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[ Interview ]

Büros mit den Mitarbeitenden planen

Wie sieht ein Bürobau aus, in dem alle zufrieden und effektiv arbeiten? Um das herauszufinden, haben Jörg Krämer und Anne Schultheis ein System etabliert, mit dem sie den jeweiligen Mitarbeitenden auf den Zahn fühlen – und damit ihr Repertoire als Architekten entscheidend erweitert

Jörg Krämer und Anne Schultheis vom Büro planquadrat im Gespräch
Architektin Anne Schultheis ist seit 2001 im Büro planquadrat tätig, derzeit als Projektleiterin. Architekt Jörg Krämer hat das Büro 1995 mitgegründet.

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Das ist Kommunikation im reinsten Sinne des Wortes“ im Deutschen Architektenblatt 03.2023 erschienen.

Interview: Lars Klaaßen

Frau Schultheis, Herr Krämer, um für Ihre Auftraggeber Bürogebäude zu entwickeln, nehmen Sie die ganze Firma mit Fragebögen und Workshops genau unter die Lupe. Das klingt ungewöhnlich aufwendig. Wozu ist das gut?

Anne Schultheis: Wenn es um die Entwicklung eines nachhaltigen Bürokonzeptes geht, bei dem die Nutzer mitgenommen werden, reicht es nicht, mit den eigenen Ideen, mit einem klassischen Entwurf zu kommen. Die Ideen müssen durch das gegenseitige Befruchten entstehen. Mit den Umfragen und Gesprächen ergibt sich oft ein Bild, was das Gebäude für dieses Unternehmen bedeutet. Nur so kann ein Konzept entstehen, das eine langfristige Zufriedenheit der Nutzer mit dem Gebäude schafft.

So ein Planungsprozess ist weit weg von der Art des Entwerfens, die Sie mal auf der Uni gelernt haben. Was war der Anlass, das völlig neu zu erfinden?

Jörg Krämer: Ich würde nicht von „neu erfinden“ sprechen, sondern eher von einer Erweiterung des Betrachtungswinkels. Das begann mit einem Projekt vor acht Jahren. Da sollte unser Architekturbüro ein spezielles Gebäude entwerfen, das Entwickler zusammenbringt, die über die ganze Welt verteilt arbeiten. Das Gebäude sollte die Möglichkeit des gemeinsamen Entwickelns bieten wie auch die Kommunikation unter den Entwicklern fördern. Wie das genau stattfinden sollte, war weitestgehend unklar. Wir haben uns dann Gedanken darüber gemacht, wie man aus diesem Wunsch heraus eine Aufgabenstellung generieren kann. Auf der damals entwickelten Vorgehensweise fußt letztlich alles, was wir heute tun.

Grafik zu Neuen Arbeitswelten und wie wir dahin kommen
Grafik: planquadrat

Wie läuft eine typische Planung heute bei Ihnen ab?

Jörg Krämer: Wir führen im Vorfeld einer Aufgabenstellung Gespräche, die dazu dienen, zu reflektieren, sowohl auf unserer als auch auf Auftraggeberseite: Was will ich? Wo stehe ich? Welche Aufgabenstellung habe ich? Bis hin zu: Welche Altersstruktur hat mein Unternehmen? Diese Gespräche initiieren wir in einer Art Workshop. Das Prozedere war schon beim ersten Mal sehr erfolgreich. Wir haben es dann mit jedem neuen Projekt weiter verfeinert. Kommt ein Auftraggeber als Selbstnutzer zu uns und sagt, er brauche soundso viele Quadratmeter, dann lautet unsere Antwort: „Verstehen wir, aber wir würden Sie gerne besser begreifen als nur über Quadratmeter. Wir möchten nachvollziehen, wie Sie arbeiten.“

Anne Schultheis: Dieses Verstehen ist der schönste und wichtigste Schritt. Es macht richtig Spaß, die unterschiedlichen Unternehmenswelten kennen- und verstehen zu lernen. Diese Bandbreite hatte ich vorher nicht. Mir vorzustellen, wie unterschiedlich man arbeiten kann. Das tut auch als Architektin ganz gut. Man kennt seine Arbeit, aber dass es in vielen Unternehmen so anders ist, das finde ich total spannend. Gerade die Begehung und die ersten Gespräche sind toll.

Wie reagieren die Bauherren auf diesen gründlichen Ansatz?

Jörg Krämer: Manchmal entgegnet man uns schon: „Wir wollen ein Bürogebäude bauen, keine Beratungsleistung einkaufen.“ Der Sinneswandel kommt dann aber sehr schnell, sobald wir es erklärt haben.

Grundriss-Skizze eines Büros
Anhand solcher Skizzen vermittelt Planquadrat den einzelnen Nutzergruppen einen Raumeindruck.

Wie kann man sich Ihren Werkzeugkasten vorstellen?

Jörg Krämer: Das erste Tool ist, zu schauen, welche Bedingungen vor Ort bestehen. Das bedarf einiger Gespräche. Im ersten Schritt mit der Führungsebene. Wir betonen dabei gleich, dass eine hohe Produktivität nur bei gleichzeitiger Zufriedenheit der Mitarbeiterschaft erreicht wird – sowohl zukünftiger als auch bestehender. Es muss erst einmal verstanden werden, dass es sinnvoll ist, die Angestellten mitzunehmen, die schon da sind.

Anne Schultheis: Im zweiten Schritt bitten wir die Mitarbeitenden, an einer Umfrage teilzunehmen. Wie arbeitet ihr jetzt, wie viel telefoniert ihr, wie viel besprecht ihr, wo macht ihr eure Pausen gerne, welchen Anteil hat die Stillarbeit, in welchen Teamgrößen arbeitet ihr? Was soll beibehalten werden? Und was fehlt euch? Wie wollt ihr arbeiten? Das machen wir mit beiden Gruppen, der Nutzer- und der Entscheidergruppe. So erfahren wir sehr viel über ihre Arbeitsweise und kommen schnell auf Ideen, wie sich die Arbeit verändern könnte. Zudem begehen wir immer auch die Räumlichkeiten, um einen Eindruck zu bekommen, in welcher Welt die Leute leben, aus welchen Räumen sie kommen und wie sie zusammenarbeiten.

Können und wollen die Beteiligten in den Unternehmen sich überhaupt äußern?

Anne Schultheis: Es macht den Leuten Spaß. Da interessiert sich jemand für sie in ihrer Situation. Und dadurch, dass die Gruppe, die da gemeinsam reflektiert, eine andere ist als die Kollegen, mit denen jeder sonst im Alltag viel zu tun hat, entsteht eine eigene Dynamik. Das hat mit Architektur gar nichts zu tun, sondern es ist Kommunikation im reinsten Sinne des Wortes.

Sprechen Sie mit allen Mitarbeitenden?

Jörg Krämer: Wir kommunizieren mit Nutzervertretern, die für ihre Abteilung sprechen. Die Entscheidung über diese „Klassensprecher“ treffen die Chefs, die ihre Mitarbeitenden kennen und die uns sagen, wer noch dazukommen müsste, etwa ein Behindertenbeauftragter. Den Betriebsrat, wenn es den gibt, würden wir in jedem Fall gerne dabeihaben. Um den Leuten zu erläutern, was ihre Aufgabe ist, sagen wir ihnen: „Ihr seid die Klassensprecher eurer Gruppe. Ihr vertretet eure Gruppe. Nicht nur ihr sollt sprechen, sondern ihr sollt den Input an eure Kollegen weitergeben.“ So haben wir eine schlagkräftige Größe, um mit der Mitarbeiterschaft zu kommunizieren, ohne mit jedem Einzelnen sprechen zu müssen.

Skizzen des Büros planquadrat zur Vermittlung des Entwurfsprozesses

 

Worum geht es den Mitarbeitenden?

Anne Schultheis: Um praktische Dinge, etwa: Brauchen wir Schließfächer? Haben wir Bedarf für eine Dusche für Fahrradfahrer? Wie soll die Garderobe oder die Teeküche am liebsten sein? Auch Bewirtung ist ein großes Thema. Die Leute, die das Betriebsrestaurant betreuen, sind ganz wichtig für den Zusammenhalt im Unternehmen.

Wie groß sind die Unternehmen, mit denen Sie zusammenarbeiten?

Jörg Krämer: Das geht vom kleinen Dienstleister mit circa hundert Mitarbeitenden bis zu großen internationalen Unternehmen mit bis zu 15.000 Beschäftigten. Dabei ist die Gruppe, die nachher in ein solches Gebäude einzieht, oft gar nicht so unterschiedlich groß. Bisher waren es immer mehrere hundert Personen.

Muss man ab einer bestimmten Unternehmensgröße anders darangehen?

Anne Schultheis: Kann man so nicht sagen. Was aber deutlich abweicht, ist der Entscheidungsprozess im Unternehmen. In einem kleinen Unternehmen ist die Entscheidungsebene viel schneller bei den Mitarbeitenden. Bei einem größeren Unternehmen muss man die Menschen mehr abholen. Da gibt es oft mehr Hierarchien, die dann wieder eingebunden werden. Das macht es vielleicht komplizierter.

Über welchen Zeitraum zieht sich dieser Prozess?

Anne Schultheis: Meistens sind es drei Monate bis ein halbes Jahr, bis das Grundgerüst steht. Fragen, die sich während des Entwurfs­prozesses ergeben, können dann im weiteren Verlauf auch von den Nutzervertretern beantwortet werden. Natürlich reagieren wir aber auch auf das Feedback der Nutzergruppen, das in den Entwurfsprozess eingebunden wird.

Skizzen des Büros planquadrat zur Vermittlung des Entwurfsprozesses

 

Sie diskutieren die Grundrisse im großen Kreis? Ist das nicht riskant?

Jörg Krämer: Wir haben gelernt, damit als Moderatoren umzugehen. Aber der erste Grundriss birgt schon ein Konfliktpotenzial (lacht).

Anne Schultheis: Wenn wir den Grundriss zeigen, können wir ihn ein Stück weit anpassen. Nicht prinzipiell, aber bestimmte Wünsche kann man noch aufnehmen. Die Bereitschaft muss natürlich auch bei allen da sein. Nur etwas zu präsentieren und zu sagen, „Das ist es jetzt“, funktioniert nicht. Da muss man dann auch noch etwas mitnehmen an Anregung.

Bleiben Unternehmen eher in den Strukturen, die sie bislang kannten, oder gibt es auch fundamentale Veränderungen?

Anne Schultheis: Es gibt Unternehmen, in denen alle in der Zelle sitzen und die auf einmal die große offene Arbeitswelt entdecken. So eine große Umstellung ist natürlich für die Mitarbeiterschaft am herausforderndsten. Hier bedarf es dringend unserer Moderation, um eine langfristige Zufriedenheit aller zu erreichen.

Jörg Krämer: Ein anderer großer Knackpunkt ist das Desk Sharing. Wenn ein Unternehmen das einführen möchte, wird es sehr stark diskutiert. Leute, die viel zu Hause arbeiten und nur ab und zu ins Büro kommen, haben damit keine Probleme. Die sind das gewohnt. Aber viele haben von geteilten Schreibtischen noch nie etwas gehört, und wenn man dann erklärt, was es bedeutet, kriegen einige das große Zittern. Ich persönlich bin da eher zurückhaltend in der Vermittlung. Ich halte Desk Sharing nur in den wenigsten Fällen für zielorientiert und richtig.

Anne Schultheis: Das ist ein sehr emotionales Thema. Man kann da Glück haben: Schon zweimal hatten wir den Fall, dass in den betreffenden Bereichen Software-Entwickler saßen – eine solche Gruppe von Personen tut sich damit leichter. Aber die Emotionalität ist beispielsweise in der Buchhaltung ganz anders. Da merkt man, dass die verschiedenen Nutzergruppen in einem Unternehmen unterschiedlich funktionieren. Und die allermeisten wollen etwas Persönliches um sich herum haben, etwa den Fußballschal. Das ist oft die einzige Möglichkeit, sich zu individualisieren. Ein wesentliches Thema, auf das wir bei der Entwicklung großen Wert legen, betrifft die Flexibilität der Grundrisse. Die Büros sind ständigen Veränderungen ausgesetzt, die in der Grundrissgestaltung schnell und unkompliziert umgesetzt werden können. Das verstehen wir auch unter einem nachhaltigen Gebäude.

Geraten Sie in dieser Moderatorenrolle auch in Konflikte zwischen Chefetage und Mitarbeiterschaft?

Anne Schultheis: Ja. Wir können das aushalten, wir können es moderieren – aber wir können es auch nur in einem begrenzten Rahmen gestalten.

Jörg Krämer: Ganz klar. Wir haben ja kein Mandat dafür, Geld auszugeben. Wir haben die Kompetenz, zu sagen, was wir aus der Erfahrung heraus als sinnvoll erachten. Da wird uns immerhin oft vertraut. Aber wenn bestimmte Konflikte aufbrechen, können wir sie eigentlich nur aufnehmen und weitertragen. Wir kommunizieren und vermitteln, aber der Konflikt selbst muss innerhalb des Unternehmens gelöst werden.

Skizzen des Büros planquadrat zur Vermittlung des Entwurfsprozesses

 

Lösen Sie potenzielle Konflikte im eigenen Büro auch mithilfe Ihres Konzepts?

Jörg Krämer: Als wir vor einigen Jahren unser CAD-Programm umstellen mussten, war klar, dass das eine große Anstrengung werden würde. Erst einmal mussten alle etwas Neues lernen, und dann bestand die Gefahr, dass alle das Gefühl haben, es sei das falsche Programm, weil das andere doch viel besser gewesen wäre. Deshalb haben wir gesagt, wir nehmen von jeder Gruppe, die im Büro agiert, einen Klassensprecher – Partner, Projektleiter, Bauzeichner, Student. Und die schauen sich die unterschiedlichen Programme an, entscheiden gemeinschaftlich und erläutern den Entscheidungsprozess ihrer jeweiligen Gruppe. Es gab drei, vier Programme zur Auswahl, und dann hat man anschließend über die Sinnfälligkeit jedes einzelnen Programms diskutiert. Dies haben die „Klassensprecher“ in ihre Gruppe hinein weitergetragen. Zum Schluss ist man zu einem von allen akzeptierten Programm gekommen – und bei dessen Einführung gab es überhaupt kein Problem. So haben wir intuitiv eine Erfahrung gemacht, die sich dann später auch auf unsere neuen Planungsprozesse auswirkte.

Erfolgte diese Systematisierung der Kommunikation nach dem Prinzip Learning by Doing? Oder haben Sie sich Know-how von außen ins Büro geholt?

Anne Schultheis: Beides. Beim ersten Mal war wenig Zeit, sich etwas anzueignen. Wir haben einfach ausgetestet und dabei viele Erfahrungen gesammelt. Aber dass man erst mal versteht und dann Ideen sammelt, das ist intuitiv.

Jörg Krämer: Wir lassen uns schon seit über 20 Jahren relativ regelmäßig zu unserer Arbeitsweise beraten. Das schult auch für Fragestellungen bei anderen, macht Zusammenhänge ergründbar. Das hat etwas mit unserer eigenen DNA zu tun, dass wir in dieser Richtung ein bisschen sensibler sind.

Wie kamen Sie darauf, sich Berater ins Büro zu holen?

Jörg Krämer: Das liegt daran, dass wir das Unternehmen zu dritt gestartet haben. Nach relativ kurzer Zeit wird klar: Man hat so ein eheähnliches Verhältnis (lacht), man weiß schnell, wo der rote Knopf des anderen ist. Das muss ein bisschen moderiert werden. Man hat das selbst nicht so im Blick beziehungsweise erliegt da vielleicht auch Übersprungshandlungen, die nicht förderlich sind. Deshalb haben wir zu dritt entschieden, dass wir Coach-Beratung von außen nehmen: Wie funktionieren wir? Was machen wir und wie? Wo kann es besser werden? Das haben wir im Lauf der Zeit auf die verschiedenen Hierarchieebenen, die es am Anfang gar nicht gab, übertragen. So haben wir dieses Moderieren und Fragestellen verinnerlicht. 

Architektin Anne Schultheis ist seit 2001 im Büro planquadrat tätig, derzeit als Projektleiterin. Architekt Jörg Krämer hat das Büro 1995 mitgegründet.

 

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