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[ Schwerpunkt: Geballt ]

Dichter, Denker und viele Architekten

In keiner Stadt Deutschlands gibt es mehr Architekten pro Einwohner als in Weimar. Was zieht sie in diesen kleinen Ort? Was hält sie hier?

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Ein Bauwerk und seine Schöpfer: Das Gefahrenabwehrzentrum in Erfurt entstand 2013…

Text: Cornelia Dörries

Als die Deutsche Bahn im Jahr 2011 den Bahnhof Weimar als ICE-Halt strich, demonstrierten die selbstbewussten Bürger der Stadt gegen diese Zwangsprovinzialisierung auf ihre Weise. Sie stellten sich mit Geigen und Cellos auf den Bahnsteig und hofften, dass ihr wütendes Streichkonzert die DB-Manager doch noch umstimmen würde. Allein, es half nicht. Weimar, die kleine Stadt mit großer Geschichte, ist für die Bahn nicht mehr als ein Kaff mit gut 65.000 Einwohnern, Goethe hin, Gropius her.

Man muss dieses Ungleichgewicht zwischen also statistisch erfassbarer Größe und dem fast mythisch aufgeladenen Nimbus des Ortes wohl auch bemühen, wenn man der Frage nachgeht, warum sich 347 eingetragene Architekten ausgerechnet in einer Kleinstadt im strukturschwachen, eher ländlich geprägten Mittelthüringen niedergelassen haben. Sicher, es ist ein schöner Ort mit einer einzigartigen Konzentration von Geschichte, Kunst und Kultur, und natürlich bringt die Architekturfakultät der Bauhaus-Universität eine gewisse berufsständische Häufung mit sich. Doch die in Weimar und Umgebung anfallenden Bauaufgaben sind so knapp und so klein sind wie die Budgets und die Bauherren. Die Zahl der mittelständischen Wirtschaftsunternehmen ist auch fast 25 Jahre nach der Wiedervereinigung überschaubar; größere Firmen, wie zum Beispiel Bayer-Schering, unterhalten hier allenfalls Fertigungsstandorte.

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…nach dem Entwurf von Antje Osterwold (links) und Matthias Schmidt (rechts).

Wie also kommen die überdurchschnittlich vielen Architekturbüros wirtschaftlich zurecht? Anders gefragt: Kommen sie sich auch in die Quere?

Antje Osterwold und Matthias Schmidt verneinen diese Frage und kritisieren eher, dass aus den vielen Kollegen vor Ort keine gemeinsame Interessensvertretung erwächst. Das Paar gehört mit seinem 1997 gegründeten Büro Expander Architekten zu den etablierten Weimarer Planern. Selbstverständnis, Auftritt und Portfolio des Büros stehen geradezu idealtypisch für die Besonderheit der Stadt selbst: klein, aber fein und distinktionsbewusst. Schon die Adresse des Büros am Brühl, einer verwunschenen, stillen Straße nördlich des Zentrums, ist Ausdruck dieser speziellen Weimarer Art. Osterwold und Schmidt haben in einem alten Haus die Räume einer ehemaligen Fleischerei wiederbelebt – auf unprätentiöse und fast beiläufige Weise.

Der frühere Verkaufsbereich im Parterre, heute Besprechungsraum, ist lediglich mit einem großen Tisch und alten Panton-Stühlen möbliert; nur ein paar Abbildungen realisierter Projekte an der Wand verraten, dass jetzt Architekten hier arbeiten. Dieser Charme des Unfertigen ist keine Absicht, doch nichts steht sinnfälliger für die Wendungen und Zufälle, die am Ende dazu führten, dass Osterwold und Schmidt in Weimar landeten. Denn eigentlich hatten beide nach ihrem Grundstudium an der damaligen Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar eher Lust auf die weite Welt. Es war die wilde Zeit kurz nach dem Mauerfall, der Westen lockte, und trotzdem kehrten der aus Eisenach stammende Matthias Schmidt ebenso wie die Mecklenburgerin Antje Osterwold nach Stationen in Lissabon und Paris zurück in das Nest an der Ilm. Nach dem Examen 1995 zog es beide erneut fort; nach Berlin, ins nahe Erfurt, nach Jena. Doch sie fanden sich wieder an ihrem ehemaligen Studienort ein.

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Ausgezeichnet: Für den Neubau der Bibliothek des Erfurter Augustinerklosters wurde das Büro von Ulrich Junk und Klaus Reich aus Weimar mehrfach mit Preisen bedacht. Doch neben dem Entwerfen haben die beiden Architekten auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Planer-alltags in Weimar immer im Blick.
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Ulrich Junk (links) und Klaus Reich (rechts).

„Wir hatten eigentlich nicht vor, in Weimar zu bleiben. Wir nahmen mit Fernweh an Wettbewerben teil, zum Beispiel in Island“, so Architektin Osterwold. „Doch dann ergab sich ein Projekt in Arnstadt.“ Es folgte die Bürogründung zusammen mit zwei Kollegen. Doch das erste gemeinsame Vorhaben geriet zum Debakel. „Ein agiler Bauträger aus Wiesbaden hatte uns mit einem Wohnungsbauprojekt beauftragt“, so Schmidt. „Wir arbeiteten über ein Jahr, doch wir sahen nie einen Pfennig.“ Hingeschmissen haben sie trotzdem nicht. Dass Osterwold und Schmidt Rückschläge parieren können, hat auch mit den Erfahrungen aus der Wendezeit zu tun. „Wir waren motiviert und nutzen die Freiheit für manche Sprünge ins kalte Wasser. Wir mussten für alles kämpfen“, so Osterwold. „Dieses Ungewisse, Unsichere bot jedoch auch eine große geistige Freiheit.“ Das Büro wird nach dem Ausscheiden der zwei anderen Gründungsmitglieder seit 2001 nur noch von Osterwold und Schmidt geführt und ist trotz seiner zahlreichen Wettbewerbserfolge und Preise nie stark gewachsen. Das Personal besteht, je nach Auftragslage, aus sechs bis acht Mitarbeitern. „Eine elastische Größe“, wie Matthias Schmidt sagt. Der Großteil der Aufträge kommt wie in den Anfangsjahren aus dem Wohnungsbau; und sicher haben auch die etlichen ausgezeichneten Privathäuser und Wohnprojekte zu dieser Schwerpunktsetzung beigetragen. „Das verfolgt uns“, so Osterwold. Erst jüngst hat das Büro einen überregional beachteten Wettbewerb für ein mehrgeschossiges Wohnhaus am Dom in Erfurt gewonnen.

Doch mit dem Wettbewerbssieg für einen Kirchenbau in einer kleinen thüringischen Gemeinde und Verkehrsprojekten wie der Fahrradstation am Erfurter Hauptbahnhof ist das Spektrum breiter geworden. In Weimar selbst hat das Büro am wenigsten zu tun; entsprechend weit reicht der Akquiseradius über das nähere Umland hinaus. Aufträge kommen vor allem über Wettbewerbe oder auf Empfehlung; und auch die Auszeichnungen haben den Expander Architekten viel überregionale Aufmerksamkeit beschert. Trotzdem sind die geringe Zahl offener Wettbewerbe und die Beschränkungen für kleine Büros bei VOF-Vergaben ein Problem; daraus machen die Architekten kein Hehl. Bedauern sie es, ausgerechnet in ihrer Stadt nicht so recht zum Zuge zu kommen? „Wir wollen auch weiterhin arbeiten, ohne einen Rotarierknopf am Revers oder die richtige Golfclub-Mitgliedschaft vorweisen zu müssen“, sagt Antje Osterwold ganz unverblümt.

Weimar verspielt Chancen

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Fulminanter Einstieg: Mit dem Entwurf für das neue Bauhaus-Museum kehrte der Wahl-Weimarer Johann Bierkandt in seine Studienstadt zurück.

Auch Klaus Reich hat in Weimar nicht viel zu tun. Er führt als Mitinhaber von Junk & Reich immerhin eines der größten Architekturbüros des Freistaats und bringt die Situation in der Stadt auf den Punkt: „Es gibt vor Ort viele gute Architekten, doch es fehlt an qualifizierten Bauherren.“ Und damit schließt er ausdrücklich die öffentlichen Auftraggeber ein, die in Gestalt von Bauämtern oder Wohnungsbaugesellschaften keine Wettbewerbe mehr veranstalten, sondern auch städtebauliche Schlüsselvorhaben über VOF-Vergaben an der Architektenschaft vorbei realisieren. Und das ärgert ihn nicht nur, weil er als Gründungsmitglied der Kammer Thüringen weiß, wie es eigentlich laufen müsste.

Es ärgert ihn auch, weil damit baukulturelle Standards unterlaufen werden und Fragen von architektonischer Qualität und Vielfalt mitunter auf der Strecke bleiben. Reich gehörte im Nachwende-Weimar sozusagen zu den Architekten der ersten Stunde. Er studierte hier noch zu DDR-Zeiten und arbeitete nach seinem Abschluss im Jahr 1985 im Wohnungsbaukombinat Erfurt, bevor er sich im Zuge der Wende im Mai 1990 zusammen mit Ulrich Junk und dem 1997 ausgeschiedenen Thomas Wiehl in die Selbstständigkeit wagte. Das Büro, dessen erster Auftrag damals eine Kunstschmiedewerkstatt im nahe gelegenen Dörfchen Hetschburg war, spielt inzwischen fast nur noch auswärts und, um im Bild zu bleiben, in einer wirtschaftlich anderen Liga als seine Kollegen von Expander. Auch der Sitz von Junk & Reich spiegelt das wider: Das Büro befindet sich im Gewerbegebiet nördlich des Bahnhofs in einem schmucklosen Neubau. Der mit schlichten Standardmöbeln ausgestattete Besprechungsraum könnte auch zu einer Versicherung oder IT-Firma gehören.

Wären da nicht die Modelle und Schautafeln von den preisgekrönten Projekten, darunter die Bibliothek des Augustinerklosters in Erfurt und der Sitz einer Ingenieurbaufirma. 90 Prozent des Auftragsvolumens akquiriert Junk & Reich bei öffentlichen Auftraggebern; meist über VOF-Verfahren, um die sich zwei der insgesamt 30 Mitarbeiter ausschließlich kümmern. Schon um an solchen Vergaben mit einem gewissen Auftragsvolumen teilnehmen zu können, brauche das Büro diese Größe, so Reich. „Die Erfolgsquote bei VOF-Verfahren beträgt im Schnitt eins zu zehn.“ Und ja, es gibt für ihn auch die Pflicht zum Erfolg, schließlich müssen die Mitarbeiter beschäftigt und bezahlt werden. Entsprechend weit gefasst ist auch der Aktionsradius des Büros. Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern, Hessen – innerhalb von 300 Kilometern lassen sich auch größere Projekte gut von Weimar aus bewältigen. Dass es vor Ort mit Aufträgen nicht so gut aussieht, ist für den 54-jährigen Reich kein Grund, über einen Umzug nachzudenken. „Die Lebensqualität, die Kultur und die Umgebung, das ist in Weimar einfach wunderbar.“

Rückkehr als Neubeginn

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Johann Bierkandt

Schön findet es Johann Bierkandt, Jahrgang 1977, hier auch. Allerdings waren seine Gründe, sich als Architekt in Weimar niederzulassen, zunächst privater Natur: Seine Frau fand in der Stadt einen Job. Doch Bierkandt ist ähnlich wie Antje Osterwold und Matthias Schmidt ein Rückkehrer. Denn er studierte von 1997 bis 2003 an der Bauhaus-Universität, ging dann nach Hannover und arbeitete anschließend bei Peter Kulka in Dresden, bevor er erst Mitarbeiter und später Partner bei Motorplan (Mannheim/Frankfurt am Main) wurde. Seit 2012 leitet er das Motorplan-Büro in Weimar, dessen Eröffnung von besonders viel Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit begleitet war. Denn Bierkandts Wettbewerbsentwurf für das neue ­Bauhaus-Museum in Weimar gewann den viel beachteten 2. Preis (es gab keinen Erstplatzierten).

Lässt sich ein besserer Start für ein kleines Büro denken? Unterstützt nur von einem Praktikanten, bestreitet Bierkandt zur Zeit noch allein das aktuelle Tagesgeschäft: ein Gemeindezentrum in Heddesheim bei Heidelberg und ein Wohngebäude in Weimar. Bedeutet diese Standortwahl für einen jungen, ambitionierten Architekten nicht ein gewisses wirtschaftliches Risiko? „Architekten denken ja nicht allein wirtschaftlich“, so Bierkandt. „Natürlich hat Mannheim in dieser Hinsicht Vorteile. Motorplan hat sich diese Stadt sogar bewusst ausgesucht, weil es dort keine Architekturausbildung und damit weniger Konkurrenzdruck gibt, aber ein starkes wirtschaftliches Umfeld. Doch wenn es um die Gewinnung von qualifizierten Nachwuchskräften geht, sieht es in Weimar viel besser aus.“ Ganz zu schweigen von der schönen Stadt, ihren kurzen Wegen und der sich daraus ergebenden besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, also den weichen Standortfaktoren. Doch den wichtigsten Vorteil bietet ihm Weimar mit der Möglichkeit, Lehraufträge oder Assistenzen an der Bauhaus-Universität wahrzunehmen.

„Viele junge Architekten könnten ohne dieses zweite Standbein in der Lehre gar kein eigenes Büro aufbauen“, gibt er zu bedenken. Auch er arbeitet derzeit halbtags als Dozent an seiner alten Fakultät. Nach der Rückkehr an die Ilm war Bierkandt überrascht, wie wenig sich in den acht Jahren seiner Abwesenheit verändert hatte. Kontakte innerhalb der lokalen Architektenszene ergaben sich für ihn rasch und informell, im sprichwörtlichen Vorbeigehen. „Man sieht immer noch dieselben Gesichter“, sagt er. „Wir brauchen eigentlich keine institutionalisierten Austauschplattformen; wir treffen uns ja ständig in der Stadt.“ Natürlich kennt er auch Expander Architekten – er hat dort sein Praktikum absolviert. Und Antje Osterwold und Matthias Schmidt wiederum waren in ihrer Studienzeit als Praktikanten bei Junk & Reich. So ist das eben in der Kleinstadt.

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