Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Bezahlbar bauen – aber wie?“ im Deutschen Architektenblatt 06.2020 erschienen.
Wie, wo und in welchem Tempo Wohnungsbau entsteht, hängt auch davon ab, wie weitblickend und kreativ kommunale Wohnungsbaugesellschaften bislang agierten. Die Bremer Gewobag zum Beispiel lud bereits 2012 zum Wettbewerb „ungewöhnlich wohnen“, um neue Wege sozialen Wohnens zu erkunden. Daraus entstand 2018 ein kleines Wohnquartier im Stadtteil Tenever, wo im Rahmen des Stadtumbaus West Teile der Großwohnsiedlung rückgebaut worden waren und nun auf neue Weise nachverdichtet werden sollte.
Im Bremer Wohnungsbau von Kempe Thill ist das Treppenhaus als Atrium gestaltet, das vom Lichtschacht ... (Klicken für mehr Bilder)
Das könnte Sie auch interessieren
Sozialer Wohnungsbau in Bremen: Hofhaus als Stadtbaustein
Einen Baustein der Siedlung lieferte das Rotterdamer Atelier Kempe Thill, das im Jahr 2000 von den jungen Absolventen der TU Dresden André Kempe und Oliver Thill gegründet wurde und sich seither einen Namen mit innovativem Wohnungsbau gemacht hat. Ihr Bremer Wohnungsbau, ihr erster in Deutschland und zunächst für einen anderen Standort entwickelt, ist als Hofhaus ein ortsunabhängiger Stadtbaustein. Seine 25 Meter tiefe und im Prinzip beliebig verlängerbare Grundrissstruktur haben die Planer auch schon für Wohnheime verwendet. Hier kombiniert der Typ eine Kita und ein Stadtteilbüro im Erdgeschoss mit zwei Etagen aus 28 vorwiegend kleinen Wohnungen, die sich um einen temperierten Lichthof gruppieren.
Die Laubengänge wurden auf diese Weise in ein langes Atrium verlegt, das geschickt vom Luftraum der Kita durchstoßen wird. Sie finden ihr Pendant in filigranen Loggien, die sich um das Kernhaus legen – einen eigentlich banalen WDVS-Bau mit lauter identischen Fenstern. Architekt Oliver Thill meint dazu: „Uns geht es nicht unbedingt ums Sparen, sondern eher um strategische Verschiebungen. Wichtige Faktoren zur Kostenreduktion sind die Kompaktheit, die Minimierung der Erschließung und die Serialität.“ Der Ortsbezug zum baumbestandenen Umfeld entsteht hier über die vorpatinierte Lärchenholzschalung, übrigens ein Wunsch des Bauherrn – die Architekten bevorzugen sonst transparentere Wintergarten-Lösungen.
Solch kompakte Hofhäuser eignen sich eher für suburbane Quartiere wie hier, wo sich die Bauleitplanung frühzeitig auf große Baufelder einstellen kann. Architekt Oliver Thill ist überzeugt: „Wir benötigen dringend einen Typologie-basierten Städtebau. Wir müssen erst optimale Typologien für das 21. Jahrhundert entwickeln und dann damit den Städtebau gestalten.“ Wichtige Vorbilder wie Ernst Mays Neues Frankfurt oder Bruno Tauts Berliner Projekte seien in ihrer Logik im Grunde genommen noch immer unverstanden. Thill weiter: „Wir arbeiten sehr prototypisch und versuchen, Basismodelle für einen neuen europäischen Standard zu entwickeln.“ Das Atriumhaus hält Thill für besonders geeignet für kleine Wohnungen, Studentenzimmer und Altenwohnungen.
Das könnte Sie auch interessieren
Bislang gibt es in Bremen jedoch noch kein Folgemodell dieses schönen kollektiven Typs, der bei hoher Wohnqualität in jeder Hinsicht den öffentlichen Förderrahmen einhält. Das Modellgebäude ist sogar ein KfW-Effizienzhaus 55, das über einen Eisspeicher beheizt wird. Die zweischichtige Fassade, in deren architektonischer Strenge die Bewohnerschaft die Musik macht, ist in ihrer ruhigen Rhythmik der oft hippeligen Optik angeklebter Einzelbalkone vorzuziehen. Leider findet sie sich im aktuellen Wohnbau hierzulande ebenso selten wie die effizienten Laubengänge (etwa weil nur ein Aufzug benötigt wird) oder Flurerschließungen, die bei vielen Wohnungsbaugesellschaften unter pauschalem Getto-Verdacht stehen. Das Bremer Beispiel beweist das Gegenteil: Bunt bespielt, sieht es zwei Jahre nach Bezug sogar noch besser aus.
Oliver Thill sieht mit seinem Blick aus den Niederlanden den deutschen Wohnungsbau sehr kritisch, wo es bei billigen Wohnungen oft egal sei, wenn sie hässlich sind: „Wir bewegen uns hin zu deprimierenden Wohnumgebungen, die Menschen nachhaltig formen: Thermohaut, Minibalkons, Kleinstfenster.“ Thill bilanziert weiter: „Die deutschen Baunormen sind im Vergleich zum europäischen Standard ziemlich streng, da die Industrie sehr starke Lobby-Arbeit betreibt, um mehr Material verbauen zu dürfen und Märkte zu schützen.“ Das habe nicht mehr viel mit Wohnqualität zu tun, sondern mit einer gewollten Überdimensionierung der Wärmedämmung, des Schallschutzes oder des Tragwerks. „Im Vergleich zu Belgien, den Niederlanden und vor allem Frankreich sind alle Bauelemente sehr dick. Die Folge ist, dass wenig Geld für die Räume übrig bleibt.“
Sozialer Wohnungsbau in Frankfurt: Typenhaus mit Treppenskulptur
Das von Oliver Thill als Referenz herangezogene Neue Frankfurt verpflichtet gerade dort zur Nachfolge, sollte man meinen. Doch bisher bot der jüngste Wohnungsbau der Mainmetropole, etwa auf dem Riedberg, wenig Modellhaftes. Einzig die kommunale ABG hat sich in den letzten Jahren mit Experimenten hervorgetan, etwa mit dem verpflichtenden Passivhausstandard.
Bei einem Typen-Entwurf für geförderten Wohnungsbau, den Schneider Schumacher ab 2015 für die ABG durch alle Leistungsphasen entwickelten, durfte die Kaltmiete unter Marktbedingungen (also ohne Förderung) 10 Euro nicht überschreiten, was rund 1.500 Euro brutto pro Quadratmeter in den Kostengruppen 3 und 4 bedeutet. Für das sündhaft teure Frankfurt ist das sportlich, und so rationalisierten die Planer an vielen Enden, schafften aber mit Photovoltaik und Wärmerückgewinnung auch den Effizienzhaus 55-Standard. Ein erstes Modellprojekt mit 46 Wohnungen in zwei Zeilen wurde 2018 in einer Baulücke im eher suburbanen Oberrad bezogen.
Der Clou in diesem Fall: Die Grundrisse sind flurlos angelegt. Von den außenliegenden Treppen landet man direkt in der Wohnküche. Formal ein spiegelsymmetrischer Zweispänner, atmet auch dieser Typ dank des luftigen Aufgangs etwas von den kollektiven Laubenganghäusern, wie man sie vor allem aus wärmeren Ländern kennt.
Mehrfachnutzung ist hier das Stichwort: Verkehrsraum und Freiraum überlagern sich, wobei die privaten Freisitze elegant seitlich an die Treppenpodeste angedockt sind. Auch wenn der Aneignung formell stets der Brandschutz entgegensteht (in Bremen wurde dieses Problem durch ein zweites Treppenhaus gelöst), wird in Frankfurt die Möblierung der Fluchtwege offensichtlich geduldet. Laut Projektarchitektin Julia Bergmann werde die offene Erschließung sehr gut angenommen, zumal sie auf der Südseite der Häuser liegt: „Im Sommer waren die Treppenhäuser auch Ort der Begegnung, die Kinder haben auf und unter den Treppen gespielt, die Balkone waren bunt gestaltet. Es scheint eine soziale Komponente zwischen den Bewohnern zu entstehen.“
Wie in Bremen gibt es bodentiefe Kunststoff-Fenster und innenliegende Bäder in einem kompakten Kernhaus, das mit raumhaltigem Dach oder flach machbar ist. In Oberrad gerät das vorgeschriebene Steildach gestalterisch etwas mit der kubischen Einhausung der Treppen ins Gehege. Diese ist sichtbar aus Betonfertigteilen gefügt und lässt am ehesten an Urväter des Neuen Frankfurt denken. Auch die Schotten bestehen aus Halbfertigteilen, ansonsten ist die Konstruktion auf die Maße der Dämmziegel abgestimmt, dank derer kein WDVS nötig war. „Ein höherer Vorfertigungsgrad, den wir immer wieder geprüft haben, hat sich meist nicht kostengünstiger dargestellt. Das wäre erst bei einer größeren Masse, wie bei den Siedlungen des Neuen Frankfurt, lohnend“, merkt Julia Bergmann an. Rastermaß und Gruppierung der Häuser lassen sich je nach Grundstückszuschnitt variieren, und die Wohnungen sind durch Schaltzimmer sogar nachträglich veränderbar (was nach aller Erfahrung aber selten passiert). Weitere Projekte ähnlichen Typs seien derzeit für Frankfurt in Vorbereitung, verrät Bergmann.
Durchmischter Wohnungsbau in Hamburg: Skulptur mit Lageluxus
Dass lange Flure, Laubengänge und offene Treppenhäuser noch immer ein Stigma des sozialen Wohnungsbaus sind, ist wohl eher ein Wahrnehmungsproblem als ein tatsächliches Problem der Häuser. Aber wenn man sie unbedingt vermeiden will, geht das natürlich und sogar in allerbester Lage – wenn der politische Wille da ist und sich engagierte Akteure zusammentun. Dafür lohnt sich neuerdings ein Blick ausgerechnet in die Hamburger HafenCity, in der bezahlbares Wohnen bisher eher nicht vorkam. In den neueren Teilen soll sich das ändern, sodass sich hier nun schon mehrere Baugemeinschaften tummeln.
Im Fall einer Parzelle am Grasbrookpark, die früher für ein Bürohaus vorgesehen war, gab es 2012 ein konzeptionelles Bieterverfahren für eine Mischnutzung. Dafür tat sich eine Grundstücksgesellschaft mit der eingesessenen Baugenossenschaft Hansa und einer Baugruppe zusammen – und bekam den Zuschlag. Ein geladener Wettbewerb folgte, den BKK-3 aus Wien gegen die lokale Konkurrenz gewann (mit Landschaftsplanung von Karin Standler, Wien). Die Österreicher mit inzwischen einem Zweitbüro in Hamburg sind seit Langem für ebenso komplexe wie komfortable Genossenschaftsbauten voller sozialer Extras bekannt (wie die legendäre Sargfabrik). In Hamburg lieferten sie einen solide maßgeschneiderten, erwartungsgemäß schräg-skulpturalen Entwurf ab, der die Jury vor allem wegen seiner städtebaulichen Gliederung überzeugte.
Der Innenhof des 115 Meter langen und nur 33 Meter tiefen Komplexes liegt sechs Meter über dem öffentlichen Park und bietet durch eine breite Einkerbung Aussicht über denselben und die nahe liegende Elbe (diese nach Fertigstellung des Blocks gegenüber wohl nur von der Dachterrasse). Dass auf der anderen Seite das städtische Heizkraftwerk raucht, mag ein Grund gewesen sein, dieses Filetstück sozialen Zwecken zu öffnen.
Die 136 Wohnungen, zu je einem Drittel Baugruppe, öffentlich gefördert mit einkommensabhängigen Mieten sowie frei finanziert, verteilen sich auf drei Baukörper, die hinter dem ortsüblichen Klinkerkleid alle ähnliche Spännertypen beherbergen. Innovativ sind hier vor allem die gemeinsam nutzbaren Freiräume, die indes von den neckisch in Nautisch-Weiß gehaltenen Balkonrudeln teils kannibalisiert werden. Am Hof gibt es Ateliers zum Anmieten und im Sockel eine Kita, die von einem Bio-Restaurant mitbeliefert wird.
Aufgespalten: Was nach außen wie ein typischer HafenCity-Block wirkt, entwickelt sich im Hof zu einer kleinen Stadtlandschaft
Sozialer Wohnungsbau in Köln: Nachverdichtung im Zickzack
Doch vorbildliches Bauen muss nicht zugleich hochglanztauglich sein. Man kann auch mit konventionellen Mitteln viel richtig machen, wenn ein Projekt nachbarschaftlich gut eingefügt wird und die richtigen Prioritäten gesetzt werden. Die Kölner Wohnungsbaugesellschaft GAG scheint sich dabei zur Spezialistin zu entwickeln, denn sie ist schon mehrfach mit vorbildlichem und sehr günstigem Wohnungsbau aufgefallen. Auch in diesem Jahr erhielt sie einen Deutschen Bauherrenpreis für eine Nachverdichtung in Mülheim, die aus einem Qualifizierungsverfahren im Jahr 2014 hervorging.
Das etwa dreieckige Grundstück eines aufgelassenen Klosters aus der Nachkriegszeit, aber inmitten des gewachsenen Stadtteils, füllten Lorber Paul Architekten (mit Scape Landschaftsarchitekten) mit einer vier- bis sechsgeschossigen Bebauung, die 120 Wohnungen, davon 84 gefördert, um den erhaltenen alten Baumbestand gruppiert.
Da sich eine Bürgerinitiative für den Erhalt der prägnanten Klosterkapelle einsetzte, schlängelt sich die Wohnzeile um diesen kleinen Zentralbau, der dem Stadtteil nun als Begegnungsstätte dient. Überhaupt wurde viel Wert auf die Verzahnung mit dem Viertel gelegt: Das Areal ist öffentlich zugänglich, die Häuser sind an mehreren Stellen durchlässig und im Maßstab dank des Baumbestands nicht zu massiv. Der mehrmals abgeknickte Riegel überspielt geschickt seine Kompaktheit und seine recht konventionellen Spännertypen. Das WDVS wird hochwertig durch eine solide Verklinkerung der Sockel und eine gestanzte Blechverkleidung der geräumigen Balkone ergänzt.
Annette Paul nennt als die wichtigsten Spar-Faktoren, mit denen man Bruttobaukosten (KG 3+4) von nur 1.767 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche erzielte, „größtenteils identische Fenstermaße, übereinanderliegende Grundrisse mit dadurch minimierten Strangleitungen, sich wiederholende Betonfertigteile, die Verwendung von WDVS sowie eine wirtschaftliche Erschließung“. Die Lösung liege jedoch nicht in der Standardisierung eines gesamten Hauses, „sondern in der Verknüpfung standardisierter Konstruktionsmethoden und vorgefertigter Bauteile zu variantenreichen Gebäuden, die sich städtebaulich einfügen lassen“, so Paul.
Selbst im engen Rahmen des geförderten Wohnbaus gibt es also erhebliche Spielräume für individuelle und quartiersverträgliche Lösungen. Gerade im Hinblick auf die sich wandelnde Arbeitswelt wäre zu wünschen, dass Wohnung und Wohnumfeld stärker als gestaltbarer, anpassungsfähiger Freiraum der Menschen verstanden werden, die dort immer mehr Zeit verbringen – nicht nur in der Corona-Krise.
Mehr Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Wohnen
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu:
Services
Architektenkammern
© Solutions by HANDELSBLATT MEDIA GROUP GmbH 2024| Impressum | Datenschutz
Sie wollen schon gehen?
Bleiben Sie informiert mit dem DABnewsletter und lesen Sie alle zwei Wochen das Wichtigste aus Architektur, Bautechnik und Baurecht.
Wir nutzen die von Ihnen angegebenen Daten sowie Ihre E-Mail Adresse, um Ihnen die von Ihnen ausgewählten Newsletter zuzusenden. Dies setzt Ihre Einwilligung voraus, die wir über eine Bestätigungs-E-Mail noch einmal abfragen. Sie können den Bezug des Newsletters jederzeit unter dem Abmeldelink im Newsletter kostenfrei abbestellen. Nähere Angaben zum Umgang mit Ihren personenbezogenen Daten und zu Ihren Rechten finden Sie hier.
Sie müssen den Inhalt von reCAPTCHA laden, um das Formular abzuschicken. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten mit Drittanbietern ausgetauscht werden.
Mehr Informationen