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Werkzeugkasten der Architektur: dynamischer und organischer

Die Herausforderungen sind groß und unsere Arbeitsweise muss sich anpassen. Doch ist die Digitalisierung Fluch oder Segen?

 

31.01.2023 5min
Schreibtisch mit Geodreieck, Stift und Computer
Alte und neue Architekturwerkzeuge: Was kommt nach Zeichendreieck und Computer?

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Dynamischer und organischer“ im Deutschen Architektenblatt 01-02.2023 erschienen.

Von Johanna Meyer-Grohbrügge

So viel zu tun: Verbrauch und Emissionen senken, Ressourcen effizienter nutzen, zugleich lebenswerte Städte und bezahlbaren Wohnraum schaffen. Wir stehen vor großen Aufgaben, ganz vorn mit dabei die Baubranche – und wir Architektinnen und Architekten. Positiv ist, dass von unserem Berufsstand gerade viel erwartet wird, vor allem kreative Lösungen und neue Wege. Dafür benötigen wir Spielraum, Platz für Experimente und eine regere Kommunikation. Einerseits mit Technikern, Baufirmen und Bauherren, andererseits in die Gesellschaft hinein.

Um die Herausforderungen für eine bessere Zukunft zu meistern, müssen wir uns von vielem Gewohnten verabschieden, auch von Normen, die uns dabei einengen, neue Lösungen zu realisieren. Je früher alle Beteiligten sich bei einem Projekt darüber austauschen, was genau die Ziele sind und wie man am besten dorthin kommt, desto besser wird das Ergebnis. Dabei ist Flexibilität gefragt, die gerade kleinere und mittelgroße Akteure – vom Architekturbüro bis zur Baufirma – an den Tag legen können. Wenn der Gesetzgeber den nötigen Spielraum schafft und flexibel Handelnde sich vernetzen, können spannende Experimente entstehen, die den Weg in eine nachhaltigere und soziale Zukunft weisen.

Neue Aufgaben, neuer Werkzeugkasten 

Mit den neuen Anforderungen ändert sich auch unsere Art zu arbeiten. Wir sollten unseren Werkzeugkasten erweitern. Gerade am Anfang eines Projekts sind Architektinnen und Architekten künftig mehr denn je gefragt. Wenn wir Bauherren intensiver beraten, können wir an den Stellschrauben mit dem größten Effekt drehen. Zunächst sollte definiert werden, welche Qualitäten gewünscht sind und nach welchen Kriterien sie beurteilt werden sollen. Die Aufgabe sollte von Grund auf hinterfragt werden – bis dahin, ob sie überhaupt aus den richtigen Beweggründen in dieser Form, diesem Umfang und dieser Zeit sinnvoll ist. Warum keine „Phase 0“ in der HOAI, die eine qualitative Beratung vorsieht und deren Bedeutung für das Projekt anerkennt?

Unsere künftigen Werkzeuge werden immer stärker durch Digitalisierung geprägt sein. Einige Parameter und Einschränkungen werden durch sie entfallen, Räume müssen oft keine Funktionen mehr erfüllen. Doch welche Strategie soll man verfolgen, wenn man von funktionalen Zwängen befreit ist? Da müssen wir teils komplett umdenken.

Digitalisierung braucht ein Ziel

Mithilfe von Algorithmen wird Stadtplanung betrieben und neue Programme erlauben es jedem, sein eigenes Haus zu entwerfen. Viele Funktionen lassen sich bis ins Detail berechnen. Doch daraus entsteht nicht unbedingt Qualität, denn Qualität des Raums ist mehr als die Summe seiner Funktionen. Hier können Architektinnen und Architekten ihre Stärken unter Beweis stellen. Unser Fokus wird sich stärker auf die Inhalte richten, Digitalisierung schafft im besten Fall mehr Kapazitäten für kreative Lösungen. Was dabei generiert wird, gilt es dann zu kommunizieren.

Die digitalen Werkzeuge im Architekturbüro und bei anderen Akteuren müssen nicht zwangsläufig zu einem Boom von Smart Buildings führen – und sollten es auch nicht. Hightech-Häuser sind zu oft ein starres System: zu komplex, fehleranfällig, lassen sich schlecht weiterentwickeln oder umnutzen. Stattdessen kann Hightech im Architekturbüro helfen, bessere Lowtech-Häuser zu entwickeln. Neue technische Möglichkeiten sollten nicht um ihrer selbst willen verbaut werden. Doch Hightech kann sehr nützlich sein, gerade weil die Grenzen unserer Arbeit in einigen Bereichen zwangsläufig immer enger gezogen werden.

Dass weniger Ressourceneinsatz auf jeder Ebene notwendig ist, ist längst bekannt. Digitalisierung kann sowohl in der Planung als auch im Betrieb den Weg dorthin erleichtern. Jedes klar gesteckte Ziel kann neue kreative Ideen hervorbringen, solange nicht vordefiniert wird, wie man es am besten zu erreichen hat. Denn um neue Lösungen zu finden, braucht man Vertrauen und Freiraum, um diese in der Praxis testen zu können.

Abriss hinterfragen: Was muss unbedingt weg?

Das zeigt sich ganz deutlich, wenn wir Bestand weiterentwickeln. Ein temporärer Neubaustopp könnte die bisherigen Impulse verstärken. In Zukunft sollte die Frage nicht lauten: „Sollen wir hier noch etwas stehen lassen?“, sondern: „Was muss hier denn unbedingt weg?“ und vor allem: „Wie macht man das weg, und was passiert dann damit?“ Im Bestand sind wir besonders gefragt für individuelle Lösungen. Jedes Projekt ist ein Unikat, aus dem etwas Spannendes entstehen kann.

Kleine, kreative Akteure, die sich gut vernetzen, können die Zukunft prägen. Auf die bisherige serielle Herangehensweise folgen hoffentlich viele, lokal unterschiedliche Lösungen. Räumliche Qualität sollte für jeden Einzelfall passgenau entwickelt werden, anstatt nach dogmatischen Allgemeinlösungen zu suchen. Die Architektur der Zukunft kann so dynamischer und organischer werden.

Johanna Meyer-Grohbrügge leitet das Büro Meyer-Grohbrügge. 2021 übernahm sie den Lehrstuhl Raumgestaltung der TU Darmstadt

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