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Brandschutz: Wenn auf den Bauantrag ein Korb erfolgt

Immer häufiger scheitern Architekten bei Bauanträgen an behördlichen Anforderungen in Bezug auf den Brandschutz, für die aus Sicht von Experten keine hinreichende Rechtsgrundlage existiert. Die Aufforderung an Planer, als überzogen empfundene Vorstellungen auch noch selbst zu beantragen, führt außerhalb des regulären Bauantrags­verfahrens zu immer ­höheren Kosten. Um dies zu vermeiden, ist nach Ansicht der Autoren ein konstruktiver Dialog unerlässlich.

30.09.202410 Min. Von Von Ralf Abraham und Willy Dittmar Kommentar schreiben
Gebäude mit Sandsteinen und wuchtiger Fluchttreppe

Verhältnismäßig? Trotz anleiterbarer Fenster entschied man sich bei diesem Rathaus für eine teure Fluchttreppe, der zudem jegliche Ästhetik abgeht.
Claudia Siegele

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Wenn auf den Antrag ein Korb erfolgt“ im Deutschen Architektenblatt 10.2024 erschienen.

Die von der Bundesregierung vorgegebenen Wohn- und Klimaschutzziele lassen sich nur umsetzen, wenn auch entsprechende Anpassungen in den Bauordnungen erfolgen. Ein Beispiel hierfür ist die Novellierung der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) im Juni 2024. Um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, will das Bundesland künftig an Bestandsbauteile keine höheren Anforderungen stellen, als sie im Bestand erfüllt sind.

Weiterhin Risiken für Planer und Bauherren

In der am 18. Juni 2024 veröffentlichten Novellierung beschränkt sich diese Erleichterung jedoch nur in der Ausweitung des Mitteilungsverfahrens auf das Bauen im Bestand. Im vereinfachten Verfahren sind Abweichungen zwar „zuzulassen“, jedoch liegt es im Ermessensspielraum der Genehmigungsbehörde, hierfür die Möglichkeiten und Grenzen zu definieren.

Die NBauO verweist in dem Zusammenhang lediglich auf die Vereinbarkeit mit den „allgemeinen Anforderungen“ nach § 3 Abs. 1 NBauO, was den Behörden quasi einen Freibrief bei Auslegungsfragen gibt. Somit birgt der Prozess der Antragstellung weiterhin erhebliche Risiken für Planer und Bauherren, die im Sinne des bezahlbaren Bauens auf kostensparende Abweichungen setzen.

Angst und zweierlei Maß

Kompliziert werden Antragstellungen vor allem dann, wenn Genehmigungsbehörden im Bereich Brandschutz herkömmliche Standards nicht mehr akzeptieren und vermehrt hundertprozentige Sicherheit anstreben.

Denn „Baurechtsmitarbeiter wollen sichergehen, dass sie nicht persönlich straf- oder zivilrechtlich belangt werden“, wie es der Empfehlungsbericht des Normenkontrollrats Baden-Württemberg 2021 auf den Punkt brachte. [1]

Haftbarkeit nur theoretisch

Dabei ist laut dem Bericht kein einziger Fall bekannt, in dem Mitarbeiter von Baubehörden aufgrund der Auswahl ungeeigneter Brandschutzanforderungen rechtlich belangt wurden. Sie diesbezüglich haftbar zu machen, wäre zudem fragwürdig, da in der Ausbildung „für die Sachbearbeitungs- und Entscheidungsebenen der unteren Baurechtsbehörden der Brandschutz kein Thema ist und die Mitarbeiter in den Verwaltungen nicht verpflichtet sind, sich im Bereich Brandschutz fortzubilden“. [1]

Grafik zum Thema Brandschutz für Immobilien mit Blick auf nicht hinnehmbare Risiken

Ermessensspielraum: Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es beim Brandschutz nie – zwischen nicht hinnehmbarem Risiko und überbordenden Forderungen liegt das pflichtgemäße Ermessen.
Ralf Abraham / DAB

Bestand mit erheblichen Gefahren?

Diese fehlende Rechtssicherheit hat aber zur Folge, dass immer häufiger kostspielige externe Gutachten eingefordert werden. Ermutigungen zu restriktiven Auslegungen erhalten ängstliche Mitarbeiter zudem durch eine Reihe von Gerichtsurteilen, wonach selbst von einem ehemals genehmigten Bestand nach erfolgter Begehung durch eine Brandschutzdienststelle „erhebliche Gefahren für Leben und Gesundheit“ ausgehen.

So entsprach zum Beispiel ein Treppenraum nicht dem heutigen Baurecht, wodurch sich das „Handlungsermessen der Behörde auf null reduzierte“. [2] Das Gericht sah Nutzungsuntersagungen mit sofortigem Vollzug als gerechtfertigt, finanzielle Überlegungen dürften hierbei keine Rolle spielen.

Gegen den Gleichhandlungsgrundsatz

Derartig restriktive Urteile mit zweierlei Maß (Baurecht damals und heute) konterkarieren das vom Gesetzgeber im Baurecht ehemals eingepreiste und somit gesellschaftlich akzeptierte Risiko komplett, indem sie dereinst gesetzeskonform errichtete, genehmigte Gebäude als Quelle erheblicher Gefahr ansehen – weil sie dem heutigen Standard nicht entsprechen.

Dass in logischer Folge alle Bauten älteren Baujahres mit dem gleichen Standard ebenfalls umgehend geschlossen werden müssten, wäre hierbei das Gebot des Gleichbehandlungsgrundsatzes – was natürlich niemand einzufordern wagt. Und so werden weiterhin alle diejenigen schlechter gestellt, die etwas tun wollen – gegenüber denjenigen, die nichts tun und weiterhin Bestandsschutz genießen.

Pflichtgemäßes Ermessen vs. Antragserfindungsrecht

Das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) schreibt vor, dass sich sämtliche Behörden im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens

  • an den rechtlich anzuwendenden Maßstab,
  • an die Verhältnismäßigkeit und
  • an die Einheit des ­Verwaltungshandelns

zu halten haben. Schließlich kann nicht bei vergleichbaren Sachverhalten mal so und mal so entschieden werden.

Was den angemessenen Umgang mit dem Bestand angeht, erscheint es somit im Abwägungsprozess auch für das vereinfachte Verfahren zumindest geboten, den Maßstab der Bauordnung zum Zeitpunkt der Errichtung zu würdigen.
Dieser Abwägungsprozess stünde im Einklang mit Artikel 14 des Grundgesetzes (Bestandsschutz), zumal sich nicht alle materiellen Anforderungen des heutigen Baurechts mit verhältnismäßigen Mitteln umsetzen lassen.

Grafik zum Thema Brandschutz für Immobilien mit der Ablaufmatrix innerhalb rechtstaatlicher Prinzipien

Normalfall: Im Rahmen ordnungsgemäßer Verfahren haben Antragsteller die Möglichkeit, sich rechtlich gegen überzogene Auflagen bzw. Ablehnungen zu wehren.
Ralf Abraham / DAB

Übermaßverbot und „Antragserfindungsrecht“

Unterschreitungen der gesetzlich festgelegten Schutzziele (erhebliche Gefahren) sind hierbei ebenso wenig hinnehmbar wie Überschreitungen – hier gilt das Übermaßverbot. [3]

Immer häufiger jedoch werden Architektinnen, Fachplaner und Bauherrinnen in einem „auflagenfreien“ beziehungsweise „Bypass-Verfahren“ mit einer Art Antragserfindungsrecht konfrontiert, welches sich diesen rechtsstaatlichen Prinzipien komplett entzieht.

Wünsche werden zu Nachweispflichten

Hierzu werden Bauherrn und Planer in einem ersten Schritt zumeist auf vermeintlich zuständige, tatsächlich jedoch nachrangige Stellen, wie zum Beispiel die Feuerwehr, verwiesen, um sich dort – außerhalb des eigentlichen Bauantragsverfahrens – zu „einigen“.

Die daraufhin folgenden „Beratungsgespräche“ werden dann dazu verwendet, Wünsche dieser Stellen „als zu erbringende Nachweise“ umzuetikettieren und einzufordern:

  • im vereinfachten Verfahren – wie für ­einen Sonderbau,
  • im Bestand – wie für einen Neubau,
  • bei ungeregelten Sonderbauten – wie für einen geregelten Sonderbau, nicht selten auch für den nicht antragsgegenständlichen Bereich, obgleich der Antragsteller nach Rechtslage hierzu nicht verpflichtet ist.
Grafik zum Thema Brandschutz in Gebäuden mit der Ablaufmatrix außerhalb rechtsstaatlicher Prinzipien.

Bypass-Verfahren: Bei auflagenfreien Verfahren werden Antragsteller hingegen mit einer Art Antragserfindungsrecht konfrontiert, das sich den rechtsstaatlichen Prinzipien komplett entzieht.
Ralf Abraham / DAB

Rücknahmefiktion nicht angreifbar

Weigert sich ein Bauherr, diesen Wünschen nachzukommen, und erstellt diese Nachweise im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nicht, greift vonseiten der Bauaufsicht dann oftmals „das scharfe Schwert der Rücknahmefiktion“ (gemäß § 69 Abs. 2 NBauO/MBO), nach der ein Bauantrag als von Bauherren selbst zurückgenommen deklariert wird, da der Antrag aufgrund vermeintlich fehlender Nachweise „unvollständig“ und somit nicht prüffähig sei.

Diese Rücknahmefiktion erfolgt in den allermeisten Fällen ohne angreifbaren Verwaltungsakt – ein Worst-Case-Szenario für jeden Bauwilligen, der auf seine Genehmigung wartet und dem durch diese „Fiktion“ jeglicher Verwaltungsakt vorenthalten wird. [4]

Trotz Kenntnis dieser Missstände [5] erhält diese Vorgehensweise sogar noch Rückendeckung durch die oberste Bauaufsichtsbehörde, die bestätigt, dass mit dem Eintritt der gesetzlichen Rücknahmefiktion das Baugenehmigungsverfahren automatisch beendet ist und die Bauaufsichtsbehörde einen solchen als zurückgenommen geltenden Bauantrag nicht weiter bearbeiten darf. [6]

Milderes Mittel der Auflagen wäre eleganter

Der weitaus elegantere und sinnvollere Weg für die Baubehörde wäre das mildere Mittel der Auflagen oder der Ablehnung – dann jedoch, gemäß § 39 Abs. 1 VwVfG, mit Begründung des jeweiligen Verwaltungsaktes. Gerichte mögen im Zweifel dann innerhalb rechtsstaatlicher Prinzipien darüber befinden, ob hierzu eine hinreichende Rechtsgrundlage existiert – oder nicht.

Eine Frage der Haftung

Bei dem sogenannten Bypass-Verfahren stecken insbesondere Entwurfsverfasser in einer kaum zu lösenden Zwickmühle, die ja dazu verpflichtet sind, ein so genehmigungsfähiges wie auch wirtschaftliches Bauwerk herzustellen.

Reichen sie die gewünschten Nachweise selbst ein, wird der Bauantrag zwar „auflagenfrei“ genehmigt, jedoch haftet der Antragsteller gemäß rechtskräftiger BGH-Entscheidung auch noch nach Bauende für dessen Wirtschaftlichkeit – insbesondere dann, wenn er überzogene Forderungen unkritisch übernahm, sie selbst beantragt hat und hierdurch dem Bauherrn jegliche Klagemöglichkeit gegen einen dann nicht vorhandenen Verwaltungsakt entzieht. [7]

Bauen im Bestand erschwert

Hierbei geht es um erhebliche Zusatzkosten, die sich je – nach Forderung oder Auflage –  schnell aufaddieren können und somit das Gebot des wirtschaftlichen Bauens im Bestand unversehens aushebeln: [8]

  • Innentreppe neu: 20.000 bis 50.000 Euro;
  • Außentreppe neu: 20.000 bis 50.000 Euro;
  • Bekleidung von Dachunterseiten in F30: 5.000 bis 30.000 Euro;
  • Schaffung notwendiger Flure im Großraumbüro: 20.000 bis 30.000 Euro;
  • F90-Trennwände im DG (auf F30-Holzbalkendecken?): 2.000 bis 5.000 Euro;
  • Ertüchtigung ehemaliger „Brandmauern“ zu Brandwänden (Aussteifung über den vorhandenen B2-Holzdachstuhl?): 15.000 bis 30.000 Euro;
  • ober- und unterseitige Ertüchtigung von F30-Holzbalkendecken zu F90: 15.000 bis 20.000 Euro.

Widersprüche zur Bauordnung

Viele dieser Anforderungen – wohlgemerkt außerhalb des hierfür vorgesehenen Baugenehmigungsverfahrens – sind darüber hinaus gar nicht zulassungskonform umsetzbar, wie zum Beispiel die Aussteifung über Bestandsbauteilen mit geringerer Feuerwiderstandsfähigkeit.

Oder aber sie widersprechen der aktuellen Landesbauordnung (LBO), wie zum Beispiel die Forderung nach einem notwendigen Flur im Großraumbüro, beziehungsweise sie können wie im Fall von Deckenertüchtigungen ohne nachbarliche Zustimmung gar nicht umgesetzt werden.

Eine ganz besondere Spezialität ist der oftmals geforderte Nachweis sogenannter „Rettungsraten“. Ein Begriff, den die Musterbauordnung (MBO) nicht kennt und der auch in keiner einzigen Landesbauordnung existiert.

Wettbewerb um Lösungen statt um Bedenken

Der dramatische Rückgang im Wohnungsbau und die Herausforderungen des Klimawandels erfordern einen gänzlich anderen Umgang mit dem Bestand (Stichwort: graue Energie). Hierzu bedarf es neben einem entsprechenden Rechtsrahmen (Umbauordnung) auch der konstruktiven Mitwirkung der jeweiligen Behörden. Der Verwaltung kommt hier eine besondere Verantwortung zu, müssen doch sämtliche Bauanträge stets durch das Nadelöhr des Genehmigungsverfahrens.

Das Streben nach hundertprozentiger Sicherheit, sogenannte „Fiktionen“, Nutzungsuntersagungen mit sofortigem Vollzug oder Verweise auf nachrangige Stellen (um sich dort zu einigen) sind keine Lösung, sondern hinderliche und lähmende Bürokratie. Davon abgesehen sind aus Angst geborene Anpassungswünsche an das heutige Baurecht im Bestand mit zulassungskonformen und wirtschaftlich vertretbar kaum umsetzbar.

Im alltäglichen Umgang mit Behörden brauchen wir daher eine Kultur des Dialoges, einen Wettbewerb um die besten Lösungen statt eines Wettbewerbs um die meisten Bedenken. Für alle Seiten aber gilt: ohne Rechtsgrundlage kein Recht.


Ralf Abraham ist Architekt, Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz, Begründer der AG „Brandschutz im Dialog“, Initiator und Leiter der AG „Umbauordnung“ des DIvB,
Willy Dittmar ist Architekt, war bis Oktober 2010 im staatlichen Baumanagement Niedersachsen in der Fachstelle für öffentliches Baurecht und Brandschutz tätig.


Mythen des Brandschutzes

Das Spannungsfeld zwischen einem angemessenen Umgang mit dem Bestand (Stichwort: Umbauordnung) und überbordenden Forderungen mancher Behörden nahmen die Arbeitsgemeinschaften „Brandschutz im Dialog“ und „Umbauordnung“ im Deutschen Institut für vorbeugenden Brandschutz (DIvB) zum Anlass, entsprechende Anfragen an die Politik zu richten, beginnend mit dem jeweiligen obersten Dienstherrn, über Bauministerien bis hin zur Bauministerkonferenz – mit teils erhellenden Antworten. [9]

In den „Mythen des Brandschutzes“, die seit 2021 im FeuerTrutz-Magazin erscheinen, werden sowohl die Fragen als auch die Antworten veröffentlicht und kommentiert. Architekten, Ingenieure, Fachplaner, Bauherren und Behörden finden darin Argumente und Beispiele, um zumindest die häufigsten strittigen Themen einem sachlichen Diskurs zuzuführen, die vorherrschende Sprachlosigkeit gegenüber „Fiktionen“ zu überwinden und zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens beizutragen.

Vertiefende Informationen zur formellen Unzulässigkeit weitergehender Wünsche (unterhalb von Sonder­bauten) finden Sie im Mythos 11 ­„Argumente sind nicht zulässig“. [10]


Quellen zu Brandschutz und Baugenehmigung

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