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Zurück Erdgeschoss-Fassaden

Stadt auf Augenhöhe

Kein Teil der Fassade wird so stark wahrgenommen wie das Erdgeschoss. Manchmal sieht man dort mehr, als Passanten draußen und Nutzern drinnen recht ist

31.12.20129 Min. Kommentar schreiben

Text: Cornelia Dörries

Vorbild Tübingen: Im Loretto-Areal werden die Erdgeschosse entlang der Straße als Läden genutzt. Zum ruhigen Garten hin wird gewohnt.Vorbild Tübingen: Im Loretto-Areal werden die Erdgeschosse entlang der Straße als Läden genutzt. Zum ruhigen Garten hin wird gewohnt. Foto: artif orange GmbH & Co. KG

Vitalität und Offenheit eines städtischen Raums sind keine Frage von Höhenmetern oder ausgesuchter Fassadenmaterialien. Die urbanen Qualitäten der Bebauung entfalten sich stattdessen dort, wo die Trennung zwischen innen und außen, privat und öffentlich gestaltet und inszeniert wird: im Erdgeschoss. Es liegt auf Augenhöhe und prägt maßgeblich unsere Wahrnehmung von Stadt. Welche belebende Wirkung ein genutztes Erdgeschoss entfalten kann, hat sich wohl kaum sinnfälliger gezeigt als in den Innenstädten Ostdeutschlands: Nach der Wende kehrten in viele Ladengeschäfte, die jahrzehntelang verwaist waren, wieder Gewerbe, Handel und Gastronomie und damit auch städtisches Leben und Vielfalt zurück. Dass sich Urbanität über die Nutzung von Erdgeschossen entwickelt, war auch dem Tübinger Stadtplaner Andreas Feldtkeller bewusst: Er gab allen Bauherren in den neuen Quartieren Loretto und Französisches Viertel die Auflage, die Erdgeschosse ihrer Häuser für Läden, Werkstätten oder Büros zu öffnen und entsprechend zu planen.

Foto: artif orange GmbH & Co. KG

Doch neben diesen klassischen öffentlichen oder halböffentlichen Nutzungen gibt es immer wieder Versuche, Erdgeschosse auch anders zu bespielen. Dazu gehört der alternative Kinderladen der Siebzigerjahre ebenso wie das publikumswirksame Wohnprojekt hinter dem Schaufenster oder sogenannte Konzepträume, die mal Galerie, mal Party–Location und dann wieder temporärer Guerilla Store oder Projektbüro sind und sich vorzugsweise in ausgedienten Ladenlokalen ansiedeln. Mit ihrer manchmal politisch aufgeladenen demonstrativen Geste verbleiben manche dieser Nutzungen freilich im Bereich des Experimentellen, wo sie  in den städtischen Kontext mit seinen sozialen Routinen hervorragend integriert sind: Ihre Zielgruppe ist das städtische En-passant-Publikum, das vorbeiläuft, schaut und vielleicht Interesse zeigt.

Sieht man sich in ruhigeren Gegenden oder Nebenstraßen um, findet man in kleinen Ladenateliers oft Architekten, Illustratoren oder Steuerberater, die diese Räume auch ohne Aussicht auf Laufkundschaft gern nutzen. Erdgeschosswohnungen zur Straße hingegen haben einen eher schlechten Ruf, zumindest in den Innenstädten.

Das Erdgeschoss ist also ein heikler Bereich, der sich nicht ohne Einbeziehung des Außenraums planen lässt. Welches Maß an Öffnung erwünscht ist, bemisst sich wiederum an der architektonischen Gestaltung. Von der Straßenfront über die Art und Größe der Fenster bis hin zur Eingangssituation gibt es viele Möglichkeiten, die Beziehung zwischen dem Innen des Hauses und dem Außen der Stadt zu regulieren. Doch gerade bei Nutzungen, die sich der Bühne des Städtischen nur maßvoll oder gar nicht öffnen (wollen), zeigt schon ein kleiner Spaziergang durch Berlin, wie schwer sich gestalterischer Anspruch und alltägliche Praxis verknüpfen lassen.

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