Das Planen und Bauen findet in einem zunehmend engen Geflecht von Normen und Vorschriften statt. Diese bestimmen zum großen Teil die technische Umsetzung von Gebäuden, aber auch deren Dimensionen und Ausstattungsstandards. Dabei treiben sie die Komfortansprüche in perfektionistische Höhen, die unter dem Aspekt der Suffizienz das nachvollziehbar notwendige Maß längst überschritten haben. Dabei drängt sich der Eindruck auf, dass Richtlinien mittlerweile vor allem den Absatz von Produkten und Systemen der Baustoffindustrie sichern sollen.
Architektur spielt untergeordnete Rolle
Kurz gesagt: Bauherren und ihre Planer bestimmen nur noch in einem eng gesteckten Rahmen, mit welchen Schwerpunkten und Qualitäten sie ihr Projekt entwickeln. Und sie entscheiden auch nur eingeschränkt darüber wie die Ziele konstruktiv erreicht werden.
Auf diese Situation können sie nicht mehr mit eigenen Ideen oder Reduzierung der technischen Standards reagieren. Eingespart werden kann nur noch an der Qualität und Nachhaltigkeit von Materialien sowie an räumlicher und gestalterischer Qualität. Zu besichtigen ist mittlerweile eine Neubauroutine, die eine qualitätsarme Gleichförmigkeit bei der Einhaltung höchster Standards erreicht hat.
Da es sich dabei um unser Wohn- und Arbeitsumfeld handelt, hat diese Entwicklung direkten Einfluss auf die Lebensqualität. Dazu kommen die steigenden Mietpreise, die immer weniger Freiheiten für die Lebensführung erlauben.

Die Idee für einen Gebäudetyp E
Neben dem bestehenden System der Gebäudeklassen in der Bauordnung können Bauvorhaben dem Gebäudetyp „E“, im Sinne von „Einfach Bauen“ oder „Experimentelles Bauen“ zugeordnet werden; wie der Sonderbau kombiniert mit den bestehenden Klassen für den Brandschutz, zum Beispiel zur Gebäudeklasse „E 3“. Für diese Projekte gelten die Normen und Richtlinien, auf die Art. 85a Musterbauordnung (MBO) verweist, nicht zwingend. Grundsätzlich gelten die Schutzziele der Bauordnungen, vgl. § 3 (genauer in §§ 12-16): Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz.
Als Grund für die Einordnung in „E“ kann die Anwendung einer innovativen Konstruktion ebenso gelten wie der Versuch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Am Beginn eines „E“-Projekts steht eine sorgfältige, gemeinsame Festlegung zwischen Planern und Bauherr zu den Zielen und Qualitäten, die frei vereinbart werden können, sich aber an gängigen Standards orientieren können. Diese Aufstellung macht die Eigenschaften des Gebäudes dauerhaft transparent. Durch eine sichtbare Kennzeichnung der neuen Gebäudetypen “E“ wird den Verbrauchern angezeigt, dass es sich um ein Gebäude handelt, dass ggf. von gängigen Standards abweicht, ohne dabei aber die Schutzziele der Bauordnung zu missachten. Die Abweichungen können Nutzern gegenüber benannt und erläutert werden.
Dann ist es möglich mit einem reduzierten Regelwerk zu arbeiten, das es Bauherren und Planern ermöglicht, Standards, Materialien und Ausführungsdetails aufeinander anzupassen, sodass sinnvolle und nachhaltige Gebäude zu bezahlbaren Kosten entstehen. Zur Nachhaltigkeit gehört neben der gemeinsamen Zielbestimmung auch eine gute Gestaltung und Abstimmung auf die Nutzerbedürfnisse.

Gebäudetyp E vorerst für sachkundige Bauherren
Begleitet wird die Einordnung in die Gebäudeklasse „E“ von einer Öffnungsklausel im § 650 o BGB, welche die privatrechtlichen Ansprüche auf die genormten Standards löst und den Bauherren freie Hand gibt. Um den Verbraucherschutz nicht zu schwächen, wird „E“ zunächst nur in der Zusammenarbeit mit sachkundigen Bauherren, wie zum Beispiel kommunale Wohnungsbaugesellschaften zugelassen.
Mehr Freiheiten für innovatives und ressourcenschonendes Bauen
Bauherren erhalten wieder Entscheidungsfreiheit über Ihre Projekte, wenn sie neue Wege im Bauen beschreiten wollen. Sie bekommen die Möglichkeit innovativ, normenreduziert und damit kostengünstiger zu bauen. Es entsteht wieder Raum für Innovationen in Richtung Nachhaltigkeit und Bezahlbarkeit.
Ideen zur Erneuerung im Bauen bleiben nicht nur Theorien, die diskursiv gegen den Normenapparat bestehen müssen, sondern sie können real erprobt, erlebt und bewertet werden. Wir rechnen mit vielen guten Beispielen, die in die unterschiedlichsten Richtungen Anstöße zur Weiterentwicklung geben. Die Umnutzung von Gebäuden wird einfacher möglich, da der Wechsel der nutzungsspezifischen Anforderungen kein Hindernis mehr sein muss.
- Notwendige Neuausrichtungen im Bauwesen, wie verstärkte Umnutzungen unter Wiederverwendung des Bestandes und das zirkuläre Bauen können sich ohne Konflikt mit den bestehenden Standards entwickeln.
- Architekten und Ingenieure können kreativer ihre Kompetenz zur Konstruktion in die Bauentwicklung einbringen und Verantwortung in der Entwicklung der Gesellschaft übernehmen.
- Durch einen leichteren Zugang für kleine und mittelständische Handwerksbetriebe kann der Gebäudetyp „E“ den Preiswettbewerb bei Bauprojekten wiederbeleben.
Es entstehen durch den Gebäudetyp „E“ keine Unsicherheiten, da das bestehende System nicht verändert wird. Es wird ein zusätzlicher Planungsweg hinzugefügt, der in einen neuen Raum von Möglichkeiten führt.
Am 15. September 2022 hat die Bundeskammerversammlung, also das Parlament der 16 Länderkammern, eine Erklärung für mehr Spielraum für Innovationen beim Planen und Bauen beschlossen, die den Gebäudetyp E als Vorschlag beinhaltet.
Lesen Sie außerdem das Interview mit BAK-Präsidentin Andrea Gebhard zum Gebäudetyp E.