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[ Fachbeitrag ]

Textilfassaden: Luftreinigung, Stromerzeugung, Ökobilanz

Textile Gewebe für Fassaden können inzwischen die Luft reinigen und Strom erzeugen. Auch auf die Kreislauffähigkeit der Materialien wird mehr geachtet

Gebäude Solar Decathlon Europe in Wuppertal
Das „LOCAL+“-Projekt der FH Aachen zum Solar Decathlon Europe 2022 in Wuppertal kombiniert eine luftreinigende bedruckte Textilfassade (links) mit Begrünung und Photovoltaik.

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Funktionale Hüllen“ im Deutschen Architektenblatt 11.2022 erschienen.

Von Jan Serode

Textile Gebäudehüllen können durch Kühlung, Energiegewinnung und Reduzierung von Schadstoffen zum Umweltschutz beitragen sowie den Folgen des Klimawandels entgegenwirken. Dafür werden Gewebe verwendet, die in der Regel über Aluminiumrahmen gespannt und auf einer Tragkonstruktion an der Fassade befestigt werden. Der modulare Aufbau ermöglicht eine präzise Vorfertigung und sortenreine Trennung zum Ende des Lebenszyklus. Dabei sind die Gestaltungspotenziale vielseitig: großflächige homogene Einhüllungen, verschiebbare Elemente oder individuelle Verdrehung von textilen Teilflächen mit einem Wechsel von Hoch- und Tiefpunkten, die eine hohe Plastizität erzeugen können.

Bessere Ökobilanz, besserer Brandschutz

Das Besondere an Textilfassaden ist, dass die Gewebe im Innenraum aufgrund ihrer Mikro­perforation kaum wahrnehmbar sind und eine störfreie Aussicht zulassen. Verwendet werden überwiegend Polyester- und Glasfasergewebe. Polyestergewebe können zudem individuell bedruckt werden. Nach eingehender Materialanalyse ist es im Rahmen einer Forschungsarbeit an der RWTH Aachen, Fakultät Architektur, gelungen, die Umweltbilanz dieser Gewebe zu verbessern.

Bei Polyestergeweben konnte das Polyester gegen Garne ausgetauscht werden, die vollständig aus recycelten Kunststoffflaschen produziert werden. Für Glasfasergewebe wurde eine die Brandschutzeigenschaften verbessernde PTFE-Beschichtung entwickelt, sodass die Gewebe jetzt der Brandstoffklasse A2-s1,d0 als „nicht brennbare Baustoffe“ zugeordnet werden können. Polyestergewebe gehören dagegen der Klasse B1-s1,d0 als „schwer entflammbare Baustoffe“ an.

Textilfassade an einem großen Gebäude beleuchtet im Dunkeln
Parkhaus der Firma Schüco in Bielefeld

Geringer Materialverbrauch

Textile Fassaden sind außerdem sehr leicht. Polyestergewebe mit einem Öffnungsgrad von 28 Prozent verfügen über eine Grammatur von 550 Gramm pro Quadratmeter. So wird mit wenig Material bereits eine große Wirkung erzielt: Einsparungen von Materialressourcen (Reduktion des Embodied Carbon) auf der einen und Verbesserungen der Energieeffizienz (Reduktion der verbrauchsorientierten Treibhausgasemissionen) auf der anderen Seite.

Textilfassaden als Sonnenschutz

Durch die vorgelagerte Positionierung der Fassadengewebe im Außenraum erfolgt der erste Gebäudekontakt mit der energieintensiven Solarstrahlung nicht mehr direkt mit der thermischen Gebäudehülle. Er wird stattdessen nach außen verschoben. So wirken Textilfassaden wie ein überdimensionierter Sonnenschutz. Auf diese Weise lassen sich bis zu 78 Prozent der Kühllasten, die bei Gebäuden im Sommer zu Überhitzung führen, reduzieren. Da sich die vorgesetzten Fassadensysteme sowohl für den Neubau als auch für die nachträgliche Installation am Gebäudebestand eignen, stellen sie wichtige Energieeinsparungen auf dem Weg zum klimaneutralen Gebäudebestand in Deutschland in Aussicht.

Grafik zum Funktionsprinzip einer luftreinigenden Textilfassade
Die Grafik zeigt das Funktionsprinzip einer luftreinigenden Textilfassade mit Titan-Dioxid.

Luftreinigende Textilfassaden

Textile Gebäudehüllen können aber noch mehr leisten – besonders in Städten, wo hohe Schadstoffemissionen in der Luft das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen beeinträchtigen. So wurde im Rahmen der Forschungsarbeit an der RWTH Aachen eine Textilfassade als großflächiger urbaner Luftfilter entwickelt. Hierfür wurden Fassadengewebe mit einer photokatalytischen Anti-Smog-­Beschichtung versehen, Nano-Titandioxid enthält.

Befinden sich gesundheitsschädliche Luftschadstoffe, wie Stickoxide, im Umfeld der Fassade, so setzt unter ­UV-Licht die Photokatalyse ein. Durch Oxidationsprozesse werden die Schadstoffe in unschädliche Salze umgewandelt und verbleiben zunächst an der Fassadenoberfläche. Mit dem nächsten Regenschauer werden sie von der Oberfläche abgewaschen. Sie können im Erdreich auf natürliche Weise versickern oder kontrolliert als nährstoffreiche Bewässerung für Pflanzen aufgefangen und verwendet werden.

Gebäude mit photokatalytischem Luftfilter
Nach den Laborversuchen wurde der photokatalytische Luftfilter an einem Bürogebäude in Hamburg getestet. Die Stickstoffdioxide wurden durchschnittlich um knapp 30 Prozent gesenkt.

Schadstoffabbaurate bis 55 Prozent

Im Labor erreichte das luftreinigende Fassadengewebe im direkten Messverfahren nach DIN 22197 „Hochleistungskeramik − Prüfverfahren zur Bestimmung des Luftreinigungsvermögens von halbleitenden photokatalytischen Werkstoffen, Teil 1: Entfernung von Stickstoffmonoxid“, eine reproduzierbare Schadstoffabbaurate von über 55 Prozent. Nach den erfolgreichen Tests wurde 2020 die luftreinigende Fassade zum ersten Mal an einem Bürogebäude in Hamburg unter Praxisbedingungen getestet. Die Untersuchungen wurden durch die Unterstützung und Zusammenarbeit mit der Firma ECE ermöglicht. Im Vorfeld wurden alle Auflagen für den Bauantrag erfüllt, einschließlich umfangreicher Untersuchungen zum Brandverhalten.

Anti-Smog-Beschichtung kann wieder gelöst werden

Die Messergebnisse in Hamburg zeigen, dass mittels des photokatalytischen Luftfilters der Schadstoffgehalt in der Luft gesenkt wurde. Während einer zweimonatigen Messperiode wurden 29,9 Prozent weniger Stickstoffdioxide gemessen. Kurzzeitig konnten die 6-Stunden-Messwerte um 48,4 Prozent verringert werden.

Nach dem Ende der Nutzungsphase kann die aufgetragene Anti-Smog-Beschichtung durch eine zusätzliche Vorstufe im Recyclingprozess wieder vom Fassadengewebe getrennt werden. Somit sind ein kreislaufgerechtes Materialrecycling und eine Wiederverwendung des Materials möglich.

Silberne Textilfassade an einem großen Gebäude
Parkhaus der Firma Schüco in Bielefeld

Hinweise für die Planung von Textilfassaden

Für den Einsatz in der Praxis empfiehlt sich eine luftreinigende Textilfassade für nahezu alle Gebäudearten. Industriegebäude oder Parkhäuser bieten durch ihre großen Hüllflächen ein besonders großes Reinigungspotenzial. Bürogebäude, Krankenhäuser oder Wohnbauten profitieren von der Luftreinigung, wenn Fensterflächen hinter oder in der Nähe der luftreinigenden Fassadengewebe liegen. Weil die Anti-Smog-Beschichtung farbneutral ist, können alle Gestaltungspotenziale einer Textilfassade genutzt werden.

Bei der Planung empfiehlt es sich, ergänzend zum Statiker einen Fachplaner für Textilfassaden zur Beratung hinzuzuziehen, der bis zur professionellen Fertigung und Montage unterstützen kann. Bei der Entwurfsplanung sollten Architekten im Umgang mit der vorgelagerten Membranstruktur besonders auf die Flächenaufteilung der textilen Felder achten. Sie hat einen besonders großen Einfluss auf das architektonische Erscheinungsbild. Aufgrund der großflächigen Homogenität der textilen Flächen treten Fugen zwischen den einzelnen Feldern besonders in den Vordergrund. Innerhalb der Felder kommt den Fügebereichen der Fassadengewebe eine ähnliche Rolle zu. Bei einer genaueren Betrachtung der Gebäude sind dort feine Nadelstreifen zu erkennen.

Stromerzeugung mit Solarzellenkugeln

Neben der luftreinigenden Fassade wurde in der Forschungsarbeit auch ein Ansatz für ein energieerzeugendes Gewebe zur nachhaltigen Stromgewinnung entwickelt. Jedes Gewebe besteht aus einer Vielzahl von 1,2 Millimeter großen Mikro-Solarzellenkugeln. Die Kugeln können aus Silizium produziert werden, das wiederum Solarzellen der ersten Generation im Recyclingprozess entnommen wird. Im Sonnensimulator wurde nach den anerkannten Standard-Testbedingungen (STC) für Photovoltaikanlagen (DIN EN 60904) bereits ein Wirkungsgrad von zwölf Prozent nachgewiesen. Dieser Wert liegt zwar schon in Sichtweite zu marktüblichen Solarmodulen aus polykristallinem Silizium, deren Wirkungsgrade bei 14 bis 20 Prozent liegen, der Ansatz selbst bedarf aber noch weiterer Entwicklungsschritte.

Die Fortführung bis zur Marktreife könnte sich durchaus lohnen, denn das Flächenpotenzial für fassadenintegrierte Photovoltaik ist gigantisch. Demnach stehen nach Angaben des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (IÖR) bundesweit rund 12.000 Quadratkilometer zur Verfügung. Das entspricht etwa der Hälfte der Fläche von Mecklenburg-Vorpommern und ist doppelt so viel, wie für Photovoltaik geeignete Dachflächen verfügbar sind.

Stück einer Textilfassade
Textilgewebe mit Mikro-Solarzellenkugeln

Textilfassaden in Kombination mit Begrünung und Photovoltaik

Ein ganzheitlicher Planungsansatz, der die verschiedenen Lösungen innerhalb der Fassade miteinander kombiniert, wurde im Mai 2022 auf dem Solar Decathlon Europe in Wuppertal realisiert. Für das Gebäude des Studierendenteams „LOCAL+“ von der FH Aachen wurde eine 150 Quadratmeter große Fläche mit der luftreinigenden Fassade erstellt. In Verbindung mit Fassadenbegrünung und bauwerksintegrierter Photovoltaik ist sie Bestandteil des Nachhaltigkeitskonzepts. Dabei wird das Regenwasser durch die luftreinigende Fassade mit Mineralien angereichert und kann kreislaufgerecht für die Bewässerung der Fassadenbegrünung genutzt werden.

Bei Starkregen, der mit dem Klimawandel einhergeht, nimmt die Begrünung Wassermengen temporär auf und entlastet somit die öffentliche Kanalisation. In Hitzeperioden senken die vorgelagerten Verschattungselemente und Verdunstungsprozesse der Pflanzen die Temperaturen im Fassadenumfeld. Niedrigere Temperaturen erhöhen wiederum die Effizienz von Solarzellen bei der solaren Stromgewinnung. Kombinationen von Dachbegrünungen, textilen ­Fassaden und Photovoltaikanlagen sind also besonders vorteilhaft, um innerhalb der Gebäudehülle unterschiedliche Ansätze aus den Bereichen Gesundheitsschutz (Luftreinigung), nachhaltige Energiegewinnung (Solarfassade) und Umweltschutz (begrünte Gebäudehülle) zu vereinen.

Dr.-Ing. Jan Serode studierte Architektur mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit und Energieeffizienz


Buchcover Funktionalisierte Textilfassaden

Funktionalisierte Textilfassaden

Die Prototypen der im Beitrag vorgestellten Textilfassaden hat Jan Serode während seiner Dissertation an der RWTH Aachen auf dem Gebiet zukunftsorientierter Fassadentechnologien konzipiert und entwickelt und die ­Erkenntnisse in dem Buch „Funktionalisierte Textilfassaden – Innovationspotenziale für die Entwicklung nachhaltiger Gebäudehüllen“ veröffentlicht, das 2021 im Shaker Verlag erschienen ist. Weitere Informationen zur Anwendung der luftreinigenden Textilfassade können über den Autor bezogen werden: jan.serode@gmail.com

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