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Einfach neu bauen – nach dem Hamburg Standard

Dank kreativer Einsparungen bei Konstruktion und Haustechnik konnte eine Hamburger Genossenschaft bezahlbar neu bauen und wurde so zum Pilotprojekt für einfaches Bauen. Die Erfahrungen sollen nun Schule machen

Von: Eva Kafke
Eva Kafke schreibt vor allem über Wohnungbau, Sanierungen und Umbauten...

15.07.20256 Min. Kommentar schreiben
Wohnhaus mit Klinkerfassade und Baugerüst

Bei diesem Wohnhaus im Hamburger Vielohweg wurde vieles eingespart, allerdings nicht die typische Klinkerfassade.
hsbz architekten

Die Hamburger Baugenossenschaft Fluwog-Nordmark hat ein ehrgeiziges Ziel: Sie entwickelt das Quartier Vielohweg im Stadtteil Niendorf zu einem Zukunftsquartier für alle Generationen, mit Vorbildfunktion für ganz Hamburg. Teil des Konzepts ist neben der Modernisierung von rund 260 Bestandswohnungen aus den 70er-Jahren und dem Aufbau einer klimaneutralen Energieversorgung bis 2030 eine Nachverdichtung durch fünf mehrgeschossige Wohngebäude, teils mit öffentlich geförderten Einheiten.

Kostengünstige Lösungen für den Wohnungsbau gesucht

„Eine Grundsatzentscheidung war, das Erscheinungsbild der Gebäude nicht zu verändern. Das war zugleich die Entscheidung, bei der massiven Bauweise zu bleiben“, erläutert der projektleitende Architekt Sven Kukuk (hsbz architekten, Hamburg).

Ansonsten jedoch – und das macht die Besonderheit und den Vorbildcharakter des Projektes aus – waren vor allem neue Ideen gefragt, von den Planern und von den beteiligten Baufirmen. „Im Laufe der Planung und Umsetzung der fünf Riegel haben wir an drei Stellschrauben gedreht: bei der Haustechnik, dem Umfang der Betonarbeiten und dem Volumen der Baumasse. Dabei waren zwei Fragen relevant: Wo können wir Kosten sparen? Wo können wir nachhaltiger werden?“

Motor dieser Herangehensweise war die Kostenentwicklung. Der erste Bauabschnitt – ein Gebäude mit barrierefreien Wohnungen – wurde ab 2018 geplant und bis 2020 realisiert, in weitgehend konventioneller Bauweise, samt Tiefgarage.

Wohnhaus mit Klinkerfassade, Innenhof und Balkonen

Bei der Nachverdichtung am Vielohweg wurden verschiedene Maßnahmen zur Kostendämpfung eingesetzt (hier der zweite Bauabschnitt).
hsbz architekten

Durchlauferhitzer statt zentrale Warmwasserversorgung

Dann änderte sich die Förderlandschaft. Elektrische Durchlauferhitzer zur Warmwasserbereitung waren in öffentlich geförderten Wohnungen ausgeschlossen. Nach Einschätzung von Genossenschafts-Vorstand Jörg Tondt waren die Kosten der Alternative – nämlich eine zentrale Warmwasserbereitung über Hochleistungswärmepumpen – sowohl zum Zeitpunkt der Investition als auch im Betrieb deutlich höher.

Er suchte das Gespräch mit der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen und konnte sie für ein ungewöhnliches Vorgehen gewinnen: Auf die Hochleistungswärmepumpe samt Warmwasser- und Zirkulationsleitung wurde verzichtet. Stattdessen wurde der Neubau des zweiten Bauabschnitts mit Durchlauferhitzern bestückt und die wurden gefördert.

In der Summe verringerten sich die Investitionskosten nach Angaben des Bauherrn um 200.000 Euro. Die Baugenossenschaft verpflichtete sich, Kosten und Verbräuche zu überwachen, und stellte der Behörde alle Daten zur Verfügung, dazu Vergleichszahlen aus einem Gebäude mit zentraler Warmwasserbereitung. Das Ergebnis überzeugte: Elektrische Durchlauferhitzer sind mittlerweile in Hamburg generell förderfähig.

Wohnhaus mit Klinkerfassade und Laubengang

Der dritte Bauabschnitt wurde zum Pilotproejkt des neuen Hamburg Standards für einfaches Bauen.
hsbz architekten

Für Hamburg Standard weitere Einsparmöglichkeiten identifiziert

Auch der dritte Bauabschnitt wurde mit Durchlauferhitzern umgesetzt. Angesichts rasant steigender Baupreise und Zinsen sowie umfangreicher Kürzungen bei der KfW-Förderung war jedoch der Druck hoch, weitere Einsparpotenziale zu erschließen, um die Mieten bezahlbar zu halten. Die Baugenehmigung lag bereits vor und alle Ausschreibungen waren bereits gelaufen. Die Firmen waren durch die ersten beiden Bauabschnitte eingespielt und kannten alle Details.

Die Bauherrin rief alle auf, Vorschläge für Planungsänderungen einzubringen. „Unsere Hauptaufgabe als Architekten war und ist, den Weiterentwicklungsprozess der Bauabschnitte zu gestalten und zu moderieren. Jede Fachfirma hat nur ihren Aspekt im Blick. Das bringen wir zusammen“, beschreibt Sven Kukuk.

Die Beteiligten fanden ganz erhebliche Sparmöglichkeiten. Zwei Beispiele:

Keine Tiefgarage und schlanke Gründung

Auf eine Tiefgarage und damit auf hohe Kosten für Aushub und Wasserhaltung verzichtete die Genossenschaft Für die Gründung wurde nicht eine weitgehend übliche 40-Zentimeter Solplatte, sondern eine Kombination aus einem Streifenfundament und einer 16-Zentimeter-Sohlplatte verwendet.

Baustelle mit Streifenfundament

Auch beim Fundament wurden Material und Kosten gespart. Eine Tiefgarage gibt es nicht.
hsbz architekten

Eine Wärmepumpe weniger

Zur Berechnung der Heizlast unter Berücksichtigung der Lüftungswärmeverluste nutzten sie eine Methode, die wenige Monate zuvor beim zweiten Bauabschnitt noch üblich, in der Zwischenzeit jedoch verschärft worden war. So konnte auf eine dritte Wärmepumpe samt Pufferspeicher und Leitungen verzichtet werden. Das sparte 50.000 Euro.

Geringere Wand- und Deckenstärken

Durch Veränderungen in der Konstruktion verringerten sich die Kosten um weitere 120.000 Euro. „Wir haben die Höhe der Betondecken von 20 auf 16 Zentimeter verringert und die Wohnungstrennwände aus Kalksandstein von 24 auf 20 Zentimeter reduziert“, erklärt der Architekt. „Für mich war überraschend, wie viel Luft man gerade bei den Deckenstärken rauslassen und dennoch zulässige Ergebnisse erreichen kann.“

Trockenbau statt Massivbau

Zudem wurde ein Teil der Zimmertrennwände in Trockenbau konstruiert. Der deutlich geringere Materialverbrauch bei Beton und Mauerwerk reduzierte nicht nur die Kosten. Er verbesserte zugleich den CO2-Fußabdruck und sorgte dafür, dass die Wohnflächen etwas größer ausfielen.

Baustelle mit Streifenfundament

Das Streifenfundament befindet sich nur dort, wo die Lasten wirklich ankommen.
hsbz architekten

Abweichungen von den allgemein anerkannten Regeln der Technik

Unterm Strich entspricht der Neubau nun an diversen Punkten nicht dem aktuell üblichen Standard. So wurde etwa durch die reduzierte Deckenhöhe nur der Mindestschallschutz nach DIN 4109 erreicht. „Wir haben den Bauherrn darauf hingewiesen, an welchen Punkten wir auf seinen Wunsch von den allgemein anerkannten Regeln der Technik abweichen. Als institutioneller Bauherr kann er es technisch bewerten und hat uns von der Haftung freigestellt“, erläutert Sven Kukuk. „Eine solche Herangehensweise funktioniert nur, wenn der Bauherr das will. Hilfreich war in unserem Fall zudem, dass wir ein langjähriges Vertrauensverhältnis haben, mit dem Bauherrn und mit vielen der mitwirkenden Firmen.“

Im Herbst 2025 ist das Gebäude bezugsfertig. Derweil laufen die Vorbereitungen für Bauabschnitt vier direkt nebenan. Er soll baugleich realisiert werden. Damit amortisiert sich zumindest ein Teil des erhöhten Planungsaufwands für den Vorgänger.

Laubengang mit Vorbereich vor Wohnungstür

Als effiziente Art der Erschließung kommen Laubengänge mit erweiterten Zonen vor den Eingängen zum Einsatz.
hsbz architekten

Pilotprojekt im Hamburg Standard

Die Nachverdichtung der Baugenossenschaft ist mehr als eine singuläre Erfolgsgeschichte, wie einfaches Bauen funktionieren kann. Parallel zum Bauabschnitt drei im Vielohweg entstand in der Hansestadt der „Hamburg Standard“, mit Wechselwirkungen in beiden Richtungen. Der Neubau wurde damit nach dem Beginn von Planung und Umsetzung zum Pilotprojekt des neuen Standards.

Den Hamburg Standard hat die „Initiative kostenreduziertes Bauen“ innerhalb weniger Monate aus der Taufe gehoben. Unter Federführung der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen ist sie ein branchenübergreifendes Netzwerk aus rund 200 Akteuren. Mit dabei: Jörg Tondt von der Genossenschaft Fluwog-Nordmark zusammen mit anderen Bauherren, Architekten und weiteren Planer, Politikern, Juristen und Vertretern aus der Baubranche und der Immobilienwirtschaft. Sie legten Kostentreiber im Wohnungsbau offen und entwickelten konkrete Anregungen für einen jeweils ausreichenden Standard.

Hamburg Standard könnte bis zu 2.000 Euro pro Quadratmeter sparen

Professor Dietmar Walberg von der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE) hat die Einsparpotenziale für drei Handlungsfelder errechnet. Für ein exemplarisches Einzelhaus (fünf Vollgeschosse, 31 Wohnungen, Gesamtwohnfläche 2.109,5 m²) können danach durch

  • Vereinfachungen im Bereich Baukonstruktion und Gebäudetechnik Kosten in Höhe von 625 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche gespart werden.
  • Wird darüber hinaus auf ausgewählte technische und bauliche Elemente etwa bei der Gestaltung von Fassaden oder Außenanlagen verzichtet, könnten weitere 1.000 Euro eingespart werden,
  • durch optimierte Planungs- und Genehmigungsverfahren nochmal 400 Euro,
  • also insgesamt über 2.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche.

Das greifbare Ergebnis der Initiative ist eine Sammlung sämtlicher Vorschläge inklusive Umsetzungshinweisen und Mustervertragsklauseln – ein online verfügbarer Werkzeugkasten für Architekten und alle anderen am Wohnungsbau Beteiligten, auch in anderen Bundesländern. Aktuell befinden sich weitere Pilotprojekte in der Planung.

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