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Moderne Traditionspflege

Wie ein außergewöhnliches 50er-Jahre-Haus in Stuttgart sensibel modernisiert wurde.

Simone Hübener

Als Zeichen des Aufbruchs nach dem Krieg wollte der Verleger Ernst Klett sein Wohnhaus in der Rebenreute im Stuttgarter Süden verstanden wissen, einen Schlussstrich ziehen unter die üblichen Walm- und Satteldachhäuser. Lange fand er jedoch keinen Architekten, der bereit gewesen wäre, Kletts fortschrittliche Ideen umzusetzen. Gero Karrer, seinerzeit noch Student an der Hochschule in Stuttgart, sah sich mit dem Bauherrn auf einer Linie und nahm die Gelegenheit wahr, sein Erstlingswerk zu realisieren.

Auf dem teilweise erhaltenen Kellergeschoss eines im Krieg zerstörten Wohnhauses plante Karrer 1950 ein Haus für das Ehepaar Klett mit seinen fünf Kindern und dem Personal inklusive einer Einliegerwohnung im Untergeschoss. Das Grundstück, ein ehemaliger Weinberg, fällt nach Süden hin steil ab und ermöglichte es dem Architekten, von allen Etagen den Bezug zwischen Innenraum und Garten herzustellen.

Die Räume im Erdgeschoss dienten der Repräsentation und waren dementsprechend großzügig ausgelegt. Die Grundfläche der Privat- und Bedienstetenzimmer im Obergeschoss wurde auf ein Minimum reduziert. Eine große Dachterrasse mit Blick über den Stuttgarter Talkessel diente als Ausgleich.

Denkmalgerecht und zukunftsweisend

Seit Mitte der 1990er-Jahre bewohnt nun der Enkel des Bauherrn mit seiner Frau und den beiden Kindern das Haus. Nach zehn Jahren war das Dach so baufällig geworden, dass die Familie es renovieren wollte. Bei diesem kleinen Vorhaben blieb es allerdings nicht, denn die teilweise nicht sorgsame Ausführung der unterschiedlichen Konstruktionen in der Nachkriegszeit hatte zu weiteren Mängeln geführt. Deshalb sanierten die neuen Besitzer das Haus komplett – und zwar weitgehend denkmalgerecht, obwohl das Gebäude nicht unter Denkmalschutz steht. Dass das Haus auch energetisch so weit wie möglich auf den aktuellen Stand gebracht werden sollte, verstand sich angesichts steigender Energiepreise von selbst.

Mut am Hang: 1950 entwarf Gero Karrer ein für die damalige Zeit außergewöhnliches Haus – unten der aktuelle Zustand.

Müller-Stüler und Höll Architekten aus Berlin hatten sich seit 2005 bei mehreren Besuchen vor Ort ein genaues Bild vom aktuellen Zustand des Hauses gemacht und entwickelten daraus den Plan für Umbau, Instandsetzung und Modernisierung. Das Haus war in Schottenbauweise errichtet worden – die quer verlaufenden Wände in Mauerwerk, die Längswände in Holzständerwerk mit drei Zentimeter dicken Torfplatten als Dämmung. Auf die Außenseite der Mauerwerkswände war ein Schlämm- oder Streichputz aufgetragen worden, der zum Großteil erhalten geblieben war. Die vertikale, teils diagonale Lärchenschalung der Holzständerwände war durch die Witterungseinflüsse stark in Mitleidenschaft gezogen, sodass sie erneuert werden musste.

Fenster gehören meist zu den Bauteilen, die als erste ausgetauscht werden, so auch beim Wohnhaus Rebenreute. Bereits in den 1980er-Jahren waren viele Fenster und die Terrassentüren im Obergeschoss durch Holzfenster mit Isolierverglasung ersetzt worden. Einige noch aus der Bauzeit erhaltene Originale konnten tischlermäßig überarbeitet werden, andere waren mittlerweile so stark beschädigt, dass auch sie ausgetauscht werden mussten.

Asiatische Anmutung

Bei den Innenwänden lässt die Wahl des Oberflächenmaterials die Konstruktion erkennen. Die tragenden Wände aus Ziegelsteinen waren verputzt und mit einer Raufasertapete überzogen, einige Wände im Erdgeschoss als Sichtmauerwerk ausgeführt worden. Alle Ständerwerkswände wurden mit Holz verkleidet, im Erdgeschoss mit massiven, edel anmutenden Birnbaumbrettern, im Obergeschoss mit einer einfacheren Fichtenschalung. Tapeten, Anstriche und die teilweise vorhandenen, wärmedämmenden Innenverkleidungen ließen Müller-Stüler und Höll Architekten durch Mineralschaumplatten mit glatt gefilztem Feinputz ersetzen und diffusionsoffen anstreichen.

Viel Holz: Das Material dominiert Wände, Böden und Decken in Wohnzimmer und Bibliothek.

Getreu dem Vorsatz der Bauherren, alles so originalgetreu wie nur möglich zu belassen oder wiederherzustellen, wurde jedes Brett der Wandverkleidungen im Erdgeschoss vor der Demontage durchnummeriert, dann instand gesetzt und anschließend wieder eingebaut. Im Obergeschoss zieren heute unprofilierte Zedernholzbretter die Wände. Der früher allzu große Unterschied zwischen Repräsentationsräumen im Erdgeschoss und Privatbereich in der oberen Etage ist damit ausgeglichen. Etwas ganz Besonderes ist die Verkleidung der Deckenunterseite im Wohnbereich und in der Bibliothek. Holzgewebe aus dünnen Stäbchen geben dem Raum eine leicht fernöstliche Anmutung. Alle Unterzüge ließ dagegen bereits Karrer nur weiß verputzen, wodurch auch hier die Konstruktionsweise erkennbar bleibt.

Doch nicht nur im Wohnzimmer und in der Bibliothek sollte man in diesem Haus von Gero Karrer an die Decke schauen. Auch im Eingangsbereich wartet ein gestalterischer Höhepunkt: Senfgrüne und rote Streifen wechseln sich ab und leiten über zu den Metallstangen der Absturzsicherung des Treppenlaufs zwischen Erd- und Obergeschoss.

Eine denkmalgerecht sanierte Hülle ist das eine. Zu einem Gesamtkunstwerk wird Architektur aber erst, wenn auch die Möblierung mit dem Gebäude harmoniert und korrespondiert. Dessen war sich in den 1950er-Jahren bereits Karrer bewusst, der für die passenden Einbauschränke, Bücherregale und Leuchten sorgte. Die neuen Besitzer legten ebenfalls großen Wert darauf, bei der Möblierung den Stil der Architektur aufzugreifen, und ließen die erhaltenen Originale restaurieren. Allzu ramponierte Teile wurden durch neue, der alten architektonischen Sprache angepasste Möbel ersetzt.

Technik, die auch heute noch nicht alltäglich ist

Gerade jetzt im Winter fällt dem Besucher auf, dass es im Erdgeschoss keine Heizkörper gibt. Die Luft wird über Decken- und Wandheizungen erwärmt – damals aus rein ästhetischen Gründen, heute  aus ökologischen und raumklimatischen. Ursprünglich mit Kohle und später mit Öl, wird der Heizkessel heute mit Gas betrieben. Im Obergeschoss, das ja nicht der Repräsentation diente, gibt es sichtbare Heizkörper. Heute sorgen Plattenheizkörper mit Thermostatventilen für warme Räume.

Beim Gang durch das Haus spürt man die Spannung zwischen dem Wunsch der Bauherren nach einer möglichst denkmalgerechten und gleichzeitig energetischen Sanierung, zwischen den originalen Einbauschränken und den neu hinzugekommenen Möbeln, dem auf Repräsentation ausgelegten Lebensstil der Erbauer und dem lebendigen Familienalltag der heutigen Besitzer. Und man wünscht sich mehr Menschen, die der Architektur vergangener Tage diesen Respekt zollen und einen Mittelweg gehen zwischen den eigenen Ansprüchen an ein modernes Wohnhaus und den Möglichkeiten, die ein Altbau bietet.

Simone Hübener ist freie Architekturjournalistin in Stuttgart.

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