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Gemeinschaftliche Wohnprojekte: das Miteinander planen

In gemeinschaftlichen Wohnprojekten wird ­Kommunikation großgeschrieben. Aufgabe der Architektinnen und Architekten ist es, dafür Räume und Flächen zu planen, die groß genug, gut zugänglich und ­flexibel nutzbar sind

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Das Miteinander planen“ im Deutschen Architektenblatt 03.2023 erschienen.

Von Eva Kafke

Das RIOriem in München ist wohl eines der größten gemeinschaftlichen Wohnprojekte in Deutschland. Der 197 Meter lange, fünfgeschossige Riegel erstreckt sich über zwei Baufelder und beinhaltet 70 Wohneinheiten der Genossenschaft wagnis eG und 78 der WOGENO, vom 1-Raum-Apartment bis zur 5-Zimmer-Wohnung, außerdem Groß-WGs eines sozialen Trägers und Clusterwohneinheiten. Wie kann es gelingen, in einem Gebäude dieser Dimension und mit einer großen Bewohnerschaft Zonen zu schaffen, die von Nutzern mit sehr heterogenen Interessen angenommen werden? Wie kann Architektur im Idealfall dazu beitragen, dass ein lebendiges Miteinander entsteht?   

RIOriem in München: Öffnung zur Nachbarschaft

Bei RIOriem haben sich die Architekten Florian Dilg und Angelika Zwingel vom Büro Zwingel/Dilg entschieden, die Etagen nach Nutzungen zu differenzieren. Das erste bis fünfte Geschoss ist dem Wohnen vorbehalten. Im Erdgeschoss sind die Gemeinschaftsbereiche angeordnet, die für Bewohner und darüber hinaus für das Quartier zugänglich sind. Herzstück ist ein gut 130 Quadratmeter großer Multifunktionsraum mit angeschlossener Küche und Fenstertüren zum Gehsteig und auf der Rückseite zum Hof. „Bei der Gestaltung dieses Bereiches war uns wichtig, flexible Nutzungen möglich zu machen“, betont Florian Dilg. „Deshalb haben wir ihn komplett ebenerdig konzipiert. Die anfängliche Idee, Sitzstufen im Raum einzurichten, um den Höhenunterschied zwischen der Straßen- und der Hofseite zu überbrücken, haben wir verworfen und die Höhendifferenz in den Hof geschoben.“

Rund um den Hof (Landschaftsarchitektur: grabner huber lipp) sind kleinere Räume wie ein verlängertes Wohnzimmer, ein Waschsalon und ein Yogaraum gruppiert. Zudem gibt es eine Mobilitätszentrale und einen Co-Working-Space. Auch bei der Planung dieser Gemeinschaftsräume waren Flexibilität und mögliche Umnutzungen wichtige Stichworte. Der Werkraum beispielsweise hat mehrere Türen zum Flur, sodass er bei Bedarf in mehrere Räume geteilt werden kann.

Viele Gemeinschaftsflächen, aber kompakte Wohnungen

Über das Erdgeschoss hinaus ist für die Bewohner die große Dachterrasse mit viel Photovoltaik, einzigartigem Alpenpanorama und einer Holz-Schallschutzwand zur Neuen Messe Riem ein wichtiger Ort der Zusammenkunft. Eine Außenküche mit Toilette, Gartenpatches und diverse Sitzplätze zonieren die lang gezogene Fläche. „Die Dachterrasse und die öffentlichen Räume im Erdgeschoss ergänzen sich gut und bieten insgesamt ein vielfältiges Angebot.

Das schafft einen guten Ausgleich dafür, dass die Wohneinheiten sehr effizient gebaut sind. Im Cluster sind die individuellen Räume rund 15 Quadratmeter groß, das kleinste Apartment im Gebäude misst etwa 25 Quadratmeter“, sagt Architektin Angelika Zwingel. Auch die Laubengänge, die die Wohneinheiten auf der gesamten Länge des Gebäudes erschließen, sind als Aufenthaltsbereiche gedacht. Kinderspiele, Pflanzenkübel und Bänke finden hier Platz.

Zugleich sichern die Laubengänge die Fluchtwege. Dadurch konnten die Planer auf eine hofseitige Feuerwehrdurchfahrt verzichten und einen Bewohnergarten anlegen. „Unsere Aufgabe war, Gemeinschaftsräume flexibel zu konzipieren und an die richtigen Stellen im Gebäude zu setzen. Jetzt sind die Bewohner an der Reihe. Sie müssen die Angebote nutzen und prägen“, fasst Florian Dilg zusammen.

Lovo Berlin: öffentliches Erdgeschoss

Die Berliner Architekten Christoph Wagner und Wenke Schladitz haben bei der Gestaltung eines integrativen Wohnprojektes für die Schwulenberatung Berlin andere Schwerpunkte gesetzt. Der „Lebensort Vielfalt am Ostkreuz“ – kurz: Lovo – birgt auf einer Fläche von insgesamt 1.200 Quadratmetern verschiedene Areale für die Öffentlichkeit, Bewohnergruppen und Einzelbewohner. Das Erdgeschoss beherbergt die Büroräume der Schwulenberatung, die auch das angrenzende Café betreibt, sowie eine Gewerbeeinheit.

„Diese drei öffentlichen Nutzungsbereiche im Erdgeschoss – vor allem das Café – sind natürlich auch Treffpunkt für die Bewohner. Zugleich verbinden sie jedoch das Haus mit dem Kiez“, erläutert Wenke Schladitz. Das war den beiden Architekten enorm wichtig: Hier sollte nicht das „Schwulenhaus“ am Ende der Straße entstehen, sondern ein lebendiges Haus mit gemischter Bewohnerschaft und vielfältigen Nutzungen, das Teil der Nachbarschaft ist.

Treffpunkt ­Erschließungsfläche

Für alle Bewohner des Hauses ist der Eingangsbereich der zentrale Kommunikationsort. „Wir haben den Eingang von der Straße zum Treppenhaus und den Durchgang zum Garten aufgeweitet“, beschreibt Christoph Wagner. Durch diese Aufwertung ist die ohnehin notwendige Erschließungsfläche zu einem Raum geworden, der Begegnungen ermöglicht und dazu einlädt. In der Nutzung funktioniert dieses Konzept sehr gut, so die Architekten. Hier stehe immer jemand vor der Infotafel, es warte ein Bewohner auf den Fahrstuhl und ein anderer repariere das Fahrrad. Der Platz reiche auch aus, um bei schlechtem Wetter einen Tisch hinzustellen und wie unter einem Terrassendach am Rand des Innenhofs zu sitzen.

„Der Vorteil dieses Konzepts ist, dass niemand einen separaten Raum aufsuchen muss, um Mitbewohner zu treffen“, erklärt Wenke Schladitz. „Kontakt ist hier immer und auf eine sehr informelle Art möglich.“ Das gilt auch für das zweite prägende Element des Lovo, das halb offene Treppenhaus auf der Hofseite, und für die auch vom Treppenhaus zugänglichen Balkone. Sie sind bis heute nur durch Stahlprofile voneinander getrennt und haben so den Charakter von Laubengängen.

Auch Wohnprojekte brauchen Rückzugsmöglichkeiten

In den Etagen eins bis vier befindet sich je eine rund 180 Quadratmeter große betreute Wohngemeinschaft mit acht Einzelzimmern – eine Teilgemeinschaft der Hausbewohner. Der zentrale Wohnflur mit einer gemeinschaftlichen Küche biegt zur Straßenseite ab. Hier ermöglicht eine Lounge mit Sitzmöglichkeiten Privatheit für Kleingruppen. „Gemeinschaft funktioniert nur dann gut, wenn Rückzug für jeden Einzelnen unkompliziert möglich ist“, betont Christoph Wagner. In einem Wohnprojekt wie dem Lovo ist das besonders wichtig: Hier leben Menschen, die sich zunächst nicht oder wenig kennen, auf vergleichsweise engem Raum.

Grüne Gebäude des Projekts zum gemeinschaftlichen Wohnen der Frankfurter Baugruppe Pfortenstraße
Das Projekt der Frankfurter Baugruppe Pfortenstraße hat neun individuelle Wohnungen.

Pfortenstraße Frankfurt: Verhauste Gemeinschaft

Ganz anders die „Baugruppe Pfortenstraße“ in Frankfurt-Fechenheim. „Die heutigen Bewohner haben sich schon seit vielen, vielen Jahren regelmäßig in privaten Räumlichkeiten getroffen und zum Beispiel zusammen gekocht. Mit dem Wohnprojekt haben sie ihr gemeinschaftliches Wohnen verhaust“, erzählt der freie Architekt Klaus Korbjuhn. Auf einem Abrissgrundstück hat die Baugruppe zwei Neubauten mit neun individuellen Wohnungen zwischen 40 und 98 Quadratmetern errichtet.

Wohnküche so groß wie möglich

„Die Mitglieder der Baugruppe hatten ein sehr unterschiedliches Budget zur Verfügung. Die Gebäude sind also das Ergebnis eines intensiven Abstimmungsprozesses, damit schließlich alle einziehen können“, sagt Architekt Korbjuhn. Im Vorderhaus steht eine 56-Quadratmeter-Gemeinschaftswohnung mit einem Schlafraum und einem großen Wohnraum samt offener Küche allen zur Verfügung und könnte perspektivisch auch für eine betreuende Person genutzt werden.

Ihr großer Wohnraum mit offener Küche ist der neue Treffpunkt der Bewohnerinnen und Bewohner. Klare Planungsvorgabe an den Architekten war: Dieser Raum soll so groß sein, dass alle, die ihn regelmäßig nutzen, gut Platz finden.

Der schönste Raum für die Gemeinschaft

Für Klaus Korbjuhn ist die Pfortenstraße nicht das erste gemeinschaftliche Wohnprojekt. Und auch nicht das letzte. Der Architekt arbeitet bei solchen Projekten eng mit dem Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen, einem von der Stadt unterstützten Verein, zusammen (siehe unten).

Grundriss des Projekts zum gemeinschaftlichen Wohnen der Frankfurter Baugruppe Pfortenstraße
Eine Gemeinschaftswohnung steht allen zur Verfügung.

In den Wohnprojekten, die er begleitet, ist immer ein Diskussionspunkt, wo Gemeinschaftsräume untergebracht werden. „Sehr häufig kommen die Bewohner dann zu dem Ergebnis: Im schönsten Raum im Haus wohnt die Gemeinschaft, und die Gemeinschaftswohnung verträgt es gut, wenn sie öffentlicher liegt als die privaten Bereiche. Sie wird deshalb gerne im Erdgeschoss und in der Nähe zum Hauseingang eingerichtet. Das trägt auch zu einer intensiveren Nutzung bei: Man schaut im Vorbeigehen mal rein.“

Der Luxus liegt im Teilen

Erleichtert wird das in der Pfortenstraße – genau wie im RIOriem – nicht nur durch die Anordnung im Gebäude, sondern auch durch eine Terrasse und den direkten Zugang zum Innenhof. Dank der Gemeinschaftsräume und -flächen dürfen die individuellen Wohnbereiche in der Pfortenstraße und in ähnlichen Wohnprojekten kleiner ausfallen als anderswo im Wohnungsbau. „Der Luxus liegt im Teilen“, beschreibt Klaus Korbjuhn seine Maxime. „Alle werden ein bisschen kleiner und leisten sich dafür gemeinsam etwas mehr.“


Adressen für gemeinschaftliche Wohnprojekte


Weitere Beiträge finden Sie auch gesammelt in unserem Schwerpunkt Kommunikativ.

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