
Diese Beiträge sind unter dem Titel „War die klassische Moderne Königsweg oder Irrweg?“ im Deutschen Architektenblatt 11.2025 erschienen.
Nicht das Beste, sondern das Radikalste setzt sich durch
Mutig, diese Frage! Ich mache keinen Hehl daraus: Für mich war und ist die klassische Moderne ein Irrweg und der größte Denkfehler der Architekturgeschichte. Sie ist der zum Scheitern verurteilte Versuch, Schönheit über den Verstand zu erschließen. Ihr Selbstverständnis bezieht sie daraus, den intuitiven Begriff von Schönheit ins Gegenteil zu verkehren. Diese Deformation des Schönheitsbegriffs ist nicht etwa Ausdruck großer intellektueller Leistung, sondern ein zwanghafter, kindlicher Schrei nach Aufmerksamkeit. Dass man zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Historismus überwinden wollte, ist nachvollziehbar.
Mit Reformarchitektur und konservativer Moderne gab es meines Erachtens bereits überzeugende Alternativen. Diese Ansätze zeugen noch heute von Reife und Weitsicht, da sie klassische universelle Architekturprinzipien nie infrage stellten. Letztlich hat sich – wie so oft – nicht das Bessere durchgesetzt, sondern das, was am radikalsten auftritt; alle verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt inklusive.
Der Ertrag an wirklich guter „moderner“ Architektur ist marginal, steht er doch im grotesken Missverhältnis zu den Alltags-Architekturen katastrophaler Qualität. Nach über 100 Jahren sollten Architekten schlauer sein und das abgekartete Spiel durchschaut haben. Es bleibt die Frage: Wie mutig sind sie wirklich? Trauen sie sich, diesen Fehler endlich öffentlich einzugestehen?
In diesem Zusammenhang finde ich es unerlässlich, zwischen Städtebau, Architektur und Einrichtung zu unterscheiden. Der vollkommene Verzicht von Dekor auf der Maßstabsebene von Möbeln und Lampen bedeutet in seiner Wirkung und Auswirkung etwas gänzlich anderes als das Weglassen von Ornament an einer mehrgeschossigen Fassade. So vehement ich die klassische Moderne in Städtebau und Architektur ablehne, so sehr schätze ich die Einrichtungsgegenstände dieser Epoche.
Thomas Heiser, Architekt, Hamburg
Klassische Moderne ist noch nicht abgeschlossen
Die klassische Moderne ist noch nicht abgeschlossen. Sie muss weiterentwickelt werden. Es müssen zukunftsfähige holistische Antworten auf die jeweils aktuellen Anforderungen gefunden werden.
Hans Renftle, Architekt, Heidelberg
Kein Rezept für lebendige Ensembles
Die moderne Architektur bildet die logisch nachvollziehbare Weiterentwicklung der Architektur als Transformation in das Industriezeitalter. Insbesondere die klassische Moderne hat ein erhaltenswertes Baukulturerbe hinterlassen. Dagegen stehen die Bauten der 60er- und 70er-Jahre für eine banal-triste Architektur, die sich vom Menschen abgewendet hat. Diesen Bruch hat die Moderne bis heute nicht überwunden.
Lebendige Städte finden sich in den alten Metropolen Europas. Auch die zeitgenössische Moderne hat noch kein Rezept gefunden, um lebendige, moderne Ensembles zu schaffen, die bei den Menschen Anklang finden. Von daher: Ja, die Moderne ist teils dramatisch gescheitert und irrt immer noch weitgehend ohne Kompass durch die Welt.
Thomas Zinner, Immobilienberater, Frankfurt am Main
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