Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Überzeugungsarbeit“ im Deutschen Architektenblatt 07.2021 erschienen.
Rund 152 Hektar, 6.900 Wohnungen, fast 15.000 Menschen – in Freiburg-Dietenbach entsteht eines der größten Neubauquartiere Deutschlands. Projekte in solchen Dimensionen mehren sich. Die wirtschaftlich starken Städte ziehen schon seit Jahren viele Menschen an. Verdichtung in den urbanen Kernen allein kann die Nachfrage nach Wohnraum vielerorts nicht mehr decken. Folglich werden die Stadtränder wiederentdeckt. „Den geeigneten Ort zu finden, war aufwendig“, erzählt Wolfgang Borgards, einer der drei Inhaber von K9 Architekten. „Die Stadt Freiburg ließ ihr gesamtes Gebiet untersuchen.“ Am westlich gelegenen Dietenbach, so das Ergebnis, befindet sich die am besten geeignete Fläche für einen neuen Stadtteil in der angestrebten Größe und Dichte. Gemeinsam mit den Landschaftsarchitekten Latz + Partner sowie den Mobilitätsexperten von StetePlanung haben die Freiburger K9 Architekten den Masterplan für das neue Quartier entworfen.
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Es wird wieder an der Peripherie gebaut
Zuletzt wurde in den Sechziger- und Siebzigerjahren in solchem Maße an der Peripherie gebaut. Doch die Gebiete entwickelten sich nicht wie geplant. Diesmal gehen die Akteurinnen und Akteure es anders an. Beteiligung ist angesagt. Damit ist die Architektenschaft auf neue Art gefordert. Der Entwurf von K9 hatte den städtebaulichen Wettbewerb 2018 zwar gewonnen – „doch dann mussten die Freiburgerinnen und Freiburger ein weiteres Mal überzeugt werden, ihn auch umzusetzen“, so Borgards. Das Angebot lautete: Im künftigen Dietenbach steht bezahlbarer Wohnraum im Fokus. Es sollen unterschiedlich geprägte Quartiere mit einer bunten und urbanen Mischung entstehen: von geförderten Wohnungen bis zu Eigentum, von Hochhäusern bis zu kleinen Townhouses, in den Erdgeschosszonen des Zentrums Ladenzeilen und Cafés. Stadtbahnanschluss, ein gutes Radwegenetz, Car- und Bike-Sharing-Angebote sowie Lastenradverleihsysteme sollen attraktive Alternativen zum Auto bieten.
Bürgerinitiative gegen Freiburg Dietenbach
Doch die Idee vom neuen Stadtkonzept überzeugte nicht alle: Landwirte und Bürgerinnen hatten sich in der Initiative „Rettet Dietenbach“ für den Erhalt des Geländes als Landwirtschaftsfläche, Kulturlandschaft sowie Naherholungsgebiet eingesetzt und einen Bürgerentscheid initiiert. Im Februar 2019 stimmten 60 Prozent für das geplante Quartier. Die Wahlbeteiligung unter den rund 170.000 Stimmberechtigten lag bei 49,6 Prozent, mindestens 20 Prozent waren nötig.
Neue Formen der Bürgerbeteiligung
„Erst danach ging es in die Feinplanung“, erzählt Borgards. Einerseits war hierbei neben den kommunalen Fachämtern der Gestaltungsbeirat der Stadt involviert – das fünfköpfige Gremium aus den Gebieten Architektur, Stadtplanung und Landschaftsarchitektur begleitet seit Februar 2014 die prägenden Bauprojekte der Kommune. Auf der anderen Seite setzte das Rathaus auf ein neues Konzept der Beteiligung: Ein Gremium aus 30 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern begleitet die Planung, es bringt verschiedene Perspektiven insbesondere für den Vermarktungsprozess ein.
Vermarktung nach Konzeptverfahren
So sollen Menschen zur Beteiligung angeregt werden, die dies sonst nicht täten. Die Öffentlichkeit wird in der aktuell laufenden Phase auch daran beteiligt, Bewertungskriterien für den Verkauf der Grundstücke nach Konzeptvergaben zu schaffen. Gemeinsam mit anderen Arbeitsgruppen und Planenden lernte das Gremium verschiedene Planungsvarianten kennen und wird dem Gemeinderat eine Empfehlung für ein Vermarktungsmodell geben, die Gewicht hat.
Nach dem Bürgerdialog 2015/2016, der Beteiligung am städtebaulichen Wettbewerb 2017/2018, dem Bürgerentscheid sowie der Einwohnerversammlung 2019 ist dies nun die fünfte Facette öffentlicher Teilnahme. „Der kreative Kern unseres Konzepts stieß auf Zustimmung, an einzelnen Punkten wurde nachjustiert“, kommentiert Borgards den Prozess. So habe man aufgrund des Feedbacks größere Waldflächen erhalten und eine Vorhaltetrasse für den späteren Ringschluss der Tram eingeplant. „Diese Debatten waren von großem Engagement auf allen Seiten getragen, haben aber auch Spaß gemacht. Wir haben dabei viele Erkenntnisse für den Stadtteil gesammelt“, so das Fazit des Architekten.
Stadtteil Nr. 105: Hamburg Oberbillwerder
Eine Stadt, die mit Projekten in solchen Dimensionen bereits Erfahrungen gesammelt hat und nun den nächsten Schritt geht, ist Hamburg. Schon die IBA Hamburg 2013 widmete sich unter anderem dem Thema „Qualitätsvolle städtische Quartiere schaffen“, seinerzeit noch mit starkem Fokus auf den Bestand. Nun nimmt die IBA Hamburg GmbH als städtische Entwicklungsgesellschaft im Auftrag der Hansestadt Hamburg auch komplett neue Quartiere ins Visier. Ein 124 Hektar großes Stadtentwicklungsgebiet im Osten der Stadt soll als „Oberbillwerder“ der 105. Stadtteil Hamburgs werden. Rund 7.000 Wohnungen sind dort geplant. Das Konzept hat Ähnlichkeit mit Freiburg-Dietenbach: In fünf unterschiedlich geprägten Quartieren will man eine urbane Mischung fördern und Autoverkehr durch alternative Angebote minimieren.
Wissen und Wünsche zusammentragen
Im Oktober 2016 startete die erste Arbeitsphase: Sammeln und Informieren. „Wir haben viel relevantes Wissen zusammengetragen – sowohl von der Bewohnerschaft der benachbarten Orte als auch aus Wissenschaft, Forschung und Fachplanung“, sagt Sabine de Buhr, städtebauliche Leiterin der IBA Hamburg. Eine zweitägige Ideenwerkstatt mit Bürgerinnen und Bürgern setzte die inhaltliche Erarbeitung in der nächsten Phase fort und vertiefte sie. Im Fokus standen die Themen städtebauliche Qualität, Wohnen und Nachbarschaft, lebendige Vielfalt, Nachhaltigkeit, Kulturlandschaft sowie Mobilität. Aus den Ergebnissen der ersten beiden Arbeitsphasen wurde die Aufgabenstellung für den anschließenden Planungsprozess erarbeitet.
Wettbewerblicher Dialog mit Vertraulichkeit
Dieser „wettbewerbliche Dialog“ war kein Wettbewerb nach den Hamburger Richtlinien für Planungswettbewerbe, sondern ein Vergabeverfahren nach § 18 Vergabeverordnung. „Dieses Verfahren ermöglicht im oberschwelligen Bereich eine schrittweise Annäherung an Aufgaben und Ziele“, erläutert de Buhr. „Die planerischen Entwürfe konnten in einem dialogischen Prozess entwickelt werden.“ Gleichzeitig sei sichergestellt worden, dass während des ganzen Prozesses das Vertraulichkeitsprinzip gewahrt blieb.
Bilder als Planungsinstrumente
„Die Kommunikation zwischen Architektenschaft, Öffentlichkeit und Kommune wird nicht zuletzt von den Verwaltungsstrukturen vor Ort geprägt“, erläutert Tim Mohr vom Büro Cityförster, das derzeit neue Stadtteile in Frankfurt (Neuer Stadtteil der Quartiere), Hannover (ecovillage) und Berlin (Blankenburger Süden) plant. „In der Hauptstadt sind die Strukturen komplexer“, so der Architekt, „weil hier außer dem Senat auf Landesebene auch der Bezirk mitredet.“
Die größte Herausforderung im Rahmen stärkerer Beteiligung sieht er jedoch in der fachlichen Auseinandersetzung: „Als Architekten arbeiten wir schon weit vor einem B-Plan oder Planfeststellungsverfahren mit Bildern und Visionen“, so Mohr. „Fachleute wissen, dass die noch sehr formbar sind, der Stadtöffentlichkeit hingegen müssen wir vermitteln, dass es sich dabei nicht um vorweggenommene Realität handelt, sondern um ein Werkzeug für den weiteren Planungsdiskurs.“
Stadtteil ohne große architektonische Geste
In den geplanten Stadtteilen ist die große architektonische Geste ohnehin nicht das primäre Ziel. Der Masterplan muss zwar klare Ziele definieren, aber zugleich Freiraum lassen. „Die Kunst besteht darin, die Qualitätskriterien umzusetzen, dabei die Prozesshaftigkeit der weiteren Entwicklung aufrechtzuerhalten und im Diskurs zu bleiben“, sagt de Buhr. „Das städtebauliche Gerüst muss neue Anforderungen einer sich verändernden Gesellschaft aufnehmen können, also flexibel sein, ohne jedoch den roten Faden zu verlieren und ohne dabei eine Beliebigkeit zu erzeugen.“
Soziale und funktionale Mischung
Dass der neue Wohnraum auch urbane Qualitäten entwickeln soll, macht die Vorhaben umso komplexer. Zu Fragen der sozialen Mischung kommt die Verbindung des Wohnens mit Arbeit. Ein Ziel für Oberbillwerder etwa lautet, dort auch 4.000 bis 5.000 Arbeitsplätze zu schaffen. Neben Einzelhandel, Schulen und Kitas ist unter anderem ein Hochschulstandort vorgesehen. „Zudem wollen wir Unternehmen aus dem Bereich Gesundheitswirtschaft dort ansiedeln“, sagt Franz-Josef Höing, Hamburgs Oberbaudirektor. Mit solchen Zielen wird die Planung des neuen Stadtteils auch zur wirtschaftspolitischen Aufgabe.
„Wir brauchen kein Readymade, das lediglich als Modell beeindruckt“, betont Höing. „Die Zeiten, als Planer im weißen Kittel allein in ihrem Atelier den großen Wurf kreierten, sind vorbei.“ Damit Beteiligung funktioniere, müsse sie jedoch auch ernst gemeint sein und mit dem richtigen Know-how angegangen werden. „Eine politisch korrekte Veranstaltung als Feigenblatt bringt nichts“, so Höing. „Bürgerschaft wie Planende sollen bei den entscheidenden Etappen zusammenkommen, ihre Meinung äußern und gegenseitiges Verständnis schaffen.“
Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Stadt bauen.
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