DABonline | Deutsches Architektenblatt
Menü schließen

Mehr Inhalt

Services

DABonline | Deutsches Architektenblatt
Zurück Nachwuchs-Kolumne #261

House Europe: Viva la Renovation!

Europa reißt bis 2050 eine Fläche so groß wie Berlin und Paris ab. House Europe will das ändern – mit politischem Druck und einer Million Stimmen.

Von: Lorenz Hahnheiser
Lorenz Hahnheiser schreibt über die Architekturlehre an den Unis, architekturpolitische...

09.07.20254 Min. Kommentar schreiben
Der Ausstellungsraum mit einer Plakatwand und einem Videoscreen

Die Ausstellung „Power to Renovate“ im DAZ setzte die Initiative „House Europe“ in den Fokus.
Lorenz Hahnheiser

Deutschland ist fertig gebaut. Zumindest auf dem Papier: 16 Millionen Einfamilienhäuser stehen im Land. Würden in jedem dieser Häuser fünf Personen wohnen, wären die Städte leer. Die Vorstellung ist natürlich realitätsfern, aber sie verdeutlicht eines: Die Bausubstanz ist da. Also Umbau statt Neubau! Doch das scheint vielen zu kompliziert, zu teuer, zu langsam. Es fehlen die Anreize. Genau hier setzt House Europe an.

House Europe: Umbau statt Abriss

House Europe ist eine europäische Bürger:inneninitiative mit einem klaren Ziel: den politischen Rahmen so zu verändern, dass Umbau und Sanierung strukturell Vorrang vor Abriss und Neubau bekommen. Denn aktuell ist es oft einfacher, ein altes Haus abzureißen und neu zu bauen, als es zu erhalten oder umzunutzen. Das liegt an Vorschriften und Steuergesetzen und an einer Baukultur, die sich zu lange auf das Neue fixiert hat.

House Europe fordert ein europäisches Recht auf Wiederverwendung von Gebäuden. Es basiert auf drei konkreten Forderungen:

  1. Steuerermäßigungen für Renovierungen und wiederverwendete Materialien
  2. Faire Regeln zur Bewertung von Risiken und Potenzialen bestehender Gebäude
  3. Neue Bewertungsmaßstäbe für graue Energie und CO2-Bindung im Bestand
Eine Gruppe von Besuchern im Ausstellungsraum

Die interaktive Ausstellung vermittelte Visionen, Herausforderungen und Herangehensweisen.
Lorenz Hahnheiser

Kurz vor der Halbzeit: politisch Druck machen!

Ziel ist es, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass Erhalt und Umbau nicht länger ein Ausnahmefall bleiben, sondern zur Norm werden. Dazu braucht es politischen Druck. Damit sich die EU-Kommission mit dem Anliegen befassen muss, benötigt House Europe eine Million Unterschriften aus mindestens sieben Mitgliedstaaten.

Es ist bald Halbzeit, doch House Europe hat erst ein Bruchteil der Stimmen gesammelt. Die Initiative muss also weiter in Umlauf gebracht und vermittelt werden, insbesondere auch außerhalb der Architektur-Bubble. Dazu gehört Vermittlungsarbeit, die von vielen getragen werden muss.

Was Abriss kostet

Mit der Ausstellung „Power to Renovate“ und dem zugehörigen Film bringt House Europe die Dringlichkeit und die Handlungsspielräume hervorragend auf den Punkt. Und liefert erschütternde Zahlen: Schon heute machen Bau- und Abbruchabfälle über 50 Prozent des gesamten Abfallaufkommens in Europa aus. Das hört nicht auf: Bis 2050 wird Europa bei aktuellem Tempo rund eine Milliarde Quadratmeter bebauter Fläche verlieren – das entspricht der Fläche von Berlin und Paris zusammen.

Gleichzeitig schlummern in Europa immense Leerstandpotenziale: In Deutschland allein können vier Millionen Wohnungen im Bestand aktiviert werden, argumentieren die Ausstellenden. Dem gegenüber stehen jährlich 12.572 statistisch erfasste Abrisse von Gebäuden – mit einer Dunkelziffer, die bis zu viermal höher liegt, weil die meisten Abrisse nicht genehmigungspflichtig sind. Mit jedem Abriss wird graue Energie vernichtet, also die in Baumaterialien gebundene Energie. Ebenso die gebundenen CO2-Emissionen – ein ökologisches Desaster in einem Sektor, der schon jetzt seine Klimaziele weit verfehlt.

Großes Bild eines Bestandgebäudes im Ausstellungsraum

Konkrete Alternativen zeigten auf, wie Abriss umgangen wird.
Lorenz Hahnheiser

Architekturen des Engagements

Aber es gibt Alternativen. Die Ausstellung zeigt: Architekt:innen entwickeln neue Wege jenseits des Neubaus. Das Kollektiv ANA beschreibt fünf Ansätze einer Praxis, die auf Umbau, Umnutzung und Weiterbauen setzt. Es geht um politische Einmischung, Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, und darum, neue Erzählungen für alte Gebäude zu schaffen. Diese von House Europe beschriebene Praxis bedeutet nicht Verzicht, sondern Zukunft. Mit weiteren Texten ist ANAs Beitrag „Architekturen des Engagements“ auch in „Die Abrissfrage“ veröffentlicht, dem ersten Band der Reihe „Fundamente Ökologisches Bauen.

Im offenen Brief der Abriss-Moratorium-Initiative fordern über 170 Fachleute ein temporäres Ende der Abrisspraxis: „Nicht der Erhalt von Gebäuden ist erklärungsbedürftig, sondern ihr Abriss.“ Abriss dürfe nur noch im Ausnahmefall stattfinden – und nur, wenn soziale und ökologische Kriterien erfüllt sind. Diese Forderung zeigt: Der Abriss ist längst keine technische Frage mehr, sondern eine gesellschaftliche.

House Europe: kein Projekt, sondern ein Werkzeug

Die Anti-Abriss-Allianz House Europe, gegründet Ende 2024, bringt Akteur:innen aus Architektur, Stadtplanung, Politik und Zivilgesellschaft zusammen. Ihr Ziel: Die Umkehr der Beweislast. Nicht der Umbau muss sich rechtfertigen, sondern der Abriss. Sie fordert den politischen Rahmen für eine Baukultur, die auf Weiterbauen, Ressourcenschonung und Erhaltung von bezahlbarem Wohnraum setzt.

Während Du diesen Text gelesen hast, wurden drei Gebäude in Europa abgerissen. Das sind drei zu viel! House Europe bringt diese Forderung auf die europäische Bühne. Es will die politischen Hebel verändern, nicht nur Bewusstsein schaffen. Und genau das macht die Initiative so wichtig – über die Architektur hinaus. Also los, unterzeichnen und teilen!


Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team im wöchentlichen Wechsel. Unsere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten, Luisa Richter-Wolf und Lorenz Hahnheiser.

War dieser Artikel hilfreich?

Danke für Ihr Feedback!

Schreibe einen Kommentar