Deutsches Architektenblatt Logodab-logo Deutsches Architektenblatt Logodab-logo-description

Windkraft, Wattenmeer, Wandel

Die AIK SH auf Fachexkursion in Jütland: Von Offshore-Industrie zu historischer Baukultur – die Exkursion nach Esbjerg und Ribe inspirierte mit Beispielen für gelungenen Strukturwandel und architektonische Qualität im Norden.

LAK Schleswig-Holstein
22.12.2025
Baukultur Schleswig-Holstein
Besuchergruppe vor modernem Gebäude mit Reetdach bei einer Führung.
Ein Vorbild nicht nur in Fragen des nachhaltigen Bauens – das Wattenmeerzentrum von Dorte Mandrup © AIK-SH

Die AIK SH wagte vom 16. bis 19. Oktober 2025 einen inspirierenden Aufschlag: Die erste Fachexkursion führte 23 Teilnehmende nach Esbjerg und Ribe im Südwesten Jütlands. Diese Orte dienen als eindrückliche Beispiele dafür, wie wirtschaftlicher Strukturwandel, zukunftsweisende Architektur und Stadtentwicklung schlüssig ineinandergreifen. Vor Ort erhielten die Architektinnen, Landschaftsarchitekten und Ingenieure tiefgehende Einblicke in aktuelle Entwicklungen, herausragende Bauwerke und planerische Strategien im Brennpunkt von Energiewende, Nachhaltigkeit und Baukultur.

Esbjerg – Labor der Energiewende und Stadt im Aufbruch

Als zentrale Drehscheibe der europäischen Offshore-Windindustrie ist die junge Stadt Esbjerg ein städtebauliches Labor. Jesper Bank, Chief Commercial Officer des Esbjerg Havn, skizzierte im Gespräch mit den Teilnehmenden eine eindrucksvolle Transformation: Auf aufgespülten Flächen entstehen neue Hafenareale, logistische Abläufe und bauliche Infrastruktur werden an die gigantischen Dimensionen moderner Windkraftanlagen adaptiert. Die Stadtentwicklung reagiert auf diese industrielle Dynamik gezielt mit neuen Raumstrukturen. Eine Teilnehmerin fasste zusammen: „Es ist beeindruckend, wie flexibel und lösungsorientiert hier agiert wird. Der Umgang mit tiefgreifenden Veränderungen wirkt selbstverständlich – das schafft die notwendige Offenheit für architektonische Qualität auch in technisch geprägten Kontexten.“  Die anschließende Stadtführung mit Stadtarchitekt Morten Haarder und Michael Andsager Jensen beleuchtete, dass Esbjergs Entwicklung weit über die industrielle Expansion hinausgreift. Im Fokus der Diskussion standen die Wechselwirkungen zwischen wirtschaftlichem Wachstum, Freiraumplanung und der Identität im Stadtraum. Projekte wie die Brückenpromenade Landgangen von COBE Architects demonstrieren, wie neue, attraktive öffentliche Räume als Bindeglieder zwischen der Innenstadt und den Hafenarealen entstehen.  

Architektur als Zeichen des Wandels  

Neben den städtebaulichen Dimensionen standen prägnante architektonische Projekte im Fokus, die den fundamentalen Wandel Esbjergs versinnbildlichen. Das Musikhuset Esbjerg von Jørn und Jan Utzon bildet mit dem angrenzenden Henning G. Kruses Plads der Bjarke Ingels Group einen städtebaulichen Akzent, der den Übergang von der einst industriell geprägten Uferkante zur Stadtmitte neu definiert.  
 
Das Maritime Centre „Die Laterne“ von Snøhetta und WERK Arkitekter faszinierte als skulpturaler, offen gestalteter Holzbau. Es steht sinnbildlich für die Neuausrichtung der Hafenstadt: Der Hafen wird nicht länger als abgeschlossener Funktionsraum, sondern als zugänglicher, öffentlicher Ort begriffen. Ein Mitglied der Gruppe kommentierte: „Hier wird Industrie als selbstverständlicher Teil der Stadt verstanden – das ist architektonisch wie gesellschaftlich gleichermaßen bemerkenswert.“  
 
Den Abschluss des Tages bildete der Besuch der monumentalen Skulptur „Man Meets the Sea“ von Svend Wiig Hansen. Die Arbeit am nördlichen Stadtstrand bot einen ruhigen Gegenpol zu den industriellen Eindrücken und schuf einen Moment der bewussten Wahrnehmung für die Weite und Maßstäblichkeit dieser Küstenlandschaft. Mit einem Sundowner in der Hand klang der intensive Tag beim Blick auf das Meer und den Horizont atmosphärisch aus – ein Abschluss, der haften blieb.  

Ribe: Baukultur im Kontext des Weltnaturerbes  

Einen bewusst gesetzten Kontrast bildete Ribe, die älteste Stadt Dänemarks, deren historische Struktur und feingliedrige Maßstäblichkeit bis heute nahezu unverändert erhalten geblieben sind. Ein Höhepunkt war die Führung durch das Wattenmeerzentrum von Dorte Mandrup A/S mit Direktor Klaus Melbye.  
 
Das Zentrum gilt als vorbildliches Beispiel für nachhaltiges Bauen im Weltnaturerbe Wattenmeer. Die Holzkonstruktion aus lokalen Materialien, die harmonische Einbettung in die Marschlandschaft und der Bildungsauftrag des Hauses demonstrieren eine gelungene Synthese aus Architektur, Umwelt und Inhalt. Ein Fazit der Gruppe lautete: „Das Projekt zeigt, wie Haltung und Materialeinsatz Hand in Hand gehen können – ohne gestalterische Kompromisse einzugehen.“  
Die anschließende Stadtführung in Ribe fokussierte auf den sensiblen Umgang mit der historischen Substanz im Zusammenspiel mit zeitgenössischer Intervention. Besonders das Kannikegården von Lundgaard & Tranberg – ein Neubau über archäologischen Funden – bestach durch die präzise Verbindung von Geschichte, materieller Transparenz und feingliedriger Detailarbeit.  

Ausklang am Marsk Tower  

Am Abreisetag führte die Route zum Marsk Tower bei Skærbæk, ebenfalls ein Entwurf der Bjarke Ingels Group. Die Teilnehmenden erklommen die skulpturale Doppelhelix aus Cortenstahl, die sich als weithin sichtbare Landmarke über die Marsch erhebt, und genossen den weiten Panoramablick über die Landschaft. Zwischen dem einmaligen Ausblick, herzhaftem Smørrebrød und einer entspannten Partie Minigolf klang die Exkursion in lockerer Atmosphäre aus – ein passender Abschluss nach intensiven Tagen.

Impulse, Erkenntnisse und eine klare Perspektive  

Die Teilnehmenden hoben unisono den hohen fachlichen und inspirierenden Gewinn der Reise hervor. „Mich hat beeindruckt, mit welcher Selbstverständlichkeit und welchem Gestaltungswillen in Dänemark geplant und umgesetzt wird – ob im großmaßstäblichen Hafenbau oder im sensiblen Holzbau“, lautete eine wesentliche Rückmeldung. Auch die pragmatische Haltung, mit der Planungs-, Genehmigungs- und Bauprozesse umgesetzt werden, fand große Anerkennung. Der Blick nach Esbjerg und Ribe verdeutlichte, wie sich wirtschaftliche, ökologische und gestalterische Fragen produktiv verbinden lassen – und inwieweit Architektur essenziell dazu beitragen kann, tiefgreifende Transformationsprozesse sichtbar und nachvollziehbar zu machen.  

Für die AIK SH markiert diese erste Fachexkursion einen wichtigen Erfolg. Organisation, Ablauf und die positive Resonanz der Teilnehmenden bestätigen das große Potenzial des Formats. Das Organisationsteam betonte: „Wir freuen uns, dass dieses Experiment so gut gelungen ist – und möchten es fortsetzen.“ Die Kammer plant daher, auch künftig Fachexkursionen anzubieten, die praxisnahe Einblicke, intensiven fachlichen Austausch und kollegiales Lernen miteinander verknüpfen. Ideen für zukünftige Reiseziele werden bereits gesammelt – ob in Skandinavien, Deutschland oder anderen Regionen Europas. Denn die Tage in Jütland haben gezeigt: Architektur, Ingenieurbau, Stadt- und Freiraumplanung erschließen sich am besten, wenn man sie gemeinsam vor Ort erlebt. 

Gruppenfoto vor monumentalen weißen Skulpturen unter blauem Himmel.
„Man meets the Sea“ von Sven Wiig Hansen – ein Moment, der in Erinnerung bleibt! © AIK-SH
Gruppe von Menschen hört einer Führung mit Blick auf einen Hafen zu.
Esbjerg – Die junge Stadt ist Labor der Energiewende und des Städtebaus, das inspiriert! © AIK-SH
Stadtführung mit einer Gruppe von Menschen auf einem historischen Innenhof.
Baukultur erschließt sich am besten, wenn man sie gemeinsam erlebt – hier bei der Stadtführung in Ribe. © AIK-SH

LAK Schleswig-Holstein

Team Presse- und Öffentlichkeitsarbeit