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Dieses Interview ist unter dem Titel „Der Luxus liegt im Teilen“ im Deutschen Architektenblatt 04.2020 erschienen.
Herr Post, Sie gelten als Pionier in der Planung von Mehrgenerationenwohnhäusern. Steigt die Nachfrage danach?
Eindeutig ja, wenn ich es nur messe an den Anfragen, die uns erreichen von Gruppen und von Kommunen mit ganz konkreten Ausschreibungen. Die gab es früher nicht. Unsere ersten Projekte sind 17 Jahre bewohnt, und da hat man vorher sieben Jahre diskutiert, um das Thema zu durchdringen. Heute sind wir viel weiter: Die Kommunen wissen, dass sie Baugemeinschaften zur Realisierung von Mehrgenerationenwohnhäusern brauchen. Oft gibt es schon feste Kontingente kommunaler Grundstücke, die an Wohnprojekte vergeben werden. Viele Menschen sind auf der Suche nach Wohnformen, die gerade Nachbarschaften von mehreren Generationen fördern.
Das Marktsegment der Interessierten haben Sie 2016 im DAB mit fünf Prozent beziffert. Gibt es weiterhin die größte Nachfrage bei alleinstehenden Frauen?
Lokal sehe ich den Bedarf mittlerweile eher bei zehn bis 15 Prozent, und wir haben dabei inzwischen viele junge Familien, eine Generation mit WG-Erfahrung, die Projekte initiieren. Eine zweite Gruppe sind Menschen, die inklusives Wohnen suchen.
Viele haben ein romantisches Bild vom Mehrgenerationenwohnen: Glückliche Omis passen kostenfrei auf die Kinder auf, während deren Eltern ihnen dafür die Einkäufe erledigen. Alle haben mehr Zeit und Kontakte. Wie nah ist dieses Idealbild an der Realität?
Ein Wohnprojekt ist eine Auseinandersetzung mit der Vielfalt. Die Generationen nicht zu separieren, sondern mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Lebensweisen zu erleben, darin liegt die Bereicherung. Im Einzelnen passieren natürlich auch diese kleinen Hilfestellungen. Das ist aber nicht wie Bullerbü, daran muss jeder arbeiten. Es ist schon ein großer Schritt für ein städtisches Wohnprojekt, wenn sich die Generationen wieder regelmäßig wahrnehmen und im Dialog bleiben.
Was muss man in der Planung berücksichtigen, dass es so funktionieren kann? Gibt es gebäudetypologisch eine Art von Werkzeugkasten, der besonders gut funktioniert?
Der Zwischenraum zwischen den Wohnungen, das ist unser Werkzeugkasten. Im Wohnungsbau dreht sich ja gerade alles um die Effizienz, um das Serielle, um Rendite. Wir hingegen arbeiten für eine Bauherrengruppe, die sich ihren Lebensraum schaffen will. Unser Anliegen ist es, die Erschließung, den Weg von der Straße zur Wohnung, zur Aufenthaltsfläche zu machen, zur erweiterten Fläche für die Wohnung mit Spielflächen für die Kinder, Pflanzbeeten für die Erwachsenen und der Bank für die Älteren – all das, was die klassische Dorfstraße bot. Das lässt sich auf der Ebene der Wohnung, des Hauses, des Quartiers umsetzen. Ein Leitsatz für uns lautet: Wohnungsbau ist die Bühne fürs Leben. Man soll nicht durch einen „dunklen Schlauch“ in die Wohnung gelangen – das ist das Modell Legebatterie.
Auf einer symbolischen Ebene: Was ist als Bauform, als Bild, der offenen MultiOptions-Gesellschaft angemessen? Wenn Sie auf die Bebauungsplanung Einfluss nehmen können, was bevorzugen Sie?
Den Hof, das Kloster! Unsere Bewohner sehen die Projekte manchmal angelegt wie ein Kloster: Da gibt es etwa den Lift als Campanile, den Gemeinschaftsraum als das Refektorium, die Galerie-Erschließung als Kreuzgang. Die Hof- und Raumbildung ist ein ganz wichtiges Zeichen. Wir nehmen regelmäßig dahingehend Einfluss auf die Bebauungsplanung. Die klassische Stadtplanung geht von anonymen Bauherren aus und landet bei seriellen Typen. Die Zusammenarbeit schon bei der Stadtplanung ist darum für Gruppenprojekte unabdingbar.
Färbt das auf andere Investoren ab?
Baugemeinschaften sind die Keimzelle neuer Wohnformen wie etwa generationengemischter Wohnkonzepte. Davon lernen immer mehr Wohnungsbaugesellschaften, dass ihnen so etwas auch guttut. Selbst ganz konventionelle Bauträger sind interessiert, eine Baugemeinschaft als Motor in ihr Quartier zu kriegen, weil die ein gutes Image verbreitet und viel Publicity bekommt, schon Jahre vor dem Baubeginn. Ich kenne keinen Bauträger, der unsere Bauformen ablehnt. Im Gegenteil versuchen immer mehr traditionelle Wohnungsgenossenschaften, für Mieter-Baugemeinschaften zu planen und zu bauen, etwa beim Projekt Alter Steinbruch in Herdecke.
Die Mehrgenerationenhäuser am alten Steinbruch liegen direkt am Bahnhof von Herdecke. Auf der Rückseite geht es aber direkt ins Grüne.
Sie haben sich auf neue Wohnformen spezialisiert. Wie kam es dazu?
Ich bin ein Semester, das schon im Studium die Großwohnsiedlungen der Siebziger stark kritisiert hat. Nach dem Studium hatten wir das Glück, dass es jahre-, ja jahrzehntelang keinen großen Bedarf an Wohnungsbau gab und wir uns auf kleine, qualitätvolle Projekte konzentrieren konnten. Ich bin selbst in einer kleinen Siedlung aufgewachsen, die in den Fünfzigerjahren zum Teil in organisierter Selbsthilfe errichtet wurde. Als Gegenleistung für ein öffentliches Baudarlehen baute jeder Hauseigentümer eine Mietwohnung mit. Es war eine intensive Nachbarschaft unterschiedlichster Menschen. Vielleicht lag auch daher bei allen meinen Wohnplanungen mein besonderes Interesse darin, Bau- und Wohnformen zu gestalten, die das Verhalten der Menschen untereinander positiv beeinflussen.
Welche Rolle spielen dabei Ihre persönlichen Interessen?
Auch für mich selbst habe ich lange nach einer gemeinschaftsbildenden Wohnform gesucht und wohl auch deshalb häufig Menschen getroffen, die ebenso darüber nachdenken. Der Durchbruch gelang dann vor etwa 20 Jahren mit einer Gruppe von Menschen, die nach mehreren Jahren der internen Diskussion für ein innerstädtisches Grundstück eine Wohnform suchte, in der junge und ältere Menschen in einem ausgewogenen Spannungsverhältnis von Individualität und Gemeinschaft, Nähe und Distanz leben wollten.
Wo Sie ständig mit so vielfältigen Wohnformen zu tun haben: Wie wohnen und leben Sie selbst?
Ich wohne in Köln in einem gemischt genutzten, weitgehend autoverkehrsfreien Quartier, umgeben von fünf Baugemeinschaften und selbst in einer Baugemeinschaft mit 17 Parteien mit Menschen zwischen fünf und 75 Jahren. Wir haben die privaten Flächen so weit verringert, dass gemeinsame Einrichtungen, wie ein Gartenhof, eine Dachterrasse, ein Gästeapartment sowie ein ebenerdiger Gemeinschafts- und Mehrzweckraum, für alle zur Verfügung stehen. Für mich und für unser Büro gilt aber, dass wir nicht aus der Gruppe heraus Leistungen für die Gruppe erbringen. Das gibt Konflikte. Mir ist das auch zu anstrengend, Bauherr, Planer und Nachbar zu sein. Deshalb habe ich mein eigenes Wohnprojekt schweren Herzens nicht selbst geplant. Das ist die größte Herausforderung für einen Architekten.
Taugt Ihre Gruppe auch fürs Alter?
Ich hoffe, dass ich im Beruf, im Büro alt werde. Ein Wohnprojekt allein fürs Alter zu planen, halte ich grundsätzlich für falsch. Ein gemeinschaftliches Projekt sollte man nicht erst starten, wenn man meint, man braucht das, um zu überleben, um Hilfe zu bekommen, sondern dann, wenn man noch etwas einbringen kann in die Gruppe und sich in der Normalität aneinander gewöhnt. Nur wer ein Wohnprojekt in jungen Jahren mit Leben füllt und schätzt, kann darin auch beruhigt alt werden.
Bei solchen Baugruppen-Projekten denken manche an endlose Sitzungen, viel Abstimmungsbedarf und lange Bauzeiten. Lohnt sich das finanziell für die beteiligten Architektinnen und Architekten?
Das sind sicher nicht die wirtschaftlichsten Projekte. Da steckt viel Aufwand drin. Es ist eben die Frage, was man von seinem Beruf erwartet, ob er besonders effizient sein soll oder ob er einen zufriedenstellen soll. Das Schöne daran ist, dass man die Zielsetzung der eigenen Bauaufgabe mit den Bauherren und Bewohnern selbst definieren kann.
Wie kommen die Projekte zu Ihnen?
Gruppen sind deutlich selbstbewusster geworden. Wenn sie gut moderiert sind und das Beste aus einem Grundstück herausholen wollen, laden sie drei oder mehr Architekten ein, einen Vorschlag zu machen. Man kann inzwischen so viel Wissen über Baugemeinschaften nachlesen und sich Beispiele angucken, dass Gruppen sehr selbstbewusst als Bauherren auftreten. Viele Projekte gäbe es aber nicht ohne einen Architekten, der dafür die Initiative ergreift. Wir bearbeiten zum Beispiel gerade den Umbau eines Verwaltungsbaus einer ehemaligen Polizeiverwaltungsstelle in Dortmund. Für so etwas kann sich keine Baugruppe in der gesetzten Zeit bewerben, weil sie sich dazu erst mal sammeln muss. Ich kannte das Gebäude schon lange, habe es für eine junge Genossenschaft ersteigert, um dann mit einer Gruppe die gemeinsame Nutzung für Familien, Paare und Singles in aller Breite und unzähligen Varianten zu erörtern und zu beschließen.
Haben Sie Ähnliches für lokale Gründer im Gewerbebau probiert?
Wir haben ein Bau- und Betreiberkonzept für den Umbau eines Speichers am Dortmunder Hafen entwickelt. Gewerbebauten gelten ja als langweilig, nichtssagend. Sie veröden halbe Stadtteile. Der Gedanke, wie verschiedenste Menschen dort gemeinsam arbeiten können, hat alle begeistert. Letztlich gab das Liegenschaftsamt aber einem Investor den Zuschlag, da man einer Genossenschaft das nicht zutraute. So haben wir beim Wohnen auch mal angefangen. Da hatten auch alle Vorbehalte. Und heute: In einer Stadt, in der es ein paar Baugemeinschaften gibt, hat kein Grundstücksverkäufer, kein Amt mehr Vorbehalte, und es gibt genügend Banken, die wissen, dass das ein sehr gutes Modell ist und überhaupt kein höheres Risiko, eher im Gegenteil.
Welche Kompetenz haben Sie im Laufe der Jahre durch diese Projekte erworben?
Die Rolle des Architekten anders einzuschätzen als nur die des Künstlers, die Augenhöhe herzustellen zwischen Bewohner, Bauherr und Planer, ohne seinen Gestaltungsanspruch zu verlieren. Für den klassischen Absolventen ist Wohnen einfach, „das kann ja jeder“. Wir merken immer mehr, wie komplex Wohnen ist: Guter Wohnungsbau ist komplexer als Krankenhausbau. Da kommt sehr viel Emotion ins Spiel. Dazu braucht es den Nutzer, der keine Vorbildung haben muss, der sich selbst wahrnimmt und Interesse hat. Diese Teamarbeit, die niemanden gering schätzt.
Gibt es bei Gemeinschaftsprojekten eine Markenbildung?
Ich finde, man sollte Gruppenprojekte erkennen. Unsere Projekte erkennt man. Der Weg ist, zwar diesen Werkzeugkasten zu haben, aber etwas mit der Gruppe zu entwickeln, das für diesen Ort, für diese Gruppe passt und deren Selbstverständnis spiegelt.
Wo liegen die Fallstricke dabei?
In so einem Projekt will sich ja auch jede und jeder wiederfinden. Das besonders Schwierige daran ist, das Maß an Individualisierung mit der Gemeinschaft auszupendeln. Das kann ein Projekt sprengen. Was sind die Kriterien für gutes Wohnen? Darum machen wir nie Architektur und Moderation aus einer Hand. Der Architekt ist nicht der Vermittler in jedem Detail, sondern auch Partei. Da braucht es einen neutralen Übersetzer.
Haben Sie in Ihren Projekten Probleme mit der Bildung von Parallelgesellschaften?
Die Differenzierung merkt man sehr deutlich. Eine Gruppe bekommt aber relativ schnell einen Grundkonsens. Die Toleranz wächst in solchen Gruppen, auch wenn man in einer kleinen Gesellschaftsblase gelebt hat. Ich habe da schon erstaunliche Lernprozesse erlebt. Das ist ein Demokratisierungsprozess, der ausstrahlt.
Gibt es eine optimale Gruppengröße?
20 bis 30 Wohnungen sind genug, um Interessengruppen als Untergruppen zu bilden, aber auch Einzelgänger zu integrieren.
Was halten Sie von Clusterwohnungen, die viele eher kleine Wohnungen zu Wohngemeinschaften gruppieren?
Damit beginnen wir gerade. Das hat auch den Aspekt der Wirtschaftlichkeit: Die größte Chance gemeinschaftlichen Wohnens ist, sich darüber klar zu werden, welche Flächen man sinnvollerweise zusammenlegen kann. Es ist erstaunlich, wie sozial und komfortabel man zusammenleben kann. Der Luxus liegt im Teilen, sagen wir immer. Wenn wir sparsamer bauen wollen und nicht nur billiger, müssen wir den individuellen Flächenverbrauch infrage stellen. Viele glauben, sie brauchen eine bestimmte Fläche, um glücklich zu sein. Wenn sie dann unsere gebauten Beispiele sehen, schätzen sie die Wohnungen oft weit größer ein, weil es drum herum so viel Raum gibt.
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