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[ Aufstockungsklagen ]

HOAI und Altverträge: neues Urteil schafft Vertrauen

Bei Altverträgen sind die Mindestsätze nach der HOAI 2013 weiterhin gültig. Nun hat der BGH einer entsprechenden Aufstockungsklage stattgegeben. Für Juliane Reichelt herrscht damit Rechtssicherheit

Juliane Reichelt stehend
Dr. Juliane Reichelt ist Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht in Stuttgart. Foto: Heuking Kühn Lüer Wojtek

Frau Reichelt, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2019 die Verbindlichkeit der HOAI-Mindest- und Höchstsätze für europarechtswidrig feststellte, entspannte sich daraus die Frage, welche Auswirkung die Entscheidung auf aktuelle Architektenverträge habe. Worum ging es genau?

Vereinfacht gesagt ging es um die rechtlich Frage, wie mit einer gesetzlichen Vorschrift umzugehen ist, die vom EuGH als europarechtswidrig festgestellt wurde. Konkret: Bislang galt mit der HOAI 2013 ein verbindliches Preisrecht. Der von der HOAI vorgeschriebene Preisrahmen war grundsätzlich verpflichtend und nicht verhandelbar. Von Ausnahmen abgesehen durfte also bei der Vereinbarung von Architektenhonoraren davon nicht abgewichen werden.

Der EuGH hat jedoch mit Urteil vom 4. Juli 2019 festgestellt, dass diese Verbindlichkeit des HOAI-Preisrechts gegen Europarecht verstößt. Eine europäische Richtlinie (die sogenannte EU-Dienstleistungsrichtlinie von 2006) sei nicht ordnungsgemäß in das deutsche Recht umgesetzt worden. Damit war klar, dass die HOAI entweder abzuschaffen oder zu ändern war. Der Gesetzes- und Verordnungsgeber hat sich für eine europarechtskonforme Änderung der HOAI entschieden, die nun (als „HOAI 2021“) seit dem 1. Januar 2021 gilt.

Damit aber nicht geklärt, war die spannende Frage, wie mit bestehenden Honorarvereinbarungen in Architektenverträgen, die unter der formal weiterhin gültigen HOAI 2013 geschlossen wurden, umzugehen ist. Hierzu entbrannte in der Rechtsprechung und der Literatur ein intensiver Meinungsstreit. Was wiegt stärker: Das Vertrauen der Beteiligten in die Gültigkeit der HOAI oder die Umsetzung der vom EuGH festgestellten Europarechtswidrigkeit durch Nichtanwendung des Preisrechts der HOAI?

Wo machte sich der Meinungsstreit bemerkbar?

Unmittelbar bemerkbar machte sich die Auseinandersetzung bei sogenannten Aufstockungsklagen von Architekten und Ingenieuren gegen ihre Bauherren. Betroffen sind Fälle, in denen die Parteien vertraglich ein Honorar unterhalb des verbindlichen Mindestsatzes der HOAI 2013 vereinbart haben. Der Architekt/Ingenieur macht nun den Mindestsatz geltend, verlangt also vom Bauherren, dass sein Honorar zum Mindestsatz aufgestockt wird.

In der Rechtsprechung bildeten sich hierzu zwei Lager. Einige Gerichte gingen davon aus, dass der verbindliche Mindestsatz nicht gilt, und haben deshalb die Aufstockungsklage des Architekten/Ingenieurs abgewiesen. Andere Gerichte haben dagegen zu Gunsten des Architekten/Ingenieurs entschieden mit der Begründung, dass die HOAI 2013 eine gültige deutsche Rechtsverordnung war und deshalb auf solche Altfälle weiterhin anzuwenden ist.

Dem Bundesgerichtshof (BGH) lag die Fallfrage zur Klärung bereits am 14. Mai 2020 vor. Warum entschied er damals nicht?

Der BGH ließ zwar in seinem damaligen Beschluss anklingen, dass er der Meinung zuneige, wonach die Mindestsätze der HOAI weiterhin anzuwenden seien. Doch es gab für ihn offene, entscheidungserhebliche Fragen zur Auslegung des EU-Rechts. Der BGH hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und seine Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der EuGH hat die Vorlagefragen mit Entscheidung vom 18. Januar 2022 (Az.: C-261/20) beantwortet.

Der Leitsatz dieser Entscheidung ist vereinfacht, dass ein nationales Gericht bei einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen nicht allein aufgrund des EU-Rechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie Mindesthonorare für Architektenleistungen festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht. Mit anderen Worten: Aus dem EU-Recht folgt nicht, dass ein deutsches Gericht das verbindliche Preisrecht der HOAI 2013 nicht anwenden darf.

Wie entschied nun der BGH am 2. Juni 2022?

Der BGH hat am 2. Juni 2022 entschieden (Az.: VII ZR 174/19), dass das verbindliche Preisrecht der HOAI 2013 anzuwenden ist und in dem vorliegenden Fall zu einem aufgestockten Honoraranspruch des Ingenieurs führt. Die HOAI 2013 gelte unbeschadet des EuGH-Urteils vom 4. Juli 2019, in dem dieser festgestellt hat, dass das verbindliche Preisrecht gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoße. Das Gericht müsse deshalb die HOAI 2013 anwenden. Auch verhalte sich der Ingenieur nicht treuwidrig, wenn er sich – trotz der festgestellten Europarechtswidrigkeit – auf den Mindestsatz beruft. Denn die HOAI 2013 war gültige Rechtsverordnung.

Die Dienstleistungsrichtlinie entfalte in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen keine unmittelbare Wirkung. Europäisches Primärrecht in Form der Niederlassungsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts, die unmittelbare Wirkung entfalten könnten, stünden der Anwendung des verbindlichen Preisrechts der HOAI 2013 nicht entgegen.

Wie bewerten Sie die BGH-Entscheidung?

Das Urteil ist nicht überraschend, nachdem der BGH bereits in dem Beschluss vom 14. Mai 2020 ausgeführt hat, dass er der Ansicht zuneige, wonach sich der vom EuGH festgestellte Verstoß des Preisrechts der HOAI 2013 gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie nicht unmittelbar in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen auswirke. Weder könne das Preisrecht der HOAI 2013 richtlinienkonform ausgelegt werden, weil eine solche Auslegung contra legem unzulässig wäre, noch müsse es unangewendet bleiben, da die EU-Dienstleistungsrichtlinie keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen entfalte.

Dieses Ergebnis ist folgerichtig und stärkt das Rechtsvertrauen. Denn Bauherren und Architekten vertrauten damals auf die Rechtskonformität der HOAI als deutsche Rechtsverordnung. Es ist zu begrüßen, dass EuGH und BGH mit ihren Entscheidungen nunmehr Rechtssicherheit in dieser streitigen, praktisch sehr wichtigen Frage geschaffen haben. Für eine vertiefte rechtliche Bewertung müssen freilich die Entscheidungsbegründung abgewartet werden, zunächst gibt es allein die Pressemitteilung des BGH.

Was sind die Folgen der BGH-Entscheidung?

Der Rechtsstreit ist damit beendet. Aufstockungsklagen von Architekten/Ingenieuren müssten nun Erfolg haben. Ebenso müssten umgekehrt Klagen von Bauherren auf Einhaltung der Höchstsätze Erfolg haben, wobei solche Klagen nur vereinzelt vorkommen. Allerdings dürften nicht mehr ganz so viele Fälle betroffen sein. Zahlreiche gerichtliche Verfahren wurden mittlerweile verglichen oder rechtskräftig entschieden. Auf diese beendeten Verfahren wirkt sich das neue Urteil des BGH nicht aus. Auch auf die aktuelle HOAI 2021 findet diese Rechtsprechung keine Anwendung, weil danach das Preisrecht nicht mehr verbindlich ist.

Damit ist jedoch die Thematik noch nicht ganz beendet: Der EuGH hat nämlich in seiner Entscheidung vom 18. Januar 2022 darauf hingewiesen, dass die durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigte Partei von dem Mitgliedstaat unter bestimmter Voraussetzungen den Ersatz des entstandenen Schadens verlangen kann. Im Falle einer Aufstockungsklage eines Architekten/Ingenieurs, der vom Gericht stattgegeben wurde, könnte also der zur Zahlung verurteilte Bauherr die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz in Höhe des Aufstockungsbetrages in Anspruch nehmen. Die sich hier stellenden spannenden Rechtsfragen werden die Rechtsberater und Gerichte noch beschäftigen.

Dr. Juliane Reichelt ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Immobilien und Bau in der Rechtsanwaltskanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek, Stuttgart. Sie ist Autorin zahlreicher Fachartikel und Mitautorin des Handbuchs „Immobilienwirtschaftsrecht“.

Die Fragen stellte Dr. Eric Zimmermann, Justiziar der Architektenkammer Baden-Württemberg.

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