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Zurück Nachwuchs-Kolumne #273

Solile: ein gemeinschaftlicher Dritter Ort

Im Oderbruch findet man ein gutes Beispiel für den sogenannten Dritten Ort: Solile ist ein solidarischer Hof mit politischer Kraft.

Von: Lorenz Hahnheiser
Lorenz Hahnheiser schreibt über die Architekturlehre an den Unis, architekturpolitische...

01.10.20254 Min. Kommentar schreiben
Hof des Projekts Solile mit den Häusern in Hintergrund

Provisorien und Beständiges: der Hof als Rahmen für gemeinschaftliches Bauen, Gärtnern und politisches Organisieren.
Lorenz Hahnheiser

Zwanzig Minuten radeln wir von der Regionalbahnstation durch brandenburgische Felder, bevor wir das Gelände von Solile erreichen. Auf den ersten Blick: ein Hof, eine Küche, Überdachungen, Platz zum Schlafen. Katzen laufen durchs Gras. Menschen sitzen beisammen, andere bauen, kochen, organisieren. Alles wirkt pragmatisch, aber auch liebevoll. Spürbar ist, dass es an diesem Ort sehr lebendig zugeht.

Unsere im Studium gebaute Bühne, die nach der Jahresausstellung nicht mehr gebraucht wurde, hat hier ihren Platz gefunden. Zwischen Gemüsebeeten, Clubraum und Versammlungsflächen ist sie nun Teil einer sich stetig wandelnden Struktur. Integriert in einen Ort für politische Kämpfe und für Rückzug, für solidarische Energie und alltägliche Gemeinschaft. Kochen, Putzen, Tanzen gehören genauso dazu wie Diskussionen über Bewegungsfreiheit oder neue Projekte.

Von der Schlafplatzvermittlung zum Dritten Ort

Die Initiator:innen beschreiben Solile als Ort „für ökologische, soziale und antirassistische Kämpfe – einen Raum zum Leben, Wachsen und Widerstand leisten.“ Die Menschen hinter Solile sind keine Neulinge der Solidarbewegung. Viele fanden im Nachbarschaftshaus Bilgiseray in Berlin Kreuzberg zusammen. Aus diversen aktivistischen Hintergründen wie Schlafplatzorga, Welcome United, oder City Plaza wuchs der Verein Solile: unabhängig, oft migrantisch geprägt und eng vernetzt mit Initiativen, die Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus unterstützen.

Das Projekt ordnet sich in ein größeres Machtgefüge ein — es ist eine Antwort auf Neokolonialismus und Ausgrenzung und zugleich ein Ort des gegenseitigen Lernens. Solile ist deshalb nicht nur Schutzraum, sondern auch Austauschraum: Wissen über Gärtnern, Nachbarschaftspflege oder familiäre Formen des Zusammenhalts werden geteilt.

Dritte Orte – einfach nur zum Sein

Der Soziologe Ray Oldenburg prägte den Begriff „Dritter Ort“ für Räume, die weder Wohnraum noch Arbeitsplatz sind. Sie sind Treffpunkte, in denen Gesellschaft entsteht – durch Austausch, Begegnung und Mitgestaltung. Sie sind offen, informell und niedrigschwellig. Genau das macht sie politisch. Solile hat diesen Gedanken auf natürliche Weise inne. Hier ist der Dritte Ort nicht geplant, sondern ist durch viele Hände gewachsen. Das politische wird hier konkret. Feste, Camps, offener Garten und Küche sowie die hier betriebene solidarische Landwirtschaft „solibox“ verbinden Alltag mit Solidarität.

Alltag mit Solidarität – zwei Beispiele

Kontinuierlich finden Bewohner:innen der nahegelegenen Unterkünfte für Geflüchtete hier einen Platz, an dem sie sich frei fühlen können. Solile bietet, was dort fehlt: Im Gegensatz zu Ausgangsbeschränkungen und genormten Mehrbettzimmern können sie hier selbst mitgestalten und kommen in Austausch mit der Nachbarschaft. Während dort Einschränkungen und Regeln den Alltag bestimmen, schafft Solile Freiheit und Teilhabe beim gemeinsamen Gärtnern, Kochen, Essen, Weiterbauen oder die Terrasse genießen.

Punktuell finden politische Camps statt. Bei unserem Besuch war gerade eine große Gruppe von Frauen übers Wochenende da. Während die Mitglieder von Solile ihre Kinder hüteten, organisierten sie sich gegen Genitalverstümmelung.

Informelle Architektur als Möglichkeitsraum

Projekte wie dieses brauchen vor allem erstmal Platz. Aus architektonischer Sicht ist Solile spannend, weil hier Strukturen nicht als fertiges Werk verstanden werden, sondern als offenes Gefüge. In Deutschland sind wir formelle Strukturen gewohnt – Prozesse mit klarer Zielvorstellung, Hierarchie und geregelten Abläufen. Hier ist ein Ort, der Informell wächst, mit den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Nutzer:innen. Architektur ist hier kein Endprodukt, sondern ein Prozess. Das macht Solile zu einem Vorbild für ernst gemeintes Engagement bottom-up.

Solile unterstützen

Die informelle Struktur entlastet in vielerlei Hinsicht – sie schafft Nähe und Raum für Eigeninitiative. Gleichzeitig bringt sie Herausforderungen: geringe finanzielle Sicherheit, Abhängigkeit von Ehrenamt und begrenzter Infrastruktur.

Solile braucht Unterstützung – finanziell und praktisch. Der Verein dankt für Spenden (Spendenkonto: Solile e.V. IBAN: DE06 4306  0967 1304 4344 00). Die solidarische Landwirtschaft wird über ein GoFundMe-Projekt unterstützt. Für direkte Fragen, Interesse am praktischen Mitmachen oder Hinweise zu passenden Förderungen freut sich der Verein über eine E-Mail.


Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team im wöchentlichen Wechsel. Unsere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten, Luisa Richter-Wolf und Lorenz Hahnheiser.

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