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[ Desksharing ]

Systemwechsel

Der Verzicht auf den eigenen Schreibtisch soll Raum für Neues schaffen und die Kreativität fördern. Architekten und Personaler berichten, welche Auswirkungen die Einführung von Desksharing hat und wie der Wandel des Arbeitsumfelds gelingen kann.

Umgebaut: Für Steelcase krempelten die Architekten einen Münchner Bürobau komplett um. Räumliches und kommunikatives Zentrum ist die neue Treppe.

Von Lars Klaaßen

Im nonterritorialen Büro sehen die einen die beste aller Arbeitswelten, die anderen befürchten den Verlust ihres vertrauten – weil fest zugeordneten – Arbeitsplatzes. Eine Reihe von Unternehmen hat mittlerweile über Jahre Erfahrung mit der Einführung neuer Bürokonzepte gesammelt. Dabei zeichnet sich ab, dass Territorien hierbei sehr wohl eine bedeutende Rolle spielen: in Form unterschiedlicher Nutzungszonen. Nur wenn der Verzicht auf den persönlichen Schreibtisch durch bessere Arbeitsumgebungen zu einem Gewinn für jeden Mitarbeiter wird, funktionieren solche Konzepte.

Eine neue Arbeitswelt in bereits bestehende, herkömmliche Bürogebäude zu implementieren, führt manchmal zu erheblichen Eingriffen in die Substanz. Zum Beispiel wenn ein Gebäude von innen heraus geöffnet wird, wie bei Steelcase, dem Hersteller von Büroeinrichtungen, der vergangenes Jahr seine neue Adresse in München bezog. Das Architekturbüro HENN hat den Umbau gemeinsam mit dem Pariser Designer Patrick Jouin und den neuen Nutzern geplant. „Wo früher herkömmliche Bürozellen über einen Mittelgang erschlossen worden sind, haben wir eine Raumstruktur geschaffen, die mehr Kommunikation fördert“, erläutert Stefan Sinning, Partner bei HENN. „Eine der Hauptaufgaben am Anfang der Planungen war die Erschließung des Gebäudes – auch als wichtiger Faktor für das nonterritoriale Konzept.“ Als interne Hauptverbindung dient heute eine neue Treppe über vier der sieben Etagen. Wie eine Magistrale zieht sie sich längs durch das Gebäude. Hier kommen fast alle Mitarbeiter im Laufe des Tages entlang, nicht nur einmal. Hier treffen sich Kollegen verschiedener Abteilungen im Vorbeigehen, die sich sonst nicht begegnet wären. Die „Soziologie des Raums“ nennt man bei Steelcase solche Effekte.

Neu gebaut: Die Arbeitswelt von Merck schafft fein abgestimmte Zonen …

Bei einem Neubau kann ein solches Konzept umso konsequenter in Architektur übersetzt werden. Für den Konzern Merck realisierten HENN in Darmstadt 2018 das „Merck Innovation Center“. Von außen ein nüchterner Kubus, schwingen im Inneren Brücken, Treppen und Rampen durch die Geschosse, sodass die verschiedenen Bereiche des Hauses nahtlos ineinander übergehen. Hier scheint alles im Fluss, Interaktion soll Innovation generieren.

Zwar verlangen unterschiedliche Unternehmenskulturen nach verschiedenen Soziologien des Raums. Die räumlichen Auswirkungen sind aber fast überall sehr ähnlich: Einerseits ist die Kleinteiligkeit von Einzel-, Zweier- oder Dreierbüros passé, andererseits aber auch das Konzept des Großraumbüros, das von serieller Gleichförmigkeit geprägt war. Nun wird Flexibilität geboten (wie gefordert) und durch eine Vielfalt an Modulen unterstützt: ruhige Zonen für konzentriertes Arbeiten, Räume für Teamarbeit und andere Formen der Interaktion, Bereiche für informellen Austausch in Form von Sitzgruppen oder Cafés. Gewichtung, Vernetzung und Design sind in jedem Einzelfall vom konkreten Bedarf geprägt. Wichtig sei bei all diesen Konzepten: „Es geht nicht darum, Platz zu sparen, wenn nicht mehr jeder seinen eigenen Schreibtisch nutzt, sondern mit den dadurch gewonnenen Flächen einen Mehrwert zu schaffen“, so Sinning. Denn wohlfühlen sollen sich die Mitarbeiter in der für viele ungewohnten Umgebung dezidiert auch. Ohne persönliches Familienfoto und eigene Zimmerpflanze muss das ganze Bürogebäude als Gemeinschaftsraum zur Identifikation einladen.

… für verschiedene Grade von Konzentration und Kommunikation.

Identifikation durch Mitgestaltung

Der Schritt von einer herkömmlichen Struktur zum nonterritorialen Büro bedingt immer auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmenskultur. B. Braun mit Sitz in Melsungen hat den Wandel bereits 2001 vollzogen. Als Grundlage hierfür wurde das „Bürokonzept 2010“ erstellt. Der Verzicht auf den eigenen Schreibtisch ist dabei – bei B. Braun wie auch bei Mitarbeiterbefragungen anderer Unternehmen – ein großes Thema. Hier gilt es, Skeptiker durch intensive Kommunikation zu überzeugen, dass die Vielfalt der neuen Arbeitsumgebungen auch wirklich einen persönlichen Gewinn darstellt.

Bei B. Braun scheint es sich zu bewähren. In den letzten Jahren hat das Pharma- und Medizinbedarf-Unternehmen gemeinsam mit den Architekten von il Prisma, ORANGE BLU und RSE seinen Sitz in der ehemaligen Lungenheilstätte im Melsunger Stadtwald komplett neu gestaltet. Den umfangreichsten Eingriff kann man im Atrium betrachten. Vom Mittelbau des Hauses blieben nur die historischen Außenmauern stehen. Alle vier Etagen werden auch hier durch eine neue Treppe verbunden. Die elegante Spirale ist zwölf Meter hoch; mit verglaster Brüstung und einem von unten nach oben stetig zunehmenden Durchmesser scheint sie im Raum zu schweben.

Mitgestaltet: B. Braun Melsungen ist ein Pionier des Desksharings. Durch Befragungen wurde ermittelt, welche Raumangebote den Mitarbeitern für ein effizientes Arbeiten wichtig sind.

Wichtig waren hier auch die digitale Vernetzung und der Zugang zu neuesten Technologien: „Eine Umfrage unter den Mitarbeitern an den deutschen Standorten brachte wertvolle Rückmeldungen darüber, was für effizientes Arbeiten als besonders wichtig erachtet wird“, erläutert Bernadette Tillmanns-Estorf, Leiterin des internationalen Personalwesens und der Unternehmenskommunikation. Über Digitales hinaus seien Orte für konzentriertes Arbeiten, Raum für ungestörte Gespräche und ergonomische Arbeitsumgebungen Punkte gewesen, die besonders häufig genannt wurden. Im zweiten Schritt wurde in Kreativworkshops gemeinsam mit den Mitarbeitern konkretisiert, was sich ändern sollte. Die Beteiligung der Mitarbeiter ist Teil des „Bürokonzeptes 2010“, das „Vertrauen, Wertschätzung und Transparenz“ als Leitlinien benennt. „Über 90 Prozent der Ideen haben wir auch umgesetzt“, so Tillmanns-Estorf. Zu den eingereichten Vorschlägen zählt etwa eine Gesprächsinsel in Form eines Rondells oder speziell gestaltete Sitz-Nischen in der Kantine. Darin können sich vier Personen vertraulich unterhalten, da sie schallgeschützt sind. So haben die Mitarbeiter ihre Arbeitsumgebung entscheidend mitgestaltet, was die Identifikation mit dem Ort stärkt.

Arbeitskultur weiterentwickeln

Wenn global agierende Konzerne sich daranmachen, ihr Bürokonzept umzustellen, wird solch ein Prozess in vielen einzelnen Schritten vollzogen. Für Siemens begannen diese im Jahr 2009. Seitdem wurde das nonterritoriale Bürokonzept auf gut einer Million Quadratmetern für rund 80.000 Mitarbeiter in 40 Ländern realisiert. „Dabei geht es nicht um neues Design der Büroeinrichtung nach dem Prinzip ‚schöner Wohnen‘“, betont Petra Schiffmann aus dem Bereich Siemens Real Estate, wo sie unter anderem für die weltweite Implementierung des Arbeitskonzepts „Siemens Office – new way of working“ verantwortlich ist. „Ziel bei alldem ist es, unsere Arbeitskultur weiterzuentwickeln.“ Dafür arbeiten im Unternehmen die Bereiche Real Estate, Human Resources sowie IT zusammen. Die Kernelemente hierbei lauten: mobiles Arbeiten fördern, Einführen einer offenen Bürolandschaft, freie Wahl des Arbeitsplatzes und Verbesserung der Work-Life-Balance. Zu Letzterem gehören unter anderem Kinderbetreuung, Sportangebote und Restaurants. Wird an einem Standort grundlegend saniert, um- oder neu gebaut, steht auch das neue Arbeitskonzept ins Haus.

Globalisiert: Siemens hat das nonterritoriale System seit 2009 für 80.000 Mitarbeiter in 40 Ländern eingeführt. Wird an einem Standort um- oder neu gebaut, wird zugleich das neue Arbeitskonzept realisiert, wie hier in der Zentrale in München.

Einen großen Schritt in diese Richtung hat Siemens im Sommer 2016 mit der Eröffnung seiner Zentrale in München getan. Auf rund 45.000 Quadratmetern oberirdischer Gebäudefläche sind dort etwa 1.200 Mitarbeiter tätig. Der Gewinnerentwurf des dänischen Architekturbüros Henning Larsen Architects integriert das klassizistische Palais Ludwig Ferdinand und sein saniertes Nachbargebäude nahtlos in den Neubau. „Dabei unterstützt die offene Gestaltung der Flächen die Bildung von Teams und die damit einhergehende Vernetzung“, so Schiffmann. Kreative Leistung lasse sich zwar schwer messen, doch das Feedback signalisiere eine hohe Zufriedenheit der Mitarbeiter.

Das Prinzip der offenen, fließenden Räume, die Begegnungen und Kommunikation fördern sollen, wurde in München über die interne Sphäre hinaus ausgedehnt. Es gibt dort nicht nur geräumige Lounges für den kreativen Ideen- und Gedankenaustausch der Mitarbeiter. Das Erdgeschoss ist auch für die Öffentlichkeit frei zugänglich – mit grünen Innenhöfen, Café und Restaurant sowie einem Wasserspiel. Die Anforderungen an die Raumstrukturen waren bereits fester Bestandteil des Architekturwettbewerbs. Darüber hinaus erhielt der Architekt umfassenden Input vom Bauherrn aus der jahrelangen Expertise mit offenen Bürokonzepten. Denn gerade non­territoriale Büros bieten viel Spielraum – für alle Beteiligten.


Desksharing bei Architekten?

In Architekturbüros haben Konzepte für Desksharing und nonterritoriale Büros noch Einschränkungen. „Wir können nicht ohne Weiteres alle Arbeiten am Laptop an jedem beliebigen Ort erledigen“, erläutert Stefan Sinning vom Architekturbüro HENN. Die Datenmengen seien zu groß und Workstations deshalb unumgänglich. An ihren drei Standorten arbeiten die Architekten dennoch ohne dauerhaft vergebene Arbeitsplätze. Die Rahmenbedingungen unterscheiden sich deutlich: in München ein Altbau, in Berlin ein Hochhaus aus den 1970ern, in Peking ein Neubau mit geschwungenen Linien. Das Konzept ist überall dasselbe: Alle Teams arbeiten gemeinsam an einem Ort. Sie finden in Projektgruppen für die Projektlaufzeit zusammen. Je nach Größe werden Arbeitstische hierfür auch neu gruppiert. Während die Räume der Büros unverändert bleiben, verändern sich die Projektgruppen und ihre Einrichtungen stetig.


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