„500 Milliarden Sondervermögen. Und jetzt?“
Mit dem Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ verspricht Deutschland die größte Investitionsoffensive seiner Geschichte. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Investitionen auf Strukturen treffen, die kaum mithalten können.
An einem Mittwochmorgen im September 2024 gab in Dresden ein Brückenteil nach – an einem Bauwerk, das seit Jahrzehnten zu den wichtigsten Verkehrsverbindungen der Stadt gehört. Ein Teil der Carolabrücke, ein Spannbetonhohlkasten aus den frühen 1970er-Jahren, lag plötzlich geknickt in der Elbe. Fest steht: Der Einsturz war kein singuläres Versagen, sondern ein Symptom für eine Infrastruktur, die vielerorts an ihre Grenzen kommt. Die Carolabrücke war geprüft, eingeordnet als „nicht ausreichend“, ihre Sanierung geplant und beschlossen. Aber sie kam zu spät. In Deutschland altern viele öffentliche Gebäude, Leitungsnetze, Schulen, Schwimmbäder, Verwaltungsbauten und ganze Verkehrsräume gleichzeitig, oft schneller, als Städte und Gemeinden sie instand halten können. Das führt zu der grundsätzlichen Frage, wie lange die Infrastruktur der Bundesrepublik das noch durchhält. Genau an dieser Stelle setzt das neue Sondervermögen an – zumindest in der politischen Erzählung.
Eine funktionierende Infrastruktur ist die Basis für Wohlstand, gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Verantwortung für Deutschland
Das Sondervermögen und die Lücke im System.
„Eine funktionierende Infrastruktur ist die Basis für Wohlstand, gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.“
So steht es im Koalitionsvertrag. Die Antwort der Politik darauf ist ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro – größer als jedes Infrastrukturprogramm zuvor, ausgestattet mit Grundgesetzrang und eigener Gesetzgebung. Es soll vieles gleichzeitig heilen: Brücken, Schulen, Netze, Gebäude, Klimasysteme. Ein Projekt in der Größenordnung eines nationalen Reparaturbetriebs. Und doch schwebt über allem die einfache Frage, ob man ein System, das jahrzehntelang vernachlässigt wurde, mit einem einzigen politischen Großversprechen wirklich wieder tragfähig bekommt.
Der Aufbau des Sondervermögens ist einfach, seine Mechanik nicht. Von den 500 Milliarden Euro sind über zwölf Jahre hinweg 300 Milliarden für den Bund vorgesehen. Dieses Geld landet nicht in einzelnen Bauvorhaben, sondern in Programmen für Schienenwege, Digitalisierung, Energieinfrastruktur, Krankenhäuser und weitere. Weitere 100 Milliarden gehen an die Länder, verteilt nach dem Königsteiner Schlüssel – einem Verfahren, das sich an Bevölkerung und Steuerkraft orientiert, nicht am Zustand der jeweiligen Infrastruktur. Die letzten 100 Milliarden fließen in den Klima- und Transformationsfonds, der vor allem Förderprogramme für Energieeffizienz und industrielle Transformation finanziert. Rein formal ist das Sondervermögen ein mächtiges Werkzeug. Sein Aufbau zeigt jedoch schon die zentrale Schwierigkeit, denn er passt nicht zu den Problemen, die er lösen soll.
Die Grenzen der gebauten Infrastruktur
Der Zustand der Infrastruktur ist schlechter, als es jede Programmlogik abbilden kann. Laut dem KfW-Kommunalpanel 2025 beläuft sich der wahrgenommene Investitionsrückstand der Kommunen auf 215,7 Milliarden Euro – ein historischer Höchststand. Die größten Lücken klaffen dort auf, wo Alltagsinfrastruktur verortet ist: Bei Schulen beläuft sich der Rückstand auf 67,8 Milliarden Euro, bei Straßen auf 53,4 Milliarden Euro. Hinzu kommt ein Defizit im Unterhalt, das inzwischen strukturelle Züge trägt: 19 Prozent der Kommunen geben an, ihren Unterhaltungsbedarf in den vergangenen fünf Jahren nur noch in geringem Umfang oder gar nicht mehr decken zu können (KfW 2025). Die angespannte Haushaltslage verschärft die Situation zusätzlich. Die Kommunen verbuchten im Jahr 2024 ein Rekorddefizit von 24,8 Milliarden Euro (Bertelsmann Kommunalbericht 2025). Investitionen werden verschoben, Sanierungen hinausgezögert und Personalkapazitäten abgebaut. Parallel dazu zeigt eine Langzeitanalyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), dass sich die realen kommunalen Sachinvestitionen innerhalb von 30 Jahren halbiert haben – nicht, weil weniger Bauvorhaben anstehen, sondern weil die steigenden Sozial- und Pflichtausgaben die Bauinvestitionen unmöglich machen. Eine Infrastruktur, die ihre Reparaturen nicht mehr schafft, verliert zuerst an Substanz und dann an Funktion. Brücken werden gesperrt, Schulgebäude baufällig, Freibäder schließen früher und Leitungsnetze altern im Stillen. Der Einsturz der Carolabrücke ist das sichtbare Ergebnis eines jahrzehntelangen Trends.
Es ist die kommunale Ebene, die über die sichtbare Qualität der Infrastruktur entscheidet. Sie ist verantwortlich für Schulen, Kitas, Straßen, Bäder, Quartiere, Freiräume, Verwaltungsbauten und Wärmenetze. Hier entsteht – oder scheitert – Baukultur. Und hier entscheidet sich, wie Bürgerinnen und Bürger den Staat erleben. Der Wirtschaftsgeograf Bastian Heider bringt es in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt: Die Handlungsfähigkeit der Kommunen hat „den größten Einfluss auf das Leben und Erleben der Menschen“. Wenn Infrastruktur verfällt, Räume unmodernisiert bleiben und Netze schwach sind, sinkt nicht nur die Lebensqualität, sondern auch das Vertrauen in politische Institutionen.
Zwischen Mittel und Wirkung
Die politische Architektur des Sondervermögens ist festgelegt. Nun folgt die lokale Handlungsebene. Hier sehen jedoch verschiedene Studien die größte Engstelle. So hält das KfW-Kommunalpanel fest, dass fehlende Personalressourcen zu den „zentralen Hemmnissen“ der Investitionstätigkeit zählen. Viele Verwaltungen geraten administrativ an ihre Grenzen. So wünschen sich laut der KfW drei von vier Kommunen (77 %) Reformen zur Minderung der bürokratischen Last im Förderbereich. Im Zusammenhang mit dem Sondervermögen benennt die KfW zudem „Ansätze der administrativen Vereinfachung“ als notwendig, sollten Mittel über Förderprogramme ausgereicht werden. Das KfW-Panel verweist darauf, dass eine „wirkungsorientierte Gewährung von Pausch- und/oder Festbeträgen zielführend sein könnte“ und sieht die Länder dabei als wichtige Akteure der Ausgestaltung. Der Kommunale Finanzreport der Bertelsmann Stiftung beschreibt eine strukturell angespannte Lage: „Der Gestaltungsraum in den Kommunen geht gegen Null“, vielerorts fehle es „an finanzieller Ausstattung und personellen Kapazitäten.“. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) richtet den Blick stärker auf die Wirkungslogik des Sondervermögens selbst. Es dokumentiert zum Beispiel im Verkehrsbereich „erhebliche Finanzierungslücken“ trotz Mittelverschiebungen und stellt fest, dass Teile des Sondervermögens „nicht zusätzlich investiv“ wirken. Damit verweist das IW auf die Frage, ob die bestehende Finanzarchitektur in der Lage ist, den angekündigten Investitionsschub tatsächlich auszulösen.
In der Summe kommen die ausgewählten Stimmen auf eine Konklusio: Damit zusätzliche Mittel ihre Wirkung entfalten können, sind vor allem kommunale Kapazitäten, verlässliche Verfahren und Klarheit in der Umsetzung erforderlich. Geld allein genügt nicht. Genau an dieser Schnittstelle zwischen politischer Zielsetzung und administrativer Umsetzbarkeit liegt die strategische Rolle von Planenden. Die Qualität der Projektentwicklung, belastbare Priorisierungen und die kontinuierliche Unterstützung kommunaler Verwaltungen entscheiden darüber, ob aus finanziellen Spielräumen tatsächlich Handlungsspielräume werden. Ob die Mittel des Sondervermögens in bauliche und räumliche Transformationen münden, hängt somit nicht nur von den politischen Rahmenbedingungen ab, sondern auch maßgeblich von der konkreten Planungsrealität vor Ort.