Sandra Meireis hat zu „Mikro-Utopien der Architektur“ promoviert. In ihrem Buch „Ästhetik und Architektur“ schreibt sie unter anderem über sinnliche und maschinelle Intelligenz. Mit Sandra habe ich ausführlich über unser Verhältnis zu KI sprechen – ein Auszug:
Warum löst KI bei uns Menschen nach wie vor so große Faszination aus?
Weil KI für den durchschnittlichen User im Alltagsgebrauch maximal undurchsichtig ist. Weil der Mensch bei den Dingen, die er nicht versteht, entweder große Ängste hat oder sich große Hoffnungen macht. Das war schon bei der Erfindung industrieller Maschinen so. Es muss eine gewisse Zeit vergehen, um zu verstehen, welche Kraft und Auswirkungen der derzeitige technische Sprung Künstlicher Intelligenz hin zum Deep Learning tatsächlich hat.
Ich glaube, man darf die Kraft nicht unterschätzen, denn sie wird den Umgang zwischen Mensch und Maschine verändern. Aber man braucht sie auch nicht zu überschätzen, denn Veränderungen wie diese gab es eben auch schon immer.
Kann etwas so Unemotionales wie Technik Ausgangspunkt für eine Utopie sein?
KI ist eine technische Utopie. Das zeichnet sich beispielsweise im Glauben ab, dass wir uns aus der katastrophalen ökologischen Situation mit Hilfe von KI-Lösungen retten könnten. Utopisches Denken ist erstmal eine Kritik an der Realität. Man setzt beim utopischen Denken nicht völlig im luftleeren Raum an, sondern da, wo man sich befindet. Je nachdem, wo man steht, wie der Blick auf die Welt ist, fällt die Kritik an der Realität anders aus.
Wenn eine Utopie vom eigenen physischen Standpunkt abhängig ist, spielt der Körper eine zentrale Rolle. KI hat keinen Körper und kein Bewusstsein. Wie kann sie dann Utopie sein?
KI kann als technische Utopie gedacht werden, weil jene, die imaginieren, einen Körper haben. Das utopische Denken geht also auch hier vom Menschen aus, der mit Hilfe von KI etwas möglich machen will. Und das gilt eigentlich für alle technologischen Erfindungen – sie können immer entweder für das Gute oder das Schlechte eingesetzt werden. Technik ist von jenen bestimmt, in deren Händen sie liegt und man muss immer schauen, wer das gerade ist.
Im Cyborg Manifesto spricht sich Donna Haraway im Umgang von Mensch und Maschine für verantwortungsvollen Genuss aus. Teilst du ihr Plädoyer?
Donna Haraway versteht Technik als etwas Positives, als etwas, das von Menschen für individuelle Zwecke genutzt werden kann, als etwas Neutrales, als etwas, womit man Welten erschaffen kann. Das ist eine wahrlich utopische Idee, in der sich Körper und Technik auf positive Weise verknüpfen.
Wenn wir heute von KI sprechen, muss man sich bewusst machen, dass der ganze Hype immer vor dem Hintergrund zu sehen ist, dass es um die Vorherrschaft auf den verschiedenen KI-Märkten geht – und das ist nicht neutral. Dahinter stecken sehr schwierige neokoloniale Ökonomien. Unter anderem werden sehr viele gering bezahlte Menschen im globalen Süden dazu eingesetzt, Texte aufzuräumen und Bilder zu sichten, die teils sehr brutale Inhalte haben.
Wollen Anwender:innen nicht auch Verantwortung an die KI abgeben?
Ja, es wird gerne verdrängt, dass man als KI-Anwender:in am Marktgeschehen direkt mitwirkt. Wünschenswert wäre, dass sich eine Form von aktiver Mündigkeit gegenüber der Technik entwickelt. Aber es bestehen große Hürden, um selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu dem Schluss zu kommen: „Ich baue meine Angst bewusst ab, versuche ‚meine‘ KI zu verstehen und eine Kollaboration anzufangen.“ Architekt:innen verstehen sich ja zudem meist als Gestalter:innen im traditionellen Sinne und möchten sich verständlicherweise nicht vorrangig mit der Technik, die der Gestaltung lediglich dient, beschäftigen.
Mehr zum Thema KI und Architektur:
Vor einigen Monaten, beim Hochschultag des BDA, ging es um Digitalisierung und Umbaukultur. In der Eingangsrede wurde kämpferisch verkündet, wir Architekt:innen dürften uns unsere Jobs nicht von KI streitig machen lassen. Über Angst vor der eigenen Überflüssigkeit durch den technischen Fortschritt, die sich hier leicht hineininterpretieren lässt, habe ich in einer vorangegangenen Kolumne bereits geschrieben.
Die Technofeministin Donna Haraway plädierte einst im Cyborg Manifesto dafür, „die Verwischung der Grenzen (zwischen Organismus und Maschine) zu genießen und Verantwortung bei ihrer Konstruktion zu übernehmen.“ Von diesem utopischen Anspruch scheinen wir noch weit entfernt.
Außerdem gibt es auf DABonline eine stetig wachsende Artikelsammlung rund um KI in der Architektur, in der ihr auch praktische Ratgeber findet.
Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team im wöchentlichen Wechsel. Unsere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten, Luisa Richter und Lorenz Hanheiser.
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