Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Der Gebäudetyp E nimmt Form an“ im Deutschen Architektenblatt 07.2023 erschienen.
Die von der Bayerischen Architektenkammer angestoßene Initiative zu einem „Gebäudetyp E“ scheint in der öffentlichen Debatte und in Fachkreisen einen Nerv getroffen zu haben. Selbst in Talkshows großer Fernsehsender hat zum Beispiel die Bundesbauministerin Klara Geywitz die Idee als einen Ausweg aus der Wohnungskrise ins Spiel gebracht.
Im Ursprung sollte der Gebäudetyp E ein gesondert zu vereinbarender Planungsansatz sein, bei dem die bauaufsichtlich eingeführten Technischen Baubestimmungen und die allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht gelten müssen. Dabei sollten aber die grundlegenden Schutzziele der Bauordnungen gewahrt, Baukultur und Nachhaltigkeit vorangebracht werden.
Allgemein anerkannte Regeln der Technik wirklich verbindlich?
Die Architektenkammern allein können aber die Rechtslage nicht ändern, sondern dies muss im Dialog mit der Politik und anderen baunahen Akteuren geschehen. Ein großer Erfolg war deshalb die Thematisierung auf dem Deutschen Baugerichtstag, der Empfehlungen ausspricht, die oft Gehör in Politik und Rechtsprechung finden. Auf dem 9. Deutschen Baugerichtstag im Mai in Hamm wurden im Arbeitskreis Normung und Sachverständigenwesen vor allem die „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ (aaRdT) diskutiert. Die aaRdT werden in der Rechtsprechung herangezogen, wenn eine Richterin entscheiden muss, welche Qualitäten ein Käufer üblicherweise von einem Gebäude erwarten darf.
Im Grundsatz ist dieses Verfahren sinnvoll, wenn nur die Empfehlungen herangezogen würden, die tatsächlich die Bezeichnung „allgemein anerkannt“ verdienen. In der Regel gilt dies für technische Empfehlungen, zum Beispiel des Deutschen Instituts für Normung (DIN). In jüngerer Zeit wurden aber auch Normen zu aaRdT erklärt, die nur Komfortanforderungen darstellen oder vorrangig dem Vermarktungsinteresse von Bauproduktherstellern dienen. Auch wenn die Parteien eine Abweichung von den aaRdT vereinbaren, verbleibt das Risiko bei den Planerinnen, dass Nutzer sich bei einem vermeintlichen Mangel auf eine möglicherweise anerkannte Regel berufen.
Deutscher Baugerichtstag zum Gebäudetyp E
In dieser Melange aus Angst vor Haftung und fehlendem ökonomischem Anreiz bekommen technische Empfehlungen gesetzesähnlichen Charakter. Dabei gibt es nicht einmal eine abschließende Liste von aaRdT, sodass Empfehlungen im vorauseilenden Gehorsam befolgt werden, auch wenn diese sich kostensteigernd und ressourcenintensiv auswirken.
Die insgesamt zehn Empfehlungen des Baugerichtstages zum Gebäudetyp E lassen sich zusammenfassen:
- Technische Empfehlungen (Normen des DIN o. Ä.) sollen deutlich höhere Anforderungen erfüllen müssen, um zu einer aaRdT zu werden.
- Die Genehmigung der Abweichung soll bauordnungsrechtlich gebunden sein, sofern die gesetzlichen Schutzziele in gleicher Weise erreicht werden.
- Die Abweichung von einer aaRdT darf nicht mehr allein einen Mangel begründen. Es muss vor Gericht dargelegt werden, dass die Abweichung die Ursache für einen tatsächlichen Schaden oder die Gefahr eines Schadens ist.
- Abweichungen von den aaRdT müssen rechtssicher mit dem Bauherrn vereinbart werden können. Angesichts der Rechts- und Vertragspraxis wird empfohlen, dass die Voraussetzungen für eine abweichende Regelung gesetzlich geregelt werden.
- Regelsetzer (zum Beispiel Verfasser der Musterbauordnung) müssen abschätzen, welche wirtschaftlichen und auch ökologischen Folgen eine technische Empfehlung zum Beispiel des DIN hat, wenn sie diese bauordnungsrechtlich in Bezug nehmen.
Nach wie vor könnte ein Gebäudetyp E zwischen den Parteien ausdrücklich vereinbart werden. Viel wichtiger ist jedoch, dass ressourcenschonende und kostengünstige Lösungen generell nicht durch eine Mischung aus Angst vor Haftung und falsch verstandenen technischen Empfehlungen blockiert werden. Die Empfehlungen des Baugerichtstages gehen daher in die richtige Richtung. Nun müssen Sie ihren Weg in die Gesetzgebung und die Rechtsprechung finden.
Justizministerkonferenz zum Gebäudetyp E
Unterdessen wird die BAK ihre Forderungen weiter in die Politik tragen. So befassten sich Ende Mai die Justizministerinnen und Justizminister der Länder auf ihrer Frühjahrskonferenz mit dem Gebäudetyp E: Bundesjustizminister Marco Buschmann soll nun prüfen, welche zivilrechtlichen Anpassungen erforderlich sind, um die Umsetzung rechtssicher zu ermöglichen, insbesondere bei der Sachmangelhaftung im Werkvertragsrecht, aber auch im Kauf-, Miet- und Haftungsrecht. Weiterhin wurde mit dem Deutschen Institut für Normung Zusammenarbeit vereinbart.