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Vom Tresen bis zur Kräuterdose: Für eine Apotheke in der Berliner Friedrichstadt entwarf das Büro die gesamte Einrichtung bis ins letzte Detail.

[ Interview ]

„Ein viel feineres Arbeiten“

Carsten Wiewiorras Weg vom Hochbau zur Innenarchitektur, sein Respekt vor dem Fach, den Kollegen und ihren Innovationen

Interview: Cornelia Dörries

Der jung wirkende Mann, der an einem verregneten Montag zum Interview kommt, lächelt zurückhaltend, trinkt den Kaffee mit Milch und Zucker und hat für seine Umwelt vor allem freundliche Neugier übrig. Nicht mal das düstere Besprechungszimmer, in dem wir uns unterhalten, tut seiner guten Laune Abbruch.

 

Wenn Sie sich hier so umschauen – Bücherwand, ­Besprechungstisch, Kopierer und eine kühlschrankgroße, fest installierte Serverstation vor dem ­einzigen, schmalen Fenster zum lichtlosen Hof: Ist das ein rettungslos verlorener Raum oder lässt sich da noch was machen?

Mich interessiert eigentlich immer der dunkelste, schwierigste Raum. Wie kann ich dem eine gewisse Wertigkeit verleihen? Auch wenn man manchmal meint, dass nichts zu machen ist – nichts ist unrettbar. Und aus der Not lässt sich eine Tugend machen.

Sie und Anna Hopp sind ja gelernte Architekten. Sie selbst unterrichten an der Hochschule Detmold Innenarchitektur. Sind Sie „amtlicher“ Innenarchitekt oder machen Sie das einfach?

Ich mach das einfach (lacht). Ich komme eigentlich aus einer ganz klassischen architektonischen Schule mit großer Nähe zum Städtebau. An der Kunstakademie Düsseldorf habe ich viel über den Zusammenhang zwischen der äußeren Gestalt eines Gebäudes und seinen Innenräumen gelernt, aber auch über Städtebau oder die Einflüsse von Haustechnik und Konstruktion auf den konzeptionellen Ansatz. Zur Innenarchitektur fand ich dann so richtig am Light-and-Color-Lab in Seattle, wo es um Farbe und Licht ging. Die rein innenarchitektonische Arbeit begann jedoch erst mit dem eigenen Büro. Seit ich mich 1999 selbstständig gemacht habe, liegt der Schwerpunkt ganz eindeutig bei der Innenarchitektur.

Gerade für jüngere Büros bietet sich die Innenarchitektur sehr gut als Einstieg. Aber vielen fehlt das Verständnis für die Disziplin; sie gehen dann zum Beispiel den Entwurf eines Tresens wie eine städtebauliche Aufgabe an. Doch es braucht nicht nur ein Bewusstsein für den Detaillierungsgrad, sondern auch einen ausdifferenzierten Materialeinsatz. Der Innenarchitekt muss viel feiner arbeiten.

Wenn es um spezielle Materialien für Innenräume, Licht und Akustik geht, sagt der standesbewusste Innenarchitekt natürlich: Das können die Hochbauer doch gar nicht.

Natürlich reklamieren auch Architekten diese Kompetenz gern für sich. Und sicherlich können Architekten manche Aufgaben bis zu einem gewissen Punkt auch selbst erledigen. Doch ihnen fehlt oft das Bewusstsein, dass es sich bei Innenarchitektur um eine andere Disziplin mit ganz eigenständigen Aufgaben handelt. Das kennen wir auch aus der Arbeit unseres Büros. Wenn wir ein Wohnhaus geplant haben und dann auch für die Innenarchitektur beauftragt werden, müssen wir die von uns konzipierten Räume noch einmal aus einer neuen Perspektive betrachten – personalisiert oder spezifiziert. Es ist leider noch nicht üblich, dass es so läuft wie im Falle des Hyatt Hotels in Berlin, bei dem neben Rafael Moneo auch der Schweizer Innenarchitekt Hannes Wettstein ganz selbstverständlich als Mitverfasser genannt wird.

Grob gesagt, gibt es zwei Bereiche: „public“ und „private“. Bei Läden, Shops oder Räumen für Unternehmen, Institutionen oder Verwaltungen spielt vor allem der Aspekt der Wiedererkennung eine Rolle – „Architektur als Marketing“. Es reicht nicht, nur zu überlegen, wie man Räume schön aussehen lässt. Mitunter sind richtige Marktanalysen und eine Strategie erforderlich. Wir haben gerade zwei Apotheken in Berlin geplant und mussten uns fragen: Wo liegt diese Apotheke, wie sehen andere Apotheken im Umfeld aus, welche Kunden will man erreichen, welche Kunden sind schon da, wie kann man diese noch besser ansprechen und welches Alleinstellungsmerkmal lässt sich finden? Wir nehmen Einfluss bis auf die Corporate Identity, diskutieren bei der Gestaltung des Briefpapiers mit. Für eine Apotheke haben wir vom Raumkonzept bis zur Kräuterdose alles entworfen und eigens anfertigen lassen.

Ist es möglich, einer vorgegebenen Corporate Identity zu folgen und sich gleichzeitig die eigene Handschrift, eine eigene Bürosprache zu bewahren? Oder muss ein Innenarchitekt sich ganz dem Kundenwunsch fügen?

Für große Ketten, die ihre Corporate-Identity-Richtlinien gleich mitbringen, haben wir noch nicht gearbeitet. Gerade in der Innenarchitektur ist eine sehr enge, oft auch sehr intensive Zusammenarbeit notwendig, ebenso bei gewerblichen Projekten. Das ist ein Prozess, bei dem die Chemie einfach stimmen muss. Unsere Bürosprache findet sich jedenfalls in all unseren Projekten wieder: beim Dessousladen im Retrostil wie bei der Apotheke am Kurfürstendamm mit ihren kantigen Formen und dem Tresen aus Beton.

Was zählt eigentlich bei Privatkunden mehr: das Wohlbefinden oder das Repräsentative?

Beides, und in jedem Fall ein Ausdruck der Persönlichkeit. Man arbeitet ja sehr eng und privat mit dem Kunden zusammen, schließlich geht es auch um die intimsten Räume. Diese große und intensive Nähe, die man als Innenarchitekt zum Privatleben seiner Kunden bekommt, birgt natürlich reichlich Konfliktpotenzial. Man ist oft der Erste, der Eheprobleme mitkriegt oder erfährt, dass Nachwuchs kommt. Es gibt ein wunderbares Buch von Peter Richter, „Deutsches Haus“, das damit beginnt, dass ein Herr da Silva seinen Innenarchitekten erschlägt. (Lacht.) Das Risiko ist in der Tat nicht gering.

Fühlen sich Ihre privaten Kunden oft als die eigentlich besseren Innenarchitekten?

Im Gegenteil: Wir haben Kunden, bei denen wir alles gestalten, vom Besteck bis zur Bettwäsche. Das sind entweder Leute aus dem Ausland oder Menschen, die keine Zeit haben und sich auch nicht so geschmackssicher fühlen. Die wünschen sich eine ganz neue Einrichtung und geben mit dem Umzug alles Alte auf. Die Wohnungen selbst haben sich inzwischen ziemlich verändert. Nehmen wir einfach das von uns gestaltete Townhouse am Friedrichswerder. Das ist nicht nur eine Wohnadresse. Die ersten beiden Etagen sind ganz eindeutig Repräsentationsbereiche, wie in den bourgeoisen Palais aus dem 19. Jahrhundert mit ihren Salons. Die Verbindung von Wohnen und Repräsentation unter einem Dach erlebt im Moment eine Renaissance. Diese Entwicklung ist in Berlin sicher auf den Hauptstadt-Charakter zurückzuführen. Viele Leute sind hierhergekommen oder haben einen Zweitwohnsitz bezogen und nutzen ihr Zuhause, gerade wenn sie mit Medien und Kultur zu tun haben, auch für repräsentative Zwecke.

Es treten ja mittlerweile auch Innenarchitekten auf den Plan, die über neue Vermarktungswege an Kunden zu kommen versuchen, etwa über Internet-Angebote mit recht niedrigen Pauschalpreisen für die Erstberatung. Stört Sie das?

Man darf nicht vergessen, dass Innenarchitektur für Privatleute sich nach wie vor auf das Luxussegment konzentriert. Da überlegt man nicht, ob man nun 10 oder 20 Varianten einer Badgestaltung macht – man macht sie einfach. Da finde ich es legitim, dass Kunden mit einem eher durchschnittlichen Einkommen dann punktuell die Angebote derer nutzen, die eine einfache Farb- oder Einrichtungsberatung offerieren.

Aber schadet eine Discount-Beratung nicht dem Ruf des Innen­architekten als hoch qualifziertem Raumexperten?

Das glaube ich nicht, denn die klassischen Aufgaben im gewerblichen wie auch im hochwertigen Privatbereich bleiben davon unberührt. Und ich finde es durchaus wichtig, dass auch einfachere Planungen von Innenarchitekten in Angriff genommen werden.

Wie schafft man da Nachfrage?

Hier spielt Bildung eine gewisse Rolle. Wenn man in der Schule ein paar Grundlagen über Gestaltung, Architektur und Innenarchitektur, Stile und Epochen vermitteln würde, wären die Leute nicht so ahnungslos und könnten ein Bewusstsein für diese Fragen entwickeln. In Skandinavien bekommt man eine solche Grundbildung. Bei uns sind leider Bauherren, die mit dem Namen Eames etwas anzufangen wissen, immer noch eine Seltenheit.

Haben denn TV-Formate wie „Einsatz in vier Wänden“ oder die anderen Einrichtungssendungen das allgemeine Bewusstsein für die Qualität professionell gestalteter Innenräume geschärft?

Die meisten Kollegen würden diese Frage sicher verneinen. Ich behaupte aber, dass diese Formate durchaus etwas bewirken. Früher hat man das alles dem Baumarkt überlassen, heute lassen sich Leute durch diese Formate animieren, im Baumarkt nach etwas Neuem zu suchen.

Bräuchte es Ihrer Ansicht nach mehr fachlich fundierte Innenarchitekturkritik?

Ja, unbedingt. Es gibt viel zu viele Coffeetable-Books, in denen es vorrangig um Design geht und nicht um Funktionalität und Konzepte. Es gibt in diesen Büchern nur selten Grundrisse oder Details, also jene Aspekte, auf die es eigentlich ankommt. Dazu kommt, dass sich an Innenarchitektur zu selten leidenschaftliche öffentliche Diskussionen entzünden. Ich glaube, das hat auch mit der relativen Kurzlebigkeit von Innenarchitektur zu tun. Eine Fassade soll mehrere Generationen überdauern; von einer Inneneinrichtung wird das gemeinhin nicht erwartet. Dass das Thema so wenig öffentlich diskutiert wird, ist eigentlich verrückt. Denn in unseren Breitengraden halten wir uns zum überwiegenden Teil in Innenräumen auf.

Ist Innenarchitektur eigentlich innovativ?

In der Praxis, aber auch an der Hochschule in Detmold experimentieren wir viel mit Materialien. Zum Beispiel mit acrylharzgebundenen Werkstoffen wie Corian oder LG Hi-Macs: Während sie früher für Waschbecken oder Tresen benutzt wurden, werden sie inzwischen auch als Wandbeplankung oder zur Fassadenbekleidung eingesetzt. So gesehen, kann die Innenarchitektur auch Impulse liefern und ist Experiementierfeld für die Architektur.

Gibt es Impulse, die dann die gesamte Architektur ­erreichen?

Unbedingt. In der Innenarchitektur wagt man eher etwas Neues, Experimentelles als in der Architektur. Graft haben sich zunächst vor allem über ihre Innenräume Aufmerksamkeit verschafft, und auch andere Architekten sind zuerst so zum Zuge gekommen. Über ihre interessanten Raum- und Materialkonzepte haben sie zu einer neuen Architektur gefunden. Und eigentlich wird es ja erst im Kraftfeld zwischen Innenarchitektur und Architektur richtig spannend.

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