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Ehrliche Luftbilder: Deutschland von oben zwischen Stadt und Land

Einfamilienhausgebiete, Energielandschaften und Logistikzentren, aber auch touristische Highlights. Ein neuer Fotoband von offizieller Stelle hält Deutschland ganz neutral den Spiegel vor, ein bisschen zu neutral, findet unser Autor

Von Christoph Gunßer

„Im Raume lesen wir die Zeit“, schrieb der Historiker Karl Schlögel und widersprach damit schon vor zwanzig Jahren der modischen These vom „Verschwinden des Raumes“ aufgrund moderner Kommunikationsmittel. Als Gestalter realer „Schauplätze“ sind Architekten und Planerinnen naturgemäß besonders an der Entwicklung der gebauten Umwelt interessiert. Speziell Luftbilder derselben erfreuen sich bei ihnen besonderer Beliebtheit, zeigen sie doch Zusammenhänge auf, setzen Dinge in Relation – und warnen eindringlich vor Fehlentwicklungen.

Die „Raumbeobachtung“ zählt zu den Aufgaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Regionalforschung und des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung. Weil Bilder viel mehr sagen als die üblichen Statistiken, geben die beiden Institute nun mit „Die Gestalt des Raumes“ einen recht opulenten Band mit Luftbildern heraus, als Folgeband von „Der gebändigte Raum“ von 2010.

Luftbilder aus geringer Höhe geben wichtige Einblicke

Die streng dokumentarischen Fotos wurden von Drohnen oder vom Ballon aus geringer Höhe (bis etwa 100 Meter) gemacht und bieten in Schrägsicht eine detailliert-realistische Perspektive auf Landschaften und Bauwerke. Insofern profitiert die Dokumentarfotografie hier von der technischen Entwicklung der „Nahaufklärung“.

Zu sehen sind, grob sortiert nach Siedlungs-, Infrastruktur-, Energie- und Freiraumlandschaften, scheinbar willkürliche Ausschnitte aus alltäglichen Situationen, darunter Vorstadtsiedlungen, Autobahnen, Windparks und sterbende Wälder. Nicht spektakuläre, sondern „normale“ Motive der modernen Landschaften.

In zehn Jahren einmal das Saarland zugebaut

Ergänzt werden die Fotos von Texten der beteiligten Forscher. Während die Bilder nur einzeilig knapp die allernötigsten Informationen zur Seite gestellt bekommen, ergehen sich die Raumwissenschaftler teilweise in seitenlangen, meist sehr allgemeinen und auch sprachlich recht trockenen Betrachtungen. Der in den überwiegend aktuellen Fotos sich aufdrängende Eindruck, dass Deutschland von 2009 bis 2019 rasant weiter zugebaut wurde, nämlich um mehr als die Fläche des Saarlandes (284.000 Hektar oder 78 Hektar/Tag), wird hier eher beiläufig eingeflochten.

Buchcover Gestalt des Raumes
Das opulente Buch hat gut 400 Luftbilder typischer deutscher (Stadt-)Landschaften zu bieten. Foto: Wasmuth & Zohlen Verlag

Fehlentwicklungen werden zwar gezeigt aber nicht benannt

Wenn der oben erwähnte Karl Schlögel der Re-Lokalisierung das Wort redet und sie in vielen Facetten illustriert, so versagt dieses Buch leider in der Erläuterung eben der Orte, die es zeigt. Als kritischer Leser wünschte man sich, die oft krassen und jeder Ästhetik zuwiderlaufenden Entwicklungen in der Landschaft näher erklärt zu bekommen. Entweder setzen die Autoren bei der Leserschaft sehr viel Sachverstand voraus oder sie scheuen sich (als neutrale, amtlich bestallte Wissenschaftler), in die Tiefen der Konkretion abzusteigen und Ross und Reiter des viel zitierten „Wandels“ zu benennen.

Wer sich, wie es im Vorwort heißt, „gemeinschaftliche Anstrengungen, um Deutschlands Landschaften (…) zu erhalten“ wünscht, sollte auch Beweggründe für Fehlentwicklungen aufzeigen und Alternativen abwägen. Wenn schon konkrete Orte gezeigt werden, wären Fallstudien dazu lehrreicher als globale Statements. Auch wenn polemisches Reden von „Zersiedelung“ wenig bringt, etwas pointierter wäre besser gewesen.

Auch die „Zwischenstadt“ wurde von jemandem geplant

Gerade Planer, denen noch Leitbilder wie „dezentrale Konzentration“ und „Urbanität durch Dichte“ vermittelt wurden, dürften unter dem dokumentierten, oftmals scheinbar planlosen Flächenfraß in der „Zwischenstadt“ leiden und sich ihre Machtlosigkeit angesichts der Marktkräfte eingestehen.

Doch dies wäre nicht Deutschland, wenn diese öden Zonen nicht sehr wohl von Planern geplant, von Beamten abgesegnet worden wären. Hat sich deren Zunft zum willigen Werkzeug eines angeblich selbsttätigen „Wandels“ machen lassen? Erst langsam reift mit Stichworten wie „15-Minuten-Stadt“ und „Suffizienz“ die Erkenntnis, dass weniger (Flächenwachstum) mehr sein kann und eine Qualifizierung des Status quo überfällig ist.

Auch beim recht neuen Aspekt der Energielandschaften wäre neben der Dokumentation von immer mehr Windrädern, Freiland-Photovoltaik und Biogaskuppeln vielleicht ein Blick auf deren bewusstere Gestaltung interessant gewesen, für die es bereits Beispiele gibt.

Faszinierende wie deprimierende Luftfotos

Positiv gesprochen, vereint dieser – im Vergleich zu anderen Wälzern am Markt kostengünstige – Band Bilder von bestechender grafischer Qualität, ohne dass diese inszeniert oder komponiert worden wären oder auch nur eine erkennbare Haltung vermitteln sollen. In einem langen Kapitel im Buch wird auf die Vorgänger solcher Bildbände eingegangen, darunter auch sehr verstaubte aus der Frühzeit der Luftfotografie.

Aus Planersicht am spannendsten waren indes nicht die heroischen Veduten, sondern die Gegenüberstellungen vor und nach menschlichen Eingriffen: Etabliert der Nutzen auch eine neue gültige Ästhetik, eine Lebendigkeit über die Zeit? Oder bauen wir das Land vollends zu und trösten uns künftig mit Fernreisen oder virtuellen Räumen?

 

Wendelin Strubelt, Fabian Dosch, Gotthard Meinel
Fotos von: Jürgen Hohmuth, Marcus Fehse
Die Gestalt des Raumes
Landschaften Deutschlands als Abbilder der Gesellschaft
Wasmuth & Zohlen Verlag, 2021
420 Seiten, 35 Euro

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