Blau-grüne Infrastruktur: Eine Farbe für die Zukunft unserer Städte
Blau, grün und grau. Es ist die richtige Farbmischung, die über die Resilienz unserer dichter bebauten und von Hitzeperioden gestressten Städte heute entscheidet.
Die Schwerpunkte der Nachhaltigkeitsstrategie für urbane Infrastruktur liegen einerseits im sensiblen Wassermanagement, bei dem Niederschlagswasser nicht mehr in die Kanalisation abgeleitet wird, und andererseits in einer deutlich forcierten Begrünung öffentlicher (und anderer) Räume, was wiederum eine entschiedene Entsiegelungspolitik voraussetzt. Viel ist in den letzten Jahren hierzu geforscht und analysiert worden, doch gilt auch hier der Politikersatz: Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Die Gründe hierfür liegen außer in hohen Kosten auch in den offensichtlichen Flächennutzungskonkurrenzen, die ein solcher Wechsel ins Blau-Grüne bedeutet. Und schließlich stehen die Kommunen auch vor der Frage der Gewichtung: Denn neben der Klimaresilienz gilt auch das zumindest offiziell nach wie vor erklärte Ziel der Klimaneutralität, das eigene CO2-reduzierende Maßnahmen umfasst, von Fragen des Wohnungsbaus ganz abgesehen.
Beginnen wir die Suche nach blau-grünen Best-Practice-Beispielen im Norden. In der Hamburger Königstraße hatte die Stadt im Zuge einer notwendigen Fahrbahnerneuerung sich für eine umfassendere Lösung entschieden und eine „Straße der Zukunft“ realisiert, die Klimaschutz, Aufenthaltsqualität und Mobilität kombinierte. Auf 1.000 qm wurde entsiegelt und eine neue Mobilitätsunterlage für Auto, Fußgänger und Radfahrer barrierefrei gestaltet. Versickerungsmulden für Starkregen-Ereignisse wurden angelegt, 48 neue Bäume und 13 Großsträucher gepflanzt; die Baukosten beliefen sich auf rund 12 Mio. Euro. Das Einzelbeispiel macht deutlich: Auslöser ist manchmal eine „normale“ Erneuerungsmaßnahme, zu der dann allerdings sowohl der Wille als auch das Know-how hinzukommen müssen. Letzteres beruhte in diesem Fall nicht zuletzt auf einem mehrjährigen Forschungsprojekt namens BlueGreenStreets-Projekt, das von 2019 bis 2024 „Grundlagen zu blau-grünen Infrastrukturen in Straßenräumen und Ansätze zur klimaangepassten, zukunftsfähigen Straßenraumgestaltung erarbeitete“. Ergebnis waren verschiedene handlungsanleitende Toolboxes (verantwortlich: HafenCity Universität Hamburg, Hochschule Karlsruhe, bgmr Landschaftsarchitekten, Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker, TU Berlin, Universität Hamburg), die modellhaft für verschiedene Städte Anwendung finden sollen.
Berlin. Einen Schritt weiter scheint man in der Hauptstadt zu sein. Ausgangspunkt ist hier ein Paradigmenwechsel, der die Umstrukturierung der historisch vorgegebenen Kanalisation der Stadt betraf, die in den Zentrumsbezirken als Mischwassersystem (Regen- und Abwasser wurden seit mehr als 100 Jahren in einem einzigen Kanalsystem abgeführt) ausgelegt ist, das angesichts zunehmender Versiegelung und häufigerer Starkregenfälle immer öfter an sein Limit kommt. Die daraus resultierenden Überläufe aus der Kanalisation schaden den oft nur träge strömenden Berliner Flüssen. Man begann bereits früh mit neuen Maßnahmen wie einem neuen Stauraumprogramm, das 300.000 Kubikmeter unterirdischer „Abwasserparkplätze“ im Stadtzentrum umfasst. Seit 2018 untersagt die Stadt, bei Neubauprojekten oder grundhaften Sanierungen das anfallende Regenwasser in die Kanalisation einzuleiten. Die Bewirtschaftung auf dem Grundstück ist die Regel.
Als in der Praxis hilfreich für die Entwicklung hat sich die 2018 von der Stadt und den Berliner Wasserbetrieben gemeinsam gegründete (und getragene) Berliner Regenwasseragentur erwiesen, deren Beratungsangebote sich, so deren Pressesprecher Stephan Natz, an alle richten, die über eigenen Boden verfügen, vom privaten Bauherrn bis zur Stadt, sowie an Architekten, Fachplaner und Behörden. Die Nachfrage sei erheblich und steige kontinuierlich. 2024 führte man einen „REGENIAL!-Wettbewerb“ durch und prämierte daraus zehn Schwammstadtprojekte, die einiges an Anschauungsmaterial für mögliche Lösungen bieten. (vgl. www.regenwasseragentur.berlin/weiterbilden-und-vernetzen/forum-regenwasser-2024/) Hierzu gehört ein Feldversuch mit dem Einsatz von Biokohle im Volkspark Jungfernheide, bei dem die Kohle das Fünffache ihres Gewichts an Regenwasser pflanzenverfügbar speichern kann. Realisiert wurde auch die Sanierung (u. Erweiterung) des ehemaligen Viadukts des Alten Postbahnhofs in Friedrichshain, auf dem man eine Retentionsebene anlegte, die das Regenwasser von insges. 3.000 qm Dachflächen sammelt, das für die Bewässerung der begrünten Dachflächen genutzt wird. Am Görlitzer Ufer in Kreuzberg konnte zudem in wenigen Monaten in schnellem Pop-up-Verfahren die komplexe komplette Straßenerneuerung (inkl. nachhaltiger Gestaltung und Pflege der entsiegelten Fläche) durchgezogen werden und bei einer Grundschule in Zehlendorf wurde der Schulhof so gestaltet, dass das gesamte Niederschlagswasser für die Außenanlagen benutzt wird.
Der Rhein fließt zugegebenermaßen erheblich schneller als Spree und Havel. Dafür trägt hier die Stadt Mannheim laut Deutscher Umwelthilfe aktuell den Titel der heißesten Stadt Deutschlands. Dass eine solche Spitzenstellung Anlass zum Handeln gibt, war den Verantwortlichen jedoch schon länger bewusst. 2022 setzte man einen Klimaschutzaktionsplan 2030 auf, der mit dem ehrgeizigen Ziel, im Jahr 2035 Klimaneutralität zu erreichen, auf acht Handlungsfeldern rund 220 Einzelmaßnahmen aufführte. Zu den Schwerpunkten gehören CO2-Vermeidung und bei der blau-grünen Infrastruktur vor allem Entsiegelungsmaßnahmen. Angesichts der angespannten Finanzlage der Kommunen heute, so der zuständige Fachbereichsleiter Georg Pins, wird man nicht alles termingerecht erreichen können (außerdem ist festzuhalten, dass Klimaneutralität nach einschlägiger EU-Definition faktisch nur eine 80-Prozent-Reduktion bedeutet). Das kommunale Wording heute: „Wir wollen weiterhin schnellstmöglich unser Klimaneutralitätsziel erreichen und bis 2030 bei dem Ziel Klimagerechtigkeit so weit wie möglich kommen.“ Dabei legt man in Mannheim besonderen Wert auf Transparenz und Messbarkeit, wozu man als Monitoring-System die Plattform Climate View entwickelt hat, die Bürgern Einblicke über den Stand der Umsetzung erlaubt.
Auch wenn das jüngst beschlossene Entsiegelungskonzept nur schrittweise umgesetzt werden kann, wartet Mannheim mit einem erfolgreichen Großprojekt auf. Mit der BUGA 2023 wurde die Schaffung eines großflächigen, klimatologisch wertvollen Landschaftsparks in Stadtnähe auf der ehemaligen Spinelli-Kaserne möglich, der als Frischluftschneise bis in die Stadt hineinwirkt (s. DAB, 9, 2024). Fast 40 (!) ha Fläche wurden hierfür entsiegelt und naturnah gestaltet. Inzwischen hat man damit begonnen, am Rand des Parks zwei Wohnsiedlungen zu errichten; hinzu kam auf ca. 30.000 qm ein neuer „grüner Betriebshof“ (Asp Architekten/Koeber Landschaftsarchitektur, Stuttgart). Während hierzu ein neuer Gebäuderiegel um 1,5 m in den Boden abgesenkt wird, sollen die Arbeitsfahrzeuge in einer umlaufenden Garage untergestellt werden, deren Dächer mit Erde überdeckt und als grüner Hügel mit Wiesenfläche ausgebildet werden. Es ist eine Konzeption, die sowohl im Sinne der Klimaresilienz als auch optisch den eingeschlagenen Weg weiterführt. Mannheim zeigt: Eine Maßnahme kann weitere nach sich ziehen; gleichwohl der Weg zur klimaresilienten blau-grün strukturierten Stadt noch mit vielen grauen Steinen gepflastert ist.