Sinne einer Funktionsänderung führen.

Zwar sei ein Um- oder Ausbau zulässig, der über eine im Verhältnis zum Bestand bloß geringfügige oder untergeordnete Erweiterung hinausgehe, andererseits dürfe dieser seiner Größe und Funktion nach nur eine begrenzte zusätzliche Beeinträchtigung des Außenbereichs mit sich bringen. Das Gericht verwies darauf, dass die Rechtsprechung eine Erweiterung des Bestands von 610 Quadratmetern um einen Anbau von 410 Quadratmetern als unangemessen, eine Erweiterung von 110 Quadratmetern auf 119 Quadratmeter aber als angemessen angesehen hatte. Das Bestandsgebäude verfüge bereits über eine Grundfläche von 141,5 Quadratmeter und überschreite damit bereits die Grundfläche von 130 Quadratmeter für ein Familienheim mit einer Wohnung, wie es nach § 39 des 2. Wohnungsbaugesetzes für förderungswürdige Bauten gilt. Dieses Maß zu Grunde gelegt, sah das Gericht die geplante Erweiterung nicht mehr als angemessen an. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass der Kläger den zusätzlichen Raum für seine häusliche Arbeit als Rechtsanwalt nutzen wolle, denn bei dem vorhandenen Bestand sei ein abgeschlossener Raum als Büro in adäquater Größe realisierbar und zumutbar.

Anbau an Hausgruppe muss harmonisch sein

OVG des Saarlandes, Beschluss vom 13. August 2018, Az.: 2 B 179/18

Setzt ein Bebauungsplan offene Bauweise fest, so sind dort, sofern keine anderweitige Regelung vorliegt, auch Doppelhäuser und Hausgruppen bis zu einer Länge von 50 Metern zulässig. Dasselbe gilt, wenn zwar kein Bebauungsplan existiert, aber in faktischer Hinsicht eine diesbezügliche Einheitlichkeit festzustellen ist (siehe DAB 11.2017, „Doppelt hält besser“). Das Oberverwaltungsgericht hatte zu entscheiden, in welchem Umfang die Gleichartigkeit bestehen muss und wann der Eigentümer eines Gebäudes in einer Hausgruppe einen Anbau an einem anderen Gebäude abwehren kann. Seit Langem ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, dass der Eigentümer einer Doppelhaushälfte ein Abwehrrecht hat, falls der Bauherr der anderen Haushälfte beabsichtigt, aus dem Doppelhauscharakter auszubrechen, das heißt ein Vorhaben zu verwirklichen, nach dessen Realisierung das Haus nicht mehr als Doppelhaus erscheint, sondern wie zwei Häuser, die – planungsrechtlich und bauordnungsrechtlich unzulässig – an der gemeinsamen Grenze aneinandergebaut sind.

Das Oberverwaltungsgericht hat nun entschieden, dass hinsichtlich der Anforderungen an die Einheitlichkeit, also an die wechselseitige Verträglichkeit, bei Hausgruppen dieselben Maßstäbe gelten wie bei der vorgenannten Doppelhaus-Rechtsprechung. Liegt nach Verwirklichung eines Vorhabens an einem zu der Hausgruppe gehörenden Gebäude weiterhin ein harmonisch gestalteter einheitlicher Baukörper im Sinne einer Hausgruppe vor, steht dem Nachbarn weder aus planungsrechtlicher noch aus bauordnungsrechtlicher Sicht ein Abwehrrecht zu. In dem entschiedenen Fall, in dem der Eigentümer des mittleren Gebäudes gegen die Genehmigung eines Anbaus eines Nachbarn geklagt hatte, nahm das Gericht einen einheitlichen Baukörper an, da dieser spiegelbildlich zu einem Anbau auf der anderen Seite der Hausgruppe entstehen sollte; damit wurde die harmonische Beziehung der Gebäude zueinander insgesamt eher gefördert als beeinträchtigt, so das Gericht.

Identitätsverlust bei intensivem Eingriff in Bestand

VGH Bayern, Urteil vom 7. März 2008, Az.: 1 B 16.2375

In dem entschiedenen Fall hatte der Bauherr an einer lediglich noch bestandsgeschützten Garage im Außenbereich ein neues Dach mit Stahlbetondecke mit Gefälle nach Statik errichtet und durch Aufmauern der bestehenden Außenwände das Nutzungsmaß erhöht. Die Zulässigkeit dieses Vorhabens beurteilte sich nach § 35 BauGB (Bauen im Außenbereich), obwohl bereits ein Gebäude vorhanden war. Denn immer wenn der Bestand der vorhandenen baulichen Anlage verändert wird – sei es durch einen Eingriff in die bestehende Anlage oder wegen einer Qualitätsveränderung des Bestands – ist das gesamte Gebäude in den Blick zu nehmen und nicht allein die jeweilige Baumaßnahme. Der Bauherr muss sich so behandeln lassen, als wenn er hier erstmalig ein Gebäude errichten wollte. Entscheidend ist dabei, ob das Bauwerk seiner ursprünglichen Identität beraubt wird. Ein solcher Identitätsverlust tritt ein, wenn der Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Bauwerks berührt und eine statische Nachberechnung erforderlich macht; oder wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen; oder wenn die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird; oder die Baumaßnahmen sonst faktisch einer Neuerrichtung gleichkommen. Entscheidend seien damit, so das Gericht unter Berufung auf die langjährige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Art und Umfang der baulichen Maßnahmen. Werde das Gebäude durch sie derart verändert, dass es sich gegenüber dem früheren Zustand als etwas anderes, also als ein Aliud darstelle, liege eine Änderung im Rechtssinne vor, die den Bestandsschutz entfallen lasse. Das wurde hier bejaht.

Internet-Café oder spielhallenähnliche Vergnügungsstätte?

VG des Saarlandes, Beschluss vom 19. Dezember 2018, Az.: 5 L 1318/18

Darf eine Nutzung von Räumen als Internet-Café untersagt werden, wenn vor etwa 20 Jahren eine Nutzung als „Laden“ mit dahinter liegendem „Büro“ genehmigt worden war? Das Verwaltungsgericht bejahte diese Frage und bestätigte damit eine Ordnungsverfügung der Stadt. Rechtsgrundlage für die Nutzungsuntersagung war § 82 Abs. 2 der Landesbauordnung des Saarlandes. Nach dieser Bestimmung, die sich im Wesentlichen mit den entsprechenden Bestimmungen anderer Bundesländer deckt, kann die Nutzung von Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden, untersagt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte rechtfertigt bereits die ohne die erforderliche Genehmigung aufgenommene Nutzung baulicher Anlagen den Erlass einer Nutzungsuntersagung.

Die festgestellte Nutzung war nicht genehmigt: Sie unterschied sich ihrer Zweckbestimmung nach von der genehmigten Nutzung als Ladenlokal mit rückwärtigem Büro. Allerdings ist eine Nutzungsuntersagung nicht zulässig, wenn die aufgegriffene Maßnahme Bestandsschutz genießt, was hier auszuschließen war, oder offensichtlich genehmigungsfähig ist. Offensichtlich genehmigungsfähig sind Nutzungen nur bei ganz einfach gelagerten und in jeder Hinsicht einwandfrei abschließend (positiv) zu beurteilenden Vorhaben. Hier setzte der Bebauungsplan als Art der baulichen Nutzung ein Mischgebiet im Sinne von § 6 BauNVO fest. Insoweit stellte sich hier die Frage, ob es sich bei dem betriebenen Internet-Café um eine in einem Mischgebiet nicht zulässige (kerngebietstypische) Vergnügungsstätte handelte. Denn solche waren in dem fraglichen Teilbereich des Plans ausdrücklich ausgeschlossen. Das Gericht bejahte dies. Zwar ist ein Internet-Café nicht von vornherein als Spielhalle und damit als Vergnügungsstätte zu bewerten. Anders liegt es jedoch, wenn die Gesamtumstände darauf schließen lassen, dass die Betriebsräume hauptsächlich dem Spielzweck gewidmet sind und die anderweitige Nutzung der Internet-Terminals dahinter zurücktritt. Dafür lagen hier gewichtige Indizien vor. Zunächst sprach die Ausgestaltung der Räumlichkeiten mit zwei Kühlschränken mit (offenbar nichtalkoholischen) Getränken und einer Kaffeemaschine sowie einem WC dafür, dass diese für einen längeren Aufenthalt gedacht waren und hierzu animieren sollen, was typisch für einen spielhallenähnlichen Betrieb sein und weniger zu einem reinen Internet-Café passen dürfte. Vor allem aber waren die sich in den Räumlichkeiten befindenden 18 PCs miteinander vernetzt und die Jugendlichen spielten miteinander an den PCs. Deshalb stand das Spielangebot im Vordergrund und es war von einem – in diesem Gebiet nicht zulässigen – spielhallenähnlichen Betrieb auszugehen.

Dr. Hubertus Schulte Beerbühl ist Richter am Verwaltungsgericht Münster und Autor eines Lehrbuchs zum Öffentlichen Baunachbarrecht und zum Baurecht NRW

 

 

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