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Ist das Haus zur Rose in der Erfurter Pergamentergasse ein kompromissloser Ego-Bau oder gelungene Stadtreparatur?

[ Haus-Streit ]

Avantgarde und Altstadt

Wie weit darf ein Haus in historischer Umgebung aus dem gewohnten Rahmen fallen? Ein Wider und ein Für zu einem Erfurter Neubau.

Von Roland Stimpel

Ein Stück Entfremdung

Seit mich knapp vier Wochen nach dem Mauerfall der Erfurter Architekt Helmut Schurig durch die Pergamentergasse führte, habe ich zu ihr ein sehr sentimentales Verhältnis. Das ganz knapp vor dem Verfallstod gerettete Sträßchen ist mein Symbolort für die Rettung und Wiederbelebung ostdeutscher Altstädte. Die eigene Sentimentalität legt es nahe, auch vor den Sentimentalitäten anderer Leute Respekt zu haben. Und zu fragen, ob es klug ist, dass das Haus zur Rose die Altstadtgefühle vieler Erfurter offenbar verletzt. Eine Frage, die nicht nur Fachwerkgassen betrifft, sondern Grundsätze des Verhältnisses zwischen Architektenstand und Laien: Wie viel Provokation darf und soll es sein, wenn es um die Verwirklichung eigener Vorstellungen geht? Und wie viel Rücksicht gegenüber Vorstellungen muss sein, die partout nicht die eigenen sind?

Dass das Haus provoziert, berichtet Joachim Deckert nahezu mit Genuss: „Da drohen uns schon mal Leute mit den Fäusten und rufen: ‚Schämen Sie sich was.‘ Und als eine alte Mutter sich über das Haus empörte, sagte ihre Tochter: ‚Ich glaube, das ist Kunst. Und davon verstehe ich nichts.‘“ Sie versteht nicht, warum dieses hübsche, aber fremdartige Metalldekor die Erdgeschossfassade prägt, warum man keine Tür sieht, sondern allenfalls den Klingelknopf, warum die Fassaden bündig-glatt sind, die Fenster in Bändern statt schmal und einzeln, und was ein rechtwinkeliges Terrassengeschoss anstelle eines roten Steildachs mit Erkern und Gauben soll. „Ja, es polarisiert schon“, sagt Rainer Mester.

Aber nach seinem Empfinden nicht sehr stark. „Es ist ein normales Haus in einer normalen Altstadtsituation.“ Jedenfalls in der relativ abstrakten Sichtweise von Experten: Maßstab, Höhe, Etagenzahl, Nutzung. Doch Laien gucken nach der Vertrautheit von Bildern, nach Fassadenmustern und Silhouetten, nach konventioneller Ornamentik. Es irritiert und schreckt Spaziergänger aus ihrer Fachwerkseligkeit auf. Das wiederum ist im Expertenmilieu tolerabel, wenn nicht gar nötig. Hier hat jede Zeit ihre Spuren hinterlassen. Warum nicht auch unsere?“, fragt Mester. Zumal die zeitgenössische Zeichensetzung kein Selbstzweck sei, sondern sich zum Gutteil aus dem Inneren und seiner Wohnnutzung erkläre. Aber wie weit darf „Form follows function“ in der Pergamentergasse gelten? Sie gehört für die meisten Erfurter zu den Refugien des heute Unfunktionalen, des Klein-klein-Teiligen, des unökonomisch Krummen und vor allem zu den Refugien der räumlichen Beständigkeit in einer Welt, in der sonst alles immer unbeständiger wird. „Warum nicht auch hier?“, fragt Rainer Mester. „Es soll halt nicht alles sein, wie man es kennt.“ Der Denkanstoß zähle: „Ich würde es nicht als Provo­kation ansehen, sondern als ­Rätselaufgabe.“ Es mache die Leute für Hochwertig-Unkonventionelles aufnahmebereiter. Aber ich fürchte, das gelingt nicht in einem Umfeld mit solchen festen Seh­erwartungen. Hier setzt es keinen Denkprozess in Gang, sondern lähmt eher vor Empörung. Das Haus erzieht Laien nicht zu einem professionellen ästhetischen Verständnis, sondern es tut etwas Problematisches weit über Altstädte hinaus: Es schafft ein weiteres Stückchen Entfremdung zwischen Baukünstlern und gewöhnlichen Bürgern.


Von Cornelia Dörries

Revitalisieren, nicht musealisieren

Es spricht für die gelungene Wiederbelebung der 245 Hektar großen Erfurter Altstadt, dass es dort keine touristisch-gastronomische Monostruktur gibt. Das Quartier ist auch eine beliebte Wohnadresse, wo die wenigen noch vorhandenen Baulücken teuer gehandelt werden. Doch nicht jeder, der in die mittelalterlich verwinkelte Altstadt ziehen möchte, träumt von der Stubengemütlichkeit eines Fachwerkhauses. Denn auch wenn dessen pittoresker, vertrauter Zuschnitt das Auge erfreut – zeitgemäßen Wohnbedürfnissen entspricht es mit seinen dunklen, kleinen Räumen schon lange nicht mehr. Haben also moderne Wohnansprüche in einer mittelalterlich geprägten Altstadt keinen Platz?
Die Architekten Joachim Deckert und Rainer Mester haben mit dem Haus zur Rose in der Pergamentergasse 2 bewiesen, dass anspruchsvolle, moderne Wohnarchitektur auch in eine enge Gasse aus dem 11. Jahrhundert passt. Es ist ein Neubau, der sich anders als viele seiner Nachbarn nicht als Altbau camoufliert. Mester und Deckert, zugleich Bauherren und Bewohner des Hauses, gestehen: „Wir wollten den konventionellen Sehgewohnheiten etwas entgegenstellen.“ Auch dafür wurde das Haus mit dem Thüringer Architekturpreis 2009 ausgezeichnet. Es gibt keinen erkennbaren Eingang, die bündige Putzfassade wird von zwei unterschiedlich hohen horizontalen Fenster­bändern durchzogen, und der leicht zurückgesetzte Sockel ­verschwindet hinter einer gülden schimmernden Aluminiumgardine mit ausgestanztem Rosenmotiv. Dass zu beiden Seiten gegenwärtig noch Brachen gähnen, lässt das Haus wie einen Solitär wirken und verstärkt seine gestalterische Extravaganz. Doch mangelnden Respekt vor seiner Umgebung lässt sich dem Bau nicht vorwerfen. Er zeichnet den Umriss des 1986 abgerissenen Vorgängers aus dem Mittelalter nach und nimmt die Traufhöhe der Nachbarn auf. Die horizontal gegliederte Fassade, die im Weichbild des Sträßchens ganz unkapriziös aufgeht, trägt vor allem der schwierigen Lage in einer schma­len, schattigen Gasse Rechnung: Weil das Gebäude nur von der Straßenseite mit Tageslicht versorgt werden kann, musste der Front so viel Fensterfläche wie möglich abgerungen werden.

Denn die äußere Erscheinung des Neubaus ist keiner egozentrischen Provokation geschuldet, sondern seiner inneren Struktur und einer meisterhaften Tageslichtökonomie. So wurde im verschatteten Erdgeschoss, in dem sich Gästezimmer, Technikbereich sowie die ebenerdige Garage befinden, ganz auf Fenster verzichtet. Im ersten Obergeschoss liegen die Schlafzimmer mit einem in Brusthöhe verlaufenden schmalen Fensterband. Das zweite Obergeschoss bietet einem großzügigen Ess- und Wohnbereich Platz und lässt mit seiner lichten Höhe von drei Metern und einer unverstellten Fensterfront für reichlich Tageslichteinfall die beengte Altstadtlage vergessen. Das oberste Geschoss teilt sich in eine zur Gasse hin platzierte Terrasse und kleine Rückzugsräume; und das Treppenhaus wird über eine Lichtkuppel erhellt. Natürlich bleiben dem Passanten diese Qualitäten verborgen. Er sieht nur die äußere Hülle, die in ihrer ungewöhnlichen Optik zu einem Baustein der allenthalben beschworenen Kleinteiligkeit und Vielfalt geworden ist. Der  intakte städtebauliche Kontext wirkt hier noch auf jede Extravaganz mit erzieherischer Mäßigung. Oder anders gesagt: Der Charakter der Erfurter Altstadt leidet nicht darunter, wenn Lücken mit Gebäuden gefüllt werden, die sich als Architekturen des 21. Jahrhunderts zu erkennen geben. Revitalisierung heißt schließlich nicht Musealisierung.

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