Klimaoase Architektur – Fundamente neuer und nachhaltiger Umweltgestaltung
Der Hessische Architektentag (HAT) beschäftigte sich mit Strategien für eine gebaute Umwelt, die sich an veränderte Klimabedingungen anpasst und zugleich neue Maßstäbe für nachhaltige Gestaltung setzt.
Hitzewellen, Starkregen, soziale Ungleichheit und wirtschaftlicher Strukturwandel – Städte und ländliche Räume stehen heute unter enormem Druck. Der HAT rückte 2025 das Leitbild der grünen Stadt ins Zentrum, eine der drei Handlungsdimensionen der Neuen Leipzig Charta. Nationale und internationale Expert:innen präsentierten den rund 330 Teilnehmenden im Casals Forum in Kronberg Projektbeispiele und mögliche Lösungsansätze. Beiträge aus Forschung, Planung und kommunaler Praxis machten deutlich: Die grüne Stadt ist mehr als ein ästhetisches Ideal. Sie bildet das Fundament der resilienten Stadt, einer Stadt, die auf Krisen vorbereitet ist, Ressourcen klug nutzt und Lebensräume schafft, die auch in Zukunft Bestand haben.
AKH-Präsident Gerhard Greiner erläuterte die Rolle des Berufsstands: „Ich blicke voller Zuversicht in die Zukunft, denn als gesamter Berufsstand und als Kammer werden wir gemeinsam mit unseren Bündnispartnern im Sinne der nächsten Generationen einen wesentlichen Beitrag zur Klimaanpassung und zum Klimaschutz leisten können. Unser Berufsstand ist in seinen Grundfesten der Gemeinwohlorientierung, dem Verbraucherschutz und vor allem einer qualitätsvollen, nachhaltigen Umweltgestaltung verpflichtet.“
Der HAT gliederte sich 2025 in vier Teile. Dr. Stefan Carsten, Zukunftsforscher und Stadtgeograf, und Prof. Elisabeth Endres bestritten das Forum „Transformationsgesellschaft unter (Hitze-)Stress“. Carsten sprach über „Die Raumwende als Zukunftsaufgabe“. Er appellierte, die Mobilitäts- und Raumwende zusammenzudenken, die gelebte Umwelt wichtiger zu nehmen als die gebaute Umwelt und die Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume zu verbessern. Endres, die das Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur an der TU Braunschweig leitet, berichtete vom Deutschen Pavillon bei der Architekturbiennale in Venedig, dessen immersive Ausstellung sie mitkuratiert hat. Der deutsche Biennale-Beitrag „Stresstest“ ließ Besuchende Auswirkungen von Hitzestress und überhitzten Stadtlandschaften erleben. Er zeigte aber auch konkrete Lösungsansätze: Architektur, Landschaftsplanung und Stadtentwicklung als Teil eines klimawiderstandsfähigen Systems, Lösungen, wie Städte resilienter gemacht werden können.
Projektbeispiele Klimaoasen in Europa
Im zweiten Teil der Veranstaltung zeigten Architekt:innen aus dem europäischen Ausland Projektbeispiele zum Thema „Klimaoasen bauen“. Tobias Konishi, Projektdirektor bei SLA in Kopenhagen, erklärte, dass für SLA die Beziehung zwischen Mensch und natürlicher Umwelt Grundlage für die Entstehung von Architektur ist. Natur dient dabei nicht nur als ästhetisches Element, sondern als funktionaler, sozialer und ökologischer Bestandteil einer resilienten Stadtentwicklung.
The Social Spine
Im Fokus seiner Präsentation stand das Projekt „The Social Spine“ (das soziale Rückgrat). Eine graue, wenig attraktive Durchgangsfläche auf dem Dach von Skandinaviens größter Studierendenwohnanlage wurde in ein grünes und soziales „Rückgrat“ für die Bewohner*innen umgewandelt. Konishi legte dar, wie grüne Infrastruktur (insbesondere Dach- und Terrassenbegrünung) soziale und ökologische Mehrwerte erzeugen kann. Wohnorte seien nicht nur funktionale Räume, sondern sollten Erlebnisse, Begegnungsräume und Lebensqualität bieten.
The Day After House
Mireia Luzárraga von TAKK Architects aus Barcelona versteht Architektur grundsätzlich als forschende Praxis, die nach neuen materiellen, konstruktiven und ästhetischen Prozessen sucht. Beim „The Day After House“ in Madrid wurde eine Wohnung renoviert mit dem Ziel, den Raum an neue Nutzungsmodelle und ein ökologischeres Bewusstsein anzupassen. Das Projekt folgte einem Lowtech-Ansatz, u. a. anhand von einfachen und konstruktiven Mitteln, die austauschbar und reparierfähig zugleich sind. Zum Tragen kam auch eine passive Klimatisierung durch Luftzirkulation, eine kostengünstige Technik, die in heißen, südeuropäischen Ländern gegenwärtig wiederentdeckt wird. Die Struktur der Wohnung orientiert sich an den klimatischen und energetischen Eigenschaften der einzelnen Bereiche statt an einer traditionellen Raumaufteilung mit Zimmern und Fluren. Die Räume sind ineinander verschachtelt. Dadurch werden Flure überflüssig, was sowohl Fläche als auch Energie einsparen kann. Je weiter man in die zentralen Räume der Wohnung gelangt, desto besser sind sie isoliert und desto geringer ist der zusätzliche Energiebedarf.
Laurens Bekemans, Mitbegründer des in Brüssel ansässigen Architekturbüros BC Architects & Studies & Materials, sprach über die Entwicklung von Baustoffen aus natürlichen, lokalen Rohstoffen sowie wiederverwendeten Materialien. Am Beispiel eines Hallenumbaus LOT8 im französischen Arles zeigte er auf, wie aus Pflanzenresten (Sonnenblumenstiele, Algen) oder aus regionaler Meersalzgewinnung neue Baustoffe hergestellt werden können, die nachhaltig und bereits klimaresilient sind. Der Juniorprofessor für das Fach Baukonstruktion und Entwerfen an der RWTH Aachen erklärte, dass es Zeit brauche, Gewohnheiten zu ändern, schließlich habe die Betonindustrie 60 Jahre Zeit gehabt, ihr Produkt zu optimieren.
Klimaangepasste Stadtplanung in Freiburg und Heidelberg
Der dritte Teil des Hessischen Architektentags beschäftigte sich neben dem Faktor Gesundheit und der Notwendigkeit von „kühlen Räumen“ mit nachhaltiger Stadtentwicklung und Klimaanpassung aus Sicht der kommunalen Praxis. Die Leiterin der Abteilung Stadtentwicklung und stellvertretende Leitung Stadtplanungsamt Hanna Denecke sprach über Freiburgs Weg zu einer klimaangepassten Stadtplanung. Sie ging insbesondere auf das Klimaanpassungskonzept der Stadt im Hinblick auf Regenwasser ein. Das Ziel sei es, dem Wasser die Möglichkeit zu geben, zu versickern.
Zur Stadtklimaanalyse nutzt Heidelberg anstelle der Thermalbefliegung einen Klimascanner, berichtete Sabrina Hoffmann von der Stabsstelle Klimagerechte Planung, Amt für Stadtentwicklung und Stadtplanung. Dieser liefert einerseits wichtige Erkenntnisse zur Risikoabschätzung an möglichen Hitzeinseln durch zukünftige Neubauplanungen. Andererseits dient der Klimascanner zur Überprüfung von Klimaanpassungsmaßnahmen für Bestandsquartiere.
Klimaheiler regeneratives Bauen
Der CEO der Initiative Bauhaus Earth Prof. Dr. Philipp Misselwitz hielt einen Vortrag zum Thema „Regeneratives Bauen als Klimaheiler?“. Der Architekt und Stadtplaner betonte: „Möchte man aktiv etwas für den Klimaschutz tun, so ist ein schnelles Handeln beim Bauen unerlässlich. Die letzten 20 Jahre lag der Fokus auf der Energiewende. Die GEG und die Förderprogramme fokussieren sich auf den Energieverbrauch im Gebäudebetrieb. Der nächste Schritt muss zur Bauwende gehen: Der gesamte Lebenszyklus des Gebäudes muss betrachtet werden. Zudem sollten in Zukunft die Kreislauffähigkeit sowie der Einsatz von Sekundärrohstoffen bewertet werden.“
Misselwitz erläuterte Grundprinzipien des regenerativen Bauens wie beispielsweise den Einsatz möglichst regionaler, natürlicher und wiederverwendeter Baustoffe sowie die Zielstellung, Gebäude dauerhaft in eine Kohlenstoffsenke zu verwandeln. Er sprach sich außerdem für die Wiedervernässung trockengelegter Moore aus, da trockengelegte Moore große CO₂-Emissionen verursachen, während intakte, nasse Moore enorme Mengen Kohlenstoff langfristig binden und speichern. Letztlich gehe es darum, negative Emissionen zu erreichen.
Zum Abschluss der Konferenz fasste Kammerpräsident Greiner zusammen, das Klima sei nicht verhandelbar, Klimaanpassung ein Muss. Es gelte, insgesamt ressourcenschonend zu planen und zu bauen. Und er machte deutlich: „Planung und Architektur brauchen Haltung und eine Kammer, die sie vertritt.“
Der Hessische Architektentag 2025 vermittelte aktuelle Einblicke aus unterschiedlichen Perspektiven und zeigte eindrucksvoll, wie vielfältig die Wege zu klimaresilienter Architektur und Stadtentwicklung sind. Internationale Beispiele, kommunale Strategien und Impulse zur Bauwende machten deutlich, Transformation ist möglich.