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Schule statt Leerstand: Impulse für den Schulbau

Mit „Schule statt Leerstand“ erprobt Nürnberg die Umnutzung eines Bürogebäudes zur Berufsschule. Schulbau Open Source dokumentiert den komplexen Planungsprozess und macht das Wissen für Kommunen und Planende frei zugänglich.

Bettina Sigmund
22.12.2025
Infrastruktur Bildung Bundesweit
Außenansicht eines Schulgebäudes mit goldfarbener Rasterfassade auf freiem Gelände, Fernsehturm im Hintergrund.
SOS Nürnberg, Umnutzung eines leer stehenden Bürobaus zur Berufsschule © Giulia Iannicelli

Deutschlands Bestand an Bildungsbauten befindet sich in einem Zustand tiefgreifender baulicher und struktureller Überlastung. Während pädagogische Anforderungen, Digitalisierung und energetische Standards steigen, ist ein Großteil der Bildungsbauten strukturell überaltert. Marode Gebäude, energetisch veraltete Hüllen, fehlende Raumflexibilität und ein massiver Investitionsrückstand prägen die Bildungslandschaft vieler Kommunen. Jahrzehntelang wurden notwendige Investitionen verschoben; entsprechend groß ist heute der Modernisierungsdruck. Nach Erhebungen der KfW beläuft sich allein der kommunale Investitionsstau im Schulbereich auf rund 68 Milliarden Euro1– ein Befund, der sich in vielen Kommunen mit leeren Haushalten und wachsendem Sanierungsdruck deckt. 

Axonometrische Darstellung eines Schulgebäudes mit umgebendem Park, Wegen, Bäumen und Nachbarschaftsnutzungen.
Axonometrie des geplanten Umnutzungsprojekts „SOS Nürnberg“ © AFF Architekten

Bildungsinfrastruktur zwischen Anspruch und Realität

Mit dem Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK) in Höhe von 500 Milliarden Euro bietet sich erstmals ein finanzieller Rahmen, der theoretisch geeignet wäre, auch die Bildungsinfrastruktur zu stärken. Doch erste Einschätzungen zeigen, dass diese Chance nur teilweise genutzt wird. Nur ein sehr geringer Anteil der Mittel soll in Schulen und Kitas fließen, während Straßen und Schienen dominieren. Von 400 Milliarden Euro Bundesmitteln wurden ursprünglich lediglich vier Milliarden verbindlich für Kitas, Schulen und Hochschulen reserviert, nachträgliche Anträge fordern zumindest 8,5 Milliarden. Die restlichen 100 Milliarden Euro stehen den Ländern zur freien Verfügung. Die Vermutung liegt nahe, dass vielerorts mit dem Sondervermögen lediglich akute Finanznot kompensiert wird, anstatt zusätzliche Projekte zu ermöglichen. Der bauliche Zustand der Schulen ist jedoch mehr als ein finanzielles Problem, er ist eine Frage der Zukunftsfähigkeit. Die aktuelle Vernachlässigung steht im Widerspruch zu volkswirtschaftlichen Erkenntnissen, wonach kein Bereich eine höhere gesamtgesellschaftliche Rendite erzielt als Bildung, insbesondere frühkindliche und schulische Investitionen. 

Bestandsaktivierung als Strategie: Pilotprojekt in Nürnberg 

Wenn Neubauten aus finanziellen, ökologischen oder zeitlichen Gründen keine realistische Option sind, gewinnt die Frage an Gewicht, wie die vorhandenen Strukturen für zeitgemäße Bildungsräume aktiviert werden können. Genau an dieser Schnittstelle positioniert sich die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft mit ihrem Nürnberger Pilotprojekt. Das Vorhaben zeigt, welches Potenzial im intelligenten Weiterbauen bzw. Umnutzen steckt, indem ein aus der Nutzung gefallener Bürokomplex zu einem zukunftsfähigen Lernort gewandelt wird. 

Dazu erwarb die Stadt Nürnberg 2024 ein seit Jahren ungenutztes, durch Vandalismus geschädigtes Bürogebäude aus den 1990er-Jahren und setzte sich erfolgreich in der von der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft ausgelobten Ausschreibung „Schule statt Leerstand“ durch. Die Jury würdigte das Vorhaben als besonders relevant, weil die Typologie des Bestandsgebäudes – ein Stahlbetonskelettbau mit sternförmigem Grundriss, großen Gebäudetiefen und hohen Geschosshöhen – prototypisch für viele innerstädtische Leerstände ist und ideale Voraussetzungen für offene Lernlandschaften bietet . Auf rund 24.000 m² BGF sollen künftig acht Fachbereiche der Beruflichen Schulen B5 und B14 untergebracht werden, insgesamt etwa 2.400 Schüler*innen, davon täglich rund 1.500 Anwesende. 

Rohbau-Innenraum eines Schulgebäudes mit Betonstützen, Decken und großflächigen Fensteröffnungen.
Die leer stehenden Büroräume lassen bereits ihr Potenzial für die Nutzung als Bildungsbau erahnen © Giulia Iannicelli
Zentrales Treppenhaus im Rohbau, mehrgeschossiger Luftraum mit Treppen, Geländern und sichtbaren Betonbauteilen.
Die leer stehenden Büroräume lassen bereits ihr Potenzial für die Nutzung als Bildungsbau erahnen © Giulia Iannicelli

Das Projekt, das sich derzeit in Leistungsphase 2 befindet, startete mit einer partizipativen Entwicklungsphase Null, die durch Luchterhandt & Partner moderiert wurde. Dabei wurden pädagogische Leitlinien, Clusterorganisation und Raumprogramme im Dialog mit Schulleitungen, Lehrkräften und Verwaltung geklärt. Grundlage ist die Nürnberger Vision „Schule 2040“, die selbstgesteuertes und kooperatives Lernen in den Mittelpunkt stellt. Für die folgenden Leistungsphasen hat sich ein interdisziplinäres Team zusammengefunden, zu dem neben der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft die planenden Büros AFF Architekten, POLA Landschaftsarchitekten sowie die Fachplaner IB Hausladen (TGA und Bauphysik), IBC Ingenieure (Brandschutz), Schnetzer Puskas Ingenieure (Tragwerk) und Raible & Partner (Elektroplanung) gehören. Ihr gemeinsamer architektonischer Ansatz sieht eine Strategie der Minimalintervention vor. Das durch den Rückbau freigelegte Tragwerk bildet die Basis für neue Lerncluster, die durch präzise gesetzte bauliche Eingriffe, zweigeschossige Loggien und eine neu organisierte Erschließung ergänzt werden sollen. Ziel ist eine robuste, wandelbare Struktur, die unterschiedliche Lehr- und Lernformate aufnehmen kann und zugleich den konstruktiven Charakter des Bestands bewahrt. In den kommenden Jahren wird das Team die bestehende Struktur weiter ausarbeiten und tragfähige Grundlagen für die späteren Leistungsphasen schaffen. Bis 2026 sollen die Vorplanungen abgeschlossen sein; der Umbau selbst ist als langfristiger Transformationsprozess angelegt, der bis 2031/32 zum Bezug des Gebäudes führen soll. Nürnberg entwickelt damit kein abgeschlossenes Modell, sondern ein zukunftsgerichtetes Reallabor dafür, wie Bestandsgebäude systematisch in leistungsfähige Bildungsorte überführt werden können. 

Grundriss 1. Obergeschoss eines Schulbaus mit zentraler Lernlandschaft und umliegenden Unterrichts- und Gemeinschaftsräumen.
Planung des Erdgeschosses und des ersten Obergeschosses der neuen Schulnutzung © AFF Architekten
Grundriss und axonometrische Ansicht eines Schulgebäudes, Darstellung der Lernlandschaft und Gebäudestruktur.
Planung des Erdgeschosses und des ersten Obergeschosses der neuen Schulnutzung © AFF Architekten

Schulbau Open Source: Planungswissen als Gemeingut

Das Nürnberger Projekt ist eingebunden in das Programm Schulbau Open Source, einer Initiative der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, die darauf abzielt, veränderte Prozesse und innovative Planungen im Schulbau zu entwickeln und frei zugänglich zu machen. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass die Realisierung innovativer Bildungsbauten oft an fragmentiertem Wissen scheitert, an begrenzten Ressourcen und einer hohen Komplexität im Zusammenspiel von Pädagogik, Architektur, Technik und Verwaltung. Die Initiative entwickelt gemeinsam mit Verwaltungen, Schulen und Planenden neue Lösungen, bündelt das Planungs- und Prozesswissen aus den realen Projekten und stellt es systematisch Open Access bereit. Dazu gehören Planungsunterlagen, pädagogische Konzepte, Dokumentationen der Phase Null, Grundrissstudien, Prozessdiagramme und Fachgutachten. Wie die Stiftung betont, soll damit „mit hoher Qualität den komplexen Planungsanforderungen im Schulbau und den Anforderungen einer zukunftsorientierten Pädagogik“ begegnet werden. Die Plattform umfasst bereits mehrere Pilotprojekte, darunter als jüngstes Projekt „SOS Nürnberg“. Nach und nach entsteht ein praxisnaher Referenzpool, der für Kommunen sowie für Planende wertvoll ist. 

Der Ansatz der Plattform ist deshalb bemerkenswert, da nicht fertige Lösungen im Vordergrund stehen, sondern die Dokumentation der realen Planungsprozesse – von der Phase Null bis in die frühen Leistungsphasen. Für Planende entsteht ein Referenzraum, der Einsichten in funktionierende Abläufe ermöglicht: Wie wird eine Phase Null strukturiert? Wie werden pädagogische Anforderungen in Raumprogramme überführt? Wie werden Abweichungen von Normen begründet? Welche Konflikte entstehen im Bestand – und wie werden sie gelöst? Die offen zugänglichen Unterlagen bieten Orientierung in frühen Projektphasen, in denen Fehler besondere Tragweite haben. Wo Schulbau bislang oft auf individuelle Erfahrung angewiesen war, entsteht ein öffentliches Prozessgedächtnis, das den Einstieg erleichtert und Vergleichbarkeit schafft. Die Plattform ersetzt keine Fachplanung, keine HOAI-Leistungen und keine abgestimmten Pädagogikkonzepte. Aber sie ermöglicht es, besser vorbereitet in Projekte einzusteigen, typische Fehlentwicklungen zu vermeiden und strukturelle Herausforderungen früher zu erkennen. 

Schulbau Open Source ist damit mehr als eine Sammlung guter Beispiele: Wissen wird nicht länger im Projekt eingefroren, sondern als Gemeingut geteilt. Für eine Bauaufgabe, die zentral für gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit ist, könnte genau dieser offene Wissensraum zum entscheidenden Faktor werden, um Qualität zu sichern und um mutige, intelligente und vielleicht auch kostensparende Lösungen im Bestand zu ermöglichen. 

Buchcover „Handbuch Schulen planen und bauen“ mit illustrativen Szenen zu Lernen, Austausch und Raumkonzepten.

Open Access E-Book:

Handbuch Schulen planen und bauen – Praxiswissen für die Phase Null 

Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Neuauflage 2025, Jovis Verlag 
 
Wer Schulbau nicht allein als Bauaufgabe, sondern als komplexen Abstimmungsprozess zwischen Pädagogik, Planung und Verwaltung versteht, findet in diesem Leitfaden eine fundierte Orientierung. Die Publikation richtet sich an kommunale Verwaltungen, Architekturschaffende, pädagogische Teams sowie politische Entscheidungsträger. Ziel ist es, eine gemeinsame Basis für tragfähige und langfristig leistungsfähige Schulbauentscheidungen zu legen. Der Leitfaden liefert praxisnahe Grundlagen zu Anforderungen, Bedürfnissen, Raumprogrammen und Prozessen bis hin zu konkreten Ansätzen für eine strukturierte Phase Null, immer eingebettet in den architektonischen und pädagogischen Schulbaudiskurs. Die Leitlinie ist – ebenso wie die Initiative Schulbau Open Source – Teil des Arbeitsfelds „Pädagogische Architektur“ der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft und damit dem zugrunde liegenden Open-Access-Ansatz verpflichtet, der Planungswissen transparent macht und für alle Interessierten im Schulbau nutzbar macht.  

 

https://jovis.de/de/book/9783986122249 

Bettina Sigmund

Spezialistin für Architekturkommunikation München

Bettina Sigmund ist Spezialistin für Architekturkommunikation. Sie ist Inhaberin von „Aboutarchitecture“ und Partnerin der „ARGE Kommunikation“. Ihre Tätigkeit umfasst Redaktion, PR und strategische Beratung für alle Akteure der Baubranche.