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Zurück Nachwuchs-Kolumne #269

Nachhaltiges Bauen im Studium: Mode oder Fortschritt?

An vielen Hochschulen sind Design-Build Projekte mit wiederverwendetem Material en vogue: Bauen mit Feuerwehrschläuchen, Druckplatten oder Plotterrollen. Ist das ein echter Fortschritt oder nur eine Mode, die schon mal da war?

Von: Lorenz Hahnheiser
Lorenz Hahnheiser schreibt über die Architekturlehre an den Unis, architekturpolitische...

03.09.20254 Min. 1 Kommentar schreiben

In Halle zwei auf dem Boden sitzend, presse ich Plastikabfälle zu Würfeln. Um mich herum beginnt die Jahresausstellung der TU Berlin. Gäste durchwandern das Gebäude, eine Besucherin fragt mich, was ich da mache. Ich erkläre, dass ich einen Kurs über nachhaltiges Bauen belege, der das Potenzial von Abfällen untersucht.

Sie hört interessiert zu und schließt dann das Gespräch mit: „Ach das ist ja toll. Genau solche Sachen über nachhaltiges Bauen hab’ ich auch gemacht, als ich hier vor 30 Jahren studiert habe.“

Nachhaltiges Bauen: Die Ressource als Ausgangspunkt

Treten wir seit 30 Jahren auf der Stelle? Klar, ich weiß, dass die Klimakrise schon seit den Achtzigerjahren wissenschaftlich erwiesen ist. Dass auch davor schon nachhaltiges Bauen erprobt wurde: Ressourcen schonen, Nutzungsdauer verlängern und sich an Materialkreisläufe herantasten.

Ganze Denkströmungen versuchten einen Perspektivwechsel. Im Neuen Materialismus zum Beispiel wurde in den Neunzigerjahren der Mensch aus dem Fokus gerückt und dem Material eine gestaltende Rolle zugesprochen.

Bogen aus Offset-Druckplatten im Werkraum

Offset-Druckplatten zum Bogen gefügt von Ilayda Gundogdu, Olga Repina und Hiroki Miyata.
Ilayda Gundogdu

Prioritätenwandel im Gestaltungsprozess – nur ein Déja-vu?

Mein Kurs, den ich als zeitgemäß und progressiv empfinde, spricht dieselbe Sprache. Er versucht den Gestaltungsprozess umzukehren. Wir untersuchen gefundene Materialien und erproben, wie damit gebaut werden könnte. Es entstehen Mock-ups, die anschaulich zeigen, wie hochwertig Weggeworfenes wieder eingesetzt werden kann. Dem Material entlocken wir mehr und mehr bauliche Potenziale, ziehen Schlüsse auf Form und Fügung, entdecken ästhetische Qualitäten, je länger wir forschen.

Klar wurde dabei auch: Rein von der Ressource aus entsteht keine Architektur. Ohne Bedarf und Kontext, wird das Material zu einem Kunstobjekt, oder der Prozess stagniert im Produktdesign. Bleibt das Material allein, bleibt es nutzlos. Ähnlich ist es, wenn konventionell beim Bedarf gestartet wird: Aus ihm lassen sich Schlüsse auf das Raumgefüge ziehen. Doch erst wenn ein Material hinzugezogen wird, erwächst die Form.

Nachhaltiges Bauen: Gleichzeitigkeit statt Umkehr

Mehr als eine Umkehr des Gestaltungsprozesses braucht nachhaltiges Bauen Gleichzeitigkeit der Entwurfsstränge Ressource, Bedarf und Kontext. Sie bedingen sich nahezu performativ und wachsen zusammen zur Architektur. Ist das eine Erkenntnis, die mich für die Bauwende wappnet, mich nachhaltig bauen lehrt?

Der Kommentar der vorbeischlendernden Ausstellungsbesucherin legt nahe, dass diese Erkenntnis seit vielen Jahren aufs Neue gemacht wird. Wie ist es dann möglich, dass sich die Erforschung von Abfällen auf ihr Potenzial immer noch progressiv anfühlt?

Zu einer Säule verschachtelte Plotterrollen

Plotterrollen zu einer Säule verschachtelt von Sahar Ziraki, Parisa Soleimanirad und Simon Josuttis.
Sahar Ziraki

Progressive Studiengänge für substanziellen Wandel

Klickt man sich durch die Studiengangbeschreibungen der Hochschulen fallen häufig – aber erschreckenderweise auch nicht immer – die Begriffe „nachhaltig/Nachhaltigkeit“ oder „ökologisch“. Klar benannt werden die Bauwende, die Klimakrise oder die Biodiversitätskrise jedoch nur selten. Allein auf weiter Flur sind derzeit die Ausnahmen wie der TU Münchener Master „Ressourceneffizientes und Nachhaltiges Bauen“ oder die TH Kölner Master-Vertiefung „Ressourcenoptimiertes Bauen“.

Wie in meiner letzten Kolumne beschrieben, wäre aber genau das wichtig, damit Akkreditierungen die Hochschulen überhaupt hinsichtlich der Bauwende prüfen können. Im Kontext eines solchen weichen Selbstverständnisses einer Hochschule erscheinen Kurse, die explizit nachhaltiges Bauen in der Klimakrise in den Fokus nehmen natürlich progressiv. Diese Kurse sollten sich zunehmend normal anfühlen. Ist es nicht spannend zu überlegen, was dann progressiv sein wird?

In 30 Jahren ein „Wow!“ für nachhaltiges Bauen

Also liebe Hochschulen, ran an die Studiengangbeschreibungen, ran an die Modulkataloge, fordert Euch selbst heraus, macht nachhaltiges Bauen zur Grundlage und geht noch einen Schritt weiter. Ich wünsche mir in 30 Jahren meine Hochschule zu besuchen und zu denken „Wow, das hätte ich damals auch gerne schon gelernt!“


Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team im wöchentlichen Wechsel. Unsere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten, Luisa Richter-Wolf und Lorenz Hahnheiser.

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1 Gedanke zu „Nachhaltiges Bauen im Studium: Mode oder Fortschritt?

  1. „Müll ist Mangel an Phantasie“ schrieb schon Dirk Althaus im Jahr 1992.

    Das passt zum Architekturstudium. Schließlich führt der Weg zum Architekten-Beruf über dieses Studium, und angeblich soll dieser Beruf sehr von Kreativität und Innovationskraft geprägt sein. Oder nicht?

    Auf jeden Fall hat man als Architekt mehr oder weniger mit dem Bauen zu tun, und dabei spielen Ressourcen, Material und Mengen eine wesentliche Rolle. Das Bauen im Kontext eines Ressourcen-Kreislaufs zu denken, ist mit Sicherheit der richtige Weg im Sinne der Nachhaltigkeit.

    Ob es den Studierenden auf dem Weg zum Architekten-Beruf aber hilft, ihre wertvollen Semesterstunden darauf zu verwenden, sich mit den Verwertungsmöglichkeiten von Plotterrollen und Offset-Druckplatten zu befassen – das wage ich zu bezweifeln.

    Nicht, dass es grundsätzlich sinnfrei wäre – im Gegenteil! Wir sollten in allen Gesellschaftsbereichen darauf achten, dass wir Ressourcen möglichst effizient einsetzen. Und die kreativen Architektur-Studierenden sind für dazu passende Überlegungen bestimmt geeignete Kandidaten. Dies führt dann allerdings beruflich eher in den Bereich der Wirtschaft – insbesondere zu den Bauprodukt-Herstellern.

    Denn in der täglichen Praxis der Architekten sieht es leider so aus: was an Baustoffen und Bauprodukten nicht den technischen Baubestimmungen entspricht, also keine Zulassung, kein Prüfzeugnis oder keine Zustimmung im Einzelfall hat, damit wird in Deutschland nicht gebaut (siehe Abschnitt „Bauprodukte“ in den Landesbauordnungen). Daran krankt schon der „Re-use“-Gedanke, wenn man Altbau-Fenster neu einsetzen will.

    Für Architektur-Studierende auf dem Weg in den Architekten-Beruf wäre es hilfreicher, sich mit den Prozessen und Konzepten zu befassen, die im Alltag des Planungs- und Bauwesens tatsächlich eine Relevanz für Nachhaltigkeit haben. Zum Beispiel die Frage danach, mit welchen Gebäudetypologien sich die Nachhaltigkeitsziele je Nutzung und Lage am besten erreichen lassen. Mit welchen Material- und Bauprodukt-Kombinationen können wir Fassaden, Dächer, Decken, Wände so herstellen, dass neben den allgemeinen Anforderungen an Tragverhalten, Brandschutz, Wärmeschutz und Co. auch noch Ressourcen geschont werden?

    Damit die Studierenden hier ihre Kreativität praxiswirksam entfalten können, müsste man ihnen zuvor allerdings die Anforderungen des Bauwesens vermitteln. Da ist es wohl doch einfacher, stattdessen mit Papprollen und Druckplatten herum zu probieren. So bilden wir allerdings keine kompetenten Architekten aus.

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