Von Christoph Gunßer
Wie sich die Prioritäten ändern: Vor gut fünf Jahren erst weihte die städtische GWG München in Sendling stolz eine Plusenergiesiedlung ein. Nun plante sie vis-à-vis mit denselben Architekten zwei Zeilen, bei denen vieles andere minimiert wird, nur nicht der Energiebedarf – der Wärmeverbrauch wird aus Kostengründen nicht einmal individuell abgerechnet.
Denn derzeit lautet die politische Vorgabe, viele günstige Wohnungen zu bauen, so rasch und effizient wie möglich. Die GWG gibt sich Mühe, sie produziert jetzt doppelt so viele Einheiten wie bisher. Und schon Jahre vor dem Wohnungs-Hype suchte sie nach Möglichkeiten, wie ihre Neubauten noch weniger kosten können. Das Ergebnis steht seit Herbst in der Hinterbärenbadstraße, in einer Siedlung aus den 1950er-Jahren, die sukzessive durch Neubauten ersetzt wurde.
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Sieht aus wie renoviert
Erst glaubt man kaum, dass es sich um Neubauten handelt. Auch Projektleiterin Martina Ott bestätigt, viele hielten die Häuser für renovierte Nachkriegsbauten. Tatsächlich aber ersetzen die zwei parallelen Nord-Süd-Zeilen drei Schlichtbauten von früher. Um Infrastruktur und alten Baumbestand zu erhalten, übernahm man bei der Neuplanung den offenen Städtebau des Quartiers. Auch Kubatur, Fassaden und Struktur der Gebäude folgen dem damaligen Duktus: flaches Satteldach, Lochfassaden, Spännererschließung.
Minimiert wurde das Projekt in einer „Phase 0“, die ja derzeit gern als essenziell beschworen wird. Weiteres Zauberwort ist das „Bauteam“: Die GWG setzte sich mit den Architekten, Franke Rössel Rieger Architekten aus München, sowie allen weiteren Fachplanern zu Beginn an einen Tisch und eruierte, „an welchen Stellschrauben sich drehen ließe“, so Ott, um Einsparungen zu erzielen.
Heraus kam ein etwas höherer und breiterer Zeilentyp mit nun fünf (statt drei) Vollgeschossen an zwei Treppenhäusern und, anders als zuvor, einem – der Wohnqualität wenig zuträglichen – Mittelgang, an dem die kleineren Wohnungen nach Osten oder Westen orientiert liegen. Insgesamt sind es 40 kleine Ein- bis Vierzimmer-Wohnungen je Haus. Statt eines Dachbodens gibt es in den obersten Wohnungen ein raumhaltiges Dach. Die Fassaden sind glatt, ohne Vor- und Rücksprünge. Als gäbe es keine digital individualisierte Vorfertigung, prägen 250 identische Kunststoff-Fenster die Ost- und Westseiten, die Stirnseiten bleiben geschlossen, was der Architekt „demokratisch“ genannt haben soll: Alle Wohnungen sollten gleichartig sein.
Das sind sie auch in der Vertikalen: Um einheitliche Steigleitungen hochziehen zu können, stapelte man die Grundrisse identisch übereinander. Auch das – tatsächlich ziemlich einsehbar zu ebener Erde liegende – Erdgeschoss enthält deshalb keine Nebenräume, sondern Wohnungen, die statt eines Balkons einen netten Gartenzugang haben. Auf eine Unterkellerung wollte man nicht verzichten; dort liegen die Abstellräume und die Hausanschlüsse; Fernwärme sorgt für Heizung und Warmwasser.
Konstruktiv minimierte man die Betonfertigteildecken auf 18 Zentimeter, die Außenwände in konventionellem Blähbeton auf 36 Zentimeter. Mit WDVS, Zweifachverglasung, einfacher Abluftanlage ohne Wärmetauscher und direkt mit dem Rohbau verbundenen Balkonen erreichte man knapp den Effizienzhaus- 80-Standard. Die Elektrik wurde auf Putz in einer gewöhnungsbedürftigen Medienleiste unter der Wohnungsdecke verlegt, was zumindest Umbauten erleichtert. Die in den Wohnungen installierten Stromzähler brachten offenbar keinen Spareffekt gegenüber zentralen Anlagen; das individuelle Verbrauchsbewusstsein war, wie erwähnt, kein Ziel, daher will man diese Maßnahme nicht wiederholen.
Die Stadt drückte Augen zu
An mehreren Punkten drückten die Genehmigungsbehörden fürs Sparen ein Auge zu: Verzichtet wurde auf den erhöhten Schallschutz, auf barrierefreie Bäder in den Obergeschossen, auf eine Feuerwehrzufahrt im Gelände (auch darum der Mittelgang), auf eine Tiefgarage – denn der reduzierte Stellplatzschlüssel wird quartiersübergreifend berechnet und es wird Carsharing angeboten. Sogar gewendelte Treppenläufe ließ man zu.
Nachdem die anfängliche Kalkulation mit 1.380 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche sehr günstig ausgefallen war, gestand man dem Pilotprojekt noch Parkettböden und einen großen Aufzug je Haus zu, sodass die Baukosten letztendlich bei 1.430 Euro lagen und damit rund 300 Euro unter vergleichbaren Bauten. Das ist respektabel. Auch die Außenanlagen können sich sehen lassen: Während die Flure sehr neutral und kühl gehalten sind, wirkt der durch ein Nebengebäude abgeschlossene Hof dank Bepflanzung, gelb-silbern lackierter Balkone und – aus architektonischer Sicht ziemlich willkürlicher – Putzapplikationen „heiter“, wie die GWG es formuliert. In dieser noch recht zentralen, doch ruhigen Lage nahe dem Westpark lässt sich so gut wohnen, für 9 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete. Die Wohnungen sind nach dem „München Modell“ für Mieter gefördert und werden entsprechend einkommensorientiert vergeben.
Inzwischen kopiert die GWG den Siedlungsbaustein im Rahmen des städtischen Förderprogramms „Wohnen für Alle“ (siehe Artikel „Die dritte Dimension“) in geringfügig abgespeckter Form an weit ungünstigeren Standorten: So blickt man in Milbertshofen und Neuaubing vom Balkon zum Teil auf stark befahrene vierspurige Straßen. Hier wären maßgeschneiderte Lösungen statt stereotyper Schubladenplanungen angebracht.
Mehr Mut im Minimalen
Als Beitrag zur Kostendämpfung ist dieser neu-alte Haustyp also durchaus diskussionswürdig. Bekanntlich sind Boom-Zeiten keine besonders innovativen Zeiten und andere Finanzierungsmodelle nicht in Sicht – etwa eine Hauszinssteuer nach Art der 1920er-Jahre, die Profite im Immobiliensektor abschöpfte, um ansehnlichen sozialen Wohnungsbau im großen Stil zu errichten.
Immer wieder gab es indes Minimalbau-Initiativen, die gestalterisch weitaus mutiger waren. Erinnert sei nur an die Modellprojekte diverser Sonderbauprogramme des bayerischen Freistaats in den 1990er-Jahren, etwa zu Holzsystembauweisen, die damals nicht mehr als 1.800 D-Mark pro Quadratmeter kosten durften. In der ach so konservativen Wohnungswirtschaft blieben sie leider ziemlich folgenlos, von ein paar löblichen Ausnahmen – auch bei der GWG – abgesehen, die aber heute beispielsweise keine Laubengänge mehr planen lässt.
Es waren vor allem Baugruppen und junge Genossenschaften, die es in letzter Zeit wagten, auch an gewohnten ästhetischen Standards zu rütteln, und trotzdem – oder gerade deshalb – radikal günstig, vielfältig und human bauten. Selbst im teuren München.
Veranstaltungstipp
Passend zum Thema gibt es im Münchner Architekturmuseum gerade eine sehenswerte Ausstellung über 100 Jahre Wohnungsbau in Bayern (bis 21. Mai). Mehr Infos gibt es hier.
Mehr Informationen und Artikel zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt wohnen.
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