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Immer aufwärts: Die Berliner Reichstagskuppel von Norman Foster gehört zu den gern besuchten Orten von Architekturtouristen - am besten mit einer Experten-Führung.

[ Architekturführungen ]

Leistungsphase T

Zeitgenössisches Bauen ist ein lukratives Thema für Stadtführer, die das Fach beherrschen

Immer aufwärts: Die Berliner Reichstagskuppel von Norman Foster gehört zu den gern besuchten Orten von Architekturtouristen – am besten mit einer Experten-Führung.

Text: Ralf Kalscheur

Es war ein massives Ballett, das Daniel Barenboim 1996 am Potsdamer Platz dirigierte: 19 Portaldrehkräne bewegten sich auf Europas größter innerstädtischer Baustelle synchron zu Beethovens Ode „An die Freude“. Die spektakuläre Inszenierung eines Richtfestes war quasi ein Wink mit dem Kranarm – Startsignal einer Entwicklung, die damals auch Berlin erfasste: Zeitgenössische Architektur weckte mehr und mehr Interesse und war im Begriff, ein wichtiger Tourismusfaktor zu werden. Die vielen Baustellen und neuen Bauwerke warfen Fragen auf, technischer und ästhetischer Natur, Fragen der Einordnung in gesellschaftliche und stadtplanerische Zusammenhänge.

Das Informationsbedürfnis von immer mehr architekturbegeisterten Besuchern konnten die klassischen Stadtführer ohne adäquaten Kenntnishintergrund jedoch nur unzureichend erfüllen. Leute waren gesucht, die sich damit auskannten. Eine Marktlücke für gelernte Architekten hatte sich aufgetan, und Thomas Krüger war 1996 zur rechten Zeit am richtigen Ort, um in die Leistungsphase T wie Tourismus einzusteigen.

35.000 Kunden pro Jahr

Krüger war damals auf Vermittlung der Architektenkammer Berlin gebeten worden, einer Gruppe Interessierter Neues in der Hauptstadt zu zeigen und zu erklären. Also gab er den Stadtführer – gerüstet mit der pädagogischen Erfahrung einer Vorlesungstätigkeit an der Technischen Universität und auf der Suche nach Neben-Honoraren. Die Premiere war erfolgreich: Die von Krüger Geführten sparten am Ende des Tages nicht mit Lob und empfahlen seinen Service weiter. 800 Mark gab es für den Auftrag. Für Krüger leicht verdientes Geld, das ihm auch über das anfängliche Unwohlsein hinweghalf, dass er es als gelernter Architekt im weniger renommierten Job des Stadtführers verdient hatte.

„Die Nachfrage kam dann von ganz allein, die Aufträge flogen mir nur so zu“, erinnert sich der jetzt 53-Jährige. Krüger gründete noch im gleichen Jahr gemeinsam mit einem Kollegen kurz entschlossen die Agentur für Architekturführungen „Ticket B“. Aus dem Nebenjob wurde schnell Passion und schließlich Hauptbetätigungsfeld. „Es macht mir einfach großen Spaß, mein Wissen zu vermitteln“, nennt Krüger als Motivation. Ticket B ist heute Marktführer in Berlin und organisiert mit zehn Honorarkräften vom Fach gut 200 Touren pro Jahr. Ziele der Exkursionen für bislang über 35.000 Gäste sind vor allem Berlins bekannte Attraktionen, denn Zielgruppe der Agentur sind die interessierten Laien. Fachpublikum kann aber individuelle Touren buchen.

Stadt verstehen am Modell: Die Besucher einer Stadtführung von Ticket B können räumliche Zusammenhänge am großen Modell der Berliner Innenstadt studieren.

Mitbringen müssen Kunden die Bereitschaft, für die Dienstleistung von Ticket B recht tief in die Tasche zu greifen. Eine Tagestour kostet 730 Euro, eine individuell vorbereitete Führung 1.420 Euro. „Wir sind teuer“, sagt Krüger offen. Ebenso unverblümt gesteht er: „Ich führe lieber Gruppen mit Laien; die können den Stadtraum noch genießen. Architekten hingegen ist oft die Begeisterungsfähigkeit abhanden gekommen.“ Fachleute würden allzu oft das Haar in der Suppe sehen – oder gar suchen.

33 Städte im Netzwerk

Ähnlich früh wie Thomas Krüger hatte der Schweizer Hans Geilinger das neue Berufsfeld für Architekten entdeckt, und so trafen sich die beiden Pioniere 1997. „Der Kollege Geilinger bot Führungen in Barcelona an, und wir wollten uns einfach gegenseitig weiterempfehlen“, so Krüger. „Dann kam eins zum anderen.“ Die beiden sprachen über die Jahre weitere Architekten an, die in ihren Städten zeitgenössische Baukunst erklärten, und knüpften ein europäisches Netzwerk. Die zunächst lose Verbindung von elf Agenturen gab sich dann 2004 den Namen Guiding Architects, zwei Jahre später wurde das Netzwerk in Zürich formell als Verein gegründet. Seitdem nehmen die Guiding Architects Fahrt auf. Heute haben sie Mitglieder in 33 Städten, etwa in Doha, Moskau, New York, Sydney und Shanghai. Es sollen noch mehr Städte werden. „Wir streben ein weltweit grenzenloses Wachstum an“, erklärt Thomas Krüger.

Das Netzwerk lebt von seinem Ruf, an jedem Standort Architekturführungen vergleichbarer Qualität zu gewährleisten. Dazu gehört auch, dass Gruppen in die Gebäude gehen können. Der organisatorische Aufwand für diesen Service ist mitunter hoch, doch nur so wird eine ganzheitliche Führung im Sinne der Guiding Architects komplett. Alle Stadtführer müssen zudem ihre didaktische Eignung im Rahmen von Prüfungs-Touren unter Beweis stellen.

80 Prozent Fachpublikum

„Wir profitieren sehr vom Netzwerk und seinem Ruf“, sagt Torsten Stern, der mit seiner Agentur a-tour in Hamburg zu den Gründungsmitgliedern der Guiding Architects gehört. Erste Rundgänge bot der Architekt zu Beginn der Bauarbeiten an der Hafencity an. Parallel zum neuen Stadtteil wuchs auch die Nachfrage nach seiner Dienstleistung. Mittlerweile organisiert a-tour schon über 200 Führungen pro Jahr, Tendenz steigend, denn die Hansestadt blüht und baut. „Dennoch gibt es kaum Konkurrenz für uns“, wundert sich Stern. Er beschäftigt zehn Kollegen als Guides und könnte vom Stadtführungsgeschäft allein gut leben. Doch Stern will weiterhin auch mit seinem Architekturbüro Pawlik.Stern Projekte realisieren: „Zwei Standbeine sind schon gut. So bleibt man noch in der Praxis und kann bei Führungen auch aus dem Nähkästchen plaudern.“

A-tour bietet Touren für Gruppen ab fünf Personen an, 20 bis 30 Gäste sind es im Schnitt. Die Kunden sind zu 80 Prozent Architekten oder kommen aus affinen Branchen. Fachspezifische Führungen werden individuell zusammengestellt, etwa zum Thema nachhaltiges Bauen. Hauptsächlich Deutsche, Niederländer, Schweizer und Schweden begrüßt Stern, die gern per Barkasse zur Elbinsel, Schauplatz der IBA, und durch die Hafencity geschippert werden möchten. Gruppen aus dem Ausland zeigen auch großes Interesse an entwidmeten Kirchen, beispielsweise an der ehemaligen Bethlehemkirche in Eimsbüttel, die durch ein Haus-in-Haus-Konzept zu einer Kindertagesstätte umgebaut wurde.

Ein Viertel Umsatz mit Führungen

Das Thema Kirchen ist auch in München aktuell. Hier allerdings deshalb, weil neue gebaut werden. „Viele Jugendliche gehen sonntags noch zum Gottesdienst, die Kirchen sind voll“, erzählt Nicolette Baumeister. „Es sind darum wunderbare moderne Kirchenbauten entstanden, etwa das Dominikuszentrum oder die Herz-Jesu-Kirche, die auf neue Art berühren.“

Baumeister hat Architektur studiert, jedoch nie in dem Beruf gearbeitet. Ihr Beruf ist die Architekturkommunikation, ihre Agentur GA Munich wie gemacht für die Guiding Architects. Doch: „Die Stadtführungen, die wir als GA Munich im Netzwerk anbieten, machen nur ein Viertel unseres Umsatzes aus“, so Baumeister. Sie pflegt und schätzt einen Mix aus unterschiedlichen Aufgaben: Ihr unternehmerisches Hauptstandbein heißt „Büro Baumeister“; dieses entwickelt und realisiert Kommunikationskonzepte rund um die Themen Bauen und Planen. „Die Nachfrage für Architekturführungen in München ist zwar konstant, aber allein davon könnten wir nicht leben. Die Stadt wird halt nicht so gehypt wie Berlin oder Hamburg in dem Zusammenhang.“

44789 Metropole Ruhr als Adresse

Auf zwei berufliche Standbeine, als Führer und als praktizierender Architekt, hat sich auch Detlev Bruckhoff aus Bochum gestellt. „Architekturführungen sind ein Saisongeschäft. Im Winter und im Hochsommer hat man den Eindruck, das Telefon ist kaputt.“ Der 44-Jährige hat schon während des Studiums als klassischer Stadtführer gejobbt und festgestellt: „Ich wollte nicht immer positiv sein, alles loben. Stadtführung ist oft nur ein Marketinginstrument.“ Bruckhoff spricht darum lieber von „architekturkritischen Betrachtungen“, die er anbietet, von einem „differenzierten Auseinandersetzen“ mit dem System Stadt. 2006 gründete Bruckhoff seine Agentur FAR, die 2009 Mitglied der Guiding Architects wurde und seitdem einen kleinen, doch steten Nachfrage-Zuwachs verzeichnet. Die Kunden kämen in der Mehrheit aus Architekturbüros, viele auch aus dem Ausland, und würden sich in vornehmlich für die Glanzpunkte des Strukturwandels und der Sanierungsarbeiten im Ruhrgebiet interessieren: die Zeche Zollverein und das Museum Folkwang in Essen etwa, die Jahrhunderthalle in Bochum und die Duisburger Innenstadt.

„Doch ich versuche immer, bei den Führungen auch das Graubrot zu zeigen, also die Struktur rundherum“, erklärt Bruckhoff. Nur so sei die Zerrissenheit und städtebauliche Willkür der Patchwork-Region zu begreifen. Kein Zweifel: Er liebt den Pott. Die Adresse von FAR lautet übrigens 44789 Metropole Ruhr, und die Post kommt an.

Ralf Kalscheur ist freier Journalist in Berlin.


Unter www.guiding-architects.net finden Sie das Netzwerk und seine Standorte; die einzelnen Anbieter vor Ort sind unter der Rubrik Network verzeichnet.

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